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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1P.210/2004 /sta 
 
Urteil vom 13. Juli 2004 
I. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesgerichtspräsident Aemisegger, Präsident, 
Bundesrichter Aeschlimann, Féraud, 
Gerichtsschreiber Pfisterer. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch 
Advokat Dr. Stefan Suter, 
 
gegen 
 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
Art. 9, 29 Abs.1 und 2 BV (Erhebung eines Kostenvorschusses / Nichtbehandlung des Gesuchs um Offizialverteidigung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 1. April 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wurde mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 20. Januar 2004 der versuchten sexuellen Handlungen mit einem Kind und der mehrfachen Pornografie schuldig gesprochen. Dafür wurde er zu 9 Monaten Gefängnis verurteilt, unter Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft von 59 Tagen und teilweise als Zusatzstrafe zu einer Freiheitsstrafe von 26 Monaten Gefängnis gemäss einem Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 13. Mai 2002. In zwei Anklagepunkten wurde er vom Vorwurf der mehrfachen versuchten sexuellen Handlungen mit einem Kind freigesprochen. 
 
X.________ erklärte gegen dieses Urteil am 21. Januar 2004 die Appellation. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt erklärte am 27. Januar 2004 die Appellation. 
B. 
Das Appellationsgericht Basel-Stadt setzte X.________ mit Verfügung vom 9. März 2004 Frist zur Leistung eines Kostenvorschusses von Fr. 800.--, verbunden mit der Androhung, dass die Appellation bei Nichtleistung des Kostenvorschusses dahinfalle. 
 
X.________ teilte mit Schreiben vom 25. März 2004 mit, er befinde sich im Strafvollzug und sei deswegen nicht in der Lage, den verfügten Kostenvorschuss und die Anwaltskosten zu tragen. Er beantrage deshalb, von einem Kostenvorschuss abzusehen und ihm die unentgeltliche Verteidigung zu gewähren. 
 
Das Appellationsgericht Basel-Stadt hielt mit Verfügung vom 1. April 2004 an der Einforderung des Kostenvorschusses fest und verlängerte X.________ die Frist zur Bezahlung bis am 16. April 2004. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kostenvorschuss richte sich nicht nach den finanziellen Möglichkeiten des Appellanten, sondern nach den Prozessaussichten gemäss § 165 der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Stadt vom 8. Januar 1997 (StPO/BS). Da die Gewinnaussichten des eingelegten Rechtsmittels aufgrund der Akten und des ergangenen Urteils als beträchtlich geringer einzustufen seien als die Verlustgefahren, könne die Appellation praktisch als aussichtslos bezeichnet werden. Auf die Erhebung eines Kostenvorschusses könne daher nicht verzichtet werden. 
C. 
X.________ erhebt mit Eingabe vom 8. April 2004 staatsrechtliche Beschwerde gegen die Verfügung des Appellationsgerichts Basel-Stadt und beantragt deren Aufhebung. Sodann sei die Vorinstanz anzuweisen, die unentgeltliche Rechtspflege und die Offizialverteidigung zu bewilligen. Zudem ersucht er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege vor Bundesgericht sowie um Erteilung der aufschiebenden Wirkung der staatsrechtlichen Beschwerde. X.________ macht eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Willkürverbotes sowie eine Rechtsverweigerung geltend. 
 
Das Appellationsgericht Basel-Stadt spricht sich in der Vernehmlassung vom 21. April 2004 für Abweisung der Beschwerde aus, soweit darauf einzutreten sei. In der Stellungnahme zur Vernehmlassung des Appellationsgerichts hält X.________ an seinen Anträgen fest. 
D. 
Das Gesuch um Gewährung der aufschiebenden Wirkung wurde am 26. April 2004 gutgeheissen. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Der angefochtene Entscheid über die Leistung eines Kostenvorschusses im Appellationsverfahren schliesst das Verfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab. Es handelt sich um einen selbständig eröffneten Zwischenentscheid im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG. Dagegen ist die staatsrechtliche Beschwerde zulässig, sofern der Entscheid einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil bewirken kann. Ein nicht wiedergutzumachender Nachteil wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts bei Zwischenentscheiden, welche die unentgeltliche Rechtspflege und Verteidigung verweigern, bejaht (BGE 121 I 321 E. 1 mit Hinweisen). 
1.2 Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich kassatorischer Natur, d.h. sie kann nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen. Bei staatsrechtlichen Beschwerden gegen die Verweigerung der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung gilt keine Ausnahme von der kassatorischen Natur der Beschwerde (vgl. BGE 129 I 129 E. 1.2). Auf die vorliegende Beschwerde ist daher nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer verlangt, das Bundesgericht habe das Appellationsgericht anzuweisen, ihm die unentgeltliche Rechtspflege und die Offizialverteidigung zu gewähren. 
1.3 Das Appellationsgericht hat über das Gesuch um Gewährung der unentgeltlichen Verteidigung noch nicht entschieden. Aus der Verweigerung der Befreiung von der Kostenvorschusspflicht droht dem Beschwerdeführer in Bezug auf die unentgeltliche Verteidigung kein nicht wiedergutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG. Er hat dementsprechend kein schutzwürdiges Interesse daran, diesen Punkt vor dem Ergehen eines entsprechenden selbständig eröffneten Zwischenentscheides im Sinne von Art. 87 Abs. 2 OG oder des Endentscheides in der Sache überprüfen zu lassen. Auf die Beschwerde ist daher nur insoweit einzutreten, als mit ihr die Verweigerung der Befreiung von der Kostenvorschusspflicht gerügt wird. 
1.4 Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass, sodass auf die Beschwerde einzutreten ist. 
2. 
Der Beschwerdeführer wirft dem Appellationsgericht vor, ihn in willkürlicher Verletzung des kantonalen Rechts zur Leistung eines Kostenvorschusses verpflichtet bzw. ihm die unentgeltliche Prozessführung verweigert zu haben. 
2.1 Der Anspruch einer Prozesspartei auf unentgeltliche Rechtspflege beurteilt sich in erster Linie nach den Vorschriften des kantonalen Prozessrechts. Die Auslegung und Anwendung der kantonalen Gesetzesbestimmungen über den Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege prüft das Bundesgericht unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots (BGE 127 I 202 E. 3a mit Hinweisen). 
2.2 Willkür liegt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts nicht schon dann vor, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre. Das Bundesgericht hebt einen kantonalen Entscheid wegen Verletzung des Willkürverbots nur auf, wenn er offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft (BGE 129 I 8 E. 2.1; 128 I 273 E. 2.1; 128 II 259 E. 5 S. 280 f., je mit Hinweisen). 
2.3 Das Appellationsgericht begründet die Verweigerung der Befreiung von der Kostenvorschusspflicht mit den geringen Erfolgschancen der Appellation. Aufgrund der Akten und des ergangenen Urteils seien die Gewinnaussichten des eingelegten Rechtsmittels beträchtlich geringer einzustufen als die Verlustgefahren. Nach der Praxis des Bundesgerichts und auch des Appellationsgerichts könne die Appellation praktisch als aussichtslos bezeichnet werden. 
2.4 Wer ein Rechtsmittel einlegt, kann gemäss § 165 Abs. 1 StPO/BS von der Rechtsmittelinstanz zur Leistung eines Kostenvorschusses verpflichtet werden. Die unvermögende Partei kann auf ihr Gesuch hin von der Vorschusspflicht befreit werden. 
 
Der Beschwerdeführer erklärte am 21. Januar 2004 die Appellation. Nach der Aufforderung des Appellationsgerichts, einen Kostenvorschuss zu leisten, ersuchte er um Befreiung von der Vorschusspflicht. Das Gericht wies sein Gesuch wegen angeblicher Aussichtslosigkeit der Appellation ab. Dieser Entscheid wurde getroffen, bevor der Beschwerdeführer irgendwelche Appellationsanträge gestellt oder die Begründung der Appellation eingereicht hatte. Wie das Gericht ausführte, kam es gestützt auf das angefochtene Urteil und die Akten zum erwähnten Schluss. Es war jedoch aufgrund der ihm vorliegenden Unterlagen gar nicht in der Lage, die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels sachgemäss zu prüfen; es konnte nicht zureichend beurteilen, mit welchen Punkten des Entscheides des Strafgerichts Basel-Stadt der Beschwerdeführer inwiefern nicht einverstanden war (vgl. so schon BGE 129 I 281 E. 4.6 S. 289). Der angefochtene Entscheid erweist sich deshalb als offensichtlich unhaltbar und ist wegen Verletzung des Willkürverbots aufzuheben. 
3. 
Die Beschwerde ist damit gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und der Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 1. April 2004 ist aufzuheben. 
 
Das Appellationsgericht Basel-Stadt hat mehrfach Gesuche um unentgeltliche Prozessführung bzw. Verbeiständung mit dem pauschalen und ungenügend begründeten Hinweis auf die Aussichtslosigkeit der Appellation abgewiesen, dies namentlich noch bevor die Appellationsbegründung vorlag. Dieses Vorgehen gab kürzlich Anlass zu zwei Entscheiden des Bundesgerichts vom 12. Juni 2002 (Urteil 1P.458/2001) bzw. vom 9. September 2003 (Urteil 1P.326/2003, amtlich publiziert in BGE 129 I 281). In beiden Fällen mussten die Beschwerden gutgeheissen werden, soweit darauf eingetreten wurde. Diese beiden Urteile hätten das Appellationsgericht veranlassen sollen, seine höchstrichterlich mehrfach beanstandete Praxis den verfassungsrechtlichen Anforderungen anzupassen. Das Appellationsgericht hat dies jedoch unterlassen. Bei gleicher Ausgangslage wird das Appellationsgericht bzw. der Kanton Basel-Stadt künftig damit rechnen müssen, dass ihm im bundesgerichtlichen Verfahren Kosten auferlegt werden. Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens hat der Kanton Basel-Stadt den obsiegenden Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 OG). 
 
Das Gesuch des Beschwerdeführers, es sei ihm für dieses Verfahren die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu bewilligen, wird damit gegenstandslos. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und die Verfügung des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 1. April 2004 wird aufgehoben. 
2. 
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 13. Juli 2004 
Im Namen der I. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: