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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.199/2002 /mks 
 
Urteil vom 13. Juni 2002 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Bundesgerichtsvizepräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Nay, Féraud, 
Gerichtsschreiber Pfisterer. 
 
F. A.________, 
Z. A.________, 
Beschwerdeführer, 
beide vertreten durch Fürsprecher Hawi Balmer, H.-Hugistrasse 3, Postfach 959, 2501 Biel/Bienne, 
 
gegen 
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, Amthaus, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern, 
Prokurator 4 der Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland, Hodlerstrasse 7, 3011 Bern, 
Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern. 
 
Legitimation zur Einreichung eines Rekurses gegen einen Nichteröffnungsbeschluss 
 
(Staatsrechtliche Beschwerde gegen den Beschluss der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. Februar 2002) 
 
Sachverhalt: 
A. 
F. und Z. A.________ reichten am 23. Juni 2000 Strafanzeige gegen B.________ im Zusammenhang mit der Vermittlung eines Bankkredites ein. B.________ soll ihnen einen Kreditvertrag vermittelt haben, der Kredit sei aber nie an sie ausbezahlt worden. 
 
Die Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland stimmte am 16. Januar 2002 dem Antrag des Untersuchungsrichteramtes III Bern-Mittelland vom 11. Januar 2002 auf Einstellung des Verfahrens gegen B.________ zu. Gleichzeitig wurde F. A.________ dem Strafeinzelgericht des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen zur Beurteilung wegen falscher Anschuldigung, eventuell Irreführung der Rechtspflege, überwiesen. 
B. 
F. und Z. A.________ reichten am 11. Februar 2002 Rekurs ein gegen den Beschluss vom 11. bzw. 16. Januar 2002 auf Nichteröffnung der Strafverfolgung gegen B.________. Sie beantragten, die Strafverfolgung gegen B.________ sei zu eröffnen, eventuell sei B.________ an das urteilende Gericht zu überweisen. 
 
Die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern trat am 21. Februar 2002 auf den Rekurs mangels Legitimation nicht ein. 
C. 
F. und Z. A.________ haben staatsrechtliche Beschwerde erhoben und beantragen die Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung an die Vorinstanz zur Neubeurteilung. 
 
Die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland verzichtet auf Vernehmlassung, die Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern beantragt Abweisung der Beschwerde. B.________ hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann ein Beschwerdeführer, der in der Sache selbst nicht berechtigt ist, mit der staatsrechtlichen Beschwerde die Verletzung von Verfahrensrechten geltend machen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Kommt dem Geschädigten nach dem kantonalen Recht Parteistellung zu, kann er mit der staatsrechtlichen Beschwerde auch geltend machen, auf ein Rechtsmittel sei zu Unrecht nicht eingetreten worden (BGE 120 Ia 220 E. 2a; 119 Ia 4 E. 1 mit Hinweisen). 
 
Die Beschwerdeführer machen geltend, die Anklagekammer habe ihnen zu Unrecht die Legitimation zum Rekurs abgesprochen. Entsprechend den vorigen Ausführungen sind die Beschwerdeführer zu dieser Rüge legitimiert. Nachdem auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die staatsrechtliche Beschwerde einzutreten. 
2. 
Die Beschwerdeführer rügen, das Verwaltungsgericht habe das Verbot des überspitzten Formalismus von Art. 29 Abs. 1 BV verletzt. 
2.1 Das aus Art. 29 Abs. 1 BV (früher aus Art. 4 aBV) fliessende Verbot des überspitzten Formalismus wendet sich gegen prozessuale Formenstrenge, die als exzessiv erscheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder gar verhindert. Das Bundesgericht prüft frei, ob eine solche Rechtsverweigerung vorliegt (BGE 127 I 31 E. 2a/bb S. 34; 125 I 166 E. 3a S. 170, je mit weiteren Hinweisen). 
2.2 Hat sich ein Privatkläger rechtzeitig als Verfahrenspartei konstituiert, kann er gegen den Beschluss, eine Strafverfolgung aufzuheben, Rekurs an die Anklagekammer erheben (Art. 250 Abs. 2 i. V. m. Art. 251 Abs. 1 sowie Art. 322 Abs. 1 lit. c i. V. m. Art. 323 Abs. 1 Ziff. 2 des bernischen Gesetzes über das Strafverfahren vom 15. März 1995, StrV). 
2.2.1 Als Privatkläger im Sinne von Art. 47 StrV kann sich konstituieren und am Strafverfahren beteiligen, wer durch eine strafbare Handlung unmittelbar in eigenen rechtlich geschützten Interessen verletzt worden ist. Die Konstituierung erfolgt schriftlich oder mündlich zu Protokoll, entweder durch eine Erklärung zuhanden der Strafverfolgungs- oder Gerichtsbehörden, man verlange Bestrafung einer angeschuldigten Person und wolle im Verfahren Parteirechte ausüben, oder durch Einreichung einer Zivilklage aus strafbarer Handlung bei den gerichtlichen Behörden. Die Konstituierung ist bis zum Schluss des Beweisverfahrens in erster Instanz möglich. Als Privatkläger gilt auch, wer sich im Sinne von Art. 8 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über die Hilfe an Opfer von Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG, SR 312.5) am Strafverfahren beteiligen will. 
 
Grundsätzlich hat derjenige, welcher sich am Verfahren als Partei beteiligen will, selber dafür besorgt zu sein, dass er rechtzeitig und formgerecht die nach Art. 47 StrV notwendige Erklärung abgibt. Diese vom bernischen Recht für die Ausübung von Parteirechten als Verletzter geforderte ausdrückliche Erklärung, sich als Privatkläger konstituieren zu wollen, hält vor der Verfassung Stand (BGE 119 Ia 4 E. 2d, S. 8). Ist jedoch eine Abhörung des Verletzten im Strafverfahren nötig, hat sich die einvernehmende Behörde durch Nachfrage zu vergewissern, ob er als Privatkläger oder als Zeuge bzw. Auskunftsperson einvernommen werden wolle und ihn auf die Möglichkeit der Konstituierung als Privatkläger hinzuweisen. Ist eine Einvernahme nicht notwendig, kann sich aus den Umständen ebenfalls eine gewisse Rückfragepflicht der Behörden ergeben, namentlich wenn aufgrund der von juristischen Laien stammenden Eingaben unklar ist, ob sich die als verletzt bezeichnenden Personen als Privatkläger am Verfahren beteiligen wollen oder nicht (BGE 119 Ia 4 E. 3b; Jürg Aeschlimann, Einführung in das Strafprozessrecht, Bern [etc.] 1997, S. 164 ff., Rz. 564 ff.). 
2.3 Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführer nicht Zivilkläger im Sinne des Opferhilfegesetzes sind und dass sie nie eine Zivilklage eingereicht oder sich formell als Privatkläger konstituiert haben. Zu prüfen ist somit einzig, ob die kantonalen Behörden aufgrund der Umstände verpflichtet gewesen wären, sich zu versichern, ob die Beschwerdeführer tatsächlich keine Parteirechte als Geschädigte ausüben wollten. 
2.3.1 Die Beschwerdeführer haben am 23. Juni 2000 Strafanzeige gegen B.________ eingereicht, ihre Zusammenarbeit zugesichert und angeboten, sie würden den Sachverhalt eingehender erläutern, sobald sie dazu aufgeboten würden. Nachdem sie keine Bestätigung vom Anzeigeneingang erhalten haben, schrieben sie am 12. Januar 2001 erneut und baten darum, vom Stand der Untersuchungen in Kenntnis gesetzt zu werden. Das zuständige Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland teilte ihnen daraufhin (unter der Dossiernummer 00/23296) mit, sie würden in nächster Zeit für Schriftvergleiche aufgeboten. Me Laurent Etter, den die Beschwerdeführer beigezogen hatten, übermittelte am 14. März 2001 der Stadtpolizei Bern Schriftproben der Beschwerdeführer und wünschte über den Fortgang des Verfahrens informiert zu werden. Am 16. August 2001 schrieb er dem Untersuchungsrichteramt und verlangte ebenfalls Informationen über den Stand der Untersuchungen. Das Untersuchungsrichteramt lud den Beschwerdeführer am 21. August 2001 im Verfahren 00/23296 betreffend Urkundenfälschung gegen unbekannte Täterschaft zu einer Einvernahme vor und befragte ihn als Auskunftsperson zu den erhobenen Vorwürfen. Noch am selben Morgen wurde er von der gleichen Behörde als Angeschuldigter wegen falscher Anschuldigung, eventuell Irreführung der Rechtspflege, einvernommen. Die Beschwerdeführerin Z. A.________ wurde vom Untersuchungsrichteramt ebenfalls als Auskunftsperson angehört, sowohl zu den Anschuldigungen in der Strafanzeige, als auch zum Verhalten ihres Ehemannes im Untersuchungsverfahren. 
 
Der geschäftsleitende Untersuchungsrichter teilte dem Beschwerdeführer F. A.________ am 23. Oktober (zugegangen am 31. Oktober) ebenfalls unter der Dossiernummer 00/23296 und unter dem Betreff "Strafsache gegen A.________ F. [...] wegen Falscher Anschuldigung ev. Irreführung der Rechtspflege" gemäss Art. 249 StrV mit, die Voruntersuchung gegen ihn werde als ausreichend betrachtet. Das Verfahren gegen B.________ solle nicht eröffnet und er andererseits wegen falscher Anschuldigung, eventuell Irreführung der Rechtspflege an das Strafeinzelgericht überwiesen werden. Er könne sich innert 10 Tagen zu diesem Untersuchungsergebnis äussern, weitere Untersuchungshandlungen beantragen und Anträge zum Verfahrensausgang stellen. Die Untersuchungsakten stünden zur Einsichtnahme zur Verfügung. Der Beschwerdeführer teilte daraufhin am 9. November 2001 mit, er verstehe weder gut Deutsch noch Französisch und begreife auch die juristischen Abläufe nicht. Da er zum weiteren Verfahrensablauf Stellung nehmen und weitere Untersuchungshandlungen beantragen könne, ersuche er um Gewährung einer Fristverlängerung und um Beiordnung eines amtlichen, französischsprachigen Verteidigers aus dem Kanton Bern. Bereits am 30. Oktober 2001, einen Tag vor Erhalt der Mitteilung vom 23. Oktober, hatten sich die Beschwerdeführer ein weiteres Mal nach dem Stand des Verfahrens erkundigt und ausgeführt, sie wollten die Sache nicht einfach so auf sich beruhen lassen. Sie beantragten zudem die Überprüfung aller Konten von B.________ bei der X.________ Bank und baten nochmals darum, auf dem Laufenden gehalten zu werden. 
2.3.2 Die Beschwerdeführer haben in ihrer (Laien-)Strafanzeige vom 23. Juni 2000 anerboten, ihre Vorwürfe zu erläutern, wenn sie vorgeladen würden. Im Lauf der Untersuchungen haben sie sich mehrmals nach dem Stand der Dinge erkundigt und auch Anträge zu Untersuchungshandlungen gestellt. Dadurch haben sie sich zwar nicht explizit als Privatkläger konstituiert, doch brachten sie mit ihrem Verhalten unmissverständlich zum Ausdruck, als Verfahrenspartei Mitwirkungsrechte ausüben zu wollen. 
 
Am 23. Oktober hat der Untersuchungsrichter dem Beschwerdeführer F. A.________ unter der Verfahrensnummer 00/23296 den Schluss der Voruntersuchung gegen B.________ und gegen ihn, F. A.________, mitgeteilt. Aufgrund der Umstände ist davon auszugehen, dass der Untersuchungsrichter die Beschwerdeführer als Partei bzw. als Privatkläger im Verfahren gegen B.________betrachtet hat, ansonsten er keinen Anlass gehabt hätte, ihnen die Mitteilung des Abschlusses der Voruntersuchung und die Möglichkeit zur Stellungnahme zum beabsichtigten Nichteröffnungsbeschluss gegen B.________ zu eröffnen; nach Art. 249 StrV hat diese Mitteilung nur gegenüber den Parteien zu erfolgen, und nur diesen steht es offen, sich zum Untersuchungsergebnis zu äussern und Anträge zu stellen. 
2.3.3 Sollte der Untersuchungsrichter die Beschwerdeführer hingegen nicht als Verfahrenspartei betrachtet haben, wäre er aufgrund der Umstände nach Treu und Glauben verpflichtet gewesen, sich zu vergewissern, ob die Geschädigten sich als Privatkläger konstituieren wollten; die Laien-Eingaben - auch wenn diese möglicherweise mit juristischem Beistand verfasst worden sind - hätten genügend Anlass zum Nachfragen gegeben. Unter diesen Gegebenheiten wäre auch noch die Anklagekammer des Obergerichts der Kantons Bern gehalten gewesen, die allfälligen Zweifel ausräumen zu lassen oder den Parteien die vom mittlerweile beigezogenen Vertreter in der Rekursschrift nachgeholte Konstituierung als Privatkläger zu gewähren (BGE 119 Ia 4 E. 3c, S. 11). Es kommt überspitztem Formalismus und damit einer Verletzung von Art. 29 Abs. 1 BV gleich, den Beschwerdeführern die Stellung als Privatkläger und damit die Legitimation zum Rekurs zu verweigern. Der Beschluss der Anklagekammer ist deshalb in Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde aufzuheben. 
3. 
Gemäss Art. 156 Abs. 2 OG sind keine Gerichtskosten zu erheben. Der Kanton Bern ist in Anwendung von Art. 159 Abs. 2 OG zu verpflichten, den obsiegenden Beschwerdeführern für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung zu bezahlen. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern vom 21. Februar 2002 aufgehoben. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Der Kanton Bern hat die Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland, dem Prokurator 4 der Staatsanwaltschaft III Bern-Mittelland und der Anklagekammer des Obergerichts des Kantons Bern schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 13. Juni 2002 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: