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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
5A_139/2010 
 
Urteil vom 13. Juli 2010 
II. zivilrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichter L. Meyer, Marazzi, 
Gerichtsschreiber Zbinden. 
 
Verfahrensbeteiligte 
B.________ (Ehefrau), 
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Lind, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
K.________ (Ehemann), 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Munz, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Abänderung eines Eheschutzurteils, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, vom 11. Januar 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Durch Eheschutzentscheid vom 29. November 2005 verpflichtete das Gerichtspräsidium X.________ K.________ (Ehemann) zu Unterhaltsleistungen an B.________ (Ehefrau) und an die gemeinsamen Söhne der Parteien. B.________ stellte am 27. November 2008 beim gleichen Gerichtspräsidium ein Begehren um Abänderung der Eheschutzmassnahmen im Sinne einer Erhöhung der Unterhaltsbeiträge. Am 5. Dezember 2008 reichte K.________ beim Gerichtspräsidium Z.________ Scheidungsklage ein. Mit Entscheid vom 23. Juli 2009 hiess der Gerichtspräsident von X.________ das Begehren von B.________ um Abänderung der Eheschutzmassnahmen teilweise gut und legte neue, höhere Unterhaltsbeiträge fest. 
 
B. 
Gegen den letztgenannten Entscheid erhob K.________ am 20. August 2009 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, mit dem Hauptbegehren, den Abänderungsentscheid zufolge Unzuständigkeit der erkennenden Instanz aufzuheben. Am 11. Januar 2010 hiess das Obergericht die Beschwerde im Sinn des Hauptantrages gut. 
 
C. 
Gegen den obergerichtlichen Entscheid hat B.________ (nachfolgend: Beschwerdeführerin) mit Eingabe vom 17. Februar 2010 Beschwerde in Zivilsachen, eventuell subsidiäre Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie stellt den Antrag, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zum materiellen Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. K.________ (nachfolgend: Beschwerdegegner) beantragt Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Obergericht des Kantons Aargau hat auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
D. 
Beide Parteien ersuchen um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Angefochten ist ein im Rahmen eines Eheschutzverfahrens im Sinn der Art. 172 ff. ZGB ergangener Entscheid und damit eine Zivilsache im Sinne von Art. 72 Abs. 1 BGG. Der angefochtene Entscheid des Obergerichtes ist kantonal letztinstanzlich (Art. 75 Abs. 1 BGG) und ein Endentscheid im Sinne von Art. 90 BGG (BGE 133 III 393 E. 4). Weil lediglich Unterhaltsbeiträge strittig sind, handelt es sich um eine vermögensrechtliche Angelegenheit, wobei die Streitwertgrenze gemäss Art. 74 Abs. 1 lit. b BGG entgegen der Meinung des Beschwerdegegners erreicht ist (Art. 51 Abs. 4 BGG): Weder sind Mutmassungen über die voraussichtliche Dauer des Scheidungsverfahrens anzustellen, noch kann für die Streitwertberechnung dem Ergebnis des vorliegenden Beschwerdeverfahrens vorgegriffen werden. Auf die rechtzeitig (Art. 100 Abs. 1 BGG) und von der vorinstanzlich unterlegenen und daher beschwerten Partei (Art. 76 Abs. 1 BGG) eingereichte Beschwerde kann insoweit eingetreten werden. 
 
1.2 Angesichts der reformatorischen Natur der neuen Rechtsmittel des BGG darf sich der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht mit einem kassatorischen Begehren um Aufhebung des angefochtenen Entscheides begnügen (BGE 133 III 489 E. 3.1). Da vorliegend die sachliche Zuständigkeit infrage steht, erweist sich der blosse Rückweisungsantrag als zulässig. 
 
1.3 Massnahmen zum Schutze der Ehe gemäss Art. 172 ff. ZGB sind vorsorgliche Massnahmen im Sinne von Art. 98 BGG (BGE 134 III 667 E. 1.1; 133 III 393 E. 5). Mit der Beschwerde gegen Entscheide über vorsorgliche Massnahmen kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, namentlich des Willkürverbotes gemäss Art. 9 BV in der Sachverhaltsfeststellung und der Rechtsanwendung, gerügt werden (Art. 98 BGG). Das Bundesgericht prüft die Verletzung von Grundrechten nur insofern, als eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 133 II 396 E. 3.1 S. 399 mit Hinweisen). 
 
2. 
Umstritten ist vorliegend nur die Zuständigkeit des Gerichtspräsidiums X.________ als Eheschutzrichters, die 2005 getroffenen Eheschutzmassnahmen mit Wirkung über den Zeitpunkt der Anhängigmachung der Scheidungsklage hinaus abzuändern. 
 
2.1 Das Obergericht hat gestützt auf BGE 129 III 60 festgehalten, sei über die Abänderungsbegehren bei Anhängigmachung des Scheidungsprozesses noch nicht rechtskräftig entschieden worden, bleibe das angerufene Eheschutzgericht zur Anordnung von Massnahmen bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage zuständig, während für die Zeit danach das Scheidungsgericht zuständig sei. Im Übrigen sei der Beschwerdeführerin für eine Abänderung der Eheschutzmassnahmen für die gerade nur fünftägige Zeitspanne vom 1. Dezember 2008 bis zur Rechtshängigkeit der Scheidungsklage am 5. Dezember 2008 jegliches Rechtsschutzinteresse abzusprechen. 
 
2.2 Die Beschwerdeführerin hält dem entgegen, Eheschutzmassnahmen blieben so lange in Kraft, wie sie nicht durch vorsorgliche Massnahmen im Sinn von Art. 137 Abs. 2 ZGB abgeändert werden. Dies sei unbestrittenermassen nicht geschehen. Folglich seien die abgeänderten Eheschutzmassnahmen heute noch in Kraft und würden dies auch weiterhin bleiben. Würde man der Vorinstanz folgen, müsste die Ehefrau ihr beim zuständigen Gericht eingereichtes Begehren um Abänderung der Eheschutzmassnahmen zurückziehen und nochmals beim Massnahmerichter nach Art. 137 ZGB einreichen, nachdem der Ehemann das Scheidungsverfahren anhängig gemacht habe. Dies wäre in finanzieller und prozessökonomischer Hinsicht unzumutbar; zudem ginge die Ehefrau ihrer rechtlichen Ansprüche während der Zeitspanne zwischen der Anhängigmachung des Abänderungsverfahrens und der Zuständigkeit des Massnahmerichters verlustig. Aus diesen Gründen müsse der Eheschutzrichter das einmal bei ihm eröffnete Verfahren zu Ende führen, und sein Entscheid müsste weiterhin gelten können, ungeachtet dessen, ob dieser Entscheid vor oder nach Anhängigmachung des Scheidungsverfahrens gefällt worden sei. 
 
2.3 Die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Frage ist höchstrichterlich bereits geklärt: Der von der Vorinstanz zu Recht herangezogene BGE 129 III 60 hält fest, dass die von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung einer uneingeschränkten Fortwirkung des Eheschutzentscheides trotz hängiger Scheidung nur unter den kumulativ zu erfüllenden Bedingungen gilt, dass (1.) der Eheschutzrichter vor Anhängigmachung der Scheidung bereits entschieden hat, und (2.) nach diesem Zeitpunkt kein Massnahmebegehren gestellt wird. Im Übrigen gilt, dass der Eheschutzrichter mit dem Zeitpunkt der Rechtshängigkeit der Scheidungsklage seine Zuständigkeit zum Erlass von Eheschutzmassnahmen verliert; zum selben Zeitpunkt erhält der Scheidungsrichter die Kompetenz zum Erlass von Massnahmen gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB (BGE 129 III 60 E. 2 und 3). 
 
2.4 Die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen diese Rechtsprechung sind nicht stichhaltig. In der vorliegenden Konstellation trifft es entgegen der Beschwerdeführerin nicht zu, dass der eheschutzrichterliche Entscheid weiterhin wirksam gewesen wäre: Dies setzt voraus, dass der nämliche Entscheid vor Rechtshängigkeit der Scheidungsklage gefällt worden wäre (BGE 129 III 60 E. 2 S. 61), was hier eben nicht geschehen ist. Ebenfalls unzutreffend ist die Behauptung der Beschwerdeführerin, wenn der Ehemann das Scheidungsverfahren anhängig gemacht habe, müsse die Ehefrau ihr beim zuständigen Gericht erhobenes Abänderungsbegehren zurückziehen und dieses noch einmal beim Massnahmerichter einreichen. Der Eheschutzrichter bleibt nämlich für die Regelung des Getrenntlebens in der Zeitspanne bis zur Anhängigmachung der Scheidungsklage im Grundsatz zuständig, auch wenn er nach Einreichung der Scheidungsklage entscheidet (BGE 129 III 60 E. 3 S. 62; 101 II 1 S. 2 f.). Der Scheidungsrichter ist seinerseits grundsätzlich nur befugt, Anordnungen für die Zeit nach Anhängigmachung der Scheidungsklage zu treffen: Solche, die vor diesem Zeitpunkt zurückwirken, sind gemäss Art. 137 Abs. 2 letztem Satz ZGB nur bedingt zulässig (BGE 129 III 60 E. 3 S. 63 f.). Wie aus der zitierten Rechtsprechung ersichtlich wird, gehen beide Zuständigkeiten nahtlos ineinander über, ohne dass der ansprechende Ehegatte in der dazwischenliegenden Zeitspanne seiner Ansprüche verlustig ginge. 
 
2.5 Wie gesehen (vorne E. 2.1) wäre der Eheschutzrichter vorliegend lediglich für eine Abänderung der Unterhaltsbeiträge für eine Dauer von fünf Tagen zuständig gewesen. Das Obergericht hat dafürgehalten, für eine Abänderung von so kurzer Dauer fehle der Beschwerdeführerin jegliches Rechtsschutzinteresse. Zu diesem Argument äussert sich die Beschwerdeführerin nicht. Damit hat es bei der obergerichtlichen Annahme sein Bewenden. 
 
2.6 Im Ergebnis erweist sich, dass die Vorinstanz die bundesgerichtliche Rechtsprechung korrekt angewandt hat, weshalb von einer willkürlichen Anwendung von Bundesrecht keine Rede sein kann. 
 
3. 
Die Beschwerde muss folglich abgewiesen werden, soweit auf sie eingetreten werden kann, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zulasten der unterliegenden Beschwerdeführerin (Art. 66 Abs. 1 und 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
4. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren muss abgewiesen werden, hatte ihre Beschwerde doch von vornherein keine ernsthafte Aussicht auf Erfolg (Art. 64 Abs. 1 BGG). Demgegenüber ist dem entsprechenden Gesuch des Beschwerdegegners stattzugeben, soweit es angesichts der vorstehenden Kosten- und Entschädigungsregelung nicht gegenstandslos geworden ist. Dem Beschwerdegegner ist ein amtlicher Rechtsbeistand zu bestellen, dem im Fall der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung ein reduziertes Honorar aus der Bundesgerichtskasse zu entrichten ist (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 122 I 322 E. 3d S. 326 f.). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3. 
Das Gesuch des Beschwerdegegners um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen, soweit es nicht gegenstandslos geworden ist. Dem Beschwerdegegner wird Rechtsanwalt Christian Munz, als amtlicher Rechtsbeistand bestellt. 
 
4. 
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
5. 
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. Im Fall der Uneinbringlichkeit der Parteientschädigung wird Rechtsanwalt Christian Munz ein Honorar von Fr. 700.-- aus der Bundesgerichtskasse entrichtet. 
 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Zivilgericht, 5. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 13. Juli 2010 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Die Präsidentin: Der Gerichtsschreiber: 
 
Hohl Zbinden