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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
H 140/06 
 
Urteil vom 26. November 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke. 
 
Parteien 
H.________, 1951, Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Lorenz Höchli, Schwertstrasse 1, 5401 Baden, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse des Kantons Aargau, Kyburgerstrasse 15, 5000 Aarau, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 16. Mai 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der 1951 geborene Dr. H.________, Rechtsanwalt, war seit 1. August 1982 der Ausgleichskasse des Kantons Aargau als Selbstständigerwerbender angeschlossen; bis zum 31. Dezember 1999 als Einzelfirma, seit 1. Januar 2000 als Teilhaber einer Kollektivgesellschaft, nachdem sich die Kanzleigemeinschaft, in welcher H.________ tätig war, per 1. Januar 2000 mit einer weiteren Anwaltskanzlei zu einer im Handelsregister eingetragenen Kollektivgesellschaft zusammengeschlossen hatte. 
Mit Verfügung vom 28. April 2004 setzte die Ausgleichskasse die von H.________ für das Jahr 2000 geschuldeten Beiträge auf Fr. 54'501.60 plus Verwaltungskosten von Fr. 1635.-, insgesamt Fr. 56'136.60 fest. Der Beitragsbemessung hatte sie ein Jahreseinkommen von Fr. 569'764.-, anzurechnende AHV/IV/EO-Beiträge von Fr. 14'145.- sowie ein im Betrieb investiertes Eigenkapital von Fr. 291'000.-, ergebend ein beitragspflichtiges Einkommen von Fr. 573'700.-, zu Grunde gelegt. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 10. November 2004 fest. 
B. 
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 16. Mai 2006 ab. 
C. 
H.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde erheben und beantragen, die Beiträge für das Jahr 2000 seien auf Grund der in den Jahren 1997/98 erzielten Einkünfte zu bemessen und das Einkommen entsprechend auf Fr. 274'100.- herabzusetzen. 
Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) verzichten auf eine Vernehmlassung. 
D. 
Am 26. November 2007 hat das Bundesgericht eine parteiöffentliche Beratung durchgeführt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Der strittige Einspracheentscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen und Grundsätze über die Festsetzung der Beiträge Selbstständigerwerbender zutreffend dargelegt. Es betrifft dies insbesondere die Beitrags- und Bemessungsperiode im ordentlichen Verfahren (Art. 9 AHVG, Art. 22 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung), die Voraussetzungen, unter welchen im ausserordentlichen Verfahren ein Neutaxationsgrund im Sinne von Art. 25 Abs. 1 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung angenommen werden kann (BGE 113 V 178 E. 2a, ZAK 1981 S. 256 E. 3c), sowie die Verbindlichkeit des von den Steuerbehörden ermittelten Einkommens und Eigenkapitals (Art. 23 Abs. 1 und 4 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; BGE 121 V 82 E. 2c; AHI 1997 S. 25 E. 2b, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen. 
Zu betonen bleibt, dass nach der Rechtsprechung die Anwendung von alt Art. 25 Abs. 1 AHVV voraussetzt, dass 1. qualitativ die Veränderung des Erwerbseinkommens nicht allein auf "normalen" Einkommensschwankungen, sondern auf einer Änderung der Einkommensgrundlage als solcher beruht; 2. in zeitlicher Hinsicht diese qualitative Veränderung von Dauer ist; 3. quantitativ eine wesentliche Veränderung der Einkommenshöhe vorliegt, was eine Einkommensänderung von mindestens 25 % voraussetzt; 4. ein Kausalzusammenhang zwischen der Veränderung der Einkommensgrundlagen und der Veränderung der Einkommenshöhe besteht (BGE 106 V 76 f. E. 3a; vgl. auch BGE 120 V 162 E. 3c mit Hinweisen, Urteil H 248/02 vom 18. Juni 2003). 
4. 
Streitig und zu prüfen ist, ob die Ausgleichskasse die Beitragsfestsetzung zu Recht im ausserordentlichen Verfahren vorgenommen hat. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, die Voraussetzungen dafür seien nicht gegeben. Weder liege eine einschneidende Änderung der Einkommensgrundlage, noch eine dauerhafte Einkommensänderung vor, nachdem es im Jahr 2000 nur zu einer einzigen ausgeprägten Abweichung vom Durchschnittseinkommen der übrigen Jahre vor- und nachher gekommen sei. Schliesslich bestehe zwischen der Bildung der Kollektivgesellschaft und der einmaligen Änderung der Einkommensgrundlagen kein Kausalzusammenhang. 
4.1 Zur Voraussetzung der Änderung der Einkommensgrundlage als solcher erwog die Vorinstanz, die Rechtsstellung des Beschwerdeführers sei durch die Gründung der Kollektivgesellschaft grundlegend geändert worden. Sie folgerte dies aus der Bindung seiner geschäftlichen Handlungen insbesondere an Vertrag und Zweck der (kaufmännischen) Kollektivgesellschaft, aus dem Auftritt unter einheitlicher Firma mit den übrigen Gesellschaftern, aus der Einzelzeichnungsberechtigung sämtlicher Gesellschafter für die Gesellschaft gemäss Handelsregistereintrag, aus der subsidiären Haftung (Art. 568 Abs. 1 und 2 OR) sowie daraus, dass der Beschwerdeführer an der Geschäftstätigkeit der übrigen Gesellschafter gewinnmässig beteiligt sei und umgekehrt (auch wenn das Ausmass der Beteiligung vom eigenen Umsatz bzw. dessen Verhältnis zum Gesamtumsatz abhänge). 
Soweit der Beschwerdeführer unter Hinweis auf ZAK 1981 S. 256 und ZAK 1992 S. 474 vorbringt, nicht jeder Zusammenschluss von selbstständigerwerbenden Anwälten zu einer Kollektivgesellschaft bedeute eine einschneidende Änderung der Erwerbsgrundlage, ist ihm entgegenzuhalten, dass hier nicht allein die Gründung der Kollektivgesellschaft zu einer qualitativen Änderung in der Einkommensgrundlage führt. Massgebend ist vielmehr, dass sich aus der Gründung und Teilhaberschaft an der Kollektivgesellschaft eine zusätzliche Einkommensquelle, nämlich die Gewinnbeteilung an der Geschäftstätigkeit der übrigen Gesellschafter, ergibt, was gerade nicht mit der Teilung der Unkosten (ZAK 1992 S. 474) gleichgesetzt werden kann. Das kantonale Gericht ist deshalb zu Recht von einer qualitativen Änderung der Einkommensgrundlage ausgegangen. 
4.2 Was sodann die Dauerhaftigkeit dieser Änderung betrifft, kann der Vorinstanz nicht gefolgt werden, soweit sie diesem Kriterium im Zusammenhang mit dem Wechsel zur einjährigen Bemessungsperiode die Massgeblichkeit abspricht. Denn wie der Beschwerdeführer an sich richtig vorbringt, zielt das Erfordernis der Dauerhaftigkeit darauf ab, dass ordentliche Beitragsfestsetzungen die Regel bilden und das ausserordentliche Verfahren nur ausnahmsweise zur Anwendung gelangt; entgegen der Auffassung der Vorinstanz richtet sich die Frage der Dauerhaftigkeit nicht danach, ob bestimmte Einkommensänderungen auch noch in späteren Beitragsfestsetzungen berücksichtigt werden können. 
Andererseits übersieht der Beschwerdeführer mit seinem Einwand, die Einkünfte im Jahr 2000 stellten zwar eine betragsmässig grosse, jedoch bezüglich Häufigkeit einmalige Abweichung dar, dass die Frage der Dauerhaftigkeit nur die qualitative Veränderung betrifft (Urteil H 248/02 vom 18. Juni 2003, E. 3.2.1), hier also die Gründung der Kollektivgesellschaft mit der damit einhergehenden Gewinnbeteiligung, welche sehr wohl als dauerhaft zu betrachten ist. Dass auch die quantitative Einkommensänderung von mindestens 25 % (siehe nachfolgend E. 4.3) von Dauer ist, ist nicht gefordert. 
4.3 Dass im Jahr 2000 bei einem Einkommen von Fr. 583'909.- eine quantitative Einkommensveränderung von über 25 % gegenüber dem Vorjahr (1999: Einkommen Fr. 223'080.-; vgl. auch 1998: Fr. 274'162.-, 1997: Fr. 274'133.-) eingetreten ist, lässt sich nicht in Abrede stellen. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. Insbesondere spielt es keine Rolle, wenn die vorangehenden Geschäftsjahre 1997-1999 unter dem langjährigen Durchschnitt lagen. 
4.4 Schliesslich ist auch die Bejahung des Kausalzusammenhanges zwischen der Grundlagenänderung und der Einkommensveränderung durch Ausgleichskasse und Vorinstanz nicht zu beanstanden: Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt hat (vgl. E. 2 hievor), meldete die Steuerverwaltung ein Einkommen aus der Einzelfirma von Fr. 300'558.- sowie ein Einkommen aus der Kollektivgesellschaft von Fr. 263'128.-. 
Zusammenfassend ist deshalb die Beitragsfestsetzung im Rahmen des ausserordentlichen Verfahrens gemäss Art. 25 Abs. 1 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung nicht zu beanstanden. 
5. 
Nicht mehr beanstandet wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, dass die Ausgleichskasse bei der Beitragsfestsetzung den am 1. April 2000 für den Einkauf von fehlenden Beitragsjahren der beruflichen Vorsorge geleisteten Betrag von Fr. 64'000.- nicht einkommensmindernd berücksichtigt hat. Die Vorinstanz hat dies bestätigt mit der Begründung, ein Abzug persönlicher Einkaufssummen Selbstständigerwerbender im Rahmen der freiwilligen beruflichen Vorsorge sei nur in der Höhe des "üblichen Arbeitgeberanteils" gestattet. 
Das Bundesgericht hat jedoch in BGE 133 V 563 E. 2.4 S. 566 entschieden, dass vom rohen Einkommen bei Selbstständigerwerbenden nicht nur die aufgrund einer normativen Verpflichtung geleisteten, sondern auch die freiwillig erbrachten, von den Statuten oder vom Reglement der Vorsorgeeinrichtung bloss ermöglichten Einlagen in die berufliche Vorsorge abgezogen werden können. Nachdem es sich um eine Abgabestreitigkeit handelt und deshalb gestützt auf Art. 114 Abs. 1 OG keine Bindung an die Parteianträge besteht, ist die Abzugsfähigkeit der zur Schliessung von Beitragslücken in der beruflichen Vorsorge freiwillig geleisteten Einmaleinlage auch ohne erneuten Antrag des Beschwerdeführers von Amtes wegen zu berücksichtigen, und es sind die im Jahr 2000 geleisteten Einkaufseinlagen von Fr. 64'000.- zur Hälfte vom Einkommen abzuziehen. Die Ausgleichskasse wird die Beiträge entsprechend neu festsetzen. 
6. 
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Dreivierteln zu Lasten des Beschwerdeführers und zu einem Viertel zu Lasten der Beschwerdegegnerin (Art. 134 OG e contrario; Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG), welche dem Versicherten eine reduzierte Parteientschädigung zu bezahlen hat (Art. 159 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne teilweise gutgeheissen, dass der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 16. Mai 2006 und der Einspracheentscheid der Ausgleichskasse des Kantons Aargau vom 10. November 2004 aufgehoben werden. Die Sache wird an die Ausgleichskasse zurückgewiesen, damit sie die Beiträge für das Jahr 2000 im Sinne der Erwägungen neu festsetze. 
2. 
Von den Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden dem Beschwerdeführer Fr. 3000.- und der Beschwerdegegnerin Fr. 1000.- auferlegt. 
3. 
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1000.- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 26. November 2007 
 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
 
Meyer i.V. Widmer