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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2C_455/2009 
 
Urteil vom 5. August 2009 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, Präsident, 
Bundesrichter Merkli, Karlen, 
Gerichtsschreiber Merz. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Peter Nideröst, 
 
gegen 
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, 
Bezirksgericht Zürich, Haftrichter. 
 
Gegenstand 
Fortsetzung der Ausschaffungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 1. Kammer, 
vom 1. Juli 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der aus der Türkei stammende X.________ (geb. 1976) wurde am 16. Januar 2001 in der Schweiz als Flüchtling anerkannt. Gleichzeitig wurde ihm auf sein Gesuch hin Asyl gewährt. Am 12. November 2004 verurteilte ihn das Geschworenengericht des Kantons Zürich unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und wegen Raufhandels zu siebeneinhalb Jahren Zuchthaus. Dieses Urteil ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem X.________ eine dagegen beim Bundesgericht eingereichte Beschwerde (Verfahren 6S.189/2006) im Oktober 2006 zurückgezogen hatte. Hierauf gestützt widerrief das Bundesamt für Migration mit ebenfalls rechtskräftiger Verfügung vom 16. Februar 2007 gemäss Art. 63 Abs. 2 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 (AsylG; SR 142.31) das Asyl. Seine Flüchtlingseigenschaft wurde hingegen nicht aberkannt. 
Am 4. November 2008 verweigerte das Migrationsamt des Kantons Zürich X.________ die Erneuerung seiner Aufenthaltsbewilligung und forderte ihn auf, die Schweiz unverzüglich nach Entlassung aus dem Strafvollzug zu verlassen. Hiegegen gelangte X.________ mit Rekurs an den Regierungsrat des Kantons Zürich, der sein Rechtsmittel am 11. Februar 2009 abwies. Dagegen reichte X.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Zürich Beschwerde ein, über die bisher noch nicht entschieden wurde. 
 
B. 
Am 26. November 2008 nahm das Migrationsamt X.________ - unmittelbar nach bedingter Entlassung aus dem Strafvollzug - in Ausschaffungshaft, welche die Haftrichterin am Bezirksgericht Zürich am 28. November 2008 bis zum 24. Februar 2009 bewilligte. 
Am 20. Februar 2009 verlängerte der Haftrichter die Ausschaffungshaft bis zum 24. Mai 2009. Am 20. Mai 2009 bewilligte er eine weitere Verlängerung der Haft bis zum 24. August 2009. Die dagegen gerichtete Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 1. Juli 2009 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde vom 9. Juli 2009 - Postaufgabe 10. Juli - beantragt X.________ dem Bundesgericht sinngemäss, den Entscheid des Verwaltungsgerichts vom 1. Juli 2009 aufzuheben und ihn aus der Haft zu entlassen; eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Das Migrationsamt ersucht um Abweisung der Beschwerde. Der Haftrichter am Bezirksgericht verzichtet auf eine Vernehmlassung. Das Verwaltungsgericht stellt den Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit auf sie einzutreten sei. Das Bundesamt für Migration hat sich nicht vernehmen lassen. Mit Eingabe vom 29. Juli 2009 hat X.________ an seinen Anträgen festgehalten. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Das Bundesgericht prüft unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (vgl. Art. 42 Abs. 2, 97 Abs. 1 und 106 Abs. 2 BGG) - vorbehältlich offensichtlicher Fehler - nur die in seinem Verfahren geltend gemachten Rechtswidrigkeiten (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). Der Verweis auf Ausführungen in Eingaben an die Vorinstanzen oder in anderen Verfahren, wie das der Beschwerdeführer auf S. 8 seiner Beschwerdeschrift tut, genügt der erwähnten Begründungspflicht nicht (vgl. BGE 131 III 384 E. 2.3 S. 387 f.; Urteil 5A_539/2007 vom 4. Januar 2008 E. 3.1 in: Pra 2008 Nr. 77 S. 517). 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt, die Verlängerung der Ausschaffungshaft sei unverhältnismässig bzw. die Haft sei nach Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG (SR 142.20) wegen Undurchführbarkeit des Vollzugs der Wegweisung zu beenden. 
 
2.1 Zum einen sei derzeit keine Gefährdung des Wegweisungsvollzugs zu befürchten. Wie auch der Haftrichter festgehalten habe, sei kaum zu erwarten, dass er sich dem noch laufenden Rechtsmittelverfahren betreffend seine Wegweisung entziehen werde. Es lasse sich zudem keine "fundierte Prognose" darüber stellen, wie er sich verhalten werde, falls das Wegweisungsverfahren rechtskräftig zu seinen Lasten enden sollte, d.h. falls er die Schweiz definitiv verlassen müsste. Die Vorinstanz habe nicht dargelegt, welche konkreten Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, er werde sich im Zeitpunkt des Vorliegens eines vollstreckbaren Wegweisungsentscheids dessen Vollzug entziehen. Die Behörden dürften nicht zur Sicherstellung jeder Wegweisung Ausschaffungshaft anordnen. 
Die Anordnung der Ausschaffungshaft ist laut Bundesrecht in der Tat nicht bei jeder Wegweisung zulässig; vielmehr setzt sie einen im Gesetz vorgesehenen Haftgrund voraus. Die Vorinstanzen berufen sich denn auch auf den Haftgrund des Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 75 Abs. 1 lit. h AuG. Danach kann ein Ausländer zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs in Ausschaffungshaft genommen werden, wenn er wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist (vgl. dazu auch allg. Andreas Zünd, in Marc Spescha et al., Migrationsrecht, 2008, N. 11 zu Art. 76 AuG; Thomas Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in Peter Uebersax et al., Ausländerrecht, 2. Aufl. 2009, N. 10.74 S. 459). Als Verbrechen gelten Straftaten, die mit Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht sind (Art. 10 Abs. 2 StGB). Das trifft für die vorsätzliche Tötung zu, deren Strafmass gemäss Art. 111 StGB nicht unter fünf Jahren beträgt. Daran ändert nichts, dass vorliegend keine Todesfolge eingetreten war und der Beschwerdeführer daher wegen versuchter und nicht wegen vollendeter vorsätzlicher Tötung verurteilt wurde (vgl. Art. 22 Abs. 1 StGB). 
Der erwähnte Haftgrund wurde erst auf den 1. Januar 2007 hin eingeführt (AS 2006 4767 und 4769). Er war in den Botschaften zur Änderung des Asylgesetzes und des Ausländerrechts (vgl. BBl 2002 S. 3709 ff. und 6845 ff.) noch nicht vorgesehen und wurde erst nach Durchführung der Vernehmlassungsverfahren aufgenommen. Im Anschluss an diese Verfahren wollte der Gesetzgeber auf Wunsch etlicher Kantone die Haftgründe erweitern. Ausländer ohne gültigen Aufenthaltstitel, die schwer gegen die Rechtsordnung verstossen haben und deswegen verurteilt worden sind, sollten während der Vorbereitung des Entscheids über die Aufenthaltsberechtigung und während des Wegweisungsverfahrens in Vorbereitungs- bzw. Ausschaffungshaft genommen werden können (vgl. AB 2004 N 1116 - 1118; AB 2005 N 1196; AB 2005 S 372 f.). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist beim interessierenden Haftgrund keine Prognose darüber anzustellen, ob sich der Ausländer dem Vollzug der Wegweisung entziehen werde. Eine solche Prognose ist bei dem in Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AuG geregelten Haftgrund der Untertauchensgefahr notwendig, wo es denn auch ausdrücklich heisst, es müssten "konkrete Anzeichen befürchten lassen", dass sich der Ausländer "der Ausschaffung entziehen will". Eine solche Bedingung fehlt bei Art. 75 Abs. 1 lit. h AuG. Es genügt für die Ausschaffungshaft, dass neben dem Haftgrund der Verurteilung wegen eines Verbrechens ein Aus- oder Wegweisungsverfahren - wie hier - hängig ist (vgl. auch Urteil 2A.480/2003 vom 26. August 2004 E. 3.3 mit Hinweisen). 
Nach dem Dargelegten geht auch die in diesem Zusammenhang erhobene Rüge des Beschwerdeführers fehl, die Vorinstanz habe ihre Begründungspflicht bzw. seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verletzt (vgl. dazu allg. BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen). Da es auf eine Gefährdung des Wegweisungsvollzugs nicht ankommt, musste sich das Verwaltungsgericht hiezu nicht weiter äussern. 
Lediglich ergänzend sei angemerkt, dass vorliegend auch Anzeichen für den erwähnten Haftgrund der Untertauchensgefahr bestehen, da der Beschwerdeführer ausführt (S. 7 der Beschwerde an das Bundesgericht), es sei "gut vorstellbar", dass er sich bei rechtkräftiger Wegweisung "in ein Drittland absetzt", bevor ihn die einheimischen Behörden aufgreifen und in die Türkei ausschaffen können (vgl. Urteil 2C_394/2007 vom 15. August 2007 E. 2.3 mit Hinweisen). 
 
2.2 Zum anderen macht der Beschwerdeführer geltend, innerhalb der Maximaldauer der Haft von achtzehn Monaten (vgl. Art. 76 Abs. 3 AuG) würde aller Voraussicht nach kein rechtskräftiger und vollstreckbarer Wegweisungsentscheid vorliegen. Es stehe nämlich fest, dass er - falls nötig - sämtliche Rechtsmittel bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) oder zum UNO-Ausschuss gegen Folter ergreifen werde. Wegen seines Flüchtlingsstatus und der ihm in seiner Heimat drohenden Gefahren sei davon auszugehen, dass er den Ausgang der Verfahren in der Schweiz werde abwarten können. Dafür spreche auch, dass das Verwaltungsgericht - gestützt auf eine Legalprognose zu einem bei ihm bestehenden Rückfallrisiko - seine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug befürwortet hatte. Deshalb würde das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug der Wegweisung seine Interessen am einstweiligen Verbleib in der Schweiz bis zum definitiven Abschluss der Verfahren nicht überwiegen. 
Diese Rüge ist unbegründet. Bisher haben die Behörden - auch im Verfahren zur Überprüfung der Rechtmässigkeit der Wegweisung - mit der nötigen Dringlichkeit gehandelt (vgl. das Beschleunigungsgebot gemäss Art. 76 Abs. 4 AuG). Das Verwaltungsgericht hat einen baldigen Entscheid über die Beschwerde gegen den erwähnten Beschluss des Regierungsrates vom 11. Februar 2009 angekündigt. Es ist daher zu erwarten, dass die Schweizer Behörden - gerade auch mit Blick auf die angeordnete Ausschaffungshaft - vor Ablauf der maximalen Haftdauer einen letztinstanzlichen Entscheid über die Wegweisung und - je nach Ausgang - die erforderlichen Vorkehrungen zur Ausschaffung des Beschwerdeführers treffen können. Der Beschwerdeführer rügt denn auch nicht, dass das Beschleunigungsgebot verletzt worden sei. Derzeit zusätzlich darauf abzustellen, ob eventuell ein Verfahren vor dem EGMR oder dem UNO-Ausschuss stattfinden werde, ist nicht angezeigt. Würden diese theoretischen Möglichkeiten jedesmal zu berücksichtigen sein, wäre eine Ausschaffungshaft bei Vorliegen eines erstinstanzlichen, noch nicht rechtskräftigen Wegweisungsentscheides regelmässig ausgeschlossen oder es müssten längere Haftdauern vorgesehen werden. 
 
2.3 Schliesslich beruft sich der Beschwerdeführer auf das Non-Refoulement-Prinzip bzw. auf das Rückschiebungsverbot; er weist auf Art. 5 AsylG, Art. 33 des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (FK; SR 0.142.30), Art. 3 EMRK und Art. 3 Ziff. 1 des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Folterschutzkonvention; SR 0.105) hin (vgl. dazu BGE 135 II 110 E. 2.2 und 2.3 sowie E. 3 S. 113 ff. mit Hinweisen). Er sei in der Schweiz als Flüchtling anerkannt worden, weil er in der Türkei wegen seiner politischen Haltung schwer gefoltert worden sei und über ihn ein politisches Datenblatt mit dem Vermerk "unbequeme Person" bestehe. Das lasse ohne weiteres den Schluss zu, dass im Falle seiner Wegweisung in die Türkei mit überwiegender Wahrscheinlichkeit begründet zu befürchten sei, dass er Folter oder anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werde. 
Soweit sich diese Ausführungen des Beschwerdeführers nicht bloss auf die in vorstehender Erwägung 2.2 erörterte Rüge beziehen, ist hiezu zu bemerken, dass Asyl- und Wegweisungsfragen grundsätzlich nicht Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens bilden. Der Haftrichter kann seine Genehmigung nur verweigern, wenn sich der zu sichernde Wegweisungsentscheid als offensichtlich unzulässig erweist (BGE 128 II 193 E. 2.2.2 S. 198; 130 II 56 E. 2 S. 58). Das ist hier jedoch nicht der Fall und wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Wie erwähnt, ist momentan beim Verwaltungsgericht noch die Beschwerde wegen der Erneuerung seiner Aufenthaltsbewilligung und wegen der Wegweisung hängig; dieses und die weiteren mit dem Vollzug betrauten Behörden werden - unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes - über die vom Beschwerdeführer aufgeworfenen Fragen befinden müssen. 
 
2.4 Dem Dargelegten zufolge erweist sich die Ausschaffungshaft derzeit nicht als bundesrechtswidrig. Daher ist die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Für alles Weitere wird auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid und in den Haftrichterverfügungen verwiesen. 
 
3. 
Diesem Ausgang entsprechend hätte der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 65 f. BGG). Er hat aber wegen Bedürftigkeit unentgeltliche Prozessführung und Verbeiständung nach Art. 64 BGG beantragt. Namentlich mit Blick darauf, dass sich das Bundesgericht bisher noch nicht zum Haftgrund des Art. 75 Abs. 1 lit. h AuG zu äussern hatte, kann die Beschwerde nicht als aussichtslos bezeichnet werden, weshalb die unentgeltliche Verbeiständung gewährt wird. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gutgeheissen: 
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
 
2.2 Rechtsanwalt Peter Nideröst, Zürich, wird für das bundesgerichtliche Verfahren als unentgeltlicher Rechtsbeistand eingesetzt und aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Migrationsamt des Kantons Zürich, dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 1. Kammer, und dem Bundesamt für Migration schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 5. August 2009 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Müller Merz