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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
2C_387/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 10. September 2015  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Zünd, Präsident, 
Bundesrichter Seiler, Stadelmann, 
Gerichtsschreiber Kocher. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Valentin Landmann, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und Wegweisung (längerfristige Freiheitsstrafe), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungs- 
gerichts des Kantons Aargau, 2. Kammer, 
vom 19. März 2015. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1958) ist serbischer Staatsangehöriger. Im Juni 1993 erhielt er die Aufenthalts- und im April 2000 die Niederlassungsbewilligung. Er ist mit einer aus Bosnien und Herzegowina stammenden Frau verheiratet. Sie verfügt über eine Niederlassungsbewilligung. Den Eheleuten wurde im März 2001 ein Sohn geboren, dem Ende 2014 das Schweizerbürgerrecht erteilt wurde. Beruflich betätigte A.________ sich als Hilfsarbeiter, wobei er seit April 2006 nicht mehr erwerbstätig ist. Ausschlaggebend dafür scheinen neben der Betriebsschliessung auch medizinische Gründe gewesen zu sein. Eine Invalidenrente ist nicht zugesprochen worden. A.________ hat phasenweise Sozialhilfe beansprucht.  
 
1.2. A.________ erwirkte verschiedene strafrechtliche Verurteilungen. Zwischen 1992 und 2002 ergingen vier Straferkenntnisse darunter dreimal wegen Führens eines Motorfahrzeugs in angetrunkenem Zustand. Dies zog Bussen und Gefängnisstrafen (zehn Tage bzw. acht Wochen) nach sich. Mit Strafbefehl vom 17. März 2010 sprach das Bezirksamt Aarau A.________ alsdann schuldig der einfachen Körperverletzung, mehrfachen Drohung und mehrfachen Tätlichkeiten zum Nachteil seiner Ehefrau. Es belegte ihn deswegen mit einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 Franken bei einer Probezeit von zwei Jahren und zu einer Busse. Schliesslich verurteilte das Obergericht des Kantons Aargau ihn am 20. Oktober 2011 wegen einfacher Körperverletzung, Nötigung, Freiheitsberaubung und sexueller Nötigung zum Nachteil seiner damaligen Intimpartnerin zu einer Freiheitsstrafe von 2½ Jahren, wovon 1¼ Jahre bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von drei Jahren. Hinzu kam - als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 17. März 2010 - eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 Franken. Mit Urteil 6B_20/2012 vom 29. Mai 2012 wies das Bundesgericht eine dagegen gerichtete Beschwerde ab. A.________ hat die Freiheitsstrafe in der Zwischenzeit verbüsst.  
 
1.3. Die Fremdenpolizei des Kantons Aargau sprach gegenüber A.________ am 8. Mai 2002 eine ausländerrechtliche Verwarnung aus. Am 25. September 2012 widerrief das heutige Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau die Niederlassungsbewilligung. Aufgrund der Rückweisung zu weiterer Sachverhaltsabklärung (Einspracheentscheid vom 13. Mai 2013) holte das Amt beim damaligen Bundesamt für Migration einen Bericht ein, der sich zur psychiatrischen Versorgung in Serbien und zur Erhältlichkeit von Psychopharmaka auszusprechen hatte. Am 3. Juli 2014 verfügte das kantonale Amt abermals den Widerruf der Niederlassungsbewilligung und die Wegweisung von A.________ aus der Schweiz. Die neuerliche Einsprache und die Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau blieben erfolglos (Entscheide vom 9. Oktober 2014 und vom 19. März 2015).  
 
1.4. A.________ erhebt beim Bundesgericht Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und beantragt, das Urteil vom 31. Januar 2014 (recte: 19. März 2015) sei aufzuheben. Die Vorinstanz und das Staatssekretariat für Migration schliessen auf Abweisung der Beschwerde. Mit Verfügung vom 11. Mai 2015 hat der Präsident der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung der Beschwerde antragsgemäss die aufschiebenden Wirkung zugesprochen. Am 17. August 2015 reichte A.________ unaufgefordert eine abschliessende Stellungnahme ein.  
 
2.  
 
2.1. Da grundsätzlich ein Anspruch auf Fortbestand der Niederlassungsbewilligung besteht, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 83 lit. c Ziff. 2 [e contrario], Art. 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 90 BGG [SR 173.110]; vgl. BGE 135 II 1 E. 1.2.1 S. 4). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, soweit sie offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich, sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Die Niederlassungsbewilligung ausländischer Personen, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten, kann nur aus Gründen von Art. 63 Abs. 1 lit. b und Art. 62 lit. b AuG (SR 142.20) widerrufen werden (so Art. 63 Abs. 2 AuG). Die Bestrafung mit einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten stellt eine "längerfristige Freiheitsstrafe" im Sinne von Art. 62 lit. b AuG dar (BGE 139 I 145 E. 2.1 S. 147). Der Beschwerdeführer erachtet die vorinstanzliche Interessenabwägung (Art. 96 AuG) als bundesrechtswidrig (Art. 95 BGG), wozu er sich auch auf Art. 8 Abs. 2 EMRK (SR 0.101) und Art. 3 Abs. 1 KRK (SR 0.107) beruft.  
 
2.3. Das hohe öffentliche Interesse an der Wegweisung kann keinen ernstlichen Zweifeln unterliegen. Die verübten Straftaten gewichten stark und sind von wachsender krimineller Energie geprägt, zumal sie sich gegen engste Vertraute des Beschwerdeführers richteten. Im Strafverfahren war dem Täter fehlende Reue zu attestieren (zit. Urteil 6B_20/2012 E. 2.3). Auch später sah sich der Beschwerdeführer in einer Opferrolle (Führungsbericht des Amts für Justizvollzug des Kantons Solothurn vom 18. Juni 2014). Es trifft zwar zu, dass der forensische Psychotherapeut der Strafanstalt Wauwilermoos die Rückfallswahrscheinlichkeit als gering beschrieb (Bericht vom 1. Februar 2015). Bei schwerwiegenden Gewaltdelikten und bei wiederholter Delinquenz muss indes auch ein möglicherweise geringes Rückfallrisiko nicht hingenommen werden (BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34), zumal es sich hier um Delikte im Sinne von Art. 121 Abs. 3 lit. a BV handelt (vgl. BGE 139 I 31 E. 2.3.2 S. 34). Hinzu kommt, dass bei Drittstaatsangehörigen das Vorliegen einer  gegenwärtigen Gefährdung - im Unterschied zur Rechtslage nach Freizügigkeitsabkommen (Art. 5 Abs. 1 Anhang I FZA; SR 0.142.112.681) - zum einen keine Grundvoraussetzung für aufenthaltsbeendende Massnahmen darstellt (BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20) und zum andern auch generalpräventive Gesichtspunkte zulässig sind (BGE 136 II 5 E. 4.2 S. 20).  
 
2.4.  
 
2.4.1. Der Beschwerdeführer hebt unter dem Aspekt des privaten Interesses am Verblieb in der Schweiz das "innige Verhältnis" zum 14-jährigen Sohn und die "sehr gute Beziehung" zur Frau hervor. Beide hätten sie ihm das begangene Unrecht verziehen. Ihnen allen sei eine Wegweisung unzumutbar. Zudem bestünden weiterhin physische und psychische Beeinträchtigungen, die eine Behandlung in der Schweiz erforderten. Der Schilderung ist vorab entgegenzuhalten, dass die gesellschaftliche und berufliche Integration mit Fragezeichen behaftet ist. Noch vor einem Jahr empfahl das Zentrum für Forensische Psychiatrie des Kantons Solothurn eine Therapie in der Muttersprache (Serbisch), dies mangels ausreichender Deutschkenntnisse (Bericht vom 15. Juli 2014). In beruflicher Hinsicht sind in den letzten zehn Jahren keinerlei Aktivitäten dokumentiert, wenngleich nie eine Rente gesprochen wurde. Die Möglichkeit einer beruflichen Wiedereingliederung erscheint daher als unwahrscheinlich, was wiederum die Gefahr der Sozialhilfeabhängigkeit nährt.  
 
2.4.2. Ehefrau und Kind ist es unbenommen, in der Schweiz zu verweilen. Der Sohn ist Schweizerbürger, hier integriert und wird in nicht allzu ferner Zukunft auf eigenen Füssen stehen. Die Ehefrau ist in einem Anrainerstaat Serbiens aufgewachsen, weshalb sie dem Ehemann früher oder später nachfolgen könnte. Zur Frage der psychiatrischen Versorgung in Serbien und zur dortigen Erhältlichkeit von Psychopharmaka konnte die Vorinstanz sich auf eine gesicherte Faktenlage stützen (vorne E. 1.4). Ihre Beweiswürdigung ist jedenfalls nicht offensichtlich unhaltbar, zumal hinreichend begründete Verfassungsrügen fehlen. Aus Art. 3 Abs. 1 KRK ergibt sich - entgegen der nicht weiter begründeten Auffassung des Beschwerdeführers - kein direkter Leistungsanspruch auf die Erteilung einer ausländerrechtlichen Bewilligung; die Norm ist weder self-executing noch justiziabel (BGE 135 I 153 E. 2.2.2 S. 156 f.). Die vorinstanzliche Auslegung und Anwendung des Bundesrechts, insbesondere auch von Art. 8 Ziff. 2 EMRK, ist nicht zu beanstanden.  
 
3.  
 
 Die Beschwerde erweist sich als offensichtlich unbegründet; sie ist ohne Weiterungen abzuweisen (Art. 109 BGG). Der Beschwerdeführer wird damit kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG) Mit Blick auf die sorgfältig motivierten, treffenden vorinstanzlichen Erwägungen musste sein Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege von vornherein aussichtslos bleiben (Art. 64 Abs. 1 BGG). Den finanziellen Verhältnissen entsprechend wird auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr verzichtet. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
 Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
 
 Das Gesuch um Erteilung des Rechts zur unentgeltlichen Prozessführung wird abgewiesen. 
 
3.  
 
 Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.  
 
 Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 10. September 2015 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Zünd 
 
Der Gerichtsschreiber: Kocher