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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
9C_861/2010 
 
Urteil vom 31. Dezember 2010 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter U. Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Pfiffner Rauber, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
D.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hans M. Weltert, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Ausgleichskasse Luzern, 
Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Alters- und Hinterlassenenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern vom 14. September 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Nachdem über die Firma X.________ AG im Dezember 2006 der Konkurs eröffnet und das Verfahren am 26. Februar 2007 mangels Aktiven eingestellt worden war, erhob die Ausgleichskasse des Kantons Luzern gegenüber D.________ - als ehemaligem Organ der konkursiten Gesellschaft - gestützt auf Art. 52 AHVG eine Schadenersatzforderung über Fr. 69'990.65 für entgangene Beiträge (Verfügung vom 22. Juni 2007). Mit Schreiben vom 19. Oktober 2007 liess D.________ der Kasse einen Vorschlag zur gütlichen Bereinigung des Forderungsstreits unterbreiten. Die Verwaltung bestand auf dem verfügungsweise erhobenen Ersatzanspruch. D.________ reichte am 9. Januar 2009 ein Revisions- bzw. Wiedererwägungsgesuch ein, auf welches die Ausgleichskasse nicht eintrat (Entscheid vom 22. Oktober 2009). 
 
B. 
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies die dagegen eingereichte Beschwerde ab, soweit es darauf eintrat (Entscheid vom 14. September 2010). 
 
C. 
D.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Ausgleichskasse des Kantons Luzern zu verpflichten, ihm die Schadenersatzverfügung neu zu eröffnen. Eventuell sei die Verwaltung zu verpflichten, das Gesuch um Revision bzw. Wiedererwägung materiell zu beurteilen. Subeventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. 
 
Das Bundesgericht weist das gleichzeitig gestellte Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde ab (Verfügung vom 12. November 2010). D.________ lässt sich daraufhin nochmals vernehmen. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Vorinstanz ging davon aus, die Frage, ob die Ausgleichskasse auf das Revisionsgesuch hätte eintreten sollen, beurteile sich danach, ob die Schadenersatzverfügung mangels Eröffnung rechtskräftig geworden sei oder nicht. Aufgrund seiner Ausführungen im Schreiben vom 19. Oktober 2007 stehe indessen fest, dass der Beschwerdeführer die Verfügung gekannt habe. Demnach sei erwiesen, dass die Zustellung spätestens im Oktober 2007 erfolgt sei. Ein Revisionsgrund sei nicht gegeben. 
 
1.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, Kenntnis von der Schadenersatzverfügung vom 22. Juni 2007 habe er erst durch eine Zahlungserinnerung vom 21. September 2007 sowie im Zuge der anschliessenden Akteneinsicht erhalten. Sodann habe erst eine Nachforschung bei der Post im November 2008 ergeben, dass die an ihn gerichtete Verfügung am 26. Juni 2007 von einem zu diesem Zeitpunkt noch nicht durch Vollmacht befugten Dritten am Firmensitz entgegengenommen worden sei. Dieser habe ihm die Sendung vorenthalten. Vor Kenntnisnahme des entsprechenden Schreibens der Post vom 11. November 2008 habe er keinen Grund gehabt, an der ordnungsgemässen Zustellung der Schadenersatzverfügung vom 22. Juni 2007 zu zweifeln. 
 
1.2 Der Beschwerdeführer kannte - gemäss eigener Schilderung des Hergangs - ab Mitte November 2008 neben der Schadenersatzverfügung und deren Inhalt auch den Umstand, dass die Verfügung am 26. Juni 2007 an eine (noch) nicht zur Entgegennahme befugte Person ausgehändigt worden war. Mithin war er spätestens mit Kenntnisnahme des Schreibens der Post vom 11. November 2008 in der Lage, die Schadenersatzverfügung materiell anzufechten. Ausgehend von diesem Zeitpunkt hätte die Einsprache innert der dreissigtägigen gesetzlichen Frist (Art. 1 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 ATSG) geführt werden müssen (vgl. Urteil 6A.100/2006 vom 28. März 2007 E. 2.2.2). Das "Gesuch um Revision bzw. Gesuch um Wiedererwägung" vom 9. Januar 2009 enthält zwar eine - wenn auch knappe - materielle Auseinandersetzung mit der Schadenersatzverfügung vom 22. Juni 2007 (vgl. Art. 10 Abs. 1 ATSV). Als Einsprache erfolgte die Eingabe jedenfalls aber verspätet. Es besteht somit kein Spielraum, um die Schadenersatzverfügung, wie vom Beschwerdeführer anbegehrt, neu zu eröffnen, das Revisions- bzw. Wiedererwägungsgesuch vom 9. Januar 2009 materiell zu behandeln oder die Sache zur Neubeurteilung an das kantonale Gericht zurückzuweisen. 
 
1.3 Der Beschwerdeführer nahm nach Erhalt der bundesgerichtlichen Verfügung vom 12. November 2010, mit welcher das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen wurde, nochmals Stellung zur Sache (Schreiben vom 23. November 2010). Dazu ist Folgendes festzuhalten: Es ist in sich widersprüchlich, einerseits auszuführen, die Schadenersatzverfügung vom 22. Juni 2007 sei im Zeitpunkt der Kenntnisnahme bei Gelegenheit der Akteneinsicht im Herbst 2007 bereits rechtskräftig gewesen, und anderseits geltend zu machen, die Verfügung sei nie korrekt zugestellt worden. Sofern letzteres zutrifft, konnte die Rechtskraft von vornherein erst eingetreten sein, nachdem der Eröffnungsfehler beseitigt war. Der Beschwerdeführer macht nun geltend, die Verfügung sei wegen mangelnder Zustellung nichtig. Dieser Umstand wäre von Amtes wegen zu berücksichtigen (BGE 129 I 361 E. 2 S. 363). In BGE 110 V 145 E. 2d S. 151 hat das Bundesgericht eine Verfügung, die einer Person zugestellt wird, die nicht befugt ist, sie in Empfang zu nehmen, in der Tat als nichtig bezeichnet. Allerdings ging es in diesem Präjudiz um einen Verwaltungsakt, der an eine nicht empfangsberechtigte Person (in casu: Organisation) adressiert wurde; anstelle der in ihrer Rechtsstellung tangierten Personen war deren Arbeitgeberin als Verfügungsempfängerin bezeichnet. Die materiell beschwerten Personen hatten die Verfügung nicht nur tatsächlich nicht empfangen, sondern überdies auch keine Gelegenheit, indirekt davon Kenntnis zu nehmen, womit ihnen das Beschwerderecht abgeschnitten wurde (vgl. BGE a.a.O. S. 152 oben). Die postalische Aushändigung an eine (noch) nicht bevollmächtigte Person kann dem nicht ohne Weiteres gleichgesetzt werden. Steht die Möglichkeit der (allenfalls auch nachträglichen) Kenntnisnahme bereits in der dem zitierten Urteil zugrundeliegenden Konstellation der Annahme von Nichtigkeit entgegen, so gilt dies erst recht mit Bezug auf den hier interessierenden Mangel in der postalischen Zustellung. Der Beschwerdeführer hatte, wie bereits festgehalten, Mitte November 2008 die - bei dieser Sichtweise den Eintritt der Rechtskraft hindernden - Umstände der Zustellung erfahren. Bestand insofern also kein Rechtsnachteil mehr (vgl. Art. 49 Abs. 3 dritter Satz ATSG), weil die Möglichkeit einer Einspracheerhebung ersichtlich wurde, so fällt eine (ab initio bestehende) Nichtigkeit schon deswegen ausser Betracht. Anders verhielte es sich, wenn der Betroffene von der Entscheidung mangels Eröffnung nie erfahren oder keine Gelegenheit erhalten hätte, am laufenden Verfahren teilzunehmen (BGE 129 I 361 E. 2.1 S. 364). Somit bleibt es auch unter diesem Gesichtspunkt bei dem oben dargelegten Fristenlauf im Einspracheverfahren. 
 
1.4 Aufgrund dieser Sach- und Rechtslage muss nicht entschieden werden, ob das einen Vergleichsvorschlag enthaltende Schreiben des Beschwerdeführers an die Ausgleichskasse vom 19. Oktober 2007, worin auf "Ihre Verfügung vom 22.06.2007, welche Sie unserem Klienten haben zukommen lassen" Bezug genommen wird, die Annahme zulässt, die Verfügung sei (vorerst) nicht formell rechtskräftig geworden. 
 
2. 
Die Beschwerde hatte keine Aussicht auf Erfolg, weshalb sie im vereinfachten Verfahren nach Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG ohne Durchführung des Schriftenwechsels und mit summarischer Begründung erledigt wird (Art. 102 Abs. 1 und Art. 109 Abs. 3 BGG). 
 
3. 
Dem Verfahrensausgang entsprechend werden die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 31. Dezember 2010 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Meyer Traub