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«AZA 7» 
H 28/00 
H 29/00 Hm/Gb 
 
 
 
II. Kammer 
Präsident Lustenberger, Bundesrichter Meyer und Ferrari; Gerichtsschreiberin Berger 
 
 
Urteil vom 13. Februar 2001 
 
in Sachen 
Z.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Stadelmann, St. Galler-Strasse 99, Gossau/SG, 
 
gegen 
Ostschweizerische AHV-Ausgleichskasse für Handel und Industrie, Lindenstrasse 137, St. Gallen, Beschwerdegegnerin, 
 
 
und 
 
 
R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Stadelmann, St. Galler-Strasse 99, Gossau/SG, 
 
gegen 
Ostschweizerische AHV-Ausgleichskasse für Handel und Industrie, Lindenstrasse 137, St. Gallen, 
 
 
und 
 
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
 
 
A.- Mit Verfügungen vom 21. August 1995 verpflichtete die Ostschweizerische AHV-Ausgleichskasse für Handel und Industrie Z.________, R.________, H.________ und W.________, Verwaltungsräte der am 8. Juni 1994 in Konkurs gefallenen Firma U.________ AG, zur Zahlung von Schadenersatz für paritätische Beiträge, welche die Firma von November 1993 bis April 1994 schuldig geblieben war. Alle vier legten hiegegen Einspruch ein. 
 
B.- Die von der Ausgleichskasse erhobenen Klagen hiess das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheiden vom 29. Oktober 1999 gut, soweit sie sich gegen Z.________, R.________ und H.________ richteten, indem es diese verpflichtete, Schadenersatz in solidarischer Haftbarkeit von Fr. 164'896.75 zu bezahlen. Das Gericht stützte sich dabei unter anderem auf die Einvernahme des G.________ als Zeugen, welcher für die Buchhaltung und später für das Personalwesen in der Firma zuständig gewesen war (Einvernahme-Protokoll vom 29. Juni 1999). Die Klage gegen W.________ hatte das Gericht mit Entscheid vom 26. Februar 1999 abgewiesen. 
 
C.- Z.________ und R.________ führen getrennt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit den gleichlautenden Rechtsbegehren, es seien, unter Aufhebung der kantonalen Gerichtsentscheide, die Schadenersatzklagen abzuweisen, eventuell sei der Schadenersatz nach richterlichem Ermessen herabzusetzen; eventualiter sei die Sache zur Ergänzung des Sachverhaltes "und anschliessender Abweisung der Schadenersatzklage" an das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen zurückzuweisen. 
Die Ausgleichskasse verzichtet jeweils auf eine Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat sich nicht vernehmen lassen. 
Die Beschwerdeführer verzichten darauf, als Mitinteressierte zur Sache des Andern Stellung zu nehmen. 
 
D.- Mit Urteil vom 9. November 2000 ist das Eidgenössische Versicherungsgericht auf die von H.________ erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht eingetreten. 
 
E.- Mit Eingabe vom 31. Dezember 2000 hat sich H.________ als Mitinteressierter zu den Verwaltungsgerichtsbeschwerden von Z.________ und R.________ geäussert. 
 
F.- Auf die kantonalen Gerichtsentscheide und die Rechtsschriften der Verfahrensbeteiligten wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen. 
 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Zu beurteilen sind die Verwaltungsgerichtsbeschwerden von Z.________ (H 28/00) und R.________ (H 29/00) gegen die Entscheide AHV-S 1995/41+43 des sanktgallischen Versicherungsgerichts vom 29. Oktober 1999. In dieser prozessualen Situation und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich, wie nachfolgend zu zeigen sein wird, in beiden Fällen die gleichen entscheidwesentlichen Fragen stellen, sind die verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren zu vereinigen (BGE 119 V 391 Erw. 1). 
 
2.- In materiellrechtlicher Hinsicht hat das kantonale Gericht die zu den Haftungsvoraussetzungen des Art. 52 AHVG gemäss der Rechtsprechung ergangenen Grundsätze zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3.- Das Protokoll über die Sitzung des Verwaltungsrates der Firma U.________ AG vom 28. Oktober 1993, an welcher die Beschwerdeführer als Verwaltungsräte teilnahmen, enthält eine ganze Reihe von Informationen betriebswirtschaftlicher, finanzieller und unternehmerischer Art. Die protokollierten Angaben weisen klar darauf hin, dass sich die Firma U.________ AG damals in einer äusserst schwierigen Situation befand: Unbefriedigendes Verhältnis von Aufwand und Ertrag in der Vergangenheit, Probleme in der Verkaufsorganisation, strukturelle Schwierigkeiten, erwartete, aber ungesicherte Umsatzanteile (auf welchen das diskutierte "Durchhaltebudget" beruhte), Notwendigkeit, das Geschäftsjahr bis 30. Juni 1994 zu verlängern, Unsicherheiten in der Bewertung der laufenden Aufträge, ausstehende Debitoren von rund 1 Mio. Franken usw. 
Die äusserst kritische Lage, in welcher die Firma sich befand, war somit Ende Oktober 1993 objektiv erkennbar. Daraus erwuchs allen Verwaltungsräten, ungeachtet ihrer Stellung und ihres Aufgabenbereichs, die Pflicht, durch Erteilung von Weisungen an die Geschäftsleitung und deren Kontrolle in kurzen Abständen dafür zu sorgen, dass bei fortgesetzten Lohnzahlungen die darauf ex lege geschuldeten paritätischen Beiträge abgeführt würden. Zu diesem Zweck hatten sich die Verwaltungsräte monatlich, d.h. jeweils nach Ablauf einer Beitragszahlungsperiode (Art. 34 AHVV), die entsprechenden Zahlungsbelege von der Buchhaltung vorweisen zu lassen. Im Hinblick auf den Kreditvertrag vom 25./30. November 1993 wäre es sodann unbedingt erforderlich gewesen, die kreditgebende Bank aufzufordern, soweit sie Mittel zur Vornahme der Lohnzahlungen freigab, auch die Beitragsforderungen zu begleichen. 
Es ist eine grobe Verletzung der verwaltungsrätlichen Aufsichts- und Weisungspflichten, dass die Beschwerdeführer nicht ab anfangs November 1993, als die Firma unmittelbar in ihrem Überleben bedroht war, ohne Verzug einschritten, sondern erst aufhorchten, als an der Verwaltungsratssitzung vom 18. Januar 1994 die Liquiditätssituation nach wie vor als sehr angespannt bezeichnet und unter anderem ein Ausstand von 0,264 Mio. Franken gegenüber der Vorsorgeeinrichtung angegeben wurde. Im initialen Fehlverhalten ab November 1993, welches für die nachfolgende Entwicklung, insbesondere das nicht mehr kontrollierbare Anwachsen der Beitragsausstände, schadensbegründend war, liegt der Vorwurf der qualifizierten Sorgfaltspflichtverletzung durch die Beschwerdeführer begründet. Daran vermögen sämtliche Vorbringen in den Verwaltungsgerichtsbeschwerden nichts zu ändern. Namentlich hatte sich das für den Beitragsverlust kausale Fehlverhalten längst ereignet, als die Firma mit Schreiben vom 24. März 1994 um Zahlungsaufschub ersuchte. Von Entschuldigungs- oder Rechtfertigungsgründen kann nicht die Rede sein, setzt doch die Berufung darauf voraus, dass die Firmenverantwortlichen ihren Entscheid, die AHV-Beiträge vorübergehend zurückzubehalten, auf der Grundlage sicherer Kenntnis über die finanzielle Situation der Firma treffen müssen. Das trifft hier nicht zu, wie namentlich die protokollierten Erwartungen über erhoffte Aufträge und die Äusserungen über den Geschäftsverlauf in S.________ und D.________ belegen. 
 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerden werden abgewiesen. 
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden den Beschwer- 
deführern auferlegt. Sie sind durch die geleisteten 
Kostenvorschüsse von je Fr. 6000.- gedeckt; die Dif- 
ferenzbeträge von je Fr. 3000.- werden zurückerstat- 
tet. 
III. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs- 
gericht des Kantons St. Gallen, dem Bundesamt für 
Sozialversicherung und H.________ zugestellt. 
Luzern, 13. Februar 2001 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
 
i.V. 
 
 
Die Gerichtsschreiberin: