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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_482/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 7. Dezember 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichter Wirthlin, Bundesrichterin Viscione, 
Gerichtsschreiberin Polla. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Advokatin Natalie Matiaska, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (Suva), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Invalidenrente), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid 
des Kantonsgerichts Basel-Landschaft 
vom 4. Mai 2017 (725 16 361 / 107). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1961 geborene A.________ war als Maschinenführer bei der B.________ AG tätig und dadurch bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva) obligatorisch unfallversichert. Am 14. April 2013 stürzte er bei der Arbeit von einer Leiter und zog sich dabei eine rechtsseitige mehrfragmentäre Sprunggelenksluxationsfraktur und eine Fraktur des Pilon-tibiale zu. Die Suva kam für die Heilbehandlung und das Taggeld auf. Mit Verfügung vom 25. Mai 2016 sprach sie dem Versicherten eine Integritätsentschädigung bei einer Einbusse von 5 % sowie eine auf einer Erwerbsunfähigkeit von 20 % und einem Jahresverdienst von Fr. 82'253.- basierende Invalidenrente ab 1. Juni 2016 zu. Die gegen die Invalidenrente erhobene Einsprache hiess die Suva insoweit teilweise gut, als sie den Jahresverdienst auf Fr. 82'716.- erhöhte. 
 
B.   
Die dagegen geführte Beschwerde, mit der A.________ beantragen liess, es sei ihm auf der Basis eines Jahresverdienstes von Fr. 84'976.- eine Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von mindestens 27 % zu gewähren, wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Entscheid vom 4. Mai 2017 ab. 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erheben mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei ihm ab 1. Juni 2016 eine Invalidenrente auf der Grundlage eines Erwerbsunfähigkeitsgrades von mindestens 27 % und eines versicherten Jahresverdienstes von Fr. 85'237.- zuzusprechen. Ferner beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege. 
Die Suva beantragt, soweit der Versicherte die Zusprechung einer Invalidenrente gestützt auf einen versicherten Jahresverdienst von Fr. 85'237.- verlange, sei auf die Beschwerde nicht einzutreten; im Übrigen sei sie abzuweisen. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. Am 4. September 2017 reicht der Versicherte eine weitere Stellungnahme ein. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1 S. 236 mit Hinweisen). 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt, was von der ein Novum einbringenden Partei darzulegen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; zur Geltung dieses Grundsatzes im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung: BGE 135 V 194 E. 3.4 S. 199 f.). Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass im Sinne von Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können. Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (SVR 2016 UV Nr. 11 S. 33, 8C_412/2015 E. 4 mit Hinweis).  
 
2.2. Nicht zulässig sind vor Bundesgericht neue Begehren (Art. 99 Abs. 2 BGG), das heisst Begehren, mit denen die Vorinstanz nicht befasst war (BGE 135 I 119 E. 2 S. 121) und die zu einer Ausweitung des Streitgegenstandes führen. Soweit der Beschwerdeführer mehr oder anderes verlangt, als er bereits vor kantonalem Gericht geltend gemacht hatte, ist daher auf seine Beschwerde nicht einzutreten. Die Neuheit eines Begehrens bezieht sich auf den Streitgegenstand: Dieser kann vor Bundesgericht nur noch eingeschränkt (minus), aber nicht ausgeweitet (plus) oder geändert (aliud) werden (BGE 136 V 362 E. 3.4.2 S. 365 mit Hinweisen). Der vorinstanzlich beurteilte Streitgegenstand bestimmt sich dabei durch das Dispositiv des angefochtenen Entscheides. Im Falle der Zusprechung bzw. Aufhebung einer Rente ist Streitgegenstand die Versicherungsleistung als solche. Wird deren Aufhebung beanstandet, muss dies auch unter Rechtstiteln möglich sein, die bisher nicht thematisiert worden sind. Damit findet keine Veränderung des Streitgegenstands statt, sondern es handelt sich um ein anderes rechtliches Argument im Rahmen desselben (BGE 136 V 362 E. 3.4.3 und 3.4.4 S. 365 f. mit Hinweisen).  
 
3.  
 
3.1. Die Höhe des für die Bemessung der Rente massgeblichen Jahresverdienstes wird vom streitigen Rechtsverhältnis umfasst und bildete bereits Streitgegenstand vor kantonalem Gericht. Das letztinstanzlich gestellte Rechtsbegehren stellt auf einen höheren versicherten Verdienst ab als dasjenige der vorinstanzlichen Beschwerde. Damit resultiert grundsätzlich im Ergebnis eine höhere Versicherungsleistung als im vorinstanzlichen Verfahren verlangt wurde. Die Zugrundelegung eines höheren versicherten Verdienstes bei einem wie schon im vorinstanzlichen Verfahren geltend gemachten Invaliditätsgrad von mindestens 27 % führt aber nicht zu einer unzulässigen Ausweitung des Streitgegenstandes, da sich aus der vorinstanzlichen Beschwerdebegründung und aus den Erwägungen des angefochtenen Entscheides ergibt, dass die Berücksichtigung des zur letztinstanzlich im Antrag festgehaltenen Summe von Fr. 85'237.- führenden Bonus von Fr. 2'521.- bereits im vorinstanzlichen Verfahren strittig war. Wird der Betrag von Fr. 2'521.- zum unbestritten gebliebenen Teil des versicherten Verdienstes von Fr. 82'716.- hinzugerechnet, resultiert der vor Bundesgericht verlangte versicherte Verdienst von Fr. 85'237.-. Damit liegt kein neues Rechtsbegehren im Sinn von Art. 99 Abs. 2 BGG vor (vgl. Art. 107 BGG). Auf die Beschwerde ist auch in diesem Punkt einzutreten.  
 
3.2. Materiell-rechtlich vermag der Beschwerdeführer aber mit der Rüge, das kantonale Gericht habe in Verletzung von Art. 15 Abs. 1 UVG in Verbindung mit Art. 22 und Art. 24 UVV Bundesrecht verletzt, indem es den im April 2012 ausbezahlten Bonus für das Jahr 2011 nicht zum versicherten Verdienst von Fr. 82'716.- addiert habe, nicht durchzudringen. Einig sind sich die Parteien darin, dass, da sich der Unfall am 14. April 2013 ereignete, für die Bemessung des versicherten Verdienstes der im Zeitraum vom 14. April 2012 bis 13. April 2013 erzielte Lohn massgebend ist (Art. 15 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 22 Abs. 4 Satz 1 UVV). Ebenfalls steht ausser Frage, dass der Bonus in der Höhe von Fr. 2'521 zwar im April 2012 ausgerichtet wurde, aber für das Jahr 2011 geschuldet war. Der für die Rentenfestsetzung massgebende versicherte Verdienst ist retrospektiv nach den im Jahr vor dem Unfall tatsächlich gegebenen erwerblichen Verhältnissen zu ermitteln (vgl. RKUV 2006 Nr. 584 S. 247 E. 4.1 mit Hinweis auf RKUV 1999 Nr. U 340 S. 405 E. 3c). Im Lichte dieser Rechtslage kann nicht entscheidend sein, wofür der Beschwerdeführer in erwerblicher Hinsicht im Jahr vor der massgebenden Periode anspruchsberechtigt war. Dass die Erfüllung dieses Rechtsanspruchs in dem hier interessierenden Zeitraum fiel, ist für die Bemessung des versicherten Verdienstes nicht relevant. Berücksichtigt werden könnten einzig noch nicht ausbezahlte Lohnbestandteile, auf die für die relevante Periode ein Rechtsanspruch besteht. Etwas anderes lässt sich dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung entsprechend nicht ableiten. Ein Abstellen auf sämtliche tatsächlich erfolgten Lohnzahlungen in der zu beachtenden Periode wäre mit Zufälligkeiten behaftet und führte deswegen zu sachlich nicht gerechtfertigten Resultaten.  
 
4.  
 
4.1. Um das von der versicherten Person ohne Gesundheitsschaden hypothetisch erzielbare Valideneinkommen zu bestimmen, ist entscheidend, was diese im Zeitpunkt des frühestmöglichen Rentenbeginns überwiegend wahrscheinlich als Gesunde tatsächlich verdienen würde, und nicht, was sie bestenfalls verdienen könnte. Dabei wird in der Regel am zuletzt erzielten, nötigenfalls der Teuerung und der realen Einkommensentwicklung angepassten Verdienst angeknüpft, da erfahrungsgemäss die bisherige Tätigkeit ohne Gesundheitsschaden fortgesetzt worden wäre. Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt sein (BGE 135 V 297 E. 5.1 S. 300; 134 V 322 E. 4.1 S. 325; 129 V 222 E. 4.3.1 S. 224; vgl. auch BGE 139 V 28 E. 3.3.2 S. 30; 135 V 58 E. 3.1 S. 59).  
 
4.2. Mit Blick auf das im Gesundheitsfall hypothetisch erzielbare Einkommen gelangte die Vorinstanz zum Schluss, die mit Fr. 10'000.- pauschal veranschlagten Schicht- und Abwesenheitszuschläge seien nicht zu tief bemessen. Gegenüber der Suva habe die B.________ AG ausgeführt, als Faustregel gelte für den Schicht- und Abwesenheitszuschlag ein Satz von 23 % des Bruttolohnes (Fr. 1'170.70 pro Monat bzw. Fr. 14'048.40 pro Jahr). Die Arbeitgeberin habe jedoch auf eine mittlerweile stark zurückgegangene Auslastung hingewiesen, wobei eine genaue Bezifferung der Zuschläge unmöglich sei (Telefonnotiz vom 20. April 2016). Es sei nicht zu beanstanden, dass die Suva daher die Schicht- und Abwesenheitszuschläge pauschal auf Fr. 10'000.- jährlich festgesetzt und höhere Zuschläge nicht als überwiegend wahrscheinlich angesehen habe. Die Vorinstanz bekräftigte, dass unter den geschilderten Gegebenheiten, namentlich im Lichte des schwierigen wirtschaftlichen Umfeldes der Arbeitgeberin, nicht von Zulagen in der Höhe von 23 % des Bruttolohnes im Jahr 2016 auszugehen sei, weshalb die seitens der Suva berücksichtigten Zuschläge in Ermangelung konkreter Zahlen stand hielten.  
 
4.3. Der Beschwerdeführer zeigt nicht stichhaltig auf, weshalb im Zeitpunkt des Rentenbeginns (Juni 2016), obwohl sich die ehemalige Arbeitgeberin dannzumal unstrittig in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befand, Schicht- und Abwesenheitszuschläge in der Höhe von 23 % des Bruttolohnes ausgerichtet worden wären. Nichts zu seinen Gunsten vermag er diesbezüglich aus dem letztinstanzlich neu eingereichten Zeitungsbericht vom 11. April 2017 abzuleiten, der von der B.________ AG im ersten Quartal des Jahres 2017 erreichten "schwarzen Zahlen" handelt. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei diesem neuen Dokument um ein unzulässiges und daher nicht zu berücksichtigendes Novum handelt (Art. 99 Abs. 1 BGG), sind dadurch die Zuschläge im geforderten Umfang nicht rechtsgenüglich dargetan. Angesichts der von der Arbeitgeberin in diesem Zusammenhang selbst vorgebrachten schwierigen wirtschaftlichen Situation des Unternehmens erscheinen Schicht- und Abwesenheitszuschläge in der geltend gemachten Höhe wenig plausibel, weshalb darauf mit der Vorinstanz nicht abgestellt werden kann. Das von kantonalem Gericht und Suva ermittelte Valideneinkommen mit Schicht- und Abwesenheitszuschlägen in der Höhe von Fr. 10'000.-, anstelle von den beschwerdeweise verlangten Fr. 14'048.40, stellt somit einen für den vorliegenden Fall nicht zu beanstandenden hypothetischen Wert dar, der den konkreten Umständen Rechnung trägt.  
 
4.4. Den unter Beizug der DAP-Blätter ermittelten, trotz der unfallbedingten Beeinträchtigung des Leistungsvermögens zumutbarerweise noch realisierbaren Lohn (Invalideneinkommen) von Fr. 60'748.- beanstandet der Versicherte nicht, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist. Damit bleibt es bei der aufgrund des Vergleichs mit dem Valideneinkommen von Fr. 76'375.- ermittelten Einkommenseinbusse von Fr. 15'627.- und dem vorinstanzlich bestätigten Invaliditätsgrad von gerundet 20 %. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
4.5. Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 BGG). Die unentgeltliche Rechtspflege (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann gewährt werden, da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Bundesgerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu in der Lage ist.  
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. Advokatin Natalie Matiaska wird als unentgeltliche Anwältin des Beschwerdeführers bestellt. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4.   
Der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers wird aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 7. Dezember 2017 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Polla