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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
8C_622/2018  
 
 
Urteil vom 1. April 2019  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Frésard, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterinnen Heine, Viscione, 
Gerichtsschreiber Grunder. 
 
Verfahrensbeteiligte 
 A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ronald E. Pedergnana, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Thurgau, Rechts- und Einsprachedienst, St. Gallerstrasse 11, 8500 Frauenfeld, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Thurgau vom 27. Juni 2018 (VV.2018.24/E). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ meldete sich am 3. Dezember 2015 wegen permanenter Kopfschmerzen, Schmerzen im oberen Körperbereich (morgens geschwollenes Gesicht), Erschöpfungsgefühlen, Konzentrationsproblemen, Appetitlosigkeit, Schlafproblemen und Antriebslosigkeit (Haushalt machen geht nicht mehr) zum Leistungsbezug bei der Invalidenversicherung an. Die IV-Stelle des Kantons Thurgau klärte den beruflichen und medizinischen Sachverhalt ab. Laut dem auf allgemeininternistischen, psychiatrischen, rheumatologischen, neurologischen und dermatologischen Untersuchungen beruhenden Gutachten der ABI, Ärztliches Begutachtungsinstitut GmbH, Basel, vom 7. Februar 2017 war die Explorandin in leicht bis gelegentlich mittelschwer belastenden, adaptierten Tätigkeiten, so auch in der aktuell durchgeführten vollständig arbeitsfähig. Körperlich schwer, regelmässig mittelschwer belastende und nicht adaptierte Beschäftigungen waren ihr bleibend nicht zumutbar. Nach durchgeführtem Vorbescheidverfahren eröffnete die IV-Stelle der Versicherten mit Verfügung vom 11. Dezember 2017, sie sei weiterhin im bisherigen Beruf als Reinigungskraft uneingeschränkt arbeitsfähig, weshalb kein invalidisierender Gesundheitsschaden bestehe. 
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 27. Juni 2018 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei ihr eine halbe Invalidenrente zu leisten, eventualiter sie die Sache an das kantonale Gericht zur weiteren Abklärung zurückzuweisen. 
 
Das Bundesgericht führt keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
 
2.   
Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdeführerin Anspruch auf eine halbe Invalidenrente hat. Prozessthema bildet dabei in erster Linie die Frage, ob das kantonale Gericht die Arbeitsunfähigkeit gemäss Art. 6 ATSG zutreffend festgestellt hat. Es hat die bei der Beurteilung des Streitgegenstands zu beachtenden Rechtsgrundlagen richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3.  
 
3.1.  
 
3.1.1. Die Vorinstanz hat zunächst erkannt, die Beurteilung der ABI in Bezug auf den somatischen Gesundheitszustand sei nicht streitig. Das Vorbringen der Versicherten, der psychiatrische Sachverständige sei nicht auf das traumatisierende Ereignis von 2007 eingegangen, bei dem sie in der Waschküche des Kinderheimes auf blutige Kleider einer ermordeten Jugendlichen gestossen sei, weshalb eine posttraumatische Belastungsstörung vorliege, überzeuge nicht. Es habe nie eine psychiatrische Behandlung stattgefunden. Gegenüber dem psychiatrischen Sachverständigen habe sie das Ereignis von 2007 nicht erwähnt, vielmehr habe sie die Frage ausdrücklich verneint, an Ängsten oder Phobien zu leiden. Im Übrigen sei die Versicherte offenkundig jahrelang in der Lage gewesen, ohne irgendwelche Einschränkungen einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Daher sei es unglaubwürdig, wenn sie geltend mache, sie könne nicht allein in eine Waschküche gehen, zumal sie in ihrem Haushalt die Wäsche offenbar selbst erledige. Unter diesen Umständen vermöchten die Vorbringen der Versicherten das psychiatrische Teilgutachten nicht zu entkräften.  
 
3.1.2. Weiter hat sich das kantonale Gericht mit dem Einwand der Versicherten beschäftigt, seit den im Herbst 2017 miterlebten Waldbränden in Portugal, von welchen auch das Haus der Familie betroffen gewesen sei, sei sie erneut traumatisiert worden, weshalb von einer erheblichen Verschlechterung des psychischen Gesundheitszustands auszugehen sei. Die Vorinstanz hat unter anderem gestützt auf die in Übereinstimmung mit den Akten stehenden Auskünfte des Regionalen Ärztlichen Dienstes (RAD) vom 26. Februar 2018 erwogen, dass jedenfalls bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Verfügung vom 11. Dezember 2017 keine Traumafolgestörung wegen der miterlebten Waldbrände diagnostiziert worden sei und die Versicherte auch keine Psychotherapie aufgenommen habe. Somit sei davon auszugehen, dass sich der psychische Gesundheitszustand, wie er sich anlässlich der Begutachtung bei der ABI präsentiert habe, nicht wesentlich verschlechtert habe. Von weiteren Abklärungen sei daher abzusehen.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin wiederholt im Wesentlichen die im kantonalen Verfahren geltend gemachten Rügen. Insbesondere wird aus ihren Vorbringen nicht ersichtlich, inwiefern die Vorinstanz den Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 61 lit. c ATSG verletzt haben soll. Die Beschwerdeführerin übersieht im Wesentlichen, dass das Sozialversicherungsgericht die Gesetzmässigkeit der angefochtenen Verfügung nach dem Sachverhalt zu beurteilen hat, der zur Zeit des Verfügungserlasses gegeben war. Tatsachen, die jenen Sachverhalt seither verändert haben, sollen im Normalfall Gegenstand einer neuen Verwaltungsverfügung sein (BGE 121 V 362 E. 1b S. 366 mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin macht zwar unter Beilage der Bescheinigung des Spitals B.________, Psychiatrische Dienste, Sprechstunde für Traumafolgestörungen, vom 11. September 2018 geltend, entgegen der Auffassung des kantonalen Gerichts nehme sie wöchentliche Therapietermine seit dem 14. März 2018 wahr. Dieser Einwand betrifft jedoch offensichtlich einen nach Erlass der Verfügung vom 11. Dezember 2017 entstandenen Sachverhalt. Daher kann offen bleiben, ob die erwähnte Bescheinigung ein unzulässiges Beweismittel im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG darstellt.  
 
4.  
 
4.1. Das kantonale Gericht hat weiter erwogen, gemäss Gutachten der ABI vom 7. Februar 2017 sei die Versicherte in leichten bis intermittierend mittelschweren adaptierten Tätigkeiten (wechselbelastend; ohne Einnahme von Zwangspositionen; ohne repetitive Überkopfbewegungen; ohne Heben, Stossen und Ziehen von Lasten über 10 bis 15 kg zur Taille und oberhalb von 5 bis 10 kg; keine Tätigkeiten mit sensibilisierenden Stoffen und Feuchtarbeiten beziehungsweise nur mit Schutzhandschuhen) zu 100 % arbeits- und leistungsfähig. Dies treffe auch auf die aktuell durchgeführte Arbeit zu. Übliche Reinigungstätigkeiten, welche die Versicherte anamnestisch schon seit längerem nicht mehr ausübe, wären je nach Belastungsprofil in unterschiedlichem quantitativen Ausmass zumutbar. Für eine durchschnittliche Reinigungsarbeit, unter Anwendung von Schutzhandschuhen, sei arbiträr von einer Arbeitsfähigkeit von 50 % auszugehen.  
 
Sodann hat die Vorinstanz festgestellt, unbestrittenermassen sei die Versicherte im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung in einem Pensum von 30 % bei der C.________ AG, als Reinigungskraft tätig gewesen, sodass diesbezüglich von einer uneingeschränkten Arbeitsfähigkeit auszugehen sei. Im Kinderhuus D.________, sei sie im Umfang von 29.4 Stunden pro Woche, mithin in einem Pensum von 70 % beschäftigt gewesen, wobei ihr Pflichtenheft aus Reinigungsarbeiten (oft), Gartenarbeiten (selten) sowie Kochen (manchmal) bestanden habe. Angesichts des im Gutachten der ABI angegebenen Zumutbarkeitsprofils sei entgegen der Auffassung der medizinischen Sachverständigen fraglich, dass die Versicherte in der Tätigkeit beim Kinderhuus D.________ nicht eingeschränkt gewesen sein soll. Allerdings sei anzunehmen, dass es ihr zumutbar gewesen sei, eine adaptierte Beschäftigung zu einem Pensum von 70 % aufzunehmen. Gestützt auf die Schweizerische Lohnstrukturerhebung (LSE) 2014 des Bundesamtes für Statistik (Tabelle TA1, Total, Kompetenzniveau 1, Frauen) sei bezogen auf das Jahr 2016 (frühestmöglicher Rentenbeginn) ein Invalideneinkommen von Fr. 38'162.- zu ermitteln. Verglichen mit dem beim Kinderhuus D.________ ehemals erzielten Verdienst (Fr. 43'496.-) ergebe sich ein Invaliditätsgrad von gerundet 12 %, der keinen Anspruch auf eine Invalidenrente begründe. 
 
4.2.  
 
4.2.1. Die Beschwerdeführerin macht zu Recht geltend, die Vorinstanz habe bei der Festlegung des hypothetischen Valideneinkommens nicht berücksichtigt, dass sie vor Eintritt des Gesundheitsschadens neben dem beim Kinderhuus D.________ ehemals erzielten Verdienst (Fr. 43'496.-) auch bei der C.________ AG einen Lohn im Umfang von ungefähr Fr. 12'000.- erzielt habe. In diesem Punkt hat das kantonale Gericht den Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt. Bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades gemäss Art. 16 ATSG ist daher von einem Validenlohn von Fr. 55'496.- auszugehen.  
 
4.2.2.  
 
4.2.2.1. Allerdings hat das kantonale Gericht entgegen den Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht abweichend vom Gutachten der ABI eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit für Erwerbstätigkeiten angenommen, die den körperlichen Beeinträchtigungen angepasst waren. Vielmehr ergibt sich aus den hievor zitierten Erwägungen des angefochtenen Entscheids in Übereinstimmung mit dem Gutachten der ABI klar, dass der Versicherten die bei Erlass der Verfügung vom 11. Dezember 2017 im zeitlichen Umfang von 30 % ausgeübte Tätigkeit als Reinigungskraft bei der C.________ AG weiterhin zumutbar war. Fraglich ist nur gewesen, ob dies auch für die vor Eintritt des Gesundheitsschaden zusätzlich zu einem Pensum von 70 % ausgeübte Arbeitstätigkeit beim Kinderhuus D.________ gegolten habe. Die Beurteilung dieser Frage hat das kantonale Gericht letztlich offen gelassen, da die Versicherte gemäss Gutachten der ABI jedenfalls in einer den körperlichen Einschränkungen angepassten Arbeitstätigkeit in zeitlicher Hinsicht vollständig arbeitsfähig gewesen war. Unter diesen Umständen ist nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes von der medizinischen Beurteilung des Gesundheitsschadens und der Arbeitsfähigkeit vom Gutachten der ABI abgewichen ist.  
 
4.2.2.2. Nach dem Gesagten ist weiter das Vorbringen der Beschwerdeführerin zu prüfen, die Vorinstanz habe in Verletzung von Bundesrecht keinen Abzug gemäss BGE 126 V 75 von dem von ihr anhand statistischer Löhne festgestelltem hypothetischem Invalideneinkommen gewährt. Dazu ist festzuhalten, dass der vom kantonalen Gericht ermittelte Invalidenlohn von Fr. 38'162.- auf der offensichtlich unrichtigen Annahme beruht hat, die Beschwerdeführerin vermöchte nur zu 70 % erwerbstätig zu sein (vgl. E. 4.1 Abs. 2 in Verbindung mit E. 4.2.2.1 hievor), weshalb dieser Betrag auf ein Pensum von 100 % hochzurechnen ist (Fr. 38'162 x 10 : 7 = 54'517.10). Wenn davon der höchstmögliche Abzug gemäss BGE 126 V 75 von 25 % gewährt werden würde, ergäbe sich ein hypothetisches Invalideneinkommen von Fr. 40'887.90, was verglichen mit dem Validenlohn von Fr. 55'496.- zu einem Invaliditätsgrad von 26.60 % und damit zu keinem den Schwellenwert von 40 % erreichenden und damit rentenbegründenden Invaliditätsgrad führte. Die Beschwerde ist in allen Teilen abzuweisen.  
 
5.   
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin als unterliegender Partei auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. April 2019 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Frésard 
 
Der Gerichtsschreiber: Grunder