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[AZA 3] 
1E.25/1999/mks 
 
          I. ÖFFENTLICHRECHTLICHE ABTEILUNG  
          ********************************* 
 
27. April 2000  
 
Es wirken mit: Bundesrichter Aemisegger, Präsident der 
 
I. öffentlichrechtlichen Abteilung, Bundesrichterin Klett,  
Bundesrichter Aeschlimann sowie Gerichtsschreiberin 
Camprubi. 
 
--------- 
 
In Sachen 
 
Stadt Z ü r i c h, Beschwerdeführerin, vertreten durch  
Rechtsanwalt H. Gertsch, Stellvertreter des Rechts- 
konsulenten des Stadtrates, 
 
gegen 
 
Kanton Z ü r i c h, Baudirektion, Beschwerdegegner,  
vertreten durch Dr. H. Bopp, Büro für Landerwerb, 
Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10,  
Stellvertretender Präsident Dr. iur. Niklaus Oberholzer, 
Scheffelstrasse 1, St. Gallen, 
 
betreffend 
          nachträgliche Forderung nach 
          Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG
hat sich ergeben: 
 
A.-  
Am 22. April 1993 meldete die Stadt Zürich bei der  
Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10, eine nach- 
trägliche Forderung gemäss Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG gegen 
den Kanton Zürich als Enteigner in Sachen Bau der National- 
strasse N1 (nachfolgend: N1) an. Sie beantragte die Vergü- 
tung der Kosten für die Erstellung von zwei Hauptsammel- 
kanälen ihres Entwässerungs-Kanalsystems in der Juchstrasse 
und im Bändliweg in Zürich-Altstetten. Ursprünglich befanden 
sich diese Kanäle im Bereich des der AG Heinrich Hatt-Haller 
(heute: Hatt-Haller Immobilien AG) gehörenden Grundstücks 
Kat. Nr. 8359 am Bändliweg 20 und 22. Der Hatt-Haller Immo- 
bilien AG war am 12. Juli 1991 eine Baubewilligung erteilt 
worden. Da ihr Bauprojekt mit den genannten Sammelkanälen 
kollidierte, einigte sich die Stadt Zürich mit ihr auf eine 
Verlegung der Kanäle, wobei die Kostentragung nicht defini- 
tiv geregelt wurde. Am 12. Januar 1993 stellte die Hatt- 
Haller Immobilien AG gegenüber der Stadt Zürich eine Ent- 
schädigungsforderung für die Durchführung der Verlegung, 
was zur Anmeldung der nachträglichen Forderung der Stadt 
Zürich gegenüber dem Kanton führte. Die Stadt Zürich machte 
dabei geltend, die umstrittenen Hauptsammelkanäle seien bis 
im Jahre 1974 durch Baulinien rechtlich gesichert gewesen. 
Diese Baulinien, die 1897 und 1912 zur Sicherung einer Ver- 
legung der Einmündung der Juchstrasse in den Bändliweg 
gezogen worden waren, habe der Gemeinderat 1974 ersatzlos 
aufgehoben, nachdem sich erwiesen habe, dass die genannte 
Strassenverlegung aufgrund der definitiven Ausführung der 
N1 nicht mehr erforderlich gewesen sei. 
 
B.-  
Am 25. September 1995 erliess der stellvertretende  
Präsident der Schätzungskommission eine Verfügung, wonach er 
die nachträgliche Forderungsanmeldung "zuliess", und leitete 
das Einigungsverfahren ein, das jedoch zu keiner Einigung 
zwischen der Stadt Zürich und dem Kanton führte. Am 22. Juni 
1999 wies die Schätzungskommission die Forderung der Stadt 
Zürich ab, weil die Voraussetzungen für die Geltendmachung 
einer nachträglichen Forderung nicht gegeben seien und diese 
ohnehin materiell unbegründet sei. 
 
C.-  
Die Stadt Zürich erhebt gegen diesen Entscheid Ver-  
waltungsgerichtsbeschwerde wegen Verletzung von Art. 41 
Abs. 1 lit. b EntG und beantragt die Vergütung der Kosten 
der Erstellung der Sammelkanalteilstücke in der Juchstrasse 
und im Bändliweg. Der Kanton Zürich, handelnd durch die 
Baudirektion, beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Ver- 
fahren wurde vom 11. November 1999 bis zum 15. Dezember 1999 
eingestellt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:  
 
1.-  
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, die  
Schätzungskommission habe zu Unrecht die Zulässigkeit der 
nachträglichen Forderung geprüft. 
 
       Diese Rüge ist begründet. Nachträgliche Forderungen 
verwirken, wenn sie nicht binnen sechs Monaten seit Kennt- 
nisnahme des forderungsbegründenden Tatbestands geltend ge- 
macht werden (Art. 41 Abs. 2 lit. b EntG). Die vorfrageweise 
Beurteilung der Verwirkung obliegt dabei dem Präsidenten 
der Schätzungskommission: Gemäss Art. 19 Abs. 1 der Verord- 
nung des Schweizerischen Bundesgerichts für die eidgenössi- 
schen Schätzungskommissionen vom 24. April 1972 (SR. 711.1; 
VSchK) entscheidet er über die Zulässigkeit nachträglicher 
Forderungseingaben (vgl. BGE 110 Ib 368 E. 3a S. 379, mit 
Hinweisen) und er leitet das Einigungsverfahren spätestens 
bei Bewilligung der nachträglichen Forderungseingabe ein 
(Art. 20 Abs. 2 VSchK). 
 
       Hier hat der stellvertretende Präsident der Schät- 
zungskommission am 25. September 1995 sowohl dem Wortlaut 
als auch dem Inhalt nach die Zulassung der nachträglichen 
Forderungsanmeldung verfügt (Ziffer 1 des Dispositivs). 
Diese Verfügung ist zwar summarisch, aber nicht ungenügend 
begründet, und sie ist mit einer Rechtsmittelbelehrung 
versehen. Sie ist als selbständiger Zwischenentscheid zur 
Verwirkungsfrage zu betrachten, der mangels Anfechtung 
gemäss Art. 19 Abs. 2 VSchK dreissig Tage nach seiner 
Zustellung in Rechtskraft erwachsen ist. Zudem ist kein 
Nichtigkeitsgrund ersichtlich. Die Schätzungskommission 
hätte mithin die Zulässigkeit der Anmeldung der nachträg- 
lichen Forderung nicht überprüfen dürfen. Das führt im 
vorliegenden Fall jedoch nicht zur Aufhebung des angefoch- 
tenen Entscheids. Denn die Forderung der Beschwerdeführerin 
ist ohnehin materiell unbegründet. 
 
2.-  
Die Beschwerdeführerin bestreitet, dass sie ent-  
gegen der Voraussetzung gemäss Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG 
die Auswirkungen der Erstellung der N1 habe voraussehen 
können, wie es die Schätzungskommission annimmt. Diese Frage 
kann hier offen bleiben. Denn die Vermögenseinbusse, welche 
die Beschwerdeführerin durch die Aufhebung der Baulinien 
erlitten hat, kann zum Vornherein nicht direkt auf die Er- 
stellung der N1 zurückgeführt werden. Vielmehr hängt sie 
davon ab, dass sich die Beschwerdeführerin seinerzeit keinen 
Ersatz zur Sicherung ihrer Kanäle verschaffte. Sie vermag 
nicht darzulegen, inwiefern die Erstellung der N1 der 
Absicherung eines Leitungsbaurechts entgegen gestanden 
wäre. Es braucht daher nicht geprüft zu werden, ob die 
Erstellung der N1 die Aufhebung der Baulinien tatsächlich 
erforderlich gemacht hätte. Die Genehmigung der Aufhebungs- 
beschlüsse durch den Regierungsrat des Kantons Zürich 
spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da diese Behörde 
nur zu prüfen hatte, ob die (ersatzlose) Aufhebung der Bau- 
linien rechtmässig, nicht ob sie notwendig war. 
 
       Die Stadt Zürich hat sich daher den von ihr gel- 
tend gemachten Schaden selber zuzuschreiben. Die Vermögens- 
einbusse, die sie durch die Aufhebung der Baulinien erlit- 
ten hat, ist mit anderen Worten freiwillig erfolgt. Mithin 
fehlt es für die Enteignungsentschädigung am Erfordernis 
des Schadens im Rechtssinne (zu diesem Erfordernis siehe 
Georg Müller, Kommentar zur BV 1874, N. 66 zu Art. 22ter;  
Enrico Riva, Hauptfragen der materiellen Enteignung, Bern  
1990, S. 252). Als Schaden gilt nach allgemeinen Grund- 
sätzen die ungewollte, unfreiwillige Verminderung des Rein- 
vermögens (zum Schadensbegriff im Allgemeinen: BGE 116 II 
441 E. 3a/aa S. 444; 115 II 72 E. 3a S. 74). Eine Ver- 
mögensminderung mit Willen des Vermögensträgers stellt 
dagegen grundsätzlich keinen Schaden dar (  Vito Roberto,  
Schadensrecht, Basel und Frankfurt a.M. 1997, S. 9; von 
Tuhr/Peter, OR I S. 84;  Heinrich Honsell, Schweizerisches  
Haftpflichtrecht, 4. Aufl., S. 4 N. 26/27;  Guhl/Merz/   
Kummer, OR, 8. Aufl., S. 63; anders  Oftinger/Stark, Haft-  
pflichtrecht, Bd. I, S. 72 N. 8, die entgegen der Vorauf- 
lage im Falle der Freiwilligkeit nicht den Schaden, sondern 
die Kausalität verneinen). Nur unter besonderen Umständen 
können freiwillige Vermögensdispositionen einen Schaden 
darstellen, etwa bei Aufwendungen zur Abwehr eines (wei- 
teren) Schadens (  Roberto, a.a.O., S. 9). Solche Umstände  
liegen hier nicht vor. 
 
3.-  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen.  
Gemäss Art. 116 EntG trägt grundsätzlich der Enteigner die 
Kosten des Verfahrens vor Bundesgericht, wobei die Verfah- 
renskosten im Falle des Unterliegens des Enteigneten auch 
anders verteilt werden können. In analoger Anwendung von 
Art. 114 Abs. 3 EntG rechtfertigt sich hier, die Verfahrens- 
kosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen. 
Parteientschädigungen sind keine zuzusprechen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.-  
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.  
 
2.-  
Die Gerichtsgebühr von Fr. 8'000.-- wird der  
Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.-  
Dieses Urteil wird den Parteien und der Eidgenössi-  
schen Schätzungskommission, Kreis 10, sowie der Hatt-Haller 
Immobilien AG schriftlich mitgeteilt. 
 
______________ 
 
 
Lausanne, 27. April 2000 
 
           
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung  
                                         
des SCHWEIZERISCHEN BUNDESGERICHTS  
                          
Der Präsident:  
   Die Gerichtsschreiberin: