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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_159/2020  
 
 
Urteil vom 14. Mai 2020  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Viscione, Bundesrichter Abrecht, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
handelnd durch ihre Eltern, 
und diese vertreten durch Advokat Stephan Bläsi, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Basel-Stadt, 
Lange Gasse 7, 4052 Basel, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (medizinische Massnahme), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 15. Januar 2020 (IV.2018.184). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 2009 geborene A.________ wurde von ihren Eltern am 31. Mai 2017 wegen einer ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) vom gemischten Typ zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung angemeldet. Die IV-Stelle Basel-Stadt klärte den medizinischen Sachverhalt ab. Laut der Stellungnahme des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 13. Februar 2018 gingen weder aus den Berichten der Dr. med. B.________, Fachärztin FMH für Kinder- und Jugendmedizin, speziell Neuropädiatrie, vom 17. Mai sowie 18. und 24. Juli 2017 noch aus den Auskünften des Dr. med. C.________, Kinderarzt FMH, vom 27. November 2017 Befunde hervor, die die Diagnose eines frühkindlichen psychoorganischen Syndroms im Sinne von Ziffer 404 Anhang der Verordnung über Geburtsgebrechen (GgV) vom 9. Dezember 1985 (SR 831.232.21) rechtfertigten, weshalb aus medizinischer Sicht keine Leistungen gemäss Art. 13 IVG zugesprochen werden könnten. Zudem bestehe mit der diagnostizierten ADHS eine Erkrankung aus dem hyperkinetischen Formenkreis, der von Art. 12 IVG explizit nicht erfasst werde. Im Vorbescheidverfahren holte die IV-Stelle das Aktengutachten der Dr. phil. D.________, Fachpsychologin für Neuropsychologie und Psychotherapie FSP, Praxisgemeinschaft E.________, vom 27. August 2018 ein. Danach lag ein Geburtsgebrechen gemäss Ziffer 404 Anhang GgV ausweislich der medizinischen und neuropsychologischen Auskünfte nicht vor. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2018 lehnte die IV-Stelle das Gesuch um Kostengutsprache für medizinische Massnahmen ab. 
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Entscheid vom 15. Januar 2020 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihr die gesetzlichen Leistungen auszurichten. Eventualiter sei sie anzuweisen, ein Obergutachten zur streitigen Frage einzuholen, um danach über den Anspruch auf medizinische Massnahmen infolge eines Geburtsgebrechens neu zu verfügen. 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren beanstandeten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1 S. 389). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Streitig und zu prüfen ist, ob die Vorinstanz zu Recht in Bestätigung der Verfügung der IV-Stelle vom 3. Oktober 2018 erkannt hat, die Beschwerdeführerin habe mangels eines zu beachtenden Geburtsgebrechens keinen Anspruch auf medizinische Massnahmen. Unbestritten ist, dass die Beschwerdeführerin keine medizinischen Massnahmen gestützt auf Art. 12 Abs. 2 IVG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 IVV beanspruchen kann.  
 
2.2. Das kantonale Gericht hat die zur Beurteilung des Streitgegenstandes zu beachtenden Rechtsgrundlagen zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu wiederholen ist zum einen, dass gemäss Ziffer 404 Anhang GgV Störungen des Verhaltens bei Kindern mit normaler Intelligenz, im Sinne krankhafter Beeinträchtigung der Affektivität oder Kontaktfähigkeit, bei Störungen des Antriebs, des Erfassens der perzeptiven Funktionen, der Wahrnehmung, der Konzentrationsfähigkeit sowie der Merkfähigkeit, sofern sie mit bereits gestellter Diagnose als solche vor der Vollendung des 9. Altersjahres auch behandelt worden sind (1. Satz), zu medizinischen Leistungen der Invalidenversicherung führen können. Diese Symptome müssen kumulativ nachgewiesen sein, sie müssen jedoch nicht unbedingt gleichzeitig vorhanden sein, sondern können unter Umständen sukzessive auftreten (Kreisschreiben des BSV über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung [KSME], Anhang 7 [Ziffer 404 GgV Medizinischer Leitfaden], Ziff. 2.1; im Folgenden: Medizinischer Leitfaden). Zum anderen ist zu wiederholen, dass auch reinen Aktengutachten Beweiswert zuzuerkennen ist, wenn es im Wesentlichen um die Beurteilung eines feststehenden medizinischen Sachverhalts geht (Urteil 9C_411/2018 vom 24. Oktober 2018 E. 4. 2 mit Hinweis).  
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat erwogen, gemäss Bericht der Dr. med. B.________ vom 17. Mai 2017 falle die Versicherte durch ein tiefes Selbstwertgefühl auf. Dabei handle es sich um eine Beeinträchtigung der Affektivität, mithin eine Störung des Verhaltens (Ziff. 2.1.1 des Medizinischen Leitfadens). Zudem habe die Versicherte Mühe, neue und stabile Freundschaften zu schliessen, was als Störung der Kontaktfähigkeit und somit ebenfalls als Störung des Verhaltens gelte (Ziff. 2.1.1 des Medizinischen Leitfadens).  
Weiter hat die Vorinstanz erkannt, gestützt auf Ziff. 2.1.2 des Medizinischen Leitfadens könne auch eine Störung des Antriebs bejaht werden. Sowohl anamnestisch (Auskünfte der Eltern) wie auch anlässlich der neuropsychologischen Testungen bei Dr. med. B.________ sei die Versicherte durch hektisches sowie ungeduldiges Verhalten aufgefallen. Sie habe voreilige und teilweise unüberlegte Antworten gegeben. Zudem sei sie motorisch unruhig gewesen. 
Sodann sei gestützt auf Ziff. 2.1.4 des Medizinischen Leitfadens auch eine Störung der Konzentration anzunehmen. Diesbezüglich habe Dr. med. B.________ unter Bezugnahme auf die Angaben der Eltern (rasche Ablenkbarkeit, Unkonzentriertheit) namentlich erwähnt, die Versicherte habe bei einer Aufgabe zur selektiven Aufmerksamkeit unterdurchschnittlich abgeschlossen. 
Gemäss den weiteren Erwägungen des kantonalen Gerichts konnte allerdings keine Störung des Erfassens (insbesondere keine Beeinträchtigung der akustischen oder visuellen Wahrnehmung; vgl. Ziff. 2.1.3 des Medizinischen Leitfadens) festgestellt werden. Die Testungen vom Mai 2017 seien normgerecht ausgefallen. Anhaltspunkte dafür, dass diese falsch durchgeführt oder deren Ergebnisse unkorrekt analysiert worden seien, lägen nicht vor. Hinweise auf eine proprioceptive und taktile Perzeption hätten sich nicht ergeben. Insbesondere gelte es in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass die Prüfung des neurologischen Status unaufällig ausgefallen sei (altersentsprechende Koordination und Balance; keine Hinweise auf pyramidale und extrapyramidale Bewegungsstörung oder Ataxie). 
Schliesslich hat die Vorinstanz eine relevante Störung der Merkfähigkeit, mithin des Kurzzeitgedächtnisses (vgl. Ziff. 2.1.5 des Medizinischen Leitfadens) verneint. Zwar sei mit der Aufgabe "Zahlen Nachsprechen" eine Störung testpsychologisch belegt worden, dabei handle es sich jedoch, wie Dr. phil. D.________ im Aktengutachten vom 27. August 2018 zutreffend darlege, lediglich um eine individuelle Schwäche. 
Zusammenfassend hat das kantonale Gericht auch unter Würdigung des von der Versicherten im vorinstanzlichen Verfahren aufgelegten Untersuchungsberichts der F.________ GmbH vom 15./20. Januar 2019 festgehalten, mangels Vorliegens eines Geburtsgebrechens bestehe kein Anspruch auf medizinische Massnahmen. 
 
3.2. Was die Beschwerdeführerin vorbringt, dringt nicht durch. Aus keinem medizinischen Dokument geht hervor, sie leide an einem psychoorganischem Syndrom. Insbesondere bestätigte auch Dr. med. C.________ im Bericht vom 27. November 2017, dass die Beschwerdeführerin aus somatischer Sicht unauffällig gewesen sei. Sämtliche Ärzte somatischer Fachrichtung haben befürwortet, die Befunde fachpsychologisch überprüfen zu lassen. Daher ist es nicht nachvollziehbar, wenn die Beschwerdeführerin nunmehr geltend macht, der medizinische Sachverhalt sei zu wenig abgeklärt worden und das neuropsychologische Aktengutachten der Dr. phil. D.________ vom 27. August 2018 beruhe auf unzulänglichen medizinischen Auskünften. Wie das kantonale Gericht zu Recht ausgeführt hat, können die Testergebnisse der F.________ GmbH schon deshalb nicht verwertet werden, weil die Untersuchungen nach dem vollendeten 9. Lebensjahr durchgeführt worden sind. Inwieweit diese Feststellung gegen Bundesrecht verstossen soll, ist der Beschwerde nicht zu entnehmen. Diese ist in allen Teilen abzuweisen.  
 
4.   
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. Satz 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 14. Mai 2020 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder