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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.131/2005 
6S.412/2005/sza 
 
Urteil vom 16. März 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Zünd, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Robert Bühler, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden, Postfach 1260, 6060 Sarnen 2, 
Obergericht des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen, 
Postfach 1260, 6061 Sarnen 1. 
 
Gegenstand 
Art. 9, 29 Abs. 2 und 32 Abs. 1 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; willkürliche Beweiswürdigung, rechtliches Gehör, Grundsatz "in dubio pro reo"); 
Art. 117 StGB (fahrlässige Tötung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen vom 20. September 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ war am 1. Juli 1998 als Oberarzt der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe tätig, als A.________ um 06.41 Uhr ihr zweites Kind gebar. Um 16.15 Uhr klagte sie über starke Schmerzen im Oberbauchbereich, und sie musste mehrmals erbrechen. Am Abend diagnostizierten die Assistenzärztin B.________ und X.________ als Oberarzt eine Gallenkolik/Stressgastritis. Sie ordneten eine entsprechende Behandlung an. Während der Nacht war C.________, Assistenzärztin für Chirurgie, für das ganze Spital zuständig. Um etwa 21.30 Uhr erlitt A.________ einen tonisch-klonischen Anfall und wurde um etwa 22.00 Uhr auf die Intensivpflegestation verlegt. C.________ informierte X.________ über den Krampfanfall und die Verlegung sowie die Abgabe von Valium. Er war damit einverstanden. Als A.________ in der Folge weitere Krampfanfälle erlitt, diagnostizierte C.________ eine Eklampsie bzw. ein HELLP-Syndrom und orientierte X.________. Nach Vorliegen der Laborwerte rief sie diesen erneut an, worauf er die Verlegung anordnete, was von den dortigen Ärzten aber als zu risikoreich abgelehnt wurde. Um 02.30 Uhr wurde A.________ wegen Atemstillstands intubiert. X.________ erschien um 02.40 Uhr im Spital. Um 04.30 Uhr erfolgte die Verlegung, wo die Untersuchung das Vorliegen einer massiven Blutung mit Hirnödem ergab. Der Neurologe stellte am Morgen des 2. Juli 1998 den Hirntod von A.________ fest. Sie wurde nach Rücksprache mit den Angehörigen extubiert und verstarb am 2. Juli 1998 um 18.00 Uhr. 
 
Das Kantonsgericht Obwalden verurteilte am 19. Mai 2005 X.________ wegen fahrlässiger Tötung zu einer Busse von 1'000 Franken. Dagegen sprach es B.________ und C.________ vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Das Obergericht des Kantons Obwalden wies am 20. September 2005 eine Appellation des Angeschuldigten ab und bestätigte das Urteil des Kantonsgerichts. 
B. 
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde und eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Er beantragt mit beiden Rechtsmitteln die Aufhebung des Urteils des Obergerichts und die Rückweisung der Sache zur Neubeurteilung an diese Instanz. 
Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme zu den Beschwerden verzichtet. Eine Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden wurde nicht eingeholt. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen die Feststellung des Obergerichts, A.________ habe an einem HELLP-Syndrom ge-litten und sei aufgrund unsachgemässer Behandlung dieser Krankheit gestorben. Der Beschwerdeführer behauptet, die Todesursache sei nicht ein HELLP-Syndrom, sondern eine besondere Form der Ek-lampsie gewesen, die auch bei rechtzeitiger Diagnose und sachge-mässer Behandlung zum Tod geführt hätte. Die ihm vorgeworfenen Sorgfaltspflichtverletzungen seien daher nicht kausal für den Tod von A.________. 
 
Das Obergericht erörtert diese Auffassung eingehend, verwirft sie aber vor allem gestützt auf das Gutachten von Prof. Dr. D.________ und zwei Ergänzungen desselben sowie weitere Beweismittel. Die Rüge des Beschwerdeführers, seine Ansicht sei überhaupt nicht gehört worden und das Obergericht habe sich damit nicht ernsthaft auseinandergesetzt, entbehrt damit der Grundlage. Es fragt sich einzig, ob das Obergericht zum Vorliegen eines HELLP-Syndroms die vom Beschwerdeführer beantragten zusätzlichen Beweise (Einholung eines Obergutachtens, zusätzliche Befragung von Prof. Dr. D.________ und PD Dr. E.________) hätte erheben müssen. Nach der Rechtsprechung kann der Richter Beweisanträge ablehnen, wenn er seine Überzeugung aufgrund bereits abgenommener Beweise gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener Beweiswürdigung annehmen kann, dass seine Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 124 I 208 E. 4a S. 211). Die Rüge des Beschwerdeführers ist daher nur begründet, wenn so gewichtige Anhaltspunkte für seine Auffassung bestehen, dass die gegenteilige Ansicht im angefochtenen Entscheid willkürlich erschiene. Dem zweiten erhobenen Vorwurf der Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo" kommt unter diesen Umständen keine eigenständige Bedeutung zu, denn auch er läuft darauf hinaus, dass das Obergericht das HELLP-Syndrom in willkürlicher Weise als Todesursache betrachtet habe. 
2. 
Zweifel an der Diagnose des HELLP-Syndroms im Gutachten von Prof. Dr. D.________ ergeben sich nach Ansicht des Beschwerdeführers zunächst aus dem Bericht von PD Dr. E.________ vom 10. Februar 2005 und dessen Schreiben vom 3. Mai 2005. Das Obergericht setzt sich im angefochtenen Entscheid eingehend mit den daraus abgeleiteten Einwänden auseinander. Insbesondere weist es darauf hin, dass auch PD Dr. E.________ gerade nicht die vom Beschwerdeführer vertretene These verficht, dass A.________ an einer Sonderform der Eklampsie und nicht am HELLP-Syndrom erkrankt gewesen sei. Anhaltspunkte, dass die Folgerungen des Gutachtens von Prof. Dr. D.________ unzutreffend sein könnten, durfte das Obergericht daher ohne Willkür verneinen. 
 
Das Gleiche gilt mit Blick auf das undatierte Schreiben von Dr.F.________. Darin wird wohl die Diagnose von Prof. Dr. D.________ angezweifelt, doch wird dies überhaupt nicht näher begründet. Ausserdem ergeben sich aus dem Autopsiebericht keine Anhaltspunkte, die gegen die Diagnose eines HELLP-Syndroms sprechen. 
 
Schwer verständlich erscheint schliesslich die Kritik an der Begründung des Obergerichts, mit der dieses die Auffassung des Beschwerdeführers verwirft. Es liegt auf der Hand, dass die aufgedeckten Widersprüche bei dem von ihm Vorgebrachten gerade keinen Anlass bieten, von den Folgerungen des eingeholten Gutachtens abzuweichen. 
 
Die mit staatsrechtlicher Beschwerde erhobenen Rügen erweisen sich deshalb als unbegründet. 
3. 
Die ebenfalls erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wendet sich gegen den Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung. Es wird darin kritisiert, dass die Sorgfaltspflichtverletzungen, die dem Beschwerdeführer vorgeworfen werden, sich gegenseitig bedingten. Bei isolierter Betrachtung erscheine sein Verhalten dagegen unter keinem Gesichtspunkt sorgfaltswidrig. 
 
Das Obergericht würdigt die gegenüber dem Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe nach den Kriterien, welche die Rechtsprechung für die Beurteilung fahrlässiger Erfolgsdelikte und insbesondere der ärztlichen Sorgfaltspflicht aufstellt (BGE 130 IV 7 E. 3 S. 9 ff.). Es gelangt zum Schluss, dass der Beschwerdeführer seine Sorgfaltspflichten als Oberarzt in mehrfacher Hinsicht verletzt hat. So habe er die klinischen Leitsymptome einer hypertensiven Schwangerschaftserkrankung verkannt und insbesondere das HELLP-Syndrom zu Unrecht nicht in die Differenzialdiagnose einbezogen. Ausserdem hätte er die Anamnese berücksichtigen und die detaillierte Krankengeschichte beiziehen sowie die Patientin besser überwachen müssen. Schliesslich hätte er das Spital bei der kritischen Situation der Patientin nicht verlassen und diese der unerfahrenen jungen Assistenzärztin überlassen dürfen. 
4. 
Die erwähnten Sorgfaltspflichtverletzungen stehen wohl teilweise in einem engen Bezug zueinander. Diese Tatsache ist der Vorinstanz jedoch nicht entgangen, wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt. 
 
Den Vorwurf, das HELLP-Syndrom nicht in die Differenzialdiagnose einbezogen zu haben, begründet die Vorinstanz damit, dass A.________ gegen Abend unter Oberbauchschmerzen und Übelkeit litt, den klinischen Leitsymptomen der genannten Krankheit. Sie verweist auf das Gutachten von Prof. Dr. D.________, wonach bei Oberbauchschmerzen ein HELLP-Syndrom so lange in die Diagnose einbezogen werden muss, als es nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Nach dem Gutachter war zwar die Diagnose einer stressbedingten Gastritis oder eines Ulcus auch vertretbar, doch hätte eine hypertensive Schwangerschaftserkrankung, insbesondere ein HELLP-Syndrom, in die Differenzialdiagnose miteinbezogen werden müssen. Der Einwand des Beschwerdeführers, die Blutdruckwerte hätten in jenem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen, geht offensichtlich fehl, da der festgestellte Diagnosefehler gar nicht daran anknüpft. 
 
Der Beschwerdeführer beruft sich gegenüber dem weiteren Vorwurf, er hätte auf dem Beizug und der Einsichtnahme in die Krankengeschichte bestehen müssen, um sich im Detail über die früheren Feststellungen informieren zu können, auf das Fehlverhalten der Assistenzärztinnen, die seine Anweisung zum Beizug der Krankengeschichte nicht befolgt hätten. Diese Argumentation ist befremdlich. Der Beschwerdeführer durfte ohne die erforderlichen Informationen, wozu der Beizug der Krankengeschichte gehört hätte, keine Diagnose stellen und hätte deshalb seine Anweisung zum Beibringen der Krankengeschichte durchsetzen müssen (vgl. BGE 130 IV 7 E. 4.3 S. 14 f.). 
Auch die beiden weiteren Sorgfaltspflichtverletzungen sind entgegen der Behauptung in der Beschwerde nicht die blosse Folge der bereits erwähnten Pflichtwidrigkeiten, sondern haben selbständigen Charakter. Es kann auf die überzeugenden Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden. Dasselbe gilt mit Bezug auf die Voraussehbarkeit und die Vermeidbarkeit des Todes von A.________. 
 
Der angefochtene Entscheid verletzt daher Art. 117 StGB nicht. 
5. 
Die staatsrechtliche Beschwerde und die Nichtigkeitsbeschwerde sind aus diesen Gründen abzuweisen. 
 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist ebenfalls abzuweisen, da die Beschwerden als aussichtslos zu bezeichnen sind. Die bundesgerichtlichen Kosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG; Art. 278 Abs. 1 BStP). Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist seinen finanziellen Verhältnissen Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG). 
 
Mit dem Entscheid in der Sache werden die Gesuche um Gewährung der aufschiebenden Wirkung gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht 
im Verfahren nach Art. 36a OG
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde und die Nichtigkeitsbeschwerde werden abgewiesen. 
2. 
Die Gesuche um unentgeltliche Rechtspflege werden abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Obwalden und dem Obergericht des Kantons Obwalden als Appellationsinstanz in Strafsachen schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 16. März 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: