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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_850/2018  
 
 
Urteil vom 12. Juni 2019  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch Herr Sandro Campedel, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Politische Gemeinde Roggwil, v.d. die Fürsorgekommission, St. Gallerstrasse 64, 9325 Roggwil, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Sozialhilfe (Nothilfe), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 31. Oktober 2018 (VG.2018.109/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ hatte ab 5. Juni 2015 von der Gemeinde Roggwil (nachfolgend: Gemeinde) materielle Sozialhilfe bezogen. Da er der Auflage, sich umgehend bei der Arbeitslosenversicherung des Kantons Thurgau für den Leistungsbezug anzumelden und monatlich mindestens acht Arbeitsbemühungen nachzuweisen (Präsidialverfügung der Fürsorgebehörde Roggwil vom 10. Juli 2015, genehmigt von der Gemeinde Roggwil am 17. September 2015), nicht Folge geleistet hatte, wurde der Grundbedarf nach entsprechender Verwarnung gekürzt. Am 16. September 2015 verzichtete A.________ ausdrücklich auf die Ausrichtung von Sozialhilfe und beantragte ausschliesslich Nothilfe. Diese wurde ihm zunächst gewährt. Da er sich weiterhin weigerte, nach einer Anstellung auf dem freien Arbeitsmarkt zu suchen, wurde die Nothilfe mit Entscheid vom 28. Juni 2016 per 1. Juli 2016 eingestellt. Das Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau (nachfolgend: DFS) wies den dagegen erhobenen Rekurs ab (Entscheid vom 7. September 2016), was das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau bestätigte, soweit es auf die Beschwerde des A.________ eintrat (Entscheid vom 30. November 2016). Das Bundesgericht trat auf das hiergegen erhobene Rechtsmittel zufolge offensichtlich mangelhafter Begründung nicht ein (Urteil 8C_10/2017 vom 1. Februar 2017).  
 
A.b. Mit E-Mail vom 19. März 2018 beantragte A.________ erneut Nothilfe. Am 3. April 2018 füllte er zudem das Formular "Antrag auf Leistungen der Sozialen Dienste Roggwil TG" aus. Die Gemeinde trat auf die Wiederanmeldung zum Bezug von Sozialhilfeleistungen nicht ein mit der Begründung, die Situation und die Weigerungshaltung des Gesuchstellers hätten sich nicht verändert (Zirkulationsbeschluss vom 5. April 2018). Das DFS lehnte den dagegen geführten Rekurs mit Entscheid vom 10. August 2018 ab, soweit es darauf eintrat.  
 
B.   
Das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies die gegen den Entscheid des DFS vom 10. August 2018 erhobene Beschwerde ab (Entscheid vom 31. Oktober 2018). 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung der Entscheide des kantonalen Gerichts vom 31. Oktober 2018 und des DFS vom 10. August 2018 sei die Gemeinde zu verpflichten, auf das Gesuch vom 3. April 2018 einzutreten und ihm Sozialhilfe, eventualiter Nothilfe, auszurichten. Ferner wird um Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung (im Sinne der Befreiung von den Gerichtskosten) ersucht. 
Das Bundesgericht hat die vorinstanzlichen Akten eingeholt. Es wird kein Schriftenwechsel durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Ein Rechtsmittel hat gemäss Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG unter anderem die Begehren und deren Begründung zu enthalten, wobei in der Begründung in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt. Dabei ist konkret auf die für das Ergebnis des angefochtenen Entscheids massgeblichen Erwägungen der Vorinstanz einzugehen und im Einzelnen zu zeigen, welche Vorschriften und weshalb sie von der Vorinstanz verletzt worden sind (BGE 140 III 264 E. 2.3 S. 266; 134 V 53 E. 3.3 S. 60 und 133 IV 286 E. 1.4 S. 287). 
 
2.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht mit Einschluss der Bundesverfassung gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), doch prüft es unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) grundsätzlich nur die geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Soweit die Vorinstanz kantonales Recht anzuwenden hatte, kann, abgesehen von den hier nicht massgebenden Art. 95 lit. c-e BGG, nur geltend gemacht werden, der angefochtene Entscheid verstosse gegen Normen des Bundesrechts oder des Völkerrechts (Art. 95 lit. a und b BGG). Im Übrigen kann die Auslegung und Anwendung des kantonalen Rechts lediglich im Lichte der verfassungsmässigen Rechte und Grundsätze, namentlich des Willkürverbots (Art. 9 BV), geprüft werden (BGE 137 V 143 E. 1.2 S. 145; 134 I 153 E. 4.2.2 S. 158; 134 II 349 E. 3 S. 351). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten wie auch von kantonalem und interkantonalem Recht nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde präzise vorgebracht und begründet worden ist; es gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 138 I 274 E. 1.6 S. 281; 137 II 305 E. 3.3 S. 310 f.). 
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt bzw. vom Bundesgericht von Amtes wegen berichtigt oder ergänzt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht; diese Rüge setzt zudem voraus, dass die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). Offensichtlich unrichtig festgestellt ist ein Sachverhalt, wenn er willkürliche Feststellungen beinhaltet (BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62). Eine entsprechende Rüge ist rechtsgenüglich substanziiert vorzubringen (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 137 I 58 E. 4.1.2 S. 62; 133 II 249 E. 1.4.3 S. 254 f.).  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht lässt die Frage offen, ob im öffentlichen Recht eine materielle Rechtskraft existiere. Es stehe der betroffenen Person jedenfalls frei, bei veränderten Verhältnissen jederzeit eine neue Überprüfung ihres Anspruchs auf Sozialhilfe zu verlangen. Im vorliegenden Fall seien vom Beschwerdeführer aber keine veränderten Verhältnisse geltend gemacht worden. Er habe sich dazu entschlossen, sein Leben "in Freiheit" selbst zu bestimmen, sei seit Jahren der Überzeugung, am geltenden System der "Geldschöpfung" nicht teilnehmen zu wollen und möchte keine bezahlte Arbeit leisten. Damit bestehe nach wie vor ein direkter Zusammenhang zwischen seiner offensichtlichen Verweigerungshaltung und seiner finanziellen Notlage. Weil er in keiner Weise bereit sei, diese Haltung aufzugeben, seien die Voraussetzungen für eine neue materiell-rechtliche Prüfung seines Anspruchs auf Sozialhilfe, bzw. Nothilfe gestützt auf Art. 12 BV, nicht gegeben. Die Gemeinde sei damit im Ergebnis zu Recht auf die Neuanmeldung zum Bezug von Sozialhilfeleistungen (inklusive Nothilfe gestützt auf Art. 12 BV) nicht eingetreten.  
 
3.2.  
 
3.2.1. Der Beschwerdeführer zeigt im Verfahren vor Bundesgericht mit keinem Wort auf, inwiefern die Feststellung der Vorinstanz, wonach seit der Einstellung der Nothilfeleistungen per 1. Juli 2016 keine Veränderung der Verhältnisse eingetreten (und - daraus folgend - die Rechtmässigkeit des Nichteintretensentscheids der Gemeinde auf das erneute Leistungsgesuch zu bestätigen) sei, falsch sein sollte. Er betont im Gegenteil seine nach wie vor vorhandene Überzeugung, am geltenden "System der Geldschöpfung" nicht teilnehmen zu wollen. Auch künftig sei er nicht bereit, bezahlte Arbeit zu leisten. Seinen Antrag, es sei "auf sein Begehren vom 3. April 2018 einzutreten" und es sei ihm Sozialhilfe auszurichten, begründet er - abgesehen vom Hinweis darauf, dass er mittellos sei - nicht weiter. Hinsichtlich der von ihm anbegehrten Sozialhilfe erfüllt er daher weder die Begründungspflicht (vgl. E. 1 hiervor) noch die qualifizierte Rügepflicht (vgl. E. 2.1 hiervor). Er übersieht schliesslich, dass er im vorliegenden Verfahren keine direkte Leistungszusprache fordern kann, nachdem die Gemeinde auf sein erneutes Gesuch vom 19. März bzw. 3. April 2018 gar nicht eingetreten war. Soweit er folglich in seinem Hauptantrag die Ausrichtung von Sozialhilfe verlangt, erfüllt seine Beschwerde die Formerfordernisse nicht, sodass diesbezüglich auf das Rechtsmittel nicht eingetreten werden kann.  
 
3.2.2. Ob die formellen Beschwerdevoraussetzungen im Verfahren vor Bundesgericht hinsichtlich des beantragten Eintretens auf das Leistungsbegehren bezüglich eventualiter geforderter Nothilfe erfüllt sind, kann, wie sich nachfolgend zeigt, dahingestellt bleiben.  
 
3.2.2.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, dass seine Notlage andauere. Daher habe er einen Anspruch darauf, dass auf sein Begehren (um Gewährung von Nothilfe) eingetreten werde. Das Bundesgericht habe in BGE 142 I 1 (in der Beschwerdeschrift zitiertes Urteil 8C_455/2015 vom 8. März 2016) festgestellt, dass gemäss Art. 36 Abs. 4 BV der Kerngehalt der Grundrechte unantastbar sei. Damit entfalle die Möglichkeit, die verfassungsrechtlich für ein menschenwürdiges Dasein erforderlichen Mittel über die Herleitung von Grundrechtsschranken zu kürzen oder zu verweigern. Im von Art. 12 BV garantierten Schutzbereich seien daher Eingriffe wegen dessen Kongruenz mit dem Kerngehalt des Grundrechts nicht zulässig. Es könne dem Beschwerdeführer also nicht erfolgreich vorgehalten werden, seine Verweigerung, eine bezahlte Arbeit zu suchen und anzunehmen, sei rechtsmissbräuchlich und verdiene keinen Rechtsschutz.  
 
3.2.2.2. Das Bundesgericht lässt im vom Beschwerdeführer zitierten BGE 142 I 1 ausdrücklich offen, ob ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der ersuchenden Person allenfalls eine Kürzung oder Verweigerung der Nothilfe rechtfertigen könnte (BGE 142 I 1 E. 7.2.5). Dies braucht auch vorliegend nicht beantwortet zu werden. Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf die Mittel, die für ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind, hat nämlich gemäss Art. 12 BV nur, wer in Not gerät und nicht in der Lage ist, für sich zu sorgen. Der verfassungsmässige Nothilfeanspruch wird durch das ausdrücklich erwähnte Subsidiaritätsprinzip relativiert (LUCIEN MÜLLER, St. Galler Kommentar, Die schweizerische Bundesverfassung, 3. Aufl. 2014, N. 4 zu Art. 12 BV). Eine in Not geratene Person hat demnach lediglich dann Anspruch auf staatliche Hilfe, wenn es ihr rechtlich verwehrt oder faktisch unmöglich ist, selber für sich zu sorgen. Keinen Anspruch hat, wer objektiv in der Lage wäre - etwa durch Annahme einer zumutbaren Arbeit - sich aus eigener Kraft die für das Überleben erforderlichen Mittel selber zu verschaffen. Bei diesen Personen fehlt es bereits an den Anspruchsvoraussetzungen, weshalb sich in solchen Fällen die Prüfung erübrigt, ob die Voraussetzungen für einen Eingriff ins Grundrecht erfüllt sind (BGE 131 I 166 E. 4.1 S. 173 mit Hinweisen; RUDOLF URSPRUNG/DOROTHEA RIEDI HUNOLD, Einkommens- und Vermögensverzicht, insbesondere im Sozialrecht, in: Soziale Sicherheit - Soziale Unsicherheit, Festschrift für Erwin Murer zum 65. Geburtstag, 2010, S. 952 f.).  
Im vorliegenden Fall steht ausser Frage, dass der Beschwerdeführer in der Lage wäre, für sich selbst zu sorgen. Er nennt denn auch - abgesehen von seiner Geisteshaltung - keinerlei Gründe, die es ihm faktisch verunmöglichen würden, ein existenzsicherndes Einkommen zu generieren. In seinem Antrag auf Leistungen der Sozialen Dienste vom 3. April 2018 hatte er vielmehr angegeben, er sei (als gelernter Automechaniker) zu 100 % arbeitsfähig "in angepasster Tätigk." und im Übrigen nicht bei der Invalidenversicherung angemeldet. Der alleinige Umstand, dass er keine bezahlte Arbeit leisten will, beschreibt jedoch keinerlei Notlage im Sinne von Art. 12 BV. Damit war die Gemeinde auf entsprechende Neuanmeldung des Beschwerdeführers hin von vornherein nicht gehalten, einen Anspruch auf Nothilfe zu prüfen. Eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Behörde auf ein Nothilfegesuch nach vorheriger Ablehnung eines Anspruchs auf Nothilfe auch dann einzutreten hat, wenn in der Zwischenzeit keine Veränderungen eingetreten sind, erübrigt sich bei dieser Ausgangslage. 
 
4.   
Die Beschwerde ist, soweit überhaupt darauf eingetreten werden kann, offensichtlich unbegründet. 
 
5.   
Das Verfahren ist kostenpflichtig. In Anwendung von Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG ist ausnahmsweise auf die Erhebung von Gerichtskosten zu verzichten. Das Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird damit gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Departement für Finanzen und Soziales des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. Juni 2019 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz