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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_491/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 24. März 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Chaix, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Vorladung zu einer Gerichtsverhandlung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 19. Dezember 2016 des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ wurde am 1. September 2014 vom Strafgericht des Kantons Basel-Stadt wegen mehrfacher ungetreuer Geschäftsbesorgung (Bereicherungsabsicht), mehrfacher Urkundenfälschung und Steuerdelikten zu einer bedingten Geldstrafe von 240 Tagessätzen verurteilt. A.________ focht seine Verurteilung mit Berufung beim Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt an. 
Am 19. Dezember 2016 lud das Appellationsgericht A.________ und seine zwei Mitbeschuldigten zur Hauptverhandlung vom 8. Mai 2017 vor und teilte mit, dass daran die Richter Gelzer, Wirz und Mez sowie der Gerichtsschreiber Lindner mitwirken würden. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen stellt A.________ verschiedenste Anträge: 
Das Berufungsverfahren sei bis zum Entscheid des Bundesgerichts bzw. bis zur Vorlage eines Gerichtsreglements durch das Appellationsgericht, welches die Bestellung der Spruchkörper normativ festlege, bzw. bis zur Vorlage eines Gerichtsreglements durch das Strafgericht, welches die Bestellung der Spruchkörper normativ festlege, zu sistieren. 
Vorweg sei die Richterzuteilung vor Bundesgericht durch einen begründeten Richterzuteilungsentscheid zu eröffnen; die medizinisch bedingte Abwesenheit, dokumentiert durch einen ärztlichen Befund, sei zu berücksichtigen. 
Aufgrund der Unschuldsvermutung sei auf einen Kostenvorschuss zu verzichten, und die Kosten des Verfahrens seien dem Kanton Basel-Stadt aufzuerlegen. 
Es sei die Nichtigkeit des Urteils des Strafgerichts vom 1. September 2014 durch das Bundesgericht vorfrageweise festzustellen. Die Verfügung des Appellationsgerichts vom 19. Dezember 2016 sei aufzuheben. Der Spruchkörper des Appellationsgerichts sei nach dem Erlass des "Gerichtsreglements zur Bestellung der Spruchkörper" begründet zu eröffnen. 
Mit separater Eingabe vom 3. Januar 2017 verlangt A.________ den Ausstand der Bundesrichter Fonjallaz, Merkli, Eusebio und Kneubühler. 
 
C.  
Der Präsident des Appellationsgerichts beantragt in seiner Vernehmlassung, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
A.________ weist daraufhin, dass er für sein Ausstandsbegehren vom 3. Januar 2017 keine Eingangsanzeige erhalten habe und hält in drei Eingaben an der Beschwerde fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist die Vorladung des Appellationsgerichts zur Berufungsverhandlung. Es handelt sich um einen kantonal letztinstanzlichen Entscheid in einer Strafsache; dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Er schliesst das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer allerdings nicht ab; soweit darin über die Zusammensetzung des Spruchkörpers entschieden wird, handelt sich um einen Zwischenentscheid im Sinn von Art. 92 Abs. 1 BGG über die Zuständigkeit und Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde zulässig ist (vgl. BERNARD CORBOZ, Commentaire de la LTF, 2. Aufl., Art. 92 N. 18). Darüber hinaus - im Wesentlichen in Bezug auf die Festsetzung der Berufungsverhandlung - handelt es sich um einen Zwischenentscheid im Sinn von Art. 93 Abs. 1 BGG. Gegen einen solchen ist die Beschwerde zulässig, wenn er einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken kann (lit. a) oder wenn die Gutheissung der Beschwerde sofort einen Endentscheid herbeiführen und dadurch einen bedeutenden Aufwand an Zeit und Kosten für ein weitläufiges Beweisverfahren ersparen würde (lit. b). In der vorliegenden Konstellation fällt die Voraussetzung von lit. b von vornherein ausser Betracht (zu jener gemäss lit. b siehe unten E. 1.4).  
 
1.2. Vorab ist über die Anträge in Bezug auf das bundesgerichtliche Verfahren zu befinden; danach soll das Bundesgericht einerseits vor der materiellen Behandlung der Beschwerde einen begründeten Entscheid über die Zusammensetzung des Spruchkörpers erlassen. Anderseits verlangt der Beschwerdeführer den Ausstand von vier Bundesrichtern, welche an drei "Fehlurteilen" (Urteile 1C_487/2015 vom 6. Januar 2016, 1C_573/2016 vom 14. Dezember 2016 und 1B_471/2016 vom 14. Dezember 2016) beteiligt gewesen und deswegen befangen sein sollen.  
 
1.2.1. Aus Art. 30 Abs. 1 BV kann der Beschwerdeführer keinen Anspruch ableiten, dass ihm die Zusammensetzung der Richterbank durch einen "Richterzuteilungsentscheid" im voraus bekannt gegeben wird (Urteil 2D_49/2011 vom 25. September 2012 E. 3.6 mit Hinweisen), und auch das anwendbare Verfahrensrecht - das BGG - schreibt das nicht vor. Dem Antrag ist deshalb nicht zu entsprechen.  
 
1.2.2. Bundesrichter Merkli, der anfangs 2017 Bundesrichter Fonjallaz als Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung ablöste, war nicht in der Besetzung der drei obgenannten Urteile (oben E. 1.2). Der Beschwerdeführer bleibt damit jede Begründung dafür schuldig, weshalb er befangen sein sollte und kommt damit seiner gesetzlichen Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) nicht nach. Auf das Ausstandsgesuch in Bezug auf Bundesrichter Merkli ist nicht einzutreten. Das hat zur Folge, dass er als Abteilungspräsident ordnungsgemäss an der Beurteilung der vorliegenden Beschwerde mitwirken kann (Urteile 5F_3/2015 vom 13. August 2015 E. 2.2; 2F_12/2008 vom 4. Dezember 2008 E. 2.1; 2F_2/2007 vom 25. April 2007 E. 3; je mit Hinweisen).  
 
1.2.3. Das Ausstandsbegehren begründet der Beschwerdeführer damit dass die vier (richtig: drei) Richter an drei krassen "Fehlurteilen" gegen ihn beteiligt gewesen sein sollen und dabei insbesondere den Unterschied zwischen der staatsrechtlichen und der strafrechtlichen Beschwerde verkannt hätten. Unter diesen Umständen könne von ihnen kein unbefangenes Urteil mehr erwartet werden. Noch gravierender sei, dass die drei Richter bereits entschieden hätten, dass der Spruchkörper des Appellationsgerichts rechtmässig zusammengesetzt worden sei, obwohl das gesetzlich geforderte Ausführungsreglement dafür fehle. Es könne unter diesen Umständen nicht erwartet werden, dass sie einen unabhängigen Entscheid fällen könnten, zumal auch das Bundesgericht selber kein entsprechendes Reglement habe und eine EMRK-widrige, undefinierte, undokumentierte und damit willkürliche Spruchkörperbesetzung praktiziere.  
 
1.2.4. Nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Dieser Anspruch ist verletzt, wenn bei einer Gerichtsperson - objektiv betrachtet - Gegebenheiten vorliegen, die den Anschein der Befangenheit und die Gefahr der Voreingenommenheit zu begründen vermögen. Solche Umstände können entweder in einem bestimmten Verhalten der betreffenden Person oder in äusseren Gegebenheiten funktioneller und organisatorischer Natur begründet sein. Es muss gewährleistet sein, dass der Prozess aus Sicht aller Beteiligten als offen erscheint. Für den Ausstand ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 141 IV 178 E. 3.2.1 S. 179; 140 I 326 E. 5.1 S. 328; 138 IV 142 E. 2.1 S. 144 f.; je mit Hinweisen).  
 
1.2.5. Der Beschwerdeführer hält die drei Urteile (oben E. 1.2) für unhaltbar. Das ändert allerdings nichts daran, dass ein Richter nicht schon deswegen befangen ist, weil er an früheren Verfahren des Beschwerdeführers beteiligt war (Art. 34 Abs. 2 BGG; Entscheid 4455/10 des EGMR vom 27. Mai 2014 i.S. Margus gegen Kroatien). Die drei Urteile sind zudem mit ihrer Ausfällung in Rechtskraft erwachsen (Art. 61 BGG). Solange sie bestehen, muss sie sich der Beschwerdeführer daher entgegenhalten lassen, unabhängig davon, ob er mit ihnen einverstanden ist oder nicht. Die Rüge, die drei Richter seien befangen, weil sie in unhaltbarer Weise gegen ihn entschieden hätten, ist daher von vornherein unbegründet.  
 
1.2.6. Damit ergibt sich, dass der Antrag auf den vorgängigen Erlass eines begründeten Richterzuteilungsentscheids unbegründet war; mit dem Erlass des vorliegenden Urteils ist er gegenstandslos geworden. Auf das Ausstandsgesuch gegen Präsident Merkli ist mangels einer Begründung nicht einzutreten, und die Gesuche gegen die Bundesrichter Fonjallaz, Eusebio und Kneubühler sind unbegründet.  
 
1.3. Der Appellationsgerichtspräsident zeigt in seiner Vernehmlassung auf, dass auf die Bildung des Spruchkörpers für das Berufungsverfahren des Beschwerdeführers grundsätzlich das neue Gerichtsorganisationsgesetz vom 3. Juni 2015 anwendbar ist (§ 99 GOG). Danach organisieren die Gerichte die Spruchkörper nach Bedarf, wobei die Einzelheiten durch Reglemente geregelt werden sollen (§ 32 Abs. 4 GOG). Gemäss Beschluss der Präsidentenkonferenz vom 20. Oktober 2016 gilt bis zum Erlass des neuen Organisationsreglements die seit Jahrzehnten geltende Praxis weiter, wonach die Erste Gerichtsschreiberin die Spruchkörper zusammensetzt. Dies sei auch im vorliegenden Fall geschehen, die Behauptung des Beschwerdeführers, der Gerichtspräsident habe den Spruchkörper selber bestimmt (und mit politischen Gegnern des Beschwerdeführers besetzt), sei unzutreffend. Da der Beschwerdeführer nichts vorbringt, das geeignet wäre, diese plausible Darstellung in Zweifel zu ziehen, ist davon auszugehen, dass die Erste Gerichtsschreiberin den Spruchkörper praxisgemäss nach objektiven Kriterien unter Berücksichtigung der Geschäftslast und der Verfügbarkeit der Richter zusammengestellt hat. Da ein gewisses Ermessen bei der Zusammenstellung der Richterbank zulässig ist (BGE 137 I 340 E. 2.2.1 S. 343), erweist sich diese übergangsrechtliche und damit nur für einen zeitlich eng begrenzten Zeitraum bis zum anstehenden Erlass eines neuen Organisationsreglements geltende Regelung als konventions- und verfassungskonform.  
Unbegründet sind auch die Bedenken des Beschwerdeführers gegen die Bildung der Spruchkörper am Bundesgericht. Diese wird vom Abteilungspräsidenten (Art. 40 Abs. 1 des Bundesgerichtsreglements vom 20. November 2006, SR 173.110.131) namentlich anhand der in Abs. 2 aufgeführten sachlichen Kriterien vorgenommen. Seit 2012 bzw. 2013 hat das Bundesgericht zudem die EDV-Applikation "CompCour " zur automatischen Bestimmung der mitwirkenden Richter, ohne Präsident und Referent, eingeführt (Geschäftsberichte des Bundesgerichts 2012 S. 12 und 2013 S. 12, einsehbar unter www.bger.ch), welche die Bestimmung der Spruchkörper weiter objektiviert bzw. vom subjektiven Willen des Abteilungspräsidenten abstrahiert. Die Bildung der bundesgerichtlichen Spruchkörper erfüllt damit die konventions- und verfassungsrechtlichen Vorgaben. Die Befürchtung des Beschwerdeführers, das Bundesgericht könnte die angefochtene Besetzung der vorinstanzlichen Richterbank nur deshalb schützen, weil es in diesem Punkt selber rechtswidrig vorgehe, ist unbegründet. 
 
1.4. Die Beschwerde gegen die Besetzung des Spruchkörpers des Appellationsgerichts ist somit abzuweisen. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ansetzung der Berufungsverhandlung auf den 8. Mai 2017 richtet, ist darauf nicht einzutreten, da dem Beschwerdeführer durch deren Durchführung kein nicht wieder gutzumachender Nachteil droht. Für eine Sistierung des Berufungsverfahrens besteht unter diesen Umständen von vornherein kein Anlass, ganz abgesehen davon, dass es ohnehin nicht Sache des Bundesgerichts ist, vorinstanzliche Verfahren zu sistieren. Der Antrag, auf die Einholung eines Kostenvorschusses zu verzichten, ist mit dessen Bezahlung gegenstandslos geworden. Der Antrag, das erstinstanzliche Strafurteil gegen den Beschwerdeführer nichtig zu erklären, liegt ausserhalb des Streitgegenstands; darauf ist nicht einzutreten.  
 
2.  
Die Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. März 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi