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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_717/2021  
 
 
Urteil vom 21. Dezember 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Abrecht, 
Gerichtsschreiberin Berger Götz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch AXA-ARAG Rechtsschutz AG, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
VAUDOISE ALLGEMEINE, Versicherungs-Gesellschaft AG, Place de Milan, 1007 Lausanne, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Erlass), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 8. September 2021 (UV.2020.00111). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Der 1973 geborene A.________ war vom 1. Dezember 2009 bis 30. September 2013 als Servicemitarbeiter für die B.________ GmbH tätig und in dieser Eigenschaft bei der Vaudoise Allgemeine, Versicherungs-Gesellschaft AG (nachfolgend: Vaudoise) gegen die Folgen von Unfällen und Berufskrankheiten versichert. Am 1. Mai 2010 rutschte er beim Laufen aus und brach sich den kleinen Finger der rechten Hand. Die Vaudoise stellte ihre zunächst erbrachten Versicherungsleistungen per 13. April 2011 wieder ein. Auf Beschwerde hin erkannte das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, dass A.________ einerseits bis 25. Februar 2013 Anspruch auf die Übernahme der Heilbehandlungskosten und auf Taggeldleistungen sowie andererseits auf eine Integritätsentschädigung, basierend auf einer Integritätseinbusse von 15 %, habe (Entscheid vom 19. August 2016). In der Folge zahlte die Vaudoise A.________ am 23. Mai 2017 rückwirkend für den Zeitraum vom 1. November 2011 bis 25. Februar 2013 Taggelder in der Höhe von Fr. 49'700.70 aus. Mit Verfügung vom 3. Januar 2018 forderte sie diese Summe wieder von ihm zurück mit der Begründung, die B.________ GmbH als Arbeitgeberin des A.________ habe im benannten Zeitraum bereits Taggelder in derselben Höhe aus der Kollektiv-Krankentaggeldversicherung bei der Vaudoise erhalten. In teilweiser Gutheissung der von A.________ geführten Einsprache reduzierte sie die Rückforderung auf Fr. 48'260.10 (Einspracheentscheid vom 27. März 2018). Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich (Urteil vom 25. Februar 2019) und das Bundesgericht (Urteil 8C_241/2019 vom 8. Juli 2019) bestätigten die Rechtmässigkeit der Rückforderung in dieser Höhe je auf Beschwerde des A.________ hin.  
 
A.b. In der Folge setzte die Vaudoise Frist bis Ende Juli 2019 zur Überweisung des Betrags von Fr. 48'260.10 (Schreiben vom 16. Juli 2019). Am 13. August 2019 stellte A.________ ein Gesuch um Erlass der Rückforderung. Die Vaudoise lehnte das Begehren ab mit der Begründung, A.________ habe der gute Glaube gefehlt (Verfügung vom 18. Februar 2020). Daran hielt sie auf Einsprache hin fest (Einspracheentscheid vom 8. April 2020).  
 
B.  
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die gegen den Einspracheentscheid vom 8. April 2020 erhobene Beschwerde ab (Urteil vom 8. September 2021). 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, in Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils vom 8. September 2021 sei das Erlassgesuch zu bewilligen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (zum Ganzen: BGE 145 V 57 E. 4).  
 
1.2. Im Verfahren um den Erlass der Rückerstattung zu Unrecht bezogener Leistungen geht es nicht um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen (BGE 122 V 221 E. 2; MARKUS SCHOTT, in: Basler Kommentar, Bundesgerichtsgesetz, 3. Aufl. 2018, N. 32 zu Art. 97 BGG). Die Ausnahmeregelung des Art. 105 Abs. 3 (in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2) BGG kommt demnach nicht zur Anwendung. Soweit die Beurteilung von Sachverhaltsfeststellungen abhängt, gilt daher die eingeschränkte Kognition (Art. 97 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 140 V 130 E. 2.1; 135 V 412; Urteil 8C_651/2019 vom 5. Dezember 2019 E. 1.2).  
 
2.  
Streitig ist, ob die vorinstanzlich bestätigte Ablehnung des Erlasses der Rückerstattung in der Höhe von Fr. 48'260.10 an die Vaudoise Bundesrecht verletzt. 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 25 Abs. 1 Satz 2 ATSG muss, wer Leistungen in gutem Glauben empfangen hat, sie nicht zurückerstatten, wenn eine grosse Härte vorliegt. Der gute Glaube als Erlassvoraussetzung ist nicht schon mit der Unkenntnis des Rechtsmangels gegeben. Der Leistungsempfänger darf sich vielmehr nicht nur keiner böswilligen Absicht, sondern auch keiner groben Nachlässigkeit schuldig gemacht haben. Der gute Glaube entfällt somit einerseits von vornherein, wenn die zu Unrecht erfolgte Leistungsausrichtung auf eine arglistige oder grobfahrlässige Melde- oder Auskunftspflichtverletzung zurückzuführen ist. Andererseits kann sich die rückerstattungspflichtige Person auf den guten Glauben berufen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten nur leicht fahrlässig war. Wie in anderen Bereichen beurteilt sich das Mass der erforderlichen Sorgfalt nach einem objektiven Massstab, wobei aber das den Betroffenen in ihrer Subjektivität Mögliche und Zumutbare (Urteilsfähigkeit, Gesundheitszustand, Bildungsgrad usw.) nicht ausgeblendet werden darf (BGE 138 V 218 E. 4 mit Hinweisen; Urteil 8C_399/2021 vom 5. Oktober 2021 E. 2.2).  
 
3.2. Mit Bezug auf die Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts ist zu unterscheiden zwischen dem guten Glauben als fehlendem Unrechtsbewusstsein und der Frage, ob sich jemand unter den gegebenen Umständen auf den guten Glauben berufen kann oder ob er bei zumutbarer Aufmerksamkeit den bestehenden Rechtsmangel hätte erkennen sollen. Die Frage nach dem Unrechtsbewusstsein gehört zum inneren Tatbestand und wird daher als Tatfrage nach Massgabe von Art. 105 Abs. 1 BGG von der Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich beurteilt. Demgegenüber gilt die Frage nach der gebotenen Aufmerksamkeit als frei überprüfbare Rechtsfrage, soweit es darum geht, festzustellen, ob sich jemand angesichts der jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse auf den guten Glauben berufen kann (BGE 122 V 221 E. 3; Urteil 8C_399/2021 vom 5. Oktober 2021 E. 2.2).  
 
4.  
Im angefochtenen Urteil wird festgestellt, der Beschwerdeführer habe die Nachzahlung der Taggelder für die Zeitperiode vom 1. November 2011 bis 25. Februar 2013 auf sein Konto gewollt, obwohl er hätte wissen müssen, dass er im fraglichen Zeitraum von seiner ehemaligen Arbeitgeberin bereits Taggelder erhalten habe. Sowohl die Auszüge aus seinem Lohnkonto sowie unter anderem der Lohnausweis 2013 würden diese Vergütungen belegen. Mit diesem Wissen habe er nicht in guten Treuen davon ausgehen können, dass er für denselben Zeitraum noch einmal Anspruch auf Taggelder habe. Auch einem juristischen Laien sollte klar sein, dass Taggelder nicht doppelt ausbezahlt würden, bzw. dass Taggeldzahlungen durch Sozialversicherungen nicht zu einer massiven finanziellen Besserstellung führen könnten. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei somit zumindest grobfahrlässig, wenn nicht gar arglistig gewesen. Deshalb sei die Erlassvoraussetzung des guten Glaubens nicht erfüllt. Bei Verneinung des guten Glaubens erübrige es sich, die kumulative Voraussetzung der grossen Härte zu prüfen. 
 
5.  
 
5.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, das kantonale Gericht habe den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt, soweit es annehme, die Beschwerdegegnerin, bzw. eine ihrer Mitarbeiterinnen, hätte sich anlässlich eines Telefongesprächs mit ihm vom 18. Mai 2017 davon überzeugen lassen, die Taggelder auf sein Konto auszubezahlen. Die Vorinstanz halte nämlich ausdrücklich fest, es sei nicht aktenkundig, was die Parteien anlässlich dieses Telefongesprächs miteinander besprochen hätten. Wenn sie gleichzeitig behaupte, die Beschwerdegegnerin habe sich überzeugen lassen, obwohl sie Zweifel an der Rechtmässigkeit der direkten Auszahlung an den Beschwerdeführer gehabt habe, so sei diese Schlussfolgerung widersprüchlich. Zudem habe die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer persönlich und per E-Mail im Sinne von Art. 27 ATSG "beraten", indem sie einen Auszahlungsentscheid gefällt habe. Damit geniesse er Vertrauensschutz.  
 
5.2. Wie bereits im Verfahren betreffend Rückerstattung (Urteil 8C_241/2019 vom 8. Juli 2019) blendet der Beschwerdeführer bei seiner Argumentation ein weiteres Mal aus, dass die Beschwerdegegnerin bei der Nachzahlung der Taggelder einem Irrtum erlegen war. Sie wusste in jenem Moment nicht, dass die Krankentaggeldversicherung seiner ehemaligen Arbeitgeberin bereits für die gleiche Zeit Krankentaggelder überwiesen und Letztere dem Beschwerdeführer trotz Arbeitsunfähigkeit den Lohn weiter ausbezahlt hatte. In diesem Sinne wurde er mit der Nachzahlung der Taggelder der Unfallversicherung für seinen Arbeitsausfall doppelt entschädigt (Urteil 8C_241/2019 vom 8. Juli 2019 E. 5.2.2). Im Rahmen der Prüfung des guten Glaubens des Beschwerdeführers ist somit nicht massgebend, ob sich die Beschwerdegegnerin anlässlich des Telefongesprächs überzeugen liess, die Nachzahlung direkt dem Beschwerdeführer (anstelle der ehemaligen Arbeitgeberin) zukommen zu lassen. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass ihr in jenem Moment die doppelte Abgeltung des Lohnausfalls gerade nicht bewusst war. Auf die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang erhobene Rüge der fehlerhaften vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung muss mangels Relevanz nicht weiter eingegangen werden. Wie schon die Vorinstanz zutreffend äusserte, war nicht das Ansinnen (oder die Überzeugung) der Sachbearbeiterin der Beschwerdegegnerin bezüglich der direkten Überweisung an den Beschwerdeführer, sondern das Verhalten des Beschwerdeführers aufgrund der zweifachen Entschädigung seines Lohnausfalls zu beurteilen. Sein Einwand, er sei durch die Beschwerdegegnerin falsch beraten worden (Überweisung der Nachzahlung direkt auf sein Konto), und seine Berufung auf den Vertrauensschutz gehen klar fehl.  
 
Entscheidend ist, dass der Beschwerdeführer sich damals bei der gebotenen Aufmerksamkeit die Frage hätte stellen (und bejahen) müssen, ob er für die besagte Zeit nicht schon von seiner Arbeitgeberin entschädigt worden sei. Dadurch wäre es erst gar nicht zur unrechtmässigen Nachzahlung der Unfallversicherung für denselben Zeitraum gekommen. Die vorinstanzliche Bejahung seines diesbezüglichen Unrechtsbewusstseins ist für das Bundesgericht verbindlich (vgl. E. 3.2 hiervor). Die Behauptung des Beschwerdeführers, er sei in dieser Zeit nicht vertreten gewesen, ist schon deshalb nicht zielführend, weil er - allenfalls nach zumutbarer Konsultation seiner Unterlagen (Auszüge aus seinem Lohnkonto, Lohnausweis 2013) - den fehlenden Lohnausfall im besagten Zeitraum ohne weiteres selber hätte bemerken können und müssen. 
 
5.3. Die Vorinstanz hat zusammenfassend weder den hier massgeblichen Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt noch Recht verletzt.  
 
6.  
Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 21. Dezember 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Berger Götz