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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_165/2023  
 
 
Urteil vom 20. September 2023  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiberin Wortha. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Mario Stegmann, 
 
gegen  
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), 
Kramgasse 20, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin, 
 
Einwohnergemeinde Biel, Öffentliche Sicherheit, 
Einwohner- und Spezialdienste, 
Neuengasse 28, Postfach, 2501 Biel BE. 
 
Gegenstand 
Nichtverlängerung der Aufenthaltsbewilligung und 
Wegweisung; Kostenvorschuss, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts 
des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, 
Einzelrichter, vom 3. Februar 2023 (100.2022.288U). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ (geb. 1977) ist Staatsangehöriger der Türkei. Er erhielt im Rahmen des Familiennachzugs zu seiner Schweizer Ehefrau 2015 eine Aufenthaltsbewilligung, welche letztmals bis 2019 verlängert wurde. Die Ehe wurde 2018 geschieden. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 13. Januar 2022 verweigerte das Migrationsamt der Stadt Biel die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung und wies A.________ aus der Schweiz weg. Die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern wies die Beschwerde dagegen am 10. August 2022 ab. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern trat mit Urteil vom 3. Februar 2023 auf die dagegen gerichtete Beschwerde nicht ein, da A.________ den verlangten Kostenvorschuss nicht bezahlte. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gelangt A.________ (nachfolgend Beschwerdeführer) am 13. März 2023 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Entscheids, die Weiterführung des kantonalen Verfahrens und die Kostenauflage des vorinstanzlichen Verfahrens an den Kanton Bern. In prozessualer Hinsicht beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege und Rechtsverbeiständung. 
Die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Das Migrationsamt und die Vorinstanz schliessen in ihrer Vernehmlassung auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat von seinem Replikrecht keinen Gebrauch gemacht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft die Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 149 II 66 E. 1.3).  
 
1.2. Gegen Nichteintretensentscheide ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur zulässig, wenn ein materieller Entscheid mit diesem Rechtsmittel anfechtbar wäre (BGE 137 I 371 E. 1.1; Urteil 2C_796/2022 vom 9. August 2023 E. 1.1). Auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen Entscheide betreffend ausländerrechtliche Bewilligungen nur zulässig, wenn das Bundesrecht oder das Völkerrecht einen Anspruch auf die Bewilligung einräumt (Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG e contrario). Für das Eintreten genügt, wenn die betroffene Person in vertretbarer Weise dartut, dass potenziell ein solcher Anspruch besteht (BGE 147 I 268 E. 1.2.7; 139 I 330 E. 1.1). Vorliegend kann sich der Beschwerdeführer in vertretbarer Weise auf einen in Art. 50 Abs. 1 AIG geregelten nachehelichen Bewilligungsanspruch berufen. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten steht somit auch gegen den hier angefochtenen Nichteintretensentscheid offen.  
 
1.3. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 42, Art. 82 lit. a, 86 Abs. 1 lit. d und Abs. 2, Art. 89 Abs. 1, Art. 90, Art. 100 Abs. 1 BGG), ist auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 147 I 73 E. 2.1). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten gilt eine qualifizierte Rüge- und Substanziierungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 II 44 E. 1.2; 143 II 283 E. 1.2.2).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Eine Berichtigung oder Ergänzung der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen ist von Amtes wegen (Art. 105 Abs. 2 BGG) oder auf Rüge hin (Art. 97 Abs. 1 BGG) möglich.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Rechtsweggarantie (Art. 29 Abs. 1 BV), da die Vorinstanz in überspitzt formalistischer Weise keine zusätzliche Nachfrist für die zweite Rate des Kostenvorschusses angesetzt, sondern sogleich einen Nichteintretensentscheid gefällt habe. Dies sei zudem willkürlich (Art. 9 BV). 
 
3.1. Artikel 29 Abs. 1 BV verbietet überspitzten Formalismus als besondere Form der Rechtsverweigerung. Eine solche liegt vor, wenn für ein Verfahren rigorose Formvorschriften aufgestellt werden, ohne dass die Strenge sachlich gerechtfertigt wäre, wenn die Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt oder an Rechtsschriften überspannte Anforderungen stellt und den Rechtsuchenden den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrt. Wohl sind im Rechtsgang prozessuale Formen unerlässlich, um die ordnungsgemässe und rechtsgleiche Abwicklung des Verfahrens sowie die Durchsetzung des materiellen Rechts zu gewährleisten. Nicht jede prozessuale Formstrenge steht demnach mit Art. 29 Abs. 1 BV in Widerspruch. Überspitzter Formalismus ist nur gegeben, wenn die strikte Anwendung der Formvorschriften durch keine schutzwürdigen Interessen gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder verhindert (BGE 149 III 12 E. 3.3.1; 142 V 152 E. 4.2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Willkür in der Rechtsanwendung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft. Das Bundesgericht hebt einen Entscheid jedoch nur auf, wenn nicht bloss die Begründung, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt nicht (BGE 148 III 95 E. 4.1 mit Hinweisen).  
 
3.3. Nach der Rechtsprechung stellt das Nichteintreten auf ein Rechtsmittel mangels rechtzeitiger Leistung des Kostenvorschusses keinen überspitzten Formalismus dar, wenn der Gesuchsteller über die Höhe des Vorschusses, die Zahlungsfrist und die Säumnisfolgen rechtsgenüglich informiert worden ist. Nur in Ausnahmefällen gebietet das Verfassungsrecht, eine Nachfrist zur Zahlung des Kostenvorschusses anzusetzen (BGE 136 II 380 E. 3.1; Urteile 2C_796/2022 vom 9. August 2023 E. 6.2; 2C_313/2022 vom 21. September 2022 E. 5.2, je mit Hinweisen).  
 
3.4. Aus den Vernehmlassungen der Vorinstanz und des Migrationsamts, welche seitens des Beschwerdeführers unbeantwortet blieben, ergibt sich Folgendes (Art. 105 Abs. 2 BGG) : Mit Verfügung vom 9. Dezember 2022 wies die Vorinstanz das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege ab und setzte ihm Frist bis 22. Dezember 2022, um den Kostenvorschuss von Fr. 3'000.-- zu leisten. In der Verfügung wurde er ausdrücklich auf die Säumnisfolge (Nichteintreten) hingewiesen. Mit Eingabe vom 14. Dezember 2022 beantragte der Beschwerdeführer, den Kostenvorschuss in zwei Raten zahlen zu dürfen. Zur Begründung führte er an, dass ihm ansonsten kein Geld übrig bliebe. Er erklärte, die erste Rate Ende Dezember und die zweite Rate Ende Januar zu zahlen. Die Vorinstanz entsprach seinem Gesuch und verlängerte ihm mit Verfügung vom 16. Dezember 2022 "die Frist zur Leistung des Kostenvorschusses von Fr. 3'000.-- in zwei Raten à Fr. 1'500.-- bis 31. Januar 2023". Sie wies ihn ausdrücklich auf die Nichterstreckbarkeit und die Säumnisfolge (Nichteintreten) hin. Nachdem der Beschwerdeführer die eingeschriebene Sendung nicht entgegennahm, versendete die Vorinstanz jene Verfügung am 3. Januar 2023 per A-Post. Nachdem innert Frist am 27. Januar 2023 einzig eine Zahlung von Fr. 1'500.-- bei der Vorinstanz einging, trat sie am 3. Februar 2023 auf die Beschwerde nicht ein.  
 
3.5. Die Vorinstanz hat den Beschwerdeführer zweimal ausdrücklich auf die Säumnisfolge des Nichteintretens hingewiesen. In der Verfügung, mit der sie seinem Gesuch um Zahlung in zwei Raten wunschgemäss entsprach, wies sie ausdrücklich auf die Nichterstreckbarkeit hin. Damit ist die Vorinstanz ihren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen; eine weitere Nachfrist musste sie nicht gewähren. Die Rüge des überspitzten Formalismus ist unbegründet.  
 
3.6. Ebenso wenig ist darin Willkür zu erkennen, dass die Vorinstanz auf die Beschwerde - wie zweifach angekündigt - nicht eingetreten ist und keine neue Frist angesetzt hat. Der Beschwerdeführer selbst hat ausdrücklich erklärt, die erste Rate Ende Dezember und die zweite Rate Ende Januar zu zahlen. Dementsprechend hat die Vorinstanz ihm eine Fristerstreckung gewährt, die lang genug war, um beide Raten zu zahlen. Der Beschwerdeführer wusste sowohl, was die Folge der unterlassenen Zahlung sein wird, als auch, was Inhalt der Verfügung war, entspricht diese doch exakt seinem Begehren. Wenn der Beschwerdeführer dennoch nur eine Rate zahlt, mithin säumig bleibt, ist es nicht willkürlich, sondern konsequent, dass die Vorinstanz die Säumnisfolge eintreten lässt und auf die Beschwerde nicht eintritt.  
 
3.7. Schliesslich hat es sich der Beschwerdeführer selbst zuzuschreiben, wenn er keine gerichtlichen Sendungen entgegennimmt und erst durch die (freiwillige) A-Post-Zustellung der Vorinstanz von der erstreckten Frist erfährt. Da er die Ratenzahlung bzw. Fristerstreckung beantragt hat, musste er auch mit einer gerichtlichen Sendung rechnen (BGE 138 III 225 E. 3.1; Urteil 2C_364/2021 vom 5. August 2021 E. 3.3.2 mit Hinweisen). Ohnehin bleibt unklar, was er daraus zu seinen Gunsten ableiten möchte.  
 
3.8. Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid bundesrechtlich nicht zu beanstanden, weshalb es dabei sein Bewenden hat.  
 
4.  
 
4.1. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
4.2. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist aufgrund der Aussichtslosigkeit seines Begehrens abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die umständehalber reduzierten Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Es ist keine Parteientschädigung geschuldet (Art. 68 Abs. 3 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten und dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Verwaltungsrechtliche Abteilung, Einzelrichter, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. September 2023 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Die Gerichtsschreiberin: A. Wortha