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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6S.28/2003/pai 
 
Sitzung vom 
18. und 26. Juni 2003 
Kassationshof 
 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Besetzung 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, 
Ersatzrichterin Pont Veuthey, 
Gerichtsschreiberin Arquint. 
 
X.________, 
Parteien 
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Schaffhauser, Kapellplatz 1, 6004 Luzern, 
 
gegen 
 
Y.________, 
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald, Postfach 31, 5330 Zurzach. 
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, 
Postfach, 6002 Luzern. 
 
Schadenersatz, Genugtuung, 
Gegenstand 
 
Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 17. September 2002. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Am 14. November 1998 drang Y.________, ein 19.. geborener ehemaliger Schweizer Meister im A.________, in Begleitung eines weiteren Mannes in die Wohnung von X.________ ein. Dort spritzte er X.________ Tränengas in die Augen, nahm ihn in den "Schwitzkasten" und schlug ihm auf den Kopf; daraufhin verliessen die beiden Männer die Wohnung. X.________ trug eine geschwollene, an der Innenseite aufgerissene Unterlippe mit einem Bluterguss sowie Reizungen an der Bindehaut davon. 
 
Das Obergericht des Kantons Luzern als Appellationsinstanz sprach Y.________ am 17. September 2002 des Hausfriedensbruchs und der einfachen Körperverletzung schuldig. Aufgrund dieser sowie zahlreicher weiterer Taten, namentlich qualifizierter Vergewaltigung und Raubes, verurteilte es den einschlägig vorbestraften Y.________ zu fünf Jahren und zehn Monaten Zuchthaus. 
B. 
X.________ nahm im Strafverfahren als Zivilpartei teil. Er verlangte Fr. 8'000.-- Genugtuung sowie Fr. 21'516.-- Schadenersatz zuzüglich je 5% Zins seit dem 14. November 1998. 
 
Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verwies X.________ mit seinen Zivilbegehren an den Zivilrichter. Dagegen reichte X.________ Appellation ein und schloss erneut auf Zusprechung der Zivilbegehren. 
C. 
Das Obergericht verpflichtete Y.________ am 17. September 2002 dem Grundsatz nach, X.________ den durch die Straftat entstandenen Schaden vollumfänglich zu ersetzen. Es fand aber, der geltend gemachte Schaden sei nicht liquid; insbesondere sei nicht schlüssig, ob die Kündigung des Arbeitsvertrages und der daraus abgeleitete Lohnausfall von Fr. 21'516.-- auf mangelnde Arbeitsleistung als psychische Folge der erlittenen Körperverletzung zurückzuführen seien. Das Obergericht schätzte, dass die Abklärung dieser Frage die richterliche Urteilsfindung im Strafpunkt ungebührlich lange verzögern würde. Es verwies X.________ deshalb zur betragsmässigen Festsetzung des Schadens an den Zivilrichter. Von der Zusprechung einer Genugtuung sah das Obergericht aufgrund der Geringfügigkeit der Integritätsbeeinträchtigung ab. 
D. 
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Y.________ sei zur Zahlung von Schadenersatz in der Höhe von Fr. 21'516.90 sowie von Genugtuung in der Höhe von Fr. 8'000.-- nebst Zins zu je 5% seit dem 14. November 1998 zu verpflichten. 
 
Das Obergericht und Y.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Der Beschwerdeführer hat als Geschädigter im Strafprozess adhäsionsweise Zivilansprüche geltend gemacht; die Vorinstanz hat diese zusammen mit der Strafklage beurteilt. Der Streitwert übersteigt Fr. 8'000.-- (Art. 46 OG). Die Nichtigkeitsbeschwerde im Zivilpunkt ist damit zulässig und der Beschwerdeführer zur Beschwerde legitimiert (vgl. Art. 271 Abs. 1 BStP). 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt den Entscheid der Vorinstanz, die Sache zur Festsetzung des Schadenersatzes an den Zivilrichter zu verweisen. Er kritisiert damit die Anwendung von Art. 9 Abs. 3 OHG, wonach der Strafrichter Zivilansprüche des Opfers nur dem Grundsatz nach entscheiden und das Opfer im Übrigen an das Zivilgericht verweisen kann, wenn die vollständige Beurteilung der Zivilansprüche einen unverhältnismässigen Aufwand erfordert. 
2.1 Der Beschwerdeführer verlangt Fr. 21'516.90 als Ersatz für entgangenen Lohn. Er behauptet, ihm sei die Arbeitsstelle gekündigt worden wegen ungenügender Arbeitsleistung, welche auf die psychischen Folgen des Angriffs durch den Beschwerdegegner zurückzuführen sei. Der Beschwerdeführer beruft sich in diesem Zusammenhang auf einen Bericht seines Psychiaters. 
 
Die Vorinstanz befand, sie könne nicht allein auf dieses Parteigutachten abstellen, zumal es vom behandelnden Arzt stamme und der Beschwerdeführer schon vor der Gewalttat bei ihm in psychotherapeutischer Behandlung gestanden habe. Zudem habe der Arbeitgeber die Entlassung des Beschwerdeführers mit Betriebsumstrukturierungen begründet. Die Abklärung, ob zwischen Angriff und Lohnausfall ein Kausalzusammenhang bestehe, erschien der Vorinstanz deshalb fragwürdig. Ausserdem würde ein umfangreiches Beweisverfahren die Urteilsfindung im Strafpunkt ungebührlich lange verzögern, zumal das Verfahren durch das Einholen zweier psychiatrischer Gutachten zur Person des Beschwerdegegners bereits beträchtlich gedauert hätte. 
 
Was der Beschwerdeführer gegen die vorinstanzlichen Ausführungen einwendet, erschöpft sich in gegenteiligen Behauptungen. Der Entscheid der Vorinstanz, den Schadenersatzanspruch nicht gleichzeitig mit dem Strafpunkt zu entscheiden, ist nicht zu beanstanden. 
2.2 Die Verweisung an den Zivilrichter soll nur ausnahmsweise erfolgen, wenn Fragen zu entscheiden sind, die langanhaltende und schwierige Untersuchungen erfordern, welche keinen direkten Zusammenhang mit der Straftat haben, wie beispielsweise das Berechnen der Invalidenrente. Grundsätzlich hat der Strafrichter die Zivilbegehren des Opfers zu beurteilen. Das entspricht dem eigentlichen Zweck des OHG, wonach das Opfer seine Zivilansprüche aus der Straftat auf dem im Vergleich zum Zivilprozess einfacheren Weg des Strafverfahrens geltend machen kann. Ist es dem Strafrichter nicht möglich, die Zivilbegehren gleichzeitig mit dem Strafpunkt zu beurteilen, so hat er diese gemäss Art. 9 Abs. 2 OHG in einem zweiten Teilurteil selber zu entscheiden (BGE 123 IV 78 E. 2; 122 IV 37 E. 2c). 
 
Im vorliegenden Fall ist im Zivilpunkt abzuklären, ob die Einkommenseinbusse infolge Kündigung des Arbeitsvertrages auf die Folgen des Angriffs durch den Beschwerdegegner zurückzuführen ist. Das Beweisverfahren wird einen gewissen Aufwand verursachen und allenfalls das Einholen eines Gutachtens bedingen. Das allein genügt nicht, um das Opfer an den Zivilrichter zu verweisen. Weitere Gründe dafür, dass der Strafrichter diese Abklärungen nicht vornehmen könnte, sind nicht ersichtlich, zumal es im Wesentlichen nur darum geht, die körperlichen und psychischen Folgen der Straftat für das Opfer festzustellen. 
 
Die Verweisung des Beschwerdeführers an den Zivilrichter zur Festsetzung des Schadenersatzanspruches verletzt insofern Art. 9 Abs. 2 OHG. Die zum Entscheid über diese Ansprüche notwendigen tatsächlichen Feststellungen fehlen. Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
3. 
Der Beschwerdeführer rügt unter Berufung auf Art. 47 OR die Abweisung der Genugtuungsforderung. 
3.1 Die Vorinstanz hat die Genugtuungsforderung des Beschwerdeführers abgewiesen. Sie hat ihren Entscheid auf Art. 49 OR gestützt, wonach der in seiner Persönlichkeit widerrechtlich Verletzte Anspruch auf Leistung einer Genugtuung hat, sofern die Schwere der Verletzung es rechtfertigt und diese nicht anders wiedergutgemacht worden ist. Im Einzelnen hat die Vorinstanz ausgeführt, die vorübergehenden Verletzungen des Beschwerdeführers erfüllten angesichts der geringen Intensität, der kurzen Dauer ihrer Auswirkungen und der resultierenden Integritätsbeeinträchtigung die Anforderungen für die Zusprechung einer Genugtuung nicht. Insbesondere sei nicht geltend gemacht worden, der Beschwerdeführer leide nach wie vor an erheblichen psychischen Nachwirkungen. Im Übrigen habe der behandelnde Psychiater erklärt, die psychischen Beeinträchtigungen der Gewalttat, die sich in der unterschwelligen Angst vor einer erneuten Bedrohungssituation offenbarten, dürften nach zwei Jahren überwunden sein. 
3.2 Gemäss Art. 47 OR kann der Richter bei Körperverletzung unter Würdigung der besondern Umstände dem Verletzten eine angemessene Geldsumme als Genugtuung zusprechen. Im Wesentlichen kommt es auf die Art und Schwere der Verletzung, auf die Intensität und die Dauer der Auswirkungen auf die Persönlichkeit des Geschädigten sowie auf den Grad des Verschuldens des Täters an (BGE 123 III 306 E. 9b; 112 II 131 E. 2). 
 
Der Beschwerdeführer wurde in seiner Wohnung überfallen, mit Tränengas besprüht und brutal geschlagen. Die Schläge führten zu einer aufgerissenen Unterlippe mit Bluterguss und das Tränengas in den Augen zu Reizungen an der Bindehaut. Möglicherweise bestanden zumindest über längere Zeit psychische Nachwirkungen in Form von Angstzuständen, die sich allenfalls negativ auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt haben. Dass der Beschwerdeführer den Angriff mitverschuldet hätte, wurde nicht festgestellt. 
 
Körperverletzungen, mögen sie auch objektiv von geringer Schwere sein, rechtfertigen grundsätzlich eine Genugtuung, wenn sie vorsätzlich und unter solch traumatischen Umständen zugefügt werden. Das trifft umso mehr zu, wenn sie längerfristige psychische Nachwirkungen haben sollten. Die Genugtuungsforderung des Beschwerdeführers erscheint deshalb auf Grund des festgestellten Sachverhaltes grundsätzlich berechtigt. Es wird Sache der Vorinstanz sein, nach ergänzter Instruktion über Bestand und allenfalls Höhe der Genugtuungsforderung zu entscheiden. 
4. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden dem weitgehend obsiegenden Beschwerdeführer keine Gerichtsgebühren auferlegt, und er ist angemessen zu entschädigen. Der Beschwerdegegner wird, da er mittellos und auf unbestimmte Zeit verwahrt ist, nicht zum Ersatz an die Bundesgerichtskasse verpflichtet (Art. 278 Abs. 1 und 3 BStP). 
 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtsprechung wird gutgeheissen. Er ist damit von der Bezahlung einer Gerichtsgebühr befreit; sein Verteidiger erhält eine Entschädigung aus der Bundesgerichtskasse zugesprochen (Art. 152 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern, II. Kammer, vom 17. September 2002 wird aufgehoben, soweit es den Beschwerdeführer zur Festsetzung des Schadenersatzanspruches an den Zivilrichter verweist und die Genugtuungsforderung abweist. Die Sache wird zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
2. 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Der Beschwerdeführer wird mit Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt. 
5. 
Der Rechtsvertreter des Beschwerdegegners wird mit Fr. 1'000.-- aus der Bundesgerichtskasse entschädigt. 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, sowie der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 26. Juni 2003 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: