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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2P.282/2005 /vje 
 
Urteil vom 25. November 2005 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, 
Gerichtsschreiber Feller. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Gemeinderat F.________, 
Regierungsrat des Kantons Aargau, 
Staatskanzlei, 5000 Aarau, 
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 
3. Kammer, Obere Vorstadt 40, 5000 Aarau. 
 
Gegenstand 
Art. 5, 8, 9 und 29 BV, Art. 6 EMRK (Hundehaltung), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau, 3. Kammer, vom 18. Mai 2005. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Die in S.________ wohnhafte X.________ hält sich tagsüber im auf dem Gebiet der Gemeinde F.________ gelegenen "A.________hof" auf, wo sie Landwirtschaft betreibt. Sie hat jeweilen ihren Hund M.________ bei sich. Er kann sich frei auf dem Areal des Hofs bewegen und hat ungehinderten Zugang zur daran vorbeiführenden Strasse. 
1.2 Nachdem sich im Dezember 2001 ein Reiter darüber beschwert hatte, dass er bzw. sein Pferd von M.________ attackiert worden sei, untersagte der Gemeinderat F.________ X.________ unter Androhung von Strafe gemäss Art.292 StGB bei Widerhandlung ab sofort das Halten von Hunden auf dem ganzen Gebiet der Gemeinde F.________ und hielt fest, dass ein Gesuch zum Halten von Hunden frühestens nach zwei Jahren und nach entsprechender Hundeausbildung gestellt werden könne. Das Departement des Innern des Kantons Aargau hiess am 22. August 2002 eine gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde teilweise gut und verbot X.________ ab sofort allein noch das Halten und Betreuen des Hundes M.________ auf dem ganzen Gebiet der Gemeinde F.________. 
 
X.________ focht diesen Beschwerdeentscheid beim Regierungsrat des Kantons Aargau an. Im Rahmen der Verfahrensinstruktion wurde einer Tierärztin ein Gutachterauftrag erteilt. Diese untersuchte die Verhaltensweisen von M.________ vorerst in ihrer Tierarztpraxis und erstellte am 3. April 2003 einen vorläufigen Bericht. Am 13. Juni 2003 fand auf dem "A.________hof" eine die bisherige Begutachtung ergänzende Augenscheinverhandlung statt, und die Gutachterin erstattete ihren schriftlichen Abschlussbericht am 14. Juni 2003, welchen sie am 30. Juni 2003 zusätzlich mündlich erläuterte. Am 22. April 2004 hiess der Regierungsrat die Beschwerde im Sinne der Erwägungen teilweise gut und hob das Halte- und Betreuungsverbot für den Hund M.________ auf. Er wies X.________ an, innert zwei Monaten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Entscheides beim "A.________hof" in F.________ einfache - baubewilligungsfreie - bauliche Massnahmen (so etwa eine demontierbare Maschendrahteinzäunung von 1.5 m Höhe) zu veranlassen, die M.________ den freien Zugang vom Hofareal zur öffentlichen Gemeindestrasse oder zum sonstigen Gemeindeareal von F.________ verunmögliche. Ergänzend verpflichtete er X.________, auf ihren Hund beim Anbellen von den "A.________hof" passierenden Menschen und Tieren sowie beim Nachrennen entlang der Absperrung jeweils sofort abmahnend einzuwirken bzw. diesen (M.________) - bei ihrer Abwesenheit oder einer sonstigen Verrichtung - anderswo sicher wegzusperren. Für den Fall der nicht fristgemässen Veranlassung der verlangten baulichen Massnahmen sowie für den Fall der Missachtung der erwähnten Verhaltensanweisungen wurde für M.________ - suspensivbedingt - ein Haltungs- und Betreuungsverbot für das Gebiet der Gemeinde F.________ verhängt. Mit Urteil vom 18. Mai 2005 wies das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau die gegen den regierungsrätlichen Entscheid erhobene Beschwerde ab, nachdem es gleichentags eine Augenscheinverhandlung durchgeführt und dabei seinerseits die Gutachterin sowie eine Vertreterin des Kantonalen Veterinäramtes angehört hatte. 
1.3 Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 30. September 2005 beantragt X.________ dem Bundesgericht, das Urteil des Verwaltungsgerichts aufzuheben. Der Gemeinderat F.________ und der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragen Abweisung der Beschwerde. Das Verwaltungsgericht hat sich zur Rüge der Verletzung der Untersuchungspflicht geäussert, ohne einen Antrag zu stellen. 
1.4 Mit der Ausfällung des vorliegenden Urteils wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
2. 
2.1 Die Beschwerdeführerin rügt nicht, es fehle eine gesetzliche Grundlage dafür, sie zur Errichtung der umstrittenen Einzäunung zu verpflichten. Hingegen macht sie geltend, diese Massnahme sei bei Berücksichtigung der wahren tatsächlichen Verhältnisse unverhältnismässig (Art. 5 Abs. 2 BV). Sie rügt dazu Willkür und fehlende Behandlung nach Treu und Glauben (willkürliche Beweiswürdigung und willkürliche Feststellung von Tatsachen, Art. 9 BV), formelle Rechtsverweigerung (Verweigerung des Anspruchs auf Zugang zur Justiz, indem der massgebende Sachverhalt nicht oder zumindest völlig ungenügend abgeklärt worden sei, Art. 29 Abs. 1 BV), Verweigerung des rechtlichen Gehörs (Verweigerung des Anspruches auf Prüfung des behaupteten Sachverhalts, Art. 29 Abs. 2 BV), Verletzung der Fairness im Verfahren (Verweigerung des Anspruches auf gleiche und gerechte Behandlung, Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 6 Ziff. 1 EMRK) und Verletzung des Prinzips der Waffengleichheit und der Rechtsgleichheit in der Rechtsanwendung (Art. 8 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). 
Zusammengefasst wird dem Verwaltungsgericht vorgeworfen, es habe die vom Hund M.________ ausgehende Beeinträchtigung der Sicherheit des Publikums falsch eingeschätzt, weil es den für die Beurteilung der Verhältnismässigkeit der angeordneten baulichen Massnahmen massgeblichen Sachverhalt unter Missachtung zentraler Verfahrensregeln und in Verletzung der Untersuchungspflicht ermittelt habe. 
2.2 Das Verwaltungsgericht hat, wie zuvor schon der Regierungsrat, bewusst auf Abklärungen darüber verzichtet, ob es konkret zu Zwischenfällen mit dem Hund M.________ gekommen sei. So wurde insbesondere davon abgesehen, Zeugenbefragungen im Zusammenhang mit dem Vorfall vom Dezember 2001 durchzuführen. Das Verwaltungsgericht hielt dazu fest, die Beschwerdeführerin habe bisher sämtliche (insgesamt zehn) aktenkundigen Vorkommnisse (auch mit früheren Hunden) kategorisch in Abrede gestellt; so stehe Aussage gegen Aussage, und auch ein Beweisverfahren könnte nicht ohne weiteres den wahren Sachverhalt erhellen. Regierungsrat und Verwaltungsgericht haben darum angenommen, eine Beurteilung der Situation könne im Wesentlichen gestützt auf das eingeholte Gutachten und damit auf objektiver Grundlage vorgenommen werden. Im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde ist nur zu prüfen, ob die aus dem Gutachten gezogenen Schlüsse vertretbar sind, d.h. vor dem Willkürverbot standhalten. Ob zusätzliche Abklärungen erforderlich gewesen wären, ist eine Frage der antizipierten Beweiswürdigung, welche ebenso nur auf Willkür hin überprüft werden kann. 
2.3 Das Verwaltungsgericht hat berücksichtigt, dass der Hund M.________ nicht bösartig, sondern in Bezug auf Menschen und auf Hunde gut sozialisiert ist. Es hat die positiven Aspekte des Gutachtens hervorgehoben und insbesondere auch anerkannt, dass die Beschwerdeführerin geeignet ist, das Tier zu halten. Gestützt auf das Gutachten sieht das Verwaltungsgericht indessen das zentrale Problem im vorliegenden Fall in der Kombination der örtlichen Verhältnisse beim "A.________hof" und des Revierverhaltens des Hundes begründet. Der Hund betrachtet nicht nur den Hof selber, sondern auch die daran vorbeiführende Strasse sowie auch die jenseits der Strasse liegende Wiese als sein Revier. Er zeigt gegenüber Strassenbenützern, die er als Eindringlinge empfindet, eine "defensive Distanzierungsreaktion", d.h. er versucht sie zu verjagen. Eindeutig als Eindringlinge empfindet er Pferde; im Zusammenhang mit Pferden hält die Gutachterin den Übergang in eine "Treib- und Jagdaggression" für möglich. Im Regelfall nicht vertrieben werden vorübermarschierende Personen oder Personengruppen oder vorbeifahrende Radfahrer, wobei die Gutachterin bei ungewöhnlichem Verhalten von Fussgängern oder Radfahrern (Angstreaktionen) nicht ausschliesst, dass der Hund auch Menschen als nicht "Gewohntes" wahrnehmen könnte. An der Augenscheinverhandlung des Verwaltungsgerichts erläuterte die Gutachterin unter anderem diesen Gesichtspunkt noch zusätzlich (S.12 des Protokolls vom 18. Mai 2005). Das Verwaltungsgericht stellt darauf ab, dass unter den gegebenen Umständen ausser der Gutachterin auch die Vertreterin des Kantonalen Veterinäramtes der Meinung sei, es müsse sichergestellt werden, dass der Hund den öffentlichen Raum nicht als sein Revier nutze; diese Voraussetzung sei zwar erfüllt, wenn der frei herumlaufende Hund ununterbrochen unter der Aufsicht der Beschwerdeführerin stehe; anzunehmen, dass eine Aufsicht dauernd gewährleistet werden könne, sei aber unrealistisch, sei doch eine lückenlose Kontrolle im normalen Tagesablauf nicht denkbar. 
 
Die Beschwerdeführerin hebt hervor, dass von ihrem Hund höchstens eine abstrakte Gefährdung ausgehe, und betont dessen Gutmütigkeit sowie den Umstand, dass sie ihn unbestrittenermassen gut unter Kontrolle habe. Auf die Problematik des Revierverhaltens geht sie nicht näher ein; auch wenn sie das Verhalten des Hundes gegenüber Pferden auf der Nachbarweide beschreibt, hat dies mit der Revierproblematik nichts zu tun. Vor allem aber verkennt sie, wo der Schwerpunkt der Argumentation des Verwaltungsgerichts liegt: Die vom Hund ausgehende Gefährdung ist "nur unter der Voraussetzung, dass er unter Aufsicht des Halters ist" (Gutachten vom 14. Juni 2003, Zusammenfassung, S. 5 unten), als gering einzustufen. Dass der Hund immer dann, wenn er nicht im Haus eingesperrt ist, ununterbrochen unter ihrer Aufsicht sei, macht die Beschwerdeführerin nicht geltend; dies wäre auch wenig plausibel, und es ergibt sich zudem aus dem Augenscheinprotokoll vom 18. Mai 2005, dass es sich nicht so verhält (S. 9). 
 
Das Verwaltungsgericht schliesst gestützt auf ein sorgfältig verfasstes, unter Miteinbezug der Beteiligten zustande gekommenes, ergänztes und zuletzt an der Augenscheinverhandlung vom 18. Mai 2005 nochmals erläutertes Gutachten, der Hund M.________ könne wegen des freien Zugangs zur von ihm als zum eigenen Revier gehörend erachteten Strasse Passanten belästigen bzw. gar gefährden. Dieser Schluss leuchtet ein und ist jedenfalls nachvollziehbar. Damit aber lässt sich dem Verwaltungsgericht nicht vorwerfen, dass es auf die von der Beschwerdeführerin beantragten weiteren Beweismassnahmen (insbesondere bezüglich des Vorfalls vom Dezember 2001) verzichtet hat. Diese wären nicht geeignet gewesen, ein anderes Bild der Gefahrenlage zu vermitteln. Die verfahrensrechtlichen Rügen der Beschwerdeführerin, die der Stossrichtung der Begründung des angefochtenen Entscheids kaum Rechnung tragen, insofern weitgehend ins Leere stossen und den formellen Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. b OG kaum genügen, sind unbegründet. 
2.4 Die Beschwerdeführerin erachtet die ihr auferlegte Pflicht, eine Einzäunung zu errichten, als unverhältnismässig und rügt eine Verletzung von Art. 5 Abs. 2 BV. Das in Art. 5 Abs. 2 BV enthaltene Gebot, dass staatliches Handeln im öffentlichen Interesse liegen muss und verhältnismässig zu sein hat, stellt einen Grundsatz rechtsstaatlichen Handelns dar, welcher nicht selbständig als eigentliches Grundrecht angerufen werden kann (BGE 124 I 40 E. 3e S. 44 f.). Die Rüge der Beschwerdeführerin ist jedoch als Willkürrüge entgegenzunehmen (vgl. Urteil 2P.258/2002 vom 19.März 2004 E.3.3); mit ihren Ausführungen zur Frage der Verhältnismässigkeit macht sie in einer den Anforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit.b OG genügenden Weise geltend, die behördliche Massnahme sei willkürlich. 
 
Aus dem vorstehend Gesagten ergibt sich, dass vom Hund M.________ bei den gegebenen örtlichen Verhältnissen dann eine Gefährdung des Publikums ausgehen kann, wenn er freien und unbeaufsichtigten Zugang zur Strasse hat; ferner ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin solche Situationen nicht zu jedem Zeitpunkt zu verhindern weiss. Grundsätzlich rechtfertigt dies behördliches Eingreifen, wobei entsprechende Massnahmen, um vor dem Willkürverbot standzuhalten, nicht völlig unverhältnismässig und damit unhaltbar sein dürfen. Sie müssen in einem vernünftigen Verhältnis zur Anlass dazu gebenden Situation stehen, zweckgerichtet und massvoll sein und nachvollziehbar erscheinen (vgl. allgemein zum Willkürbegriff BGE 131 I 57 E. 2 S. 61; 129 I 8 E. 2.1 S. 9, je mit weiteren Hinweisen). Wohl handelt es sich bei M.________ nicht um einen aggressiven Hund, und die Wahrscheinlichkeit, dass er eine Gefahr bewirkt, scheint nicht besonders gross; drastische Massnahmen wären nicht gerechtfertigt. Bei der umstrittenen Anordnung, eine Einzäunung zu erstellen, die erstmals vom Regierungsrat angeordnet wurde, nachdem zuvor ein Hundehalteverbot verhängt worden war, handelt es sich nun aber um eine milde Auflage, welcher ohne grossen (finanziellen oder sonstigen) Aufwand Folge geleistet werden kann und welche geeignet erscheint, das Revier von M.________ massvoll, aber wirksam einzuschränken. Dass ein derartiger Zaun die Beschwerdeführerin an der effizienten Erledigung ihrer landwirtschaftlichen Arbeiten hindern würde, vermag sie mit ihren Ausführungen vor Bundesgericht nicht aufzuzeigen. Der von ihr erwähnte Aspekt der Verkehrssicherheit ist schon darum ohne Belang, weil sie in anderem Zusammenhang geltend macht, auf der Strasse vor ihrem Haus finde kaum Verkehr statt. Insgesamt erweist sich das Gebot, eine Einzäunung zu erstellen, als verhältnismässig; es hält jedenfalls vor dem Willkürverbot stand. Ergänzend darf auch berücksichtigt werden, dass die Beschwerdeführerin in Bezug auf allfällige Probleme mit eigenen Hunden emotionell reagiert, sämtliche bisher eingegangenen diesbezüglichen Reklamationen (insgesamt zehn) rundweg ablehnt und überhaupt keine Einsicht dafür zeigt, dass die Gemeinde ein reell bestehendes Problem anzugehen versucht. Diesen Eindruck vermittelte sie zuletzt auch anlässlich des vom Verwaltungsgericht durchgeführten Augenscheins. 
2.5 Genügend konkret äussert sich die Beschwerdeführerin nur zur Einzäunungspflicht. Auf die Verfassungsmässigkeit der flankierenden Massnahmen und der suspensivbedingten Androhung eines Halte- und Betreuungsverbots für M.________ ist nicht einzugehen. 
2.6 Die staatsrechtliche Beschwerde erweist sich damit als unbegründet, und sie ist, soweit darauf eingetreten werden kann, abzuweisen. 
2.7 Entsprechend dem Verfahrensausgang sind die bundesgerichtlichen Kosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art.156 in Verbindung mit Art. 153 und 153a OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt. 
3. 
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Gemeinderat F.________, sowie dem Regierungsrat und dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 25. November 2005 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: