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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_606/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. November 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Frésard, Bundesrichterin Heine, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Progrès Versicherungen AG, 
Recht & Compliance, Postfach, 8081 Zürich Helsana, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Aargau, 
Bahnhofplatz 3C, 5000 Aarau, 
Beschwerdegegnerin, 
 
A.________, 
gesetzlich vertreten durch seine Eltern. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (vorinstanzliches Verfahren), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau 
vom 16. August 2017 (VBE.2017.190). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Eltern des 2007 geborenen A.________ meldeten ihren Sohn am 15. März 2016 unter Hinweis auf ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-[Hyperaktivitäts-]Störung) mit Störung des Sozialverhaltens bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Durchführung des Vorbescheidverfahrens, an dem auch die Progrès Versicherungen AG (nachfolgend: Progrès) als obligatorische Krankenpflegeversicherung des A.________ teilnahm, verneinte die Sozialversicherungsanstalt des Kantons Aargau, IV-Stelle, mit Verfügung vom 6. Februar 2017 das Vorliegen eines Geburtsgebrechens (Ziff. 404 des Anhangs zur Verordnung vom 9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen) und einen Anspruch auf medizinische Massnahmen. 
 
B.   
Die dagegen erhobene Beschwerde der Progrès, mit welcher um Rückweisung der Sache zum Erlass einer hinreichend begründeten und überprüfbaren Verfügung ersucht wurde, wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 16. August 2017 ab und auferlegte der Beschwerdeführerin die Verfahrenskosten von    Fr. 400.-. 
 
C.   
Die Progrès führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und stellt den Antrag, in Aufhebung des angefochtenen Entscheides sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei Ziffer 2 des kantonalen Entscheides aufzuheben und die Verfahrenskosten der IV-Stelle aufzuerlegen. 
Es wird kein Schriftenwechsel durchgeführt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Die Feststellung des Sachverhalts kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat. Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
2.   
Streitig ist, ob das kantonale Gericht Bundesrecht verletzte, indem es die Beschwerde mit der Begründung abwies, die IV-Stelle habe das Akteneinsichtsrecht der Progrès in nicht schwerwiegender Weise und ihre Begründungspflicht bezüglich der Abweisung des Leistungsbegehrens überhaupt nicht verletzt. 
 
3.  
 
3.1. Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Altersjahr Anspruch auf die zur Behandlung von Geburtsgebrechen (Art. 3 Abs. 2 ATSG) notwendigen medizinischen Massnahmen (Art. 13 Abs. 1 IVG). Die Geburtsgebrechen sind in der Liste im Anhang zur Verordnung vom   9. Dezember 1985 über Geburtsgebrechen (GgV) aufgeführt (Art. 1 Abs. 2 GgV i.V.m. Art. 13 Abs. 2 IVG).  
Als Geburtsgebrechen im Sinne von Ziff. 404 Anhang GgV gelten Störungen des Verhaltens bei Kindern mit normaler Intelligenz, im Sinne krankhafter Beeinträchtigung der Affektivität oder Kontaktfähigkeit, bei Störungen des Antriebes, des Erfassens, der perzeptiven Funktionen, der Wahrnehmung, der Konzentrationsfähigkeit sowie der Merkfähigkeit, sofern sie mit bereits gestellter Diagnose als solche vor der Vollendung des 9. Altersjahres auch behandelt worden sind. 
Nach ständiger Rechtsprechung handelt es sich bei der objektiven Bedingung "mit bereits gestellter Diagnose als solche vor der Vollendung des 9. Altersjahres auch behandelt" um zwei kumulativ zu erfüllende Anspruchsvoraussetzungen im Sinne von Abgrenzungskriterien, um zu entscheiden, ob die Störung angeboren oder erworben ist. Das Fehlen von wenigstens einem der beiden Merkmale begründet die unwiderlegbare Rechtsvermutung, es liege kein Geburtsgebrechen im Rechtssinne vor. Dabei genügt weder eine vor dem Stichtag festgestellte Behandlungsbedürftigkeit noch die Anmeldung für eine im Sinne von Ziff. 404 Anhang GgV anerkannte Behandlung, um eine solche anzunehmen (BGE 122 V 113 E. 3c/bb und E. 4c S. 122 ff.; Urteil 9C_418/2016 vom 4. November 2016 E. 4 mit weiteren Hinweisen). 
 
3.2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV soll gewährleisten, dass die Behörde die Vorbringen der betroffenen Person hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich die betroffene Person über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinn müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 138 IV 81 E. 2.2 S. 84; 136 I 229   E. 5.2 S. 236 mit Hinweisen). Es genügt dabei, wenn die Begründung implizit erfolgt (BGE 141 V 557 E. 3.2.1 S. 565; vgl. zum Ganzen BGE 142 II 49 E. 9.2 S. 65; 154 E. 4.2 S. 157 sowie die in BGE 142 II 268 nicht veröffentlichte E. 3 des Urteils 2C_1065/2014 vom 26. Mai 2016).  
 
4.   
Die Beschwerdeführerin beantragt in der Sache die Rückweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz. Dabei macht sie in erster Linie eine nicht heilbare Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend, die vor allem dadurch begangen worden sei, dass ihres Erachtens die Abweisungsverfügung der IV-Stelle vom 6. Februar 2017 ungenügend begründet wurde. Das kantonale Gericht sei in willkürlicher Weise zum Schluss gekommen, es liege eine genügend begründete Verfügung vor. Die Progrès wisse noch immer nicht, weshalb das Leistungsbegehren abgelehnt worden sei und inwiefern die Kriterien zur Anerkennung des GG Ziffer 404 nicht erfüllt seien. Eine entsprechende Begründung lasse sich auch den medizinischen Akten nicht entnehmen. 
 
 
5.   
 
5.1. Gemäss Feststellung der Vorinstanz hat Dr. med. B.________, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, in seinem Bericht vom 12. April 2016 betreffend der Frage des Vorliegens eines psycho-organischen Syndroms (POS) die Abteilung Neuropädiatrie/Entwicklungspädiatrie/Neuropsychologie (NP/EP/NP) des Spitals C.________ zitiert, wonach die Kriterien für ein ADHS erfüllt, jene für ein invalidenversicherungsrechtlich relevantes POS jedoch nicht erfüllt seien. Er weist die IV-Stelle darauf hin, dass sich eine detaillierte Beantwortung ihrer Fragen daher erübrige. Dr. med. D.________, Leitende Ärztin der Neuropädiatrie am Spital C.________ habe sich gemäss Schreiben vom 25. Juni 2016 ausserstande gesehen, den detaillierten Fragebogen der Invalidenversicherung betreffend medizinischer Massnahmen bei Geburtsgebrechen auszufüllen, da eine entsprechende Diagnose beim Versicherten gar nie gestellt worden sei.  
 
5.2. In der Verfügung vom 6. Februar 2017 hatte die IV-Stelle die erwähnten Berichte der Dres. med. B.________ und D.________ zitiert. Sie begründete ihre Ablehnung des Leistungsanspruchs also damit, dass die behandelnden Ärzte ausdrücklich, auch auf konkrete Nachfrage hin, keine Diagnose stellten, welche einem Geburtsgebrechen entsprechen würde. Dass das kantonale Gericht ob diesem Umstand zur Erkenntnis gelangte, von einer Verletzung der Begründungspflicht durch die Verwaltung sei nicht auszugehen und die Beschwerdeführerin habe sich ob der Beweggründe und Überlegungen, weshalb das Begehren abgelehnt worden sei, ein Bild machen können, ist daher weder willkürlich noch sonstwie bundesrechtswidrig. Es liegen auch keine weiteren Arztberichte oder Zeugnisse vor, welche denjenigen, die die IV-Stelle in der Verfügung vom 6. Februar 2017 zitierte, widersprechen würden. Es kann von einer verfügenden Behörde bei dieser Sachlage nicht verlangt werden, dass alle Diagnosen, die nicht gestellt werden, aufgelistet und erklärt wird, warum die jeweiligen Diagnosekriterien nicht erfüllt sind. Die IV-Stelle musste keine weiteren Abklärungen treffen, weshalb die behandelnden Ärzte nicht von einem Geburtsgebrechen ausgehen. Darauf weist die Vorinstanz hin, wenn sie ausführt, eine Auseinandersetzung mit den einzelnen Kriterien für das Vorliegen des GG 404 erübrige sich, nachdem es sich hierbei um eine medizinische Frage handle. Das Vorliegen einer POS-Diagnose ist eine der Grundvoraussetzung für die Anerkennung des GG 404 GgV (vgl. Medizinischer Leitfaden zum GG 404, erstmals publiziert im IV-Rundschreiben Nr. 298 vom 14. April 2011 und mit Gültigkeit ab 1. März 2012 übernommen in Anhang 7 zum Kreisschreiben des BSV über die medizinischen Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung [KSME], insbesondere Ziff. 1.3). Gründe, weshalb sie das Vorliegen von GG 404 verneint, hätte die IV-Stelle nur angeben müssen, wenn umstritten gewesen wäre, ob eine entsprechende Diagnose vorliege. Das war aber gerade nicht der Fall.  
 
5.3. Angesichts der dargelegten Sachverhaltsfeststellung des kantonalen Gerichts, wonach die involvierten Ärzte kein POS diagnostizierten, ist auch dessen Schluss, es sei weder dargetan noch ersichtlich, inwiefern die Entscheidung der IV-Stelle in materieller Hinsicht nicht gerechtfertigt sei, nicht zu beanstanden, obwohl diese Frage gar nicht Streitgegenstand war. Das Hauptbegehren der Progrès ist daher abzuweisen.  
 
6.   
Eventualiter beantragt die Beschwerdeführerin, die Verfahrenskosten von Fr. 400.- im vorinstanzlichen Verfahren seien der IV-Stelle aufzuerlegen, da diese den Prozess mutwillig oder zumindest leichtsinnig veranlasst habe. 
Gemäss Feststellung im angefochtenen Entscheid wurden die im Rahmen des Vorbescheidverfahrens eingeholten Berichte der Abteilung NP/EP/NP vom 14. Januar 2015 und vom 10. Juni 2015 der Beschwerdeführerin in der Folge nicht mehr zugestellt. Das Fazit der Untersuchungen sei der Beschwerdeführerin indessen aufgrund der Stellungnahme des Spitals C.________ vom 24 Juni 2016 bereits bekannt gewesen. Zudem wurden die Berichte der Beschwerdeführerin durch die Vorinstanz zugestellt. Sie wurde denn auch ausdrücklich zur allfälligen Stellungnahme aufgefordert. Davon hat sie indessen keinen Gebrauch gemacht. Die Progrès hätte damit nach Vorliegen sämtlicher sie interessierenden Aktenstücke ihre Beschwerde zurückziehen können. Von einer mutwilligen Veranlassung des Prozesses durch die IV-Stelle kann keine Rede sein. Die Beschwerde ist auch diesbezüglich abzuweisen. 
 
7.   
Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Da sich zwei Sozialversicherungsträger gegenüberstehen, gilt hierbei der ordentliche Rahmen nach Art. 65 Abs. 3 BGG, während Art. 65 Abs. 4 lit. a BGG keine Anwendung findet (SVR 2012 UV Nr. 9 S. 32, 8C_503/2011 E. 4). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, A.________, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. November 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schüpfer