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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_521/2022  
 
 
Urteil vom 2. März 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichterinnen Moser-Szeless, Scherrer Reber, 
Gerichtsschreiber Nabold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Kaspar Saner, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Pensionskasse Stadt Zürich, 
Morgartenstrasse 30, 8004 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufliche Vorsorge, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. September 2022 (BV.2021.00039). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1962 geborene A.________ war vom 1. April 1993 bis 28. Februar 2010 bei der Stadt Zürich angestellt. Vom 1. März 2010 bis 29. September 2011 bezog sie Taggelder der Arbeitslosenversicherung. 
Im Januar 2013 meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach einem längeren Verfahren sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich ihr schliesslich ab 1. Januar 2014 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu. Demgegenüber lehnte die Pensionskasse Stadt Zürich das Gesuch der Versicherten um Ausrichtung von Invalidenleistungen ab. 
 
B.  
Eine von A.________ gegen die Pensionskasse Stadt Zürich erhobene Klage hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 16. September 2022 teilweise gut und sprach der Versicherten für die Zeit vom 1. März 2010 bis 29. Februar 2012 eine Berufsinvalidenrente gestützt auf einen Berufsinvaliditätsgrad von 100 % samt Zusatzleistungen und Verzugszins von 5 % ab 21. Juni 2021 zu. Soweit einen weitergehenden Anspruch betreffend, wies es die Klage ab. Zudem entschied es, dass die Klägerin der Beklagten die ausgerichtete Freizügigkeitsleistung zurückzuerstatten hat. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, ihr sei unter teilweiser Aufhebung des kantonalen Gerichtsurteils ab 1. März 2012 eine Invalidenrente bei voller Erwerbsinvalidität auszurichten, nebst Zins von 5 % ab 21. Juni 2011 bzw. ab Fälligkeit der einzelnen Zahlungen. 
Während die Pensionskasse Stadt Zürich auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
In ihrer Stellungnahme vom 18. Januar 2023 hält A.________ an ihren Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
 
1.  
 
1.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.2. Vorinstanzliche Feststellungen zur Art des Gesundheitsschadens und zur Arbeitsfähigkeit, die Ergebnis einer Beweiswürdigung sind, sind für das Bundesgericht grundsätzlich bindend (vgl. BGE 132 V 393 E. 3.2). Tatfrage ist auch jene nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat (Urteil 9C_182/2007 vom 7. Dezember 2007 E. 4.1.1, in: SVR 2008 BVG Nr. 31 S. 126). Frei überprüfbare Rechtsfrage ist dagegen, nach welchen Gesichtspunkten die Entscheidung über den Zeitpunkt des Eintritts einer massgebenden Arbeitsunfähigkeit zu erfolgen hat, und ob die Beweiswürdigung unter Beachtung der rechtsprechungsgemäss relevanten Kriterien erfolgte (Urteil 9C_143/2021 vom 25. Juni 2021 E. 1.2).  
 
2.  
Streitig und zu prüfen ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, als es einen Anspruch der Versicherten auf Invalidenleistungen aus beruflicher Vorsorge gegen die Beschwerdegegnerin für die Zeit ab 1. März 2012 verneinte. 
 
3.  
 
3.1. Invalidenleistungen der (obligatorischen) beruflichen Vorsorge werden von derjenigen Vorsorgeeinrichtung geschuldet, bei welcher die ansprechende Person bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, versichert war (Art. 23 lit. a BVG). Der Anspruch setzt einen engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang zwischen der während des Vorsorgeverhältnisses (einschliesslich Nachdeckungsfrist nach Art. 10 Abs. 3 BVG) bestandenen Arbeitsunfähigkeit und der allenfalls erst später eingetretenen Invalidität voraus (BGE 138 V 409 E. 6.2; 134 V 20 E. 3.2). Der sachliche Konnex ist gegeben, wenn der Gesundheitsschaden, welcher zur Arbeitsunfähigkeit geführt hat, im Wesentlichen derselbe ist, wie er der Erwerbsunfähigkeit zugrunde liegt (BGE 138 V 409 E. 6.2).  
 
3.2. Die Annahme eines engen zeitlichen Zusammenhangs setzt voraus, dass die versicherte Person nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, deren Ursache zur Invalidität geführt hat, nicht während längerer Zeit wieder arbeitsfähig war, was sich nach der Arbeits (un) fähigkeit in einer der gesundheitlichen Beeinträchtigung angepassten zumutbaren Tätigkeit beurteilt (BGE 134 V 20 E. 5.3; Urteil 9C_278/2015 vom 2. Februar 2016 E. 2.3.2). Bei der Prüfung dieser Frage sind die gesamten Umstände des konkreten Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die Art des Gesundheitsschadens, dessen prognostische medizinische Beurteilung sowie die Beweggründe, welche die versicherte Person zur Wiederaufnahme oder Nichtwiederaufnahme der Arbeit veranlasst haben (vgl. Urteil 9C_877/2018 vom 22. August 2019 E. 3.3).  
 
3.3. Eine Unterbrechung des zeitlichen Konnexes ist dann anzunehmen, wenn während mehr als dreier Monate eine Arbeitsfähigkeit - von über 80 % gemäss BGE 144 V 58 E. 4.5 - gegeben ist, sofern sich eine dauerhafte Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit als objektiv wahrscheinlich darstellt. Der zeitliche Zusammenhang kann daher auch bei einer länger als drei Monate dauernden Tätigkeit gewahrt sein, wenn eine dauerhafte berufliche Wiedereingliederung unwahrscheinlich war, etwa weil die Tätigkeit (allenfalls auch erst im Rückblick) als Eingliederungsversuch zu werten ist oder massgeblich auf sozialen Erwägungen des Arbeitgebers beruhte (BGE 134 V 20 E. 3.2.1; Urteil 9C_340/2015 vom 21. November 2016 E. 4.1.2).  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat im Wesentlichen erwogen, die Versicherte habe ihre Stelle bei der Stadt Zürich im Jahre 2010 aus gesundheitlichen Gründen verloren; in ihrer angestammten Tätigkeit sei sie auch in den folgenden zwei Jahren nicht wieder arbeitsfähig geworden. Entsprechend stehe der Versicherten gemäss Vorsorgereglement für zwei Jahre eine Berufsinvalidenrente zu. Einen Anspruch auf weitergehende Invalidenleistungen verneinte die Vorinstanz (vgl. E. 5.1 des vorinstanzlichen Uteils). Zwar bestehe ein enger sachlicher Konnex zwischen dem Gesundheitsschaden, der zum Verlust der Stelle geführt habe, und der später eingetretenen Erwerbsunfähigkeit; da jedoch die Versicherte jedenfalls von Herbst 2010 bis Ende Juli 2011 in einer angepassten Tätigkeit voll arbeitsfähig gewesen wäre, sei der zeitliche Konnex unterbrochen worden (vgl. E. 5.2 des vorinstanzlichen Urteils).  
Die Beschwerdeführerin macht geltend, entgegen den vorinstanzlichen Feststellungen zwischen Herbst 2010 und Ende Juli 2011 auch in einer angepassten Tätigkeit nicht voll arbeitsfähig gewesen zu sein. Zudem sei zweifelhaft, ob sie in einer solchen Tätigkeit in der Lage gewesen wäre, ein rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen, was aber Bedingung für einen Unterbruch des zeitlichen Konnexes sei. Letztlich seien aber diese Fragen irrelevant, da sich durch die Zusprache der Berufsinvalidenrente der Versicherungsschutz bei der Beschwerdegegnerin bis Ende März 2012 verlängert habe; jedenfalls der zeitliche Konnex zwischen der mindestens seit August 2011 bestehenden Arbeitsunfähigkeit und der späteren Erwerbsunfähigkeit sei nicht unterbrochen worden. 
 
4.2. Gemäss Art. 2 Abs. 3 lit. a des Vorsorgereglements (Ausgabe 2010) der Beschwerdegegnerin beginnt die Versicherung mit dem Arbeitsverhältnis und endet mit dessen Auflösung, sofern weder ein versichertes Ereignis eingetreten ist noch die Versicherung im Sinne von Art. 21 des Reglementes freiwillig weitergeführt wird. Die Beschwerdeführerin argumentiert, durch die - nunmehr rechtskräftige - Zusprache der Berufsinvalidenrente stehe fest, dass ein versichertes Ereignis eingetreten sei, weshalb das Vorsorgeverhältnis nicht schon mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses, sondern erst mit dem Ende des Leistungsanspruchs geendet habe.  
 
4.3.  
 
4.3.1. Die Auslegung von Vorsorgereglementen öffentlich-rechtlicher Vorsorgeeinrichtungen erfolgt nach den gewöhnlichen Regeln der Gesetzesauslegung. Danach ist in erster Linie der Wortlaut der Norm massgebend. Lässt dieser verschiedene Deutungen zu, muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller Auslegungselemente, namentlich des Zweckes, des - auch kontextbezogen zu ermittelnden - Sinnes und der dem Text zugrunde liegenden Wertung (BGE 134 V 208 E. 2.2; SVR 2021 BVG Nr. 43 S. 164, 9C_394/2020 E. 5.2)  
 
4.3.2. Es steht fest und ist unbestritten, dass das Vorsorgereglement der Beschwerdegegnerin für versicherte Personen, welche das 55. Altersjahr noch nicht vollendet haben, jedoch aus gesundheitlichen Gründen ihre bisherige Aufgaben nicht mehr oder nicht mehr vollständig erfüllen können, eine auf zwei Jahre befristete Berufsinvalidenrente vorsieht (Art. 40 Abs. 3 des Vorsorgereglements). Strittig ist indessen, ob die Beschwerdeführerin darüber hinaus einen Anspruch auf eine (längerfristige) Erwerbsinvalidenleistung hat. Die Beschwerdegegnerin räumt ein, dass es durch den Bezug der Berufsinvalidenleistung nicht zu einem Austritt aus der Pensionskasse gekommen sei. Die betroffene Person sei in einer solchen Situation weiter gegen das Risiko Tod versichert, nicht aber gegen das Risiko Invalidität. Eine nähere Begründung, aus welchen Bestimmungen oder Grundsätzen sich ein solcher eingeschränkter Schutz ableiten soll, ist indessen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin nicht zu entnehmen und ist auch nicht ersichtlich: Sinn und Zweck einer solchen befristeten Rente ist es, die betroffene Person in die Lage zu versetzen, sich ohne finanzielle Einbussen auf dem Arbeitsmarkt neu orientieren zu können. Diesem Zweck der befristeten Berufsinvalidenrente würde es indessen zuwiderlaufen, wenn die betroffene Person bei einer Ausschöpfung dieser Möglichkeit eine empfindliche Lücke im weitergehenden berufsvorsorgerechtlichen Versicherungsschutz hinnehmen müsste. Somit ist jedenfalls in jenen Fällen, in denen die betroffene Person nicht in eine neue Vorsorgeeinrichtung eingetreten ist, von einem Erhalt des Versicherungsschutzes für das Risiko Invalidität durch den Anspruch auf eine befristete Berufsinvalidenrente auszugehen.  
 
4.3.3. Wie die Beschwerdeführerin zutreffend geltend macht, vermag somit eine allfällige nicht ausgeschöpfte Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit während der Dauer der Berufsinvalidenrente den zeitlichen Konnex zwischen dem Gesundheitsschaden und der späteren Erwerbsunfähigkeit nicht per se zu unterbrechen. Somit braucht die Frage, ob die Vorinstanz willkürfrei von einer vollen Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit in der Zeit von Herbst 2010 bis Ende Juli 2011 ausgehen durfte, nicht näher geprüft zu werden. Keine Feststellungen finden sich im vorinstanzlichen Urteil demgegenüber zur entscheidrelevanten Frage, ob der zeitliche Konnex nach Ende der Berufsinvalidenrente, mithin nach Ende März 2012, unterbrochen wurde. Entsprechend ist die Beschwerde in dem Sinne gutzuheissen, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit dieses einen Anspruch auf weitergehende Invalidenleistungen verneint, an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit diese die notwendigen Sachverhaltsfeststellungen nachholt und hernach über die Klage neu entscheidet. Dabei wird sie zu berücksichtigen haben, dass eine Arbeitsfähigkeit in einer angepassten Tätigkeit nur dann den zeitlichen Konnex zu unterbrechen vermag, wenn die betroffene Person in dieser angepassten Tätigkeit in der Lage ist, ein - bezogen auf die angestammte Tätigkeit - rentenausschliessendes Einkommen zu erzielen (vgl. Urteil 9C_518/2021 vom 4. Februar 2022 E. 2.2; BGE 134 V 20 E. 5.3). Im Weiteren wird die Vorinstanz über die Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung neu zu entscheiden haben.  
 
5.  
Die Rückweisung der Sache zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten sowie der Parteientschädigung als vollständiges Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 und Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 141 V 281 E. 11.1). Entsprechend sind die Gerichtskosten vollumfänglich der Beschwerdegegnerin aufzuerlegen. Diese hat der Beschwerdeführerin überdies eine Parteientschädigung auszurichten. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 16. September 2022 wird insoweit aufgehoben, als damit ein Anspruch auf weitergehende Invalidenleistungen verneint wird. Die Sache wird zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 2. März 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Der Gerichtsschreiber: Nabold