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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_19/2023  
 
 
Urteil vom 20. Juli 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Hänni, Ryter, 
Gerichtsschreiberin Wortha. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin Fabienne Edelmann, 
 
gegen  
 
Amt für Migration und Integration des 
Kantons Aargau, Rechtsdienst, 
Bahnhofplatz 3C, 5001 Aarau. 
 
Gegenstand 
Widerruf der Niederlassungsbewilligung und 
Wegweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts 
des Kantons Aargau, 2. Kammer, vom 5. Dezember 2022 (WBE.2022.225). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ (türkischer Staatsangehöriger) wurde 1980 in U.________ geboren. Am 12. März 1990 wurde ihm die Niederlassungsbewilligung erteilt. Er ist ledig und hat keine Kinder.  
 
A.b. Am 18. Januar 2006 ermahnte das Migrationsamt des Kantons Aargau (heute: Amt für Migration und Integration Kanton Aargau, MIKA) A.________, seine finanziellen Verhältnisse in Ordnung zu bringen und seinen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen vollumfänglich nachzukommen. Zu diesem Zeitpunkt waren gegen A.________ vier nicht getilgte Verlustscheine im Umfang von Fr. 1'933.20 registriert, bei zwei offenen Betreibungen ohne Rechtsvorschlag über Fr. 1'660.80 und sechs Forderungen mit laufender Pfändung über Fr. 22'701.80.  
Am 21. Oktober 2009 wurde A.________ unter Androhung des Widerrufs seiner Niederlassungsbewilligung und der Wegweisung aus der Schweiz verwarnt. Gemäss Betreibungsregisterauszug des Betreibungsamts Bad Zurzach vom 12. Dezember 2008 waren zu diesem Zeitpunkt 24 nicht getilgte Verlustscheine im Umfang von Fr. 47'474.25 registriert, bei drei offenen Betreibungen ohne Rechtsvorschlag über Fr. 7'773.20 und zehn Forderungen mit laufender Pfändung über Fr. 31'707.05. 
Mit Verfügung des MIKA vom 29. Juli 2014 wurde A.________ erneut unter Androhung des Widerrufs der Niederlassungsbewilligung und der Wegweisung aus der Schweiz verwarnt. Zu diesem Zeitpunkt waren gemäss Betreibungsregisterauszug des Betreibungsamts Bad Zurzach vom 17. Dezember 2013 53 nicht getilgte Verlustscheine im Umfang von Fr. 150'866.30 registriert, bei zwei offenen Betreibungen ohne Rechtsvorschlag von Fr. 1'178.10 und einer Forderung mit laufender Pfändung über Fr. 1'015.80. 
Am 15. Februar 2021 war A.________ mit 80 nicht getilgten Verlustscheinen im Umfang von Fr. 247'531.10, zwei offenen Betreibungen ohne Rechtsvorschlag über zusammengezählt Fr. 4'968.50 sowie mit sechs Forderungen mit laufender Pfändung im Betrag von ursprünglich Fr. 21'817.80 im Betreibungsregister des Betreibungsamts Bad Zurzach verzeichnet. 
 
B.  
Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs widerrief das MIKA am 23. September 2021 die Niederlassungsbewilligung von A.________ und wies ihn, unter Ansetzung einer 90-tägigen Ausreisefrist, aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen kantonalen Rechtsmittel (Einspracheentscheid des Rechtsdienstes des MIKA vom 10. Mai 2022 sowie Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, des Kantons Aargau vom 5. Dezember 2022) blieben erfolglos. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangt A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) am 12. Januar 2023 an das Bundesgericht und verlangt, das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau vom 5. Dezember 2022 sei aufzuheben und von einem Widerruf der Niederlassungsbewilligung abzusehen, unter Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie der unentgeltlichen Rechtspflege und Verbeiständung. 
Mit Verfügung vom 13. Januar 2023 wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
Das Amt für Migration und Integration des Kantons Aargau sowie das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau verzichten auf eine Vernehmlassung und beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die frist- (Art. 100 Abs. 1 BGG) und formgerecht (Art. 42 BGG) eingereichte Eingabe betrifft eine Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a BGG) und richtet sich gegen den kantonal letztinstanzlichen (Art. 86 Abs. 1 lit. d BGG), verfahrensabschliessenden (Art. 90 BGG) Entscheid eines oberen Gerichts (Art. 86 Abs. 2 BGG). Das Rechtsmittel ist als Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig, da auf die Weitergeltung der Niederlassungsbewilligung grundsätzlich ein Anspruch besteht (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG; BGE 135 II 1 E. 1.2.1; vgl. Urteile 2C_889/2021 vom 24. Februar 2022 E. 1; 2C_628/2021 vom 21. Oktober 2021 E. 1; 2C_852/2020 vom 14. Januar 2021 E. 1). Ob die Voraussetzungen für die Weitergeltung der Niederlassungsbewilligung vorliegen, ist indes nicht Gegenstand der Eintretensfrage, sondern der materiellen Beurteilung (vgl. BGE 139 I 330 E. 1.1; 136 II 177 E. 1.1). Der Beschwerdeführer ist bereits im kantonalen Verfahren als Partei beteiligt gewesen und dort mit seinen Anträgen nicht durchgedrungen. Ausserdem ist er durch den angefochtenen Entscheid in seinen schutzwürdigen Interessen besonders berührt. Er ist somit zur Erhebung des Rechtsmittels legitimiert (Art. 89 Abs. 1 BGG). Auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ist einzutreten. 
 
2.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundes- und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und lit. b BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), wobei es - unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 2 BGG) - grundsätzlich nur die geltend gemachten Vorbringen prüft, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. BGE 142 I 135 E. 1.5; 133 II 249 E. 1.4.1). Der Verletzung von Grundrechten geht das Bundesgericht nur nach, falls eine solche Rüge in der Beschwerde vorgebracht und ausreichend begründet worden ist (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 II 44 E. 1.2; 143 II 283 E. 1.2.2). Diese qualifizierte Rüge- und Begründungsobliegenheit nach Art. 106 Abs. 2 BGG verlangt, dass in der Beschwerde klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids dargelegt wird, inwiefern verfassungsmässige Rechte verletzt worden sein sollen (vgl. BGE 143 I 1 E. 1.4; 133 II 249 E. 1.4.2). Seinem Urteil legt das Bundesgericht den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
3.  
 
3.1. Die Niederlassungsbewilligung kann gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG; SR 142.20) widerrufen werden, wenn die ausländische Person unter anderem in schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet. Art. 77a der Verordnung über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit vom 24. Oktober 2007 (VZAE; SR 142.201) konkretisiert Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG dahingehend, dass ein Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung unter anderem dann vorliegt, wenn gesetzliche Vorschriften und behördliche Verfügungen missachtet werden (lit. a) oder wenn öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Verpflichtungen mutwillig nicht erfüllt werden (lit. b), wobei ein Widerruf der Niederlassungsbewilligung gestützt auf Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG bedingt, dass ein solcher Verstoss "in schwerwiegender Weise" erfolgt ist (BGE 137 II 297 E. 3.2).  
 
3.2. Das Bestehen von Schulden kann dann einen schwerwiegenden Verstoss gegen die öffentliche Ordnung darstellen, wenn die Verschuldung mutwillig erfolgt ist (Urteil 2C_573/2019 vom 14. April 2020 E. 2.1 ff.). Mutwilligkeit im Sinne von Art. 77a Abs. 1 lit. b VZAE liegt vor, wenn die betroffene Person ihre Zahlungspflichten selbstverschuldet nicht erfüllt und ihr dies qualifizierbar vorwerfbar ist. Erforderlich ist ein von Absicht, Böswilligkeit oder zumindest qualifizierter Leichtfertigkeit getragenes Verhalten. Neben der Vorwerbarkeit der Schuldenhäufung ist entscheidend, ob ernstzunehmende Bemühungen ersichtlich sind, bestehende Verpflichtungen abzubauen bzw. mit den Gläubigern zu regeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass, wer einem betreibungsrechtlichen Verwertungsverfahren wie insbesondere der Einkommenspfändung unterliegt, von vornherein keine Möglichkeit hat, ausserhalb des Betreibungsverfahrens Schulden zu tilgen. Das führt in solchen Fällen dazu, dass im Vergleich zu früher weitere Schulden hinzukommen können oder der betriebene Betrag angewachsen sein kann, ohne dass allein deswegen Mutwilligkeit vorliegt. Es kommt deshalb in erster Linie darauf an, welche Anstrengungen zur Sanierung unternommen worden sind (Urteil 2C_81/2018 vom 14. November 2018 E. 3.2.2). Wurde die Person bereits wegen mutwilliger Schuldenwirtschaft ausländerrechtlich verwarnt, ist mit Blick auf die Begründetheit aufenthaltsbeendender Massnahmen von massgeblicher Bedeutung, wie sich die Schuldenlast seither entwickelt und wie sich der Schuldner oder die Schuldnerin seither verhalten hat (Urteil 2C_789/2017 vom 7. März 2018 E. 3.3.2).  
 
3.3. Der Beschwerdeführer hat über viele Jahre hinweg kontinuierlich Verlustscheine gegen sich erwirkt, welche sich im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils auf mehr als Fr. 250'000.-- beliefen. Nachdem bereits die Ermahnung im Jahr 2006 und die erste migrationsrechtliche Verwarnung im Jahr 2009 ohne ersichtliche Auswirkungen auf seinen anhaltenden Schuldenzuwachs geblieben waren, nahmen seine Verlustscheinschulden nach der zweiten migrationsrechtlichen Verwarnung im Jahr 2014 bei Verlustscheinen über Fr. 150'000.-- per Dezember 2013 nochmals um rund Fr. 100'000.-- zu. Weder ist ersichtlich noch wird es vom Beschwerdeführer geltend gemacht, dass es ihm nicht möglich gewesen wäre, von seiner Schuldenwirtschaft abzurücken. Vielmehr ist mit Blick auf die verschiedenen Forderungen sowohl von Seiten der Steuerbehörden, der Strassenverkehrsbehörden, Krankenkassen und Versicherungen als auch von Privatpersonen und Betrieben sowie einem Konsumkreditanbieter darauf zu schliessen, dass der Beschwerdeführer jahrelang über seine Verhältnisse gelebt und damit seinen Lebensstandard auf Kosten Dritter erhöht hat. Der Beschwerdeführer kann auch keine ernsthaften Sanierungsbemühungen nachweisen. So haben sich seine Schulden nach der Einkommenspfändung nicht nur nicht reduziert oder zumindest stabilisiert, sondern sind weiter deutlich angestiegen. Zudem schöpfte er sein Potenzial, ein höheres Einkommen zu erzielen, nur bedingt aus, arbeitete er doch bis im Herbst 2021 nur zu 60 Prozent und erhöhte das Pensum selbst nach dem Widerrufsentscheid nur auf 80 Prozent, wenn auch mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag. Dass vor diesem Hintergrund die Vorinstanz auf eine mutwillige Verschuldung im Sinne von Art. 77a Abs. 1 lit. b VZAE schloss und damit den Widerrufsgrund des schwerwiegenden Verstosses gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung gemäss Art. 63 Abs. 1 lit. b AIG als erfüllt erachtet, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden und wird vom Beschwerdeführer letztlich auch nicht in Frage gestellt.  
 
4.  
Auch wenn ein Widerrufsgrund vorliegt, muss sich der Widerruf der Niederlassungsbewilligung als verhältnismässig erweisen, was der Beschwerdeführer vorliegend bestreitet. 
 
4.1. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist der Widerruf seiner Niederlassungsbewilligung im Lichte von Art. 8 Abs. 2 EMRK sowie Art. 96 AIG nicht verhältnismässig. Er rügt die vorinstanzliche Interessenabwägung und macht geltend, die Vorinstanz würdige die Umstände falsch, die zugunsten seiner privaten Interessen sprächen. Der Widerruf sei nicht erforderlich, da ihm angesichts seiner Bemühungen und der mittlerweile lange zurückliegenden Verwarnungen betreffend Schuldenwirtschaft eine positive Prognose auszustellen sei, mithin das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Massnahme nur gering sei. Der Widerruf sei auch nicht zumutbar. Er lebe seit 42 Jahren in der Schweiz, sei sprachlich, kulturell und beruflich integriert und habe keinen Bezug mehr zur Türkei. Zudem beabsichtige er mit seiner Freundin, mit der er seit 2022 im Konkubinat lebe, eine Familie zu gründen.  
 
4.2. Liegt ein Widerrufsgrund vor, ist zu prüfen, ob die damit verbundene aufenthaltsbeendende Massnahme verhältnismässig ist (vgl. Art. 96 Abs. 1 AIG). Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung tangiert ausserdem den Anspruch des Beschwerdeführers auf Achtung des Privat- und Familienlebens (vgl. Art. 13 Abs. 1 BV; Art. 8 Ziff. 1 EMRK). Die Interessenabwägung im Rahmen von Art. 8 Ziff. 2 EMRK deckt sich mit jener nach Art. 96 AIG (BGE 139 I 31 E. 2.3.2; Urteil 2C_580/2020 vom 3. Dezember 2020 E. 5.1).  
 
4.2.1. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sind im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung bei aufenthaltsbeendenden Massnahmen im Sinne einer Gesamtwürdigung auch bei Ausländern der zweiten Generation insbesondere das Verschulden, die Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz, der Grad der Integration sowie die der betroffenen Person und ihrer Familie mit der Massnahme drohenden Nachteile zu berücksichtigen. Zu beachten ist zudem die Qualität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen sowohl im Gastland als auch im Heimatland (vgl. BGE 139 I 145 E. 2.4; 139 I 31 E. 2.3; Urteile 2C_43/2022 vom 18. Januar 2023 E. 4.2 mit Hinweisen; 2C_171/2019 vom 24. September 2020 E. 3.1 mit Hinweisen). Wird ein Aufenthaltstitel zufolge mutwilliger Verschuldung widerrufen, ist der Umfang der angehäuften Schulden erstes Kriterium für die Schwere des Verschuldens und die Interessenabwägung. Ferner fällt ins Gewicht, ob im Sinne einer günstigen Zukunftsprognose davon auszugehen ist, dass die betroffene Person nicht weiter mutwillig Schulden anhäufen wird. Bei mutwilliger Verschuldung besteht ein schutzwürdiges öffentliches Interesse an der Beendigung des Aufenthalts eines Ausländers, um die öffentliche Ordnung zu wahren und die Anhäufung weiterer Schulden zu verhindern (vgl. Urteil 2C_378/2022 vom 2. Mai 2023 E. 4.2).  
 
4.2.2. Die Niederlassungsbewilligung eines Ausländers, der sich schon seit langer Zeit im Land aufhält - insbesondere von Angehörigen der "Zweiten Generation" - soll nur mit Zurückhaltung widerrufen werden (BGE 139 I 16 E. 2.2). Ist eine Massnahme zwar begründet, aber den Umständen nicht angemessen, so kann die betroffene Person unter Androhung dieser Massnahme verwarnt werden (Art. 96 Abs. 2 AIG). Als Konkretisierung des Verhältnismässigkeitsprinzips soll die Verwarnung eine Massnahme verhindern, die den Aufenthalt einer Person in der Schweiz beendet, weil diese noch nicht gerechtfertigt ist und daher unverhältnismässig wäre, und gleichzeitig die Aufmerksamkeit des Ausländers auf die Problematik seines Verhaltens lenken (BGE 141 II 401 E. 4.2). Die Verwarnung ergeht daher im Sinne einer "letzten Chance", wenn der Widerrufsgrund zwar erfüllt ist, die Interessenabwägung den Entzug der Bewilligung aber als unverhältnismässig erscheinen lässt (Urteil 2C_657/2020 vom 16. März 2021 E. 3.2 mit Hinweisen). Sie drängt sich auf, wenn sich die ausländische Person schon lange in der Schweiz aufhält und keine schwere Delinquenz zur Diskussion steht (vgl. Urteil 2C_1024/2020 vom 19. Mai 2021 E. 7.1 mit Hinweisen).  
 
4.3. Der Beschwerdeführer hat über Jahre hinweg einen Schuldenberg von über Fr. 250'000.-- angehäuft. Auch die beiden migrationsrechtlichen Verwarnungen haben ihn nicht davon abgehalten, weitere Schulden anzuhäufen. In dieser Zeit hat er seine Erwerbsfähigkeit nur zu 60 Prozent ausgeschöpft, obwohl er weder familiäre Verpflichtungen noch gesundheitliche Einschränkungen hatte, die einer vollen Ausschöpfung seiner Erwerbstätigkeit entgegengestanden hätten. Die Höhe des Schuldenbergs und das den Beschwerdeführer aufgrund der Mutwilligkeit treffende Verschulden daran wiegen schwer. Das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts ist daher erheblich (vgl. dazu auch Urteil BGE 139 I 330 E. 3.2, Urteil 2C_260/2020 vom 23. August 2022 E. 5.2.6 mit Hinweisen auch auf die Rechtsprechung des EGMR).  
 
4.4. Für die Zukunftsprognose ist zu beachten, dass die beiden migrationsrechtlichen Verwarnungen von 2009 und 2014 datieren. Vor dem Widerruf der Niederlassungsbewilligung im September 2021 ist er nicht mehr verwarnt worden, sodass die letzte Verwarnung vor dem Widerruf bereits sieben Jahre zurücklag. Der Beschwerdeführer unterliegt seit 2016 der Lohnpfändung, sodass ein Teil seiner Schulden in diesem Rahmen abgebaut werden konnte und eine darüber hinausgehende private Schuldensanierung nicht als zumutbar angesehen werden kann. Dies vermag jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seit der letzten Verwarnung Neuschulden im Umfang von Fr. 100'000.-- dazugekommen sind. Wirtschaftliche Sozialhilfe hat er nie bezogen, was indes auch dem Umstand geschuldet sein kann, dass er seinen Lebensunterhalt über die Neuverschuldung deckte. Seit November 2021 arbeitet er nun in einer 80-prozentigen Festanstellung in der Firma, die ihn zuvor jahrelang temporär beschäftigt hat. Dadurch erhöht er die pfändbare Quote und damit das Substrat, das über die Lohnpfändung an die Gläuberschaft zurückfliesst. Ihm sind somit zaghafte Bemühungen um Schuldensanierung zu attestieren, die zu seinen Gunsten zu würdigen sind, insbesondere angesichts der langen Zeit, die seit der letzten Verwarnung vergangen ist. Der Beschwerdeführer scheint in einer einigermassen gefestigten Lebensgemeinschaft zu leben, jedenfalls besteht eine kostensenkende Wohngemeinschaft mit der Lebenspartnerin. Zusammen mit der zwar späten, aber immerhin erfolgten Pensumserhöhung zeigt der Beschwerdeführer damit den Willen, seine Ausgaben zu reduzieren und seine Einnahmen zu erhöhen, was sich sowohl positiv auf die Schuldenrückzahlung als auch das Risiko der Neuverschuldung auswirkt. Zu Gunsten des Beschwerdeführers kann damit von einer positiven Neuausrichtung gesprochen werden. Folglich ist ihm eine tendenziell positive Zukunftsprognose zu stellen.  
 
4.5. Auf der Ebene der privaten Interessen ist besonders zu berücksichtigen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Angehörigen der zweiten Generation handelt, dessen Aufenthalt angesichts seiner besonderen Verwurzelung in den hiesigen Verhältnissen nur mit besonderer Zurückhaltung beendet wird. Er ist hier geboren, aufgewachsen und sozialisiert worden, hat mithin sein gesamtes Leben hier verbracht. Sein privates Interesse am Verbleib ist gross. Er ist sprachlich, kulturell und sozial eingebunden. Seine nahen Verwandten - Grossmutter, Mutter und Bruder - leben hier. Seit 2019 hat er eine Lebenspartnerin, mit der er seit 2022 zusammenwohnt. Der normal gelungenen Integration in diesen Belangen steht die mangelhafte berufliche und wirtschaftliche Integration gegenüber. Der Beschwerdeführer hat nie Vollzeit gearbeitet und hat sich massiv verschuldet. Dass er keine wirtschaftliche Sozialhilfe bezogen hat, wirkt sich vor diesem Hintergrund nicht zu seinen Gunsten aus. In dieser Hinsicht sind jedoch Ansätze der Besserung zu erkennen, wie die Erhöhung des Arbeitspensums bei beständiger Lohnpfändung und die unbefristete Anstellung.  
 
4.6. Mit seinem Heimatland verbindet den Beschwerdeführer nicht viel mehr als die blosse Staatsbürgerschaft. Zwar mag er in den Grundzügen Türkisch sprechen, doch scheint er darüber hinaus keinerlei Verbindungen zur Türkei zu haben. Das letzte Mal war er ferienhalber als Kind in der Türkei, mithin vor über 30 Jahren. Sein unterdessen verstorbener Vater kam mit sechs Jahren in die Schweiz, seine Mutter hat griechische Wurzeln, sodass es nachvollziehbar erscheint, dass er mit den örtlichen Gepflogenheiten nicht besonders vertraut ist. Dennoch könnte er sich seine in der Schweiz erworbenen beruflichen Fähigkeiten und Erfahrungen auch in der Türkei zunutze machen, sodass die Wiedereingliederung im Heimatland damit für ihn zwar herausfordernd sein dürfte, aber zumutbar ist.  
 
4.7. Im Rahmen der Gesamtwürdigung ist festzuhalten, dass dem erheblichen öffentlichen Interesse an der Wegweisung des Beschwerdeführers zur Vermeidung weiterer Schuldenwirtschaft ein ebenso grosses privates Interesse am Verbleib im gewohnten Umfeld mit Familie, Lebenspartnerin und unbefristeter Arbeitsstelle gegenübersteht. Das öffentliche Interesse wird durch die zaghaften Sanierungsbemühungen etwas relativiert, zumal die Behörden den Beschwerdeführer nach 2014 nicht nochmals verwarnt und zum Wohlverhalten angehalten haben. Ins Gewicht fällt ebenfalls, dass der Beschwerdeführer als Ausländer der zweiten Generation keinerlei Verbindungen mehr in sein Heimatland hat und die dortige Wiedereingliederung mit Herausforderungen verbunden wäre.  
 
4.8. Der Widerruf der Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers erweist sich demzufolge ohne aktuelle Verwarnung als unverhältnismässig und ist aufzuheben. Der Beschwerdeführer ist aber mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass ein Widerruf jederzeit möglich bleibt, sollte er sich weiter verschulden oder durch sein Verhalten einen anderen Widerrufsgrund setzen. Als Rechtsfolge ist eine Verwarnung angebracht; der Beschwerdeführer wird hiermit ausdrücklich verwarnt (Art. 96 Abs. 2 AIG; vgl. BGE 139 I 145 E. 3.9; Urteile 2C_657/2020 vom 16. März 2021 E. 3.2; 2C_896/2014 vom 25. April 2015 E. 2.5).  
 
5.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und eine Verwarnung ausgesprochen. 
 
6.  
Bei diesem Verfahrensausgang werden keine Gerichtskosten erhoben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Aargau hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten (Art. 68 Abs. 1 BGG). Damit wird das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und -verbeiständung gegenstandslos. Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfrage für das kantonale Verfahren wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67 i.V.m. Art. 68 Abs. 5 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das angefochtene Urteil aufgehoben. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer wird im Sinne der Erwägungen ausländerrechtlich verwarnt. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Der Kanton Aargau hat der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'500.-- auszurichten. 
 
5.  
Die Sache wird zur Neuregelung der Kosten- und Entschädigungsfrage im kantonalen Verfahren an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Aargau, 2. Kammer, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Juli 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha