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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
5A_114/2018, 5A_115/2018  
 
 
Urteil vom 1. März 2018  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter von Werdt, Präsident, 
Bundesrichter Marazzi, Schöbi, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Andreas Edelmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Bezirksgericht Zürich, 
Obergericht des Kantons Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unentgeltliche Rechtspflege (Exequatur), 
 
Beschwerde gegen zwei Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 22. Dezember 2017 (RV170007-O/U und RV170008-O/U). 
 
 
Sachverhalt:  
Mit Beschluss Nr. 6 f 48/15 vom 17. September 2015 schied das Amtsgericht Waldshut-Tiengen, Abteilung Familienrecht, die Ehe von A.________ und B.________ (beide deutsche Staatsangehörige). Im Rahmen dieses Verfahrens hatten die Parteien betreffend das Freizügigkeitsguthaben des Ehemannes bei der Stiftung Auffangeinrichtung BVG eine gerichtlich protokollierte und bewilligte Vereinbarung geschlossen, wonach die während der Ehezeit erworbene Austrittsleistung im Sinn von Art. 122 ZGB hälftig zu teilen ist. 
Mit Entscheid vom 4. August 2017 wies das Bezirksgericht Zürich das Gesuch von A.________ auf Vollstreckbarerklärung der richterlich genehmigten Vereinbarung betreffend Vorsorgeausgleich und Anweisung der Auffangeinrichtung zur Überweisung von Fr. 56'286.34 ab. Gleichzeitig wies es das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit des Exequaturgesuches ab. 
Sowohl in der Sache als auch wegen der Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege gelangte A.________ an das Obergericht des Kantons Zürich, wobei sie auch für das obergerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege verlangte. Das Obergericht legte für die Exequatursache das Dossier RV170007-O/U sowie für die Beschwerde betreffend verweigerte unentgeltliche Rechtspflege das Dossier RV170008-O/U an. Mit Urteilen vom 22. Dezember 2017 wies es beide Beschwerden ab und verweigerte gleichzeitig auch je für die Beschwerdeverfahren die unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit. 
Gegen diese Urteile hat A.________ am 2. Februar 2018 beschränkt auf den Punkt der unentgeltlichen Rechtspflege für die kantonalen Verfahren beim Bundesgericht Beschwerde erhoben. Ferner verlangt sie auch für das bundesgerichtliche Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege. In Bezug auf die Beschwerdeabweisung hinsichtlich der erstinstanzlich verweigerten unentgeltlichen Rechtspflege wurde das Dossier 5A_114/2018 und in Bezug auf die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege für die obergerichtlichen Verfahren wurde das Dossier 5A_115/2018 angelegt. Mit Stempel vom 16. Februar 2018 hat das Bezirksgericht im Verfahren 5A_114/2018 und mit Stempel vom 20. Februar 2018 hat das Obergericht in beiden Verfahren auf die Einreichung einer Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der Rechtsweg im Streit um die unentgeltliche Rechtspflege folgt jenem der Hauptsache (Urteile 5A_463/2016 vom 12. August 2016 E. 1.2; 5A_385/2016 vom 29. November 2016 E. 1.2). Dort geht es um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid (Art. 75 Abs. 1 BGG) über die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Scheidungsurteils bzw. einer in diesem Rahmen gerichtlich genehmigten Vereinbarung, also um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit in unmittelbarem Zusammenhang mit Zivilrecht (Art. 72 Abs. 2 Bst. b Ziff. 1 BGG), deren Streitwert Fr. 30'000.-- übersteigt (Art. 74 Abs. 1 Bst. b BGG). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen sind erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde in Zivilsachen ist einzutreten. 
 
2.   
Hintergrund der divergierenden Meinungen in der Sache bildet die auf 1. Januar 2017 in Kraft getretene Bestimmung von Art. 63 Abs. 1bis IPRG, wonach für den Ausgleich von Vorsorgeansprüchen gegenüber einer schweizerischen Einrichtung der beruflichen Vorsorge die schweizerischen Gerichte ausschliesslich zuständig sind (bzw. analog für die Urteilsergänzung Art. 64 Abs. 1bis IPRG), und dabei spezifisch die intertemporalrechtliche Frage, ob ein vor diesem Zeitpunkt ergangenes ausländischen Erkenntnis nach diesem Zeitpunkt noch für vollstreckbar erklärt werden kann oder ob die seit 1. Januar 2017 in Anspruch genommene exklusive direkte Zuständigkeit eine frühere indirekte Zuständigkeit ausschliesst. 
Beide kantonalen Instanzen haben diesbezüglich den Staatsvertrag zwischen der Schweiz und Deutschland über die gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen vom 2. November 1929 (SR 0.276.191.361) zur Anwendung gebracht und sie waren letztlich beide der Meinung, dass dieser keine Übergangsregelung enthalte. Das Bezirksgericht folgerte, dass deshalb nach Art. 199 IPRG auf die Rechtslage im Zeitpunkt des Exequaturentscheides abzustellen sei. Zwar schweige sich Art. 199 IPRG aus, wie zu entscheiden sei, wenn die Anerkennung nach früherem Recht möglich gewesen wäre, und es bestehe eine Kontroverse, wie mit hängigen Gesuchen umzugehen sei; das sei aber insofern nicht relevant, als das Exequaturgesuch erst nach dem 1. Januar 2017 gestellt worden sei. Das Obergericht war hingegen der Meinung, dass die übergangsrechtlichen Bestimmungen des IPRG auf völkerrechtliche Verträge, mithin auf den schweizerisch-deutschen Staatsvertrag keine Anwendung finden könnten. Vielmehr sei auf die allgemeinen Grundsätze des IPRG und des SchlT ZGB zurückzugreifen und auch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (SR 0.111) zu beachten, welches aber vorliegend nicht anwendbar sei, weil es gemäss Art. 4 nur auf nach seinem Inkrafttreten geschlossene Staatsverträge anwendbar sei. Mithin sei auf die lex fori und damit auf Art. 199 IPRG, nicht etwa auf Art. 407c ZPO zurückzugreifen. In maiore minus lasse sich aus Art. 199 IPRG ableiten, dass sich die Voraussetzungen für die Vollstreckbarkeit umso mehr nach dem neuen Recht zu richten hätten, wenn ein Gesuch um Anerkennung und Vollstreckung nach Inkrafttreten der neuen Bestimmungen anhängig gemacht worden sei. Die indirekten Zuständigkeitsregeln des IPRG erhielten insoweit rückwirkende Kraft. Aus Art. 196 IPRG ergebe sich nichts anderes; danach sei für die Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen von der Anwendbarkeit der geltenden Bestimmungen auszugehen. Sodann halte auch die Botschaft vom 29. Mai 2013 betreffend die Vorsorgenovelle fest, dass aufgrund von Art. 63 Abs. 1bis IPRG einerseits die Ehegatten keinen anderen Gerichtsstand mehr vereinbaren und andererseits ausländische Entscheidungen über die Teilung von Guthaben bei schweizerischen Vorsorgeeinrichtungen nicht anerkannt werden könnten. Nichts anderes ergäbe sich aufgrund von Art. 64 Abs. 1bis IPRG, weshalb letztlich offen gelassen werden könne, welche Bestimmung vorliegend zur Anwendung gelange. Nichts anderes ergebe sich schliesslich aus Art. 7d Abs. 1 SchlT ZGB. Im Ergebnis sei mithin dem erstinstanzlichen Entscheid zuzustimmen und die hiergegen erhobene Beschwerde abzuweisen. 
In Bezug auf die Frage der Aussichtslosigkeit des Exequaturgesuches finden sich im erstinstanzlichen Entscheid keine Ausführungen. Das Obergericht hat die Aussichtslosigkeit des erstinstanzlichen Gesuches ohne weitere Ausführungen mit der Abweisung der diesbezüglichen Beschwerde und die Aussichtslosigkeit des Beschwerdeverfahrens mit einem Verweis auf seine Ausführungen in der Sache begründet und im Übrigen befunden, an der Aussichtslosigkeit ändere auch nichts, dass das Bezirksgericht Winterthur für die betreffende intertemporalrechtliche Fragestellung gegenteilig entschieden und das Exequatur erteilt habe. 
 
3.   
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung der aus Art. 29 Abs. 2 BV fliessenden Begründungspflicht (insbesondere in Bezug auf die erstinstanzliche Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege, sodann aber auch betreffend die Verweigerung für das Beschwerdeverfahren), indem nirgends konkret auf die Frage der Aussichtslosigkeit eingegangen worden sei. 
Sodann rügt sie in der Sache eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV bzw. von Art. 117 ZPO, indem weder das Exequaturgesuch noch die Beschwerde an das Obergericht als aussichtslos im Sinn der Rechtsprechung bezeichnet werden könne, zumal sie bereits im kantonalen Beschwerdeverfahren auf das für die intertemporalrechtliche Fragestellung zu einem gegenteiligen Schluss gelangende Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom 4. April 2017 hingewiesen habe. 
 
4.   
Inwiefern der blosse Verweis auf die Abweisung der diesbezüglichen Beschwerde eine Art. 29 Abs. 2 BV genügende Begründung für die Aussichtslosigkeit des erstinstanzlichen Exequaturgesuches sein könnte (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entscheidbegründung vgl. BGE 139 IV 179 E. 2.2 S. 183; 141 III 28 E. 3.2.4 S 41; 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253), muss nicht vertieft werden, weil angesichts der Komplexität der anwendbaren Rechtsgrundlagen, der heiklen übergangsrechtlichen Fragestellung sowie der Tatsache, dass Bezirksgerichte des gleichen Kantons zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangten und im Übrigen auch das Obergericht einzig im Ergebnis mit der Erstinstanz übereinstimmte, wobei es hierfür langwierige Überlegungen anstellen musste (deren innere Stringenz und inhaltliche Richtigkeit offen bleiben kann), die Gesuchseinreichung wie auch die Beschwerdeerhebung offensichtlich in guten Treuen erfolgte und für beide Verfahren nicht von einer ab initio gegebenen Aussichtslosigkeit im Sinn der Rechtsprechung (dazu BGE 138 III 217 E. 2.2.4 S. 218; 139 III 475 E. 2.2 S. 476 f.; 140 V 521 E. 9.1 S. 537) ausgegangen werden konnte. Sodann war vor dem Hintergrund der erwähnten Komplexität offensichtlich auch eine anwaltliche Vertretung erforderlich. Eine Verletzung von Art. 29 Abs. 3 BV bzw. von Art. 117 lit. b ZPO ist augenfällig. 
 
5.   
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde offensichtlich begründet und folglich - zumal die Prozessarmut der Euro 1'100.-- pro Monat verdienenden Beschwerdeführerin von keiner Seite in Frage gestellt wird - im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. b BGG in dahingehender Aufhebung der beiden angefochtenen Urteile die unentgeltliche Rechtspflege für das erst- wie auch für das zweitinstanzliche Exequaturverfahren zu erteilen. Die Angelegenheit wird an das Obergericht zurückgewiesen zur Festsetzung des Honorars von Dr. Andreas Edelmann für die kantonalen Verfahren (Art. 107 Abs. 2 BGG). 
 
6.   
Dem Gemeinwesen werden in der Regel keine Gerichtskosten auferlegt (Art. 66 Abs. 4 BGG). Indes hat der Kanton Zürich die Parteikosten der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren zu tragen (Art. 66 Abs. 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 2 und 4 BGG). Damit ist das für das bundesgerichtliche Verfahren gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
In Gutheissung der Beschwerde und dahingehender Aufhebung der Urteile RV170007-O/U und RV170008-O/U des Obergerichts des Kantons Zürich vom 22. Dezember 2017 wird der Beschwerdeführerin für das erst- und zweitinstanzliche Exequaturverfahren die unentgeltliche Rechtspflege erteilt. 
 
2.   
Die Sache wird zur Bestimmung des Honorars von Dr. Andreas Edelmann für die kantonalen Verfahren an das Obergericht zurückgewiesen. 
 
3.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.   
Der Kanton Zürich (Kasse des Obergerichts) hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. März 2018 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: von Werdt 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli