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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_78/2007 
 
Urteil vom 27. Februar 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Parteien 
C.________, 1964, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kaspar Gehring, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich, 
 
gegen 
 
Unia Arbeitslosenkasse, Zentralverwaltung, Strassburgstrasse 11, 8004 Zürich, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Arbeitslosenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 2007. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1964 geborene C.________ war vom 1. Dezember 1994 bis 30. Juni 2003 als Projektmanager für die X.________ AG angestellt gewesen. Im Anschluss daran war er bis Ende Dezember 2003 für die gleiche Gesellschaft als Freelancer tätig. Am 4. März 2003 (recte: 2004) stellte C.________ Antrag auf Arbeitslosenentschädigung ab 3. März 2004 und gab an, er sei bereit und in der Lage, Vollzeit zu arbeiten. Die damals zuständige Arbeitslosenkasse eröffnete ab 3. März 2004 eine Rahmenfrist für den Leistungsbezug und richtete Taggelder, gestützt auf einen anrechenbaren Arbeitsausfall von 100 %, aus. Nachdem C.________ seinen Wohnsitz nach Y.________ verlegt hatte, meldete er sich am 26. Oktober 2004 beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) zur Vermittlung einer Teilzeitstelle im Umfang eines 60 %-Pensums an. Die ab 1. November 2004 zuständige Arbeitslosenkasse GBI (ab 1. Januar 2005: Unia Arbeitslosenkasse, nachfolgend: Kasse) erbrachte für die Monate November und Dezember 2004 Arbeitslosenentschädigung, nach wie vor basierend auf einem anrechenbaren Arbeitsausfall von 100 %. 
C.________ hatte sich ausserdem am 28. Januar 2002 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug angemeldet. Die damals zuständige IV-Stelle verneinte einen Leistungsanspruch mit Verfügung vom 4. Februar 2005 (bestätigt mit Einspracheentscheid vom 17. Januar 2006) unter Hinweis darauf, dass kein invalidisierender Gesundheitsschaden vorliege. 
Mit Verfügung vom 20. April 2005 forderte die Kasse für die Monate November und Dezember 2004 zu Unrecht ausgerichtete Arbeitslosentaggelder im Umfang von gesamthaft Fr. 4'576.20 zurück, da der Versicherte sich für diese Kontrollperioden nur "im Ausmass von 60 %" der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt, sie aber "Leistungen im Ausmass von 100 %" erbracht habe. Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 7. Juni 2005). 
 
B. 
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 31. Januar 2007). 
 
C. 
C.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei festzustellen, dass gegen ihn keine Rückforderung bestehe. 
Die Arbeitslosenkasse lässt sich nicht vernehmen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) verzichtet auf eine Stellungnahme. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). Eine unvollständige Sachverhaltsfeststellung stellt eine vom Bundesgericht ebenfalls zu korrigierende Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG dar (Seiler/von Werdt/Güngerich, Kommentar zum Bundesgerichtsgesetz, Bern 2007, N. 24 zu Art. 97 BGG). 
 
1.2 Mit Blick auf diese Kognitionsregelung ist auf Grund der Vorbringen in der Beschwerde ans Bundesgericht zu prüfen, ob der angefochtene kantonale Gerichtsentscheid in der Anwendung der massgeblichen materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen (u.a.) Bundesrecht, Völkerrecht oder kantonale verfassungsmässige Rechte verletzt (Art. 95 lit. a bis c BGG), einschliesslich einer allfälligen rechtsfehlerhaften Tatsachenfeststellung (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 2 BGG). Hingegen hat unter der Herrschaft des BGG eine freie Überprüfung des vorinstanzlichen Entscheides in tatsächlicher Hinsicht zu unterbleiben (ausser wenn sich die Beschwerde gegen einen - im hier zu beurteilenden Fall indessen nicht anfechtungsgegenständlichen - Entscheid über die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung richtet; Art. 97 Abs. 2 BGG). Ebenso entfällt eine Prüfung der Ermessensbetätigung nach den Grundsätzen zur Angemessenheitskontrolle (BGE 126 V 75 E. 6 S. 81 zu Art. 132 lit. a OG [in der bis 30. Juni 2006 gültig gewesenen Fassung]). 
 
2. 
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Vermittlungsfähigkeit im Allgemeinen (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 1 AVIG) und von behinderten Personen im Speziellen (Art. 8 Abs. 1 lit. f in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 AVIG und Art. 15 Abs. 3 AVIV), zur Pflicht der Rückerstattung unrechtmässig bezogener Leistungen (Art. 95 Abs. 1 AVIG in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 ATSG) und zu den für eine Rückerstattungsforderung verlangten Voraussetzungen für eine Wiedererwägung oder prozessuale Revision der fehlerhaften - auch formlosen - Leistungsgewährung (BGE 122 V 367 E. 3 S. 368 mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Vermittlungs(un)fähigkeit als Anspruchsvoraussetzung graduelle Abstufungen ausschliesst. Entweder ist die versicherte Person vermittlungsfähig, insbesondere bereit, eine zumutbare Arbeit (im Umfang von mindestens 20 % eines Normalarbeitspensums; vgl. Art. 5 AVIV und BGE 120 V 385 E. 4c/aa S. 390) anzunehmen, oder nicht (BGE 126 V 124 E. 2 S. 126, 125 V 51 E. 6a S. 58). 
 
3. 
3.1 Nach der Rechtsprechung stellt die rückwirkende Zusprechung einer Invalidenrente hinsichtlich formlos erbrachter Taggeldleistungen der Arbeitslosenversicherung eine neue erhebliche Tatsache dar, deren Unkenntnis die Arbeitslosenkasse nicht zu vertreten hat, weshalb ein Zurückkommen auf die ausgerichteten Leistungen auf dem Wege der prozessualen Revision im Allgemeinen als zulässig erachtet wird (BGE 132 V 357 E. 3.1). 
 
3.2 Im vorliegenden Fall gelangte die IV-Stelle zur Auffassung, dass der Versicherte unter keinen Gesundheitsbeschwerden leide, welche Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit haben, und lehnte einen Leistungsanspruch ab (Verfügung vom 4. Februar 2005, bestätigt mit Einspracheentscheid vom 17. Januar 2006). Weil damit nicht nur ein Rentenanspruch, sondern eine Invalidität überhaupt verneint wurde, stellen IV-Verfügung und bestätigender Einspracheentscheid von vornherein keine neue Tatsache dar, welche Anlass zur Revision im Hinblick auf bereits geleistete Arbeitslosenentschädigung geben könnte. 
 
4. 
4.1 Jede Person hat Anspruch auf grundsätzlich unentgeltliche Beratung über ihre Rechte und Pflichten. Dafür zuständig sind die Versicherungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind (Art. 27 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ATSG). Diese mit Wirkung ab 1. Januar 2003 geltende, intertemporalrechtlich anwendbare Bestimmung stipuliert eine Beratungspflicht der Durchführungsstelle, deren Verletzung eine Haftung des Versicherungsträgers begründet, sofern die praxisgemäss erforderlichen Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutzes kumulativ erfüllt sind (BGE 131 V 472; Ulrich Meyer, Grundlagen, Begriff und Grenzen der Beratungspflicht der Sozialversicherungsträger nach Art. 27 Abs. 2 ATSG, in: Sozialversicherungsrechtstagung 2006, St. Gallen 2006, S. 9 ff., S. 27 f. mit Hinweisen auf die seither ergangene Rechtsprechung). 
 
4.2 Verwaltung und Vorinstanz sind der Auffassung, dass der Beschwerdeführer eine Einschränkung seines Taggeldanspruchs in der Zeit von November bis Dezember 2004 (wegen einer Arbeitsunfähigkeit von 40 %, unter dem Titel des anrechenbaren Arbeitsausfalls) hinzunehmen hat. Sie erachten die Wiedererwägungsvoraussetzungen als erfüllt, weil der Versicherte lediglich für eine Teilzeitstelle zu 60 % vermittlungsbereit gewesen sei. Die Ausrichtung von Taggeldern, basierend auf einem anrechenbaren Arbeitsausfall von 100 %, sei zweifellos unrichtig gewesen. 
Diese Betrachtungsweise lässt allerdings die gesetzliche Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung gegenüber der Invalidenversicherung ausser Acht (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG; Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV). Wie im angefochtenen Gerichtsentscheid ausführlich dargelegt wird, hat der Beschwerdeführer die Organe der Arbeitslosenversicherung über die laufenden Berufs- und Gesundheitsabklärungen im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren umfassend informiert. Es trifft zu, dass er sich in einzelnen Monaten auf die Suche nach Anstellungen mit einem Teilzeitpensum beschränkte und in den Formularen "Angaben der versicherten Person" für die Monate August und September 2004 ausführte, er suche im Umfang von 60 % Arbeit. Ob er ausgehend von den im angefochtenen Gerichtsentscheid angeführten Umständen im November und Dezember 2004 tatsächlich lediglich einen anrechenbaren Arbeitsausfall von 60 % erlitten hat und ihm die Taggelder dementsprechend in reduziertem Umfang hätten ausgerichtet werden müssen, kann allerdings letztlich offen bleiben. So oder anders sind die Voraussetzungen für ein Zurückkommen auf die für November und Dezember 2004 ausgerichtete Arbeitslosenentschädigung nicht erfüllt. Nimmt man an, der Versicherte wäre in der relevanten Zeitspanne eigentlich bereit und in der Lage gewesen, eine Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, so kann keine Rede davon sein, dass die Leistungserbringung der Verwaltung, welche auf einem 100%igen Arbeitsausfall basiert, unrichtig gewesen wäre. Eine Wiedererwägung würde damit ausser Betracht fallen. Geht man hingegen davon aus, dass sich der Versicherte mit Blick auf die Abklärungen der Invalidenversicherung und die mit dem RAV-Berater geführten Gespräche lediglich noch für eine Teilzeittätigkeit im Umfang von 60 % einsatzfähig und taggeldbezugsberechtigt hielt, so wäre - entsprechend den Vorbringen in der letztinstanzlichen Beschwerde - von einer Verletzung der Beratungspflicht durch die Organe der Arbeitslosenversicherung auszugehen. Die Verwaltung hätte nämlich konkreten Anlass gehabt, den - nicht offensichtlich vermittlungsunfähigen - Beschwerdeführer darüber aufzuklären, dass er bis zum Entscheid der Invalidenversicherung als vermittlungsfähig gelte und daher eine Einschränkung seines Taggeldanspruchs wegen eines nur teilweise anrechenbaren Arbeitsausfalls nicht hinnehmen müsse. Hätte die Arbeitslosenversicherung somit die Arbeitslosentaggelder für die Monate November und Dezember 2004 bereits ursprünglich nur in reduziertem Umfang erbracht, wäre der Versicherte gestützt auf den öffentlich-rechtlichen Vertrauensschutz so zu stellen gewesen, wie wenn er die gesetzlichen Voraussetzungen für das volle Taggeld erfüllt hätte (SVR 2007 AlV Nr. 24 S. 75). Da er vorliegend das volle Taggeld erhalten hat, besteht aber keinerlei Handlungsbedarf. Die Arbeitslosenkasse hat demgemäss so oder anders ganz offensichtlich keinen Anlass für eine nachträgliche Korrektur der Leistungsabrechnungen für die Monate November und Dezember 2004. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 2007 und der Einspracheentscheid der Unia Arbeitslosenkasse vom 7. Juni 2005 werden aufgehoben. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.- zu entschädigen. 
 
4. 
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dem Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich und dem Staatssekretariat für Wirtschaft schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 27. Februar 2008 
 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Berger Götz