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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_28/2010 
 
Urteil vom 17. Februar 2010 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Aemisegger, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Raselli, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Adrian Blättler, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis, 
Zweigstelle Horgen, Burghaldenstrasse 3, 
Postfach, 8810 Horgen. 
 
Gegenstand 
Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 14. Januar 2010 des Bezirksgerichts Horgen, I. Abteilung. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
X.________ wurde am 22. Juni 2008 von der Kantonspolizei Zürich verhaftet und mit Verfügung vom 25. Juni 2008 des Haftrichters des Bezirksgerichts Horgen in Untersuchungshaft versetzt. Seit dem 3. März 2009 befindet er sich im vorzeitigen Strafvollzug. 
 
Das Bezirksgericht Horgen sprach X.________ mit Urteil vom 13. Januar 2010 der mehrfachen Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB), der mehrfachen vollendeten und der mehrfachen versuchten sexuellen Nötigung (Art. 189 Abs. 1 StGB, Art. 21 Abs. 1 aStGB), der mehrfachen Pornografie (Art. 197 Ziff. 3 StGB) sowie der mehrfachen Verletzung des Geheim- oder Privatbereichs durch Aufnahmegeräte (Art. 197quater StGB) für schuldig. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ihm 571 Tage Untersuchungshaft und vorzeitiger Strafvollzug angerechnet wurden. Mit Präsidialverfügung vom 14. Januar 2010 wies das Bezirksgericht das Gesuch X.________s um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug ab. 
 
B. 
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht vom 29. Januar 2010 beantragt X.________, die Präsidialverfügung des Bezirksgerichts Horgen vom 14. Januar 2010 sei aufzuheben und er selbst sei aus dem vorzeitigen Strafvollzug zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur Anordnung von Ersatzmassnahmen im Sinne von § 72 Abs. 2 der Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (LS 321; StPO/ZH) an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
In ihrer jeweiligen Vernehmlassung beantragen das Bezirksgericht Horgen und sinngemäss auch die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis die Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hält in seiner Stellungnahme dazu an seinen Anträgen und Rechtsauffassungen fest. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG beurteilt das Bundesgericht Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen. Ein kantonales Rechtsmittel gegen den angefochtenen Entscheid steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 i.V.m. Art. 130 Abs. 1 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer nahm vor der Vorinstanz am Verfahren teil und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids. Er ist nach Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Das Bundesgericht kann nach Art. 107 Abs. 2 BGG bei Gutheissung der Beschwerde in der Sache selbst entscheiden. Deshalb ist der Antrag auf Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug zulässig. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2. 
2.1 Der Beschwerdeführer befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Dies hindert ihn nicht daran, ein Gesuch um Haftentlassung zu stellen. Auf Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug hin ist zu prüfen, ob die Haftvoraussetzungen gegeben sind (BGE 117 Ia 72 E. 1d S. 79 f.; Urteil 1B_214/2009 vom 21. August 2009 E. 2.1; je mit Hinweisen). 
 
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass ein dringender Tatverdacht bestehe. Er rügt jedoch eine Verletzung der Begründungspflicht durch die Vorinstanz. Zudem macht er geltend, dass kein besonderer Haftgrund vorliege. 
2.2 
2.2.1 Das rechtliche Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV verlangt, dass die Behörde die Vorbringen des vom Entscheid in seiner Rechtsstellung Betroffenen auch tatsächlich hört, prüft und in der Entscheidfindung berücksichtigt. Daraus folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 134 I 83 E. 4.1 S. 88 mit Hinweisen). 
2.2.2 Die Vorinstanz setzte sich im angefochtenen Entscheid nicht mit den Haftgründen auseinander. Die Rüge der Verletzung der Begründungspflicht erweist sich als begründet. Indessen ist vorliegend zu beachten, dass der Beschwerdeführer am 29. Januar 2010 der Vorinstanz ein neues Gesuch um Entlassung aus dem vorzeitigen Strafvollzug einreichte, welchem er im Sinne einer Begründung eine Kopie seiner Beschwerde an das Bundesgericht beilegte. Nachdem die Staatsanwaltschaft mit Schreiben vom 2. Februar 2010 zu dem Gesuch Stellung genommen hatte, erliess der Haftrichter eine vom 4. Februar 2010 datierte Verfügung, in welcher er sich in einer den verfassungsmässigen Anforderungen genügenden Weise mit den Haftvoraussetzungen auseinandersetzte. Der Beschwerdeführer hat im bundesgerichtlichen Verfahren dazu Stellung nehmen können. Die Gehörsverletzung wurde damit im Rahmen des Schriftenwechsels vor Bundesgericht geheilt. Eine Rückweisung der Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz würde dagegen zu einem formalistischen Leerlauf führen. Im Übrigen kann dem im kantonalen Verfahren begangenen Fehler beim Entscheid über die Kosten- und Entschädigungsfolgen angemessen Rechnung getragen werden (BGE 133 I 201 E. 2.2 S. 204 f.; 124 II 460 E. 3a S. 469 f.; je mit Hinweisen). 
2.3 
2.3.1 Gemäss Haftentscheid vom 4. Februar 2010 besteht Wiederholungsgefahr im Sinne von § 58 Abs. 1 Ziff. 3 StPO/ZH. Diese Bestimmung ist anwendbar, wenn der Angeschuldigte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem aufgrund bestimmter Anhaltspunkte ernsthaft befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde, "nachdem er bereits zahlreiche Verbrechen oder erhebliche Vergehen verübt hat, erneut solche Straftaten begehen". 
 
Nach der Praxis des Bundesgerichts kann die Anordnung von Haft wegen Fortsetzungsgefahr dem strafprozessualen Ziel der Beschleunigung dienen, indem verhindert wird, dass sich das Verfahren durch immer neue Delikte kompliziert und in die Länge zieht. Auch die Wahrung des Interesses an der Verhütung weiterer Delikte ist nicht verfassungs- oder konventionswidrig. Vielmehr anerkennt Art. 5 Ziff. 1 lit. c EMRK ausdrücklich die Notwendigkeit, Angeschuldigte an der Begehung strafbarer Handlungen zu hindern, somit Spezialprävention, als Haftgrund (BGE 135 I 71 E. 2.2 S. 72 mit Hinweisen). 
 
Bei der Annahme, dass der Angeschuldigte weitere Verbrechen oder erhebliche Vergehen begehen könnte, ist allerdings Zurückhaltung geboten. Die Aufrechterhaltung von strafprozessualer Haft wegen Fortsetzungsgefahr ist nur dann verhältnismässig, wenn einerseits die Rückfallprognose sehr ungünstig und anderseits die zu befürchtenden Delikte von schwerer Natur sind. Schliesslich gilt auch bei der Präventivhaft - wie bei den übrigen Haftarten - dass sie nur als ultima ratio angeordnet oder aufrechterhalten werden darf. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer Stelle eine dieser Ersatzmassnahmen verfügt werden (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73 mit Hinweisen). 
2.3.2 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer sei zwar nicht vorbestraft, jedoch sei er wegen zahlreicher Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen während eines Zeitraums von ungefähr sechs Jahren verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe diese Delikte eingestanden, dies jedoch nicht von Anfang an, sondern jeweils nur insoweit, als sie ihm durch Video- und Fotoaufnahmen hätten bewiesen werden können. Der Haftrichter verweist auf ein psychiatrisches Gutachten vom 15. Februar 2009, worin die Zunahme im Schweregrad der Tathandlungen als bedeutsam erachtet worden sei. Zudem habe der Gutachter aus dem Interesse des Beschwerdeführers an der Miete einer eigenen Wohnung und der gefundenen Inserate von jungen Frauen geschlossen, dass der Beschwerdeführer daran gedacht haben könnte, seine sexuellen Neigungen an ihm bisher unbekannten Frauen auszuleben. 
2.3.3 Der Beschwerdeführer macht geltend, das laufende Strafverfahren habe auf ihn eine warnende Wirkung gehabt. Zusätzlich habe die im März 2009 begonnene Therapie das Rückfallrisiko gemindert. Im psychiatrischen Gutachten werde das Risiko auch ohne Therapie als moderat eingestuft. Neben den im Gutachten angeführten Gründen spiele eine Rolle, dass die Voraussetzungen für die Wiederholung gleichartiger Delikte nicht mehr gegeben seien. Bei den relevanten, d.h. den schweren Delikten (Vergewaltigung und sexuelle Nötigung) hätten die Opfer nämlich allesamt aus dem engen Bekanntenkreis gestammt. Dieser sei nun über die Delikte im Bild. 
2.3.4 Die Einwände des Beschwerdeführers erweisen sich als nicht stichhaltig. Dem erwähnten Gutachten ist unter anderem zu entnehmen, dass sich insbesondere der sexuelle Sadismus als prognostisch ungünstig erweise. Dies gelte auch für den über die Jahre hinweg zunehmenden Schweregrad der Tathandlungen, das unzureichende Problembewusstsein, die ausgeprägten kognitiven Verzerrungen sowie die Bagatellisierungen und Legitimierungen. Das Interesse am Bezug einer eigenen Wohnung bzw. an den Inseraten von jungen Frauen, die sich für Fotoaufnahmen und Weiteres zur Verfügung stellten, deuteten darauf hin, dass der Beschwerdeführer zumindest erwäge, seine sexuellen Neigungen auch an ihm bisher unbekannten Frauen auszuleben. Es sei insbesondere mittel- bis längerfristig auch bei anderen Frauen mit dem Einsatz von Fesseln, Medikamenten etc. zu rechnen. Die zentrale Bedeutung des Auslebens seiner Neigungen werde auch deutlich an dem hohen Risiko, das der Beschwerdeführer in Kauf genommen habe. Zusammenfassend kam der Gutachter zum Schluss, die Rückfallgefahr für gleichartige sexuelle Handlungen an Freuen sei langfristig zumindest moderat bis erheblich, bezüglich versteckten voyeuristischen Videoaufnahmen erheblich. 
 
Auch wenn der Beschwerdeführer seit der Erstellung des Gutachtens therapiert wurde, so fällt doch auf, dass der Gutachter die langfristige Prognose als ungünstiger bezeichnet als die kurzfristige. Dass der Gutachter nicht von einer sehr hohen Rückfallgefahr spricht, ist entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kein Grund, die Voraussetzungen der Untersuchungshaft zu verneinen. Auch wenn der Richter unter dem Vorbehalt triftiger Gründe an die fachlichen Schlüsse des Gutachters gebunden ist, so ist es doch eine Rechtsfrage, ab welcher Wahrscheinlichkeit die Rückfallgefahr als rechtserheblich zu bezeichnen ist (Urteil 1B_228/2008 vom 2. September 2008 E. 4.2 mit Hinweisen). Bei dieser Beurteilung ist insbesondere bedeutsam, dass der Gutachter zum Schluss kam, es sei insbesondere mittel- bis längerfristig auch bei anderen Frauen mit dem Einsatz von Fesseln, Medikamenten etc. zu rechnen. Bei sexueller Nötigung und Vergewaltigung handelt es sich zudem um schwere Delikte sexueller Natur. Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts sind bei Sexualdelikten (wie auch bei schweren Gewaltdelikten) aus Gründen des Opferschutzes weniger hohe Anforderungen an die Wiederholungsgefahr zu stellen (BGE 123 I 268 E. 2e S. 271; Urteil 1P.532/2004 vom 20. Oktober 2004 E. 3.1). Unter diesen Umständen ist vorliegend nicht verfassungswidrig, dass die Vorinstanz den besonderen Haftgrund der Wiederholungsgefahr bejaht hat. 
 
3. 
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist. Da der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu bejahen ist, erübrigt es sich, auf die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Fluchtgefahr einzugehen. 
 
Bei der Festlegung der Kosten- und Entschädigungsfolgen ist, wie erwähnt, der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör Rechnung zu tragen. Dem Beschwerdeführer ist durch die mangelhafte Begründung des angefochtenen Entscheids ein, wenn auch nicht sehr umfangreicher, zusätzlicher Aufwand entstanden. Es sind ihm deshalb angemessen reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zudem hat er Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten werden dem Beschwerdeführer im Umfang von Fr. 1'500.-- auferlegt. 
 
3. 
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 500.-- zu entschädigen. 
 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis und dem Bezirksgericht Horgen, I. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 17. Februar 2010 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Das präsidierende Mitglied: Der Gerichtsschreiber: 
 
Aemisegger Dold