Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Eidgenössisches Versicherungsgericht 
Tribunale federale delle assicurazioni 
Tribunal federal d'assicuranzas 
 
Sozialversicherungsabteilung 
des Bundesgerichts 
 
Prozess 
{T 7} 
I 678/02 
 
Urteil vom 16. Juni 2003 
IV. Kammer 
 
Besetzung 
Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiberin Schüpfer 
 
Parteien 
O.________, 1953, Beschwerdeführerin, vertreten durch die Beratungsstelle für Ausländer, Weinbergstrasse 147, 8006 Zürich, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, Beschwerdegegnerin 
 
Vorinstanz 
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur 
 
(Entscheid vom 27. August 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1953 geborene O.________ meldete sich am 1. Dezember 2000 zum Bezug einer Rente bei der Eidgenössischen Invalidenversicherung an. Sie machte geltend, an starken Beschwerden im Rücken-, Bein- und Armbereich zu leiden und an einer Diabetes erkrankt zu sein. Die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Zürich, IV-Stelle, klärte die gesundheitlichen und erwerblichen Verhältnisse der Versicherten ab. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens verneinte sie mit Verfügung vom 17. Oktober 2001 mangels rentenbegründender Invalidität einen Leistungsanspruch. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher eine ganze Invalidenrente, eventuell eine Rückweisung zu weiteren medizinischen Abklärungen beantragt wurde, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 27. August 2002 ab. 
C. 
O.________ lässt unter Beilage verschiedener ärztlicher Zeugnisse und Arztberichte mit dem Antrag Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides und der Verfügung vom 17. Oktober 2001 sei ihr eine ganze Rente zuzusprechen; eventuell sei eine neutrale medizinische Begutachtung anzuordnen. 
 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Vernehmlassung. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die dem Eidgenössischen Versicherungsgericht in Streitigkeiten um Versicherungsleistungen zustehende umfassende Kognition (Art. 132 OG) hat unter anderem zur Folge, dass grundsätzlich auch neue, erstmals im letztinstanzlichen Rechtsmittelverfahren vorgebrachte Tatsachenbehauptungen und Beweismittel (sog. Noven) zu berücksichtigen sind (RKUV 1999 Nr. U 333 S. 197 Erw. 1). Letzteres trifft namentlich auf die mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereichten ergänzenden Berichte des Neurologen Dr. med. H.________, vom 17. Dezember 2001 und von Dr. med. R.________, FMH Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 23. September 2002 zu. 
1.2 Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich hat die massgebenden Bestimmungen über die Voraussetzungen und den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 IVG) und die Bemessung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b; vgl. auch BGE 128 V 30 Erw. 1) zutreffend dargelegt. Entsprechendes gilt für die Erwägungen zur Bedeutung ärztlicher Berichte und Gutachten für die Invaliditätsbemessung (BGE 125 V 261 Erw. 4) und die Grundsätze der Beweiswürdigung (BGE 125 V 352). Darauf kann verwiesen werden. 
 
Zu ergänzen ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 17. Oktober 2001) eingetretene Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b). 
2. 
Streitig ist ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Rente hat. Zu prüfen ist zunächst, ob die vorhandenen medizinischen Akten eine Beurteilung dieser Rechtsfrage zulassen oder ob es weiterer Abklärungen des rechtserheblichen Sachverhalts bedarf. 
2.1 Die IV-Stelle stützt ihre Verfügung auf Arztberichte von Dr. med. J.________, Spezialarzt FMH für orthopädische Chirurgie, vom 2. Februar bzw. 31. Juli 2001 und auf solche des damaligen Hausarztes der Beschwerdeführerin, Dr. med. X.________, allgemeine Medizin FMH, vom 16. Januar bzw. 23. August 2001. Demnach könne diese krankheitsbedingt ihre angestammte Tätigkeit in der Teigwarenfabrikation und als Reinigungskraft nicht mehr ausüben, da diese Arbeiten als mittelschwer einzustufen seien. Hingegen bestehe für eine körperlich leichte berufliche Tätigkeit, die vorwiegend im Sitzen ausgeführt werden könne und kein häufiges Bücken und Heben schwerer Lasten beinhalte, eine volle Arbeitsfähigkeit. Damit sei es ihr möglich, ein rentenausschliessendes Erwerbseinkommen zu erzielen. 
2.2 Die Beschwerdeführerin legt mit ihrer Verwaltungsgerichtsbeschwerde neue Zeugnisse von weiteren Ärzten auf. Frau Dr. med. M.________, allgemeine Medizin FMH, attestiert für den Monat Januar 2002 eine 50%ige Arbeitsfähigkeit, während Dr. med. S.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, in seinem Zeugnis vom 20. April 2002 ab dem 8. Dezember 2001 bis auf weiteres eine volle Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Beide Zeugnisse enthalten keine Begründung. Eingehend begründet ist hingegen der Bericht von Dr. med. H.________, Facharzt für Neurologie FMH. Dieser liess am 29. November 2001 eine biplanare MRI der Halswirbelsäule durchführen, wobei eine grosse Diskushernie C5/6 mit Kompression des Duralsacks median und rechts und eine mässige Diskushernie mit Osteophyt median und links auf Höhe C4/5 ebenfalls mit Kompression des Myelons gefunden wurden. Dr. H.________ hält in seiner Beurteilung fest, die neu festgestellten cervicalen beträchtlichen Diskushernien seien in der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit und bezüglich des Risikos eines Gesundheitsschadens bei Belastung unbedingt zu berücksichtigen. Schliesslich liegt ein Untersuchungsbericht von Dr. med. R.________, FMH Physikalische Medizin und Rehabilitation, vom 23. September 2002 vor. Dieser stellt die Diagnosen eines chronischen cervicoradikulären Reizsyndroms C6 und C7 rechts bei grosser Diskushernie C5/6 mit Kompression des Duralsackes sowie Diskushernie C4/5 mit ebenfalls Kompression des Myeloms, eines chronischen lumboradikulären Reizsyndroms L5 rechts bei paramedian rechts gelegener Diskushernie L4/5 und Einengung des Foramen intervertebralia L4/5 rechts, eines Diabetes mellitus seit Oktober 2001 insulinpflichtig, von chronischen Knieschmerzen bei Status nach medialer Meniskektomie und eines Status nach Carpaltunneloperation rechts mit persistierenden Dysästhesien. Die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin betrage rein theoretisch für rückenschonende Arbeiten ca. drei Stunden pro Tag. Er halte sie aber nicht für vermittlungsfähig. 
3. 
3.1 Nach dem für das gesamte Verwaltungs- und Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gültigen Grundsatz der freien Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 135 OG; Art. 95 Abs. 2 OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG; Art. 85 Abs. 2 lit. c AHVG in Verbindung mit Art. 69 IVG; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich 1997, S. 229) haben Versicherungsträger und Sozialversicherungsgericht die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass das Sozialversicherungsgericht alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten. Insbesondere darf es bei einander widersprechenden medizinischen Berichten den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen und die Gründe anzugeben, warum es auf die eine und nicht auf die andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese) abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Ausschlaggebend für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 125 V 352 Erw. 3a, 122 V 160 f. Erw. 1c). 
3.2 Der für die gerichtliche Beurteilung des Sachverhaltes massgebende Zeitpunkt ist derjenige des Verfügungserlasses vom 17. Oktober 2001 (BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen). Die nunmehr vorliegenden medizinischen Akten geben ein grundlegend anderes Bild vom Gesundheitszustand und damit von der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin, als dies noch die der Verwaltung und Vorinstanz zur Verfügung gestandenen Arztberichte taten. Sie sind insoweit zu berücksichtigen, als sie einen Zustand beschreiben, welcher schon bei Verfügungserlass vorhanden war. Inzwischen eingetretene Verschlechterungen der gesundheitlichen Verhältnisse wären indessen in einer Revision beziehungsweise anlässlich einer Neuanmeldung im Sinne von Art. 87 ff. IVV zu prüfen. 
3.3 
3.3.1 Während die Arbeitsunfähigkeitszeugnisse von Dr. med. M.________ vom 7. Januar 2002 und von Dr. med. S.________ vom 20. April 2002 nicht begründet sind, und damit den Beweisanforderungen (Erwägung 3.1) nicht zu genügen vermögen, sind die Berichte von Dr. med. H.________ und Dr. med. R.________ grundsätzlich zu berücksichtigen. Dr. med. R.________ hält am 23. September 2002 fest, bei der Beschwerdeführerin sei eine deutliche Progredienz der Rückenschmerzen mit Zunahme der radikulären Reizerscheinungen sowohl cervical wie auch lumbal festzustellen. Infolge der Fehl- und Schonhaltung der HWS träten zudem ausgedehnte muskuläre Verspannungen bis zur lumbalen Region auf, welche zur Aktivierung der Lumboischialgien führten. Die radiologisch verifizierten multiplen Diskushernien würden die Beschwerden hinreichend erklären. Insbesondere im cervicalen Bereich beständen auf beiden betroffenen Segmenten Kompressionen auf dem Rückenmark, die für die Therapieresistenz verantwortlich seien. Aus rheumatologischer Sicht beständen deutliche radikuläre Reizerscheinungen sowohl cervical als auch lumbal, die ihre 100%ige Arbeitsunfähigkeit hinreichend erklärten. Auch der Diabetes mellitus habe sich verschlechtert und sei seit Oktober 2001 insulinpflichtig. Es bestehe bereits ein Sekundärschaden mit Polyneuropathie an den unteren Extremitäten. Die Reflexe seien an beiden Beinen nicht auslösbar. Diesen Ausführungen lässt sich nicht entnehmen, ob die festgestellten Gesundheitsschäden - mit Ausnahme des Diabetes - und ihre Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit schon im Oktober 2001 vorhanden waren. Der Bericht ist knapp ein Jahr nach Verfügungserlass verfasst worden. Insbesondere die Aussage, wonach eine deutliche Progedienz festzustellen sei, lässt keine Rückschlüsse über den Zustand im hier zu beurteilenden Zeitpunkt zu. 
3.3.2 Anders verhält es sich mit dem Untersuchungsbericht von Dr. med. H.________ vom 17. Dezember 2001. Die Erstkonsultation bei diesem Arzt fand am 22. Oktober 2001, also wenige Tage nach Verfügungserlass statt. Er sah sich veranlasst, eine MRI-Untersuchung der HWS durchführen zu lassen, welche am 29. November 2001 durchgeführt wurde und den Befund einer grossen Diskushernie C5/6 und einer mässigen mit Osteophyt auf Höhe C4/5 jeweils mit Kompression des Myelons ergab. Bis zu jenem Zeitpunkt war lediglich die lumbale Wirbelsäule mittels MRI untersucht worden. Es ist davon auszugehen, dass dieser massive Befund schon im Zeitpunkt des Verfügungserlasses, das heisst einen Monat vorher, vorhanden war. Das würde auch die Diskrepanz zwischen den Angaben der Beschwerdeführerin gegenüber Dr. med. J.________ und dessen Beurteilung erklären, welcher - wie sich nunmehr gezeigt hat fälschlicherweise - die Klagen der Versicherten als "nicht-arbeiten-wollen" interpretierte. Wichtig erscheint indessen, dass sowohl Dr. med. J.________, als auch Dr. med. X.________ der IV-Stelle empfahlen die Beschwerdeführerin in medizinischer Hinsicht weiter abklären zu lassen (Dr. J.________ am 31. Juli 2001: "Ich schlage eine Begutachtung durch einen Rheumatologen vor."; Dr. X.________ am 23. August 2001: "Eine stationäre Abklärung, bez. weiterer Arbeitsfähigkeit scheint mir angezeigt".). Dies hat die Verwaltung nicht für nötig erachtet und insofern auf nicht genügend gesicherter Grundlage die Verfügung vom 17. Oktober 2001 erlassen. Die Sache wird demnach an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit diese den Gesundheitszustand und die Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin umfassend (neurologisch, rheumatologisch, psychiatrisch) abklärt und neu über den Anspruch auf eine Invalidenrente verfügt. 
4. 
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Der durch eine Beratungsstelle für Ausländer vertretenen, obsiegenden Beschwerdeführerin steht nach Massgabe der zu Art. 159 Abs. 1 und 2 OG ergangenen Rechtsprechung (BGE 122 V 278; nicht veröffentlichte Urteile S. vom 8. Mai 2003, I 586/02 und J. vom 16. Juli 2001 Erw. 5, U 146/01) eine Parteientschädigung zu. 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
1. 
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 27. August 2002 und die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 17. Oktober 2001 aufgehoben, und die Sache wird an die IV-Stelle zurückgewiesen, damit diese nach erfolgter Abklärung im Sinne der Erwägungen neu verfüge. 
2. 
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
4. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
Luzern, 16. Juni 2003 
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Die Präsidentin der IV. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: