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[AZA 7] 
H 158/01 Gb 
 
II. Kammer 
 
Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und nebenamtlicher 
Richter Staffelbach; Gerichtsschreiber Jancar 
 
Urteil vom 28. Mai 2002 
 
in Sachen 
Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
B.________, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die ATAG Ernst & Young AG, Belpstrasse 23, 3007 Bern, 
 
und 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
A.- B.________ war bis Ende 1994 der AHV-Zweigstelle der Stadt X.________ als Nichterwerbstätige gemeldet. Nach dem Umzug von X.________ nach Y.________ meldete sie sich am 20. Dezember 1994 bei der Ausgleichskasse des Kantons Bern (nachfolgend Ausgleichskasse) mit Wirkung ab 1. Januar 1995 als selbstständig erwerbende Künstlerin an. Mit Schreiben vom 23. Mai 1996 teilte ihr die Gemeinde-Ausgleichskasse Y.________ mit, sie werde als Nichterwerbstätige erfasst und habe ein entsprechendes Formular auszufüllen. 
Die Versicherte kam dieser Aufforderung nach, um Beitragslücken zu vermeiden, bestand jedoch weiterhin darauf, dass sie als Selbstständigerwerbende zu erfassen sei. Am 2. November 1999 erliess die Ausgleichskasse drei Verfügungen, mit welchen sie B.________ für die Zeit vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1999 als Nichterwerbstätige einstufte. 
 
 
B.- Gegen diese Verfügungen liess die Versicherte Beschwerde erheben und beantragen, sie seien aufzuheben und sie sei als Selbstständigerwerbende zu erfassen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die Beschwerde gut, hob die angefochtenen Verfügungen auf und wies die Sache an die Ausgleichskasse zur Festsetzung der als Selbstständigerwerbende für die Periode vom 1. Januar 1995 bis 31. Dezember 1999 geschuldeten persönlichen Beiträge und zum Erlass neuer Verfügungen zurück (Entscheid vom 10. April 2001). 
 
C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Verfügungen vom 2. November 1999 seien zu schützen. 
Die Versicherte schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine Stellungnahme verzichtet. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung: 
 
1.- Da es sich bei den angefochtenen Verfügungen nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
2.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin für die Jahre 1995 bis 1999 als Selbstständigerwerbende oder als Nichterwerbstätige einzustufen ist und welche persönlichen Beiträge sie für diese Zeit zu bezahlen hat. 
 
a) Die Versicherten sind beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 AHVG). Die Beiträge der erwerbstätigen Versicherten werden in Prozenten des Einkommens aus unselbstständiger und selbstständiger Erwerbstätigkeit festgesetzt (Art. 4 Abs. 1 AHVG). Erreicht das Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit einen vom Gesetz, ab 1982 von der Verordnung über Anpassungen an die Lohn- und Preisentwicklung bestimmten Betrag nicht, so ist ein jährlicher Mindestbeitrag zu entrichten (Art. 8 Abs. 2 Satz 1 AHVG). Nichterwerbstätige bezahlen Beiträge je nach ihren sozialen Verhältnissen. Erwerbstätige, die im Kalenderjahr, gegebenenfalls mit Einschluss des Arbeitgeberbeitrages, weniger als Fr. 299.- (Betrag gültig vom 1. Januar 1992 bis Ende 1995, seither Fr. 324.-) entrichten, gelten als Nichterwerbstätige (Art. 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AHVG). Nichterwerbstätige, für die nicht der jährliche Mindestbeitrag vorgesehen ist, bezahlen die Beiträge auf Grund ihres Vermögens und Renteneinkommens (Art. 28 Abs. 1 AHVV; BGE 115 V 162 Erw. 2). 
 
b) aa) Der Begriff der Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 AHVG setzt die Ausübung einer auf die Erzielung von Einkommen gerichteten bestimmten (persönlichen) Tätigkeit (vgl. Art. 6 Abs. 1 AHVV) voraus, durch welche die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöht wird. Für die Beantwortung der Frage, ob Erwerbstätigkeit vorliegt, kommt es nicht darauf an, ob die betreffende Person subjektiv eine Erwerbsabsicht für sich in Anspruch nimmt. Diese muss vielmehr auf Grund der konkreten wirtschaftlichen Tatsachen nachgewiesen sein. Wesentliches Merkmal einer Erwerbstätigkeit ist sodann eine planmässige Verwirklichung der Erwerbsabsicht in der Form von Arbeitsleistung, welches Element ebenfalls rechtsgenüglich erstellt sein muss (BGE 125 V 384 Erw. 2a mit Hinweisen). 
 
bb) Selbstständige Erwerbstätigkeit liegt im Regelfall vor, wenn der Beitragspflichtige durch Einsatz von Arbeit und Kapital in frei bestimmter Selbstorganisation und nach aussen sichtbar am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt mit dem Ziel, Dienstleistungen zu erbringen oder Produkte zu schaffen, deren Inanspruchnahme oder Erwerb durch finanzielle oder geldwerte Gegenleistungen abgegolten wird (für die Umschreibungen im Steuerrecht siehe Cagianut/Höhn, Unternehmungssteuerrecht, 1986, S. 54 ff.; Höhn, Steuerrecht, 
7. Aufl. , S. 219 ff.; Reimann/Zuppinger/Schärrer, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, 2. Band, 1963, § 19 lit. b N. 1 bis 3; Zuppinger/Schärrer/Fessler/Reich, Kommentar zum Zürcher Steuergesetz, Ergänzungsband, 1983, § 19 lit. b N. 1 bis 3; Waibel, Die Ermessenseinschätzung bei Selbstständigerwerbenden, Diss. St. Gallen 1983, S. 3 ff.). 
Nicht als selbstständige Erwerbstätigkeit kann anerkannt werden, wenn eine solche nur zum Schein besteht oder sonstwie keinen erwerblichen Charakter aufweist, wie das für die blosse Liebhaberei zutrifft, die von rein persönlichen Neigungen beherrscht wird (ZAK 1987 S. 417 Erw. 3b; Cagianut/Höhn, a.a.O., S. 59; Waibel, a.a.O., S. 9; Gruber, Handkommentar zum bernischen Gesetz über die direkten Staats- und Gemeindesteuern, 5. Aufl. , N. 7 zu Art. 27). 
Für die Abgrenzung solcher Tätigkeitsformen von selbstständiger Erwerbstätigkeit kommt der Erwerbsabsicht im Sinne der oben genannten Zielsetzung entscheidende Bedeutung zu (Höhn, a.a.O., S. 183 mit Hinweisen). Die behauptete persönliche Absicht muss auf Grund konkreter wirtschaftlicher Tatsachen, wie sie für selbstständige Erwerbstätigkeit kennzeichnend sind, nachgewiesen sein (ZAK 1987 S. 418 Erw. 3c). 
Auch unter dem Blickwinkel dieser Grundsätze beginnt selbstständige Erwerbstätigkeit nicht erst mit dem Fliessen von Einkünften; denn es ist durchaus möglich, dass eine Betätigung, die im Übrigen alle Merkmale selbstständiger Erwerbstätigkeit erfüllt, unter Umständen erst nach längerer Zeit zu Einkünften führt. 
 
3.- a) Aus den Akten ergibt sich, dass die Beschwerdegegnerin ihre Tätigkeit als Kunstschaffende langfristig aufgebaut hatte. Von 1963 - 1967 besuchte sie die Kunstgewerbeschule Z.________ (Malfachklasse). 1978 absolvierte sie noch die Ausbildung in der Tiefdruckgraphik. 1975 konnte sie ihre Werke erstmals ausstellen. In der Folge weist sie mit wenigen Ausnahmen jährliche Ausstellungen in teilweise renommierten Galerien bzw. Veranstaltungen aus. Nach dem ersten Buch aus dem Jahre 1990, mit welchem sie dem Publikum einen ersten Überblick über ihr Gesamtwerk gewährte, veröffentlichte sie 1995 einen weiteren Band ihres Gesamtwerkes. Auch dieses aufwändig gestaltete Buch zeigt, dass die Beschwerdegegnerin aus Marketing-Sicht mehr in ihre Karriere als Kunstschaffende investierte, als es für jemanden, der eine Liebhaberei betreibt, üblich ist. Mit ihrer Publikation im Jahre 1996 im Weinführer der Weinkellerei A.________ weist sich die Beschwerdegegnerin darüber aus, dass ihr künstlerisches Schaffen in kunstinteressierten Kreisen auch national Anerkennung findet. 
 
b) Es ist nachvollziehbar, dass eine kunstschaffende Person nach einer langen Phase der Investition in die persönlichen Fähigkeiten den Wunsch hat, ihre Kunst zur Einkommensquelle zu machen. Deshalb meldete sich die Beschwerdegegnerin nach ihrem Umzug nach Y.________ als Selbstständigerwerbende bei der Gemeinde-Ausgleichskasse an und tat damit kund, dass sie mit ihrer Kunst eine auf die Erzielung von Einkommen gerichtete Tätigkeit ausüben wollte. Dass dieses Kunstschaffen auch der persönlichen Neigung der Beschwerdegegnerin entspricht - und dies für Aussenstehende wie eine zum Beruf gemachte Liebhaberei aussieht - darf in der Beurteilung, ob sie als Selbstständigerwerbende anzuerkennen sei, keine Rolle spielen. Zwar ist richtig, dass sie nach der Aufnahme ihrer selbstständigen Tätigkeit im Jahr 1995 lediglich im Jahre 1996 einmal einen steuerlichen Gewinn von Fr. 40'118.- auswies. Im Jahre 1995 sind aber Abschreibungen vorgenommen worden (Fr. 13'900.- gemäss Einlageblatt 1.1 zur Steuererklärung 1997/1998, Einkommen und Geschäftsvermögen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit). An Betriebsmaterialien wurden in diesem Jahr Fr. 14'196.- investiert (im Gegensatz zu Fr. 3899.- im Jahr 1996). Für Werbung wurde 1995 ein Betrag von Fr. 8000.- ausgegeben. 
Aus der Steuererklärung wird ersichtlich, dass über alle Jahre hinweg nicht unerhebliche Umsätze realisiert worden sind (insbesondere 1996 mit einem Umsatz von Fr. 71'784.- und einem Bruttogewinn von Fr. 63'784.-). So machte gemäss Aufstellung "Gewinn gemäss Kassabuch" in der Grundlage zu Einlageblatt 1.1 aus der Steuererklärung 1999/2000 1998 der Erlös aus Bilderverkauf immerhin noch Fr. 29'324. 50 aus. 
Auf Grund der wiederum getätigten Abschreibungen resultierte in diesem Jahr wiederum ein Verlust. Es darf auch einer kunstschaffenden Person nicht verwehrt bleiben, ihre Buchhaltung steuerlich zu optimieren. 
 
c) Die Vorinstanz legt dar und aus den Akten, insbesondere den Steuererklärungen, geht hervor, dass die Beschwerdegegnerin in den fraglichen Jahren in einem grösseren Umfang erwerbstätig gewesen war, als dies die Beschwerdeführerin geltend macht. Die Betriebsrechnungen weisen zahlenmässig relevante Geschäftsvorgänge aus, die den Schluss der Vorinstanz erlauben, dass in den zu beurteilenden Jahren mehr als nur reine Liebhaberei gegeben war. Unter diesen Umständen und angesichts der besonderen Verhältnisse des Berufs einer Kunstschaffenden ist für die im Streite liegenden Jahre 1995 bis 1999 der Wechsel des Beitragsstatutes zu akzeptieren. Die Beschwerdeführerin bringt keine Argumente vor, weshalb die Sachverhaltsfeststellungen der Vorinstanz unrichtig oder unvollständig sein sollten. 
Die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch die Vorinstanz ist demnach zu schützen. 
 
4.- Weil vorliegend von einem Grenzfall auszugehen ist, sei immerhin gesagt, dass für künftige Beitragsverfügungen betreffend selbstständige Erwerbstätigkeit der Beschwerdegegnerin das Beitragsstatut wieder neu zu überprüfen ist. Sollte weiterhin kein massgeblicher Gewinn aus ihrer künstlerischen Tätigkeit resultieren und sollten sich die mangelnden Einnahmen aus dem Gewerbe perpetuieren, müsste davon ausgegangen werden, dass es der Beschwerdegegnerin nicht gelungen ist, ihre künstlerischen Fähigkeiten in eine auf ein Einkommen zielende volle Erwerbstätigkeit umzusetzen. Wird nämlich eine erwerbliche Tätigkeit, wie das Führen eines Ateliers durch eine Kunstschaffende, auf Dauer ohne Gewinn ausgeübt, lässt das Ausbleiben des finanziellen Erfolges regelmässig auf das Fehlen erwerblicher Zielsetzung schliessen; denn wer wirkliche Erwerbstätigkeit ausübt, wird sich in der Regel nach längeren beruflichen Misserfolgen von der Zwecklosigkeit seines Unterfangens überzeugen und die betreffende Tätigkeit aufgeben (BGE 115 V 172 Erw. 9c mit Hinweisen). 
 
5.- Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Entsprechend dem Prozessausgang gehen die Gerichtskosten zu Lasten der Beschwerdeführerin (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG). Die Beschwerdegegnerin hat Anspruch auf eine Parteientschädigung zu (Art. 159 Abs. 2 OG). 
 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht: 
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen. 
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet. 
 
 
III. Die Beschwerdeführerin hat der Beschwerdegegnerin für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.- (einschliesslich 
 
 
Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung 
 
 
zugestellt. 
Luzern, 28. Mai 2002 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der II. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: