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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.36/2004 
6S.103/2004 /kra 
 
Urteil vom 2. Juli 2004 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, 
Gerichtsschreiber Briw. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Daniel Levy, 
 
gegen 
 
A.________, 
Beschwerdegegner, 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt, Binningerstrasse 21, Postfach, 4001 Basel, 
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel. 
 
Gegenstand 
6P.36/2004 
Art. 9, 29 Abs. 2 und 32 Abs. 1 BV (Strafverfahren; Willkür, rechtliches Gehör, Grundsatz "in dubio pro reo") 
 
6S.103/2004 
Diebstahl, versuchter Betrug, mehrfache Urkundenfälschung 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.36/2004) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.103/2004) gegen das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 7. Januar 2004. 
 
Sachverhalt: 
A. 
In teilweiser Gutheissung einer Appellation der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt (Dreiergericht) vom 25. November 2002 erklärte das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt (Ausschuss) am 7. Januar 2004 X.________ des Diebstahls, des versuchten Betrugs und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig. Es verurteilte ihn zu 4 Monaten Gefängnis, mit bedingtem Strafvollzug und einer Probezeit von 2 Jahren. 
B. 
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben, sowie Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In beiden Rechtsmitteln beantragt er die unentgeltliche Rechtspflege. 
C. 
Das Appellationsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen und beantragt die Abweisung der Beschwerden. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt verzichtet auf eine Vernehmlassung zur staatsrechtlichen Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde muss gemäss Art. 90 Abs. 1 lit. b OG die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden sind. Das Bundesgericht prüft nur klar und einlässlich erhobene Rügen und wendet das Recht nicht von Amtes wegen an (BGE 127 I 38 E. 3c; 125 I 492 E. 1b). Die Begründung muss in der Beschwerdeschrift enthalten sein. Hinweise auf Rechtsschriften im kantonalen Verfahren sind unbeachtlich (BGE 115 Ia 27 E. 4a). 
 
Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 BV) sowie eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Art. 32 Abs. 1 BV) und des rechtlichen Gehörs (Art. 29 Abs. 2 BV). Der Beschwerdeführer zeigt nirgends eine willkürliche Beweiswürdigung gemäss den Begründungsanforderungen von Art. 90 OG auf, so dass insoweit auf die Beschwerde nicht einzutreten ist. 
2. 
Gemäss dem in Art. 32 Abs. 1 BV verankerten Grundsatz in dubio pro reo ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss (BGE 127 I 38 E. 2a). Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Ob der Grundsatz in dieser Hinsicht verletzt ist, prüft das Bundesgericht auf Willkür hin. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwider laufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E.2a). 
2.1 Im Oktober 1995 wurde bei der D.________AG, der früheren Arbeitgeberin des Beschwerdeführers, eingebrochen. Es wurden zahlreiche Gegenstände entwendet. Beim Beschwerdeführer wurde in der Folge ein "Condylator" mit abgeschliffener Gravur gefunden. Das Strafgericht sprach ihn trotz der "sehr eindrücklichen Indizienlast" in dubio pro reo von der Anklage des Diebstahls (und auch der Hehlerei) frei. Das Appellationsgericht bestätigt bezüglich der nicht gefundenen Gegenstände den Freispruch, weil eine Dritttäterschaft nicht auszuschliessen sei, spricht ihn aber bezüglich des Kondylators des Diebstahls schuldig (angefochtenes Urteil S. 3 f.). 
 
Der Beschwerdeführer wendet ein, wenn für den Einbruchdiebstahl eine Dritttäterschaft nicht auszuschliessen sei, so sei nicht einzusehen, weshalb für den Kondylator etwas anderes gelten sollte, da neben ihm jeder Angestellte über die Orts- und Fachkenntnisse verfügt habe und somit als Täter in Betracht komme. Es stehe nicht mit hinreichender Sicherheit fest, dass der gefundene mit dem gestohlenen Kondylator identisch sei (Beschwerde S. 5 f.; act. 230). 
 
Bezüglich der übrigen gestohlenen Gegenstände wurde der Beschwerdeführer in dubio pro reo freigesprochen. Daraus lässt sich nichts weiter ableiten. Hinsichtlich des beim Beschwerdeführer aufgefunden Kondylators bestehen Übereinstimmungen mit dem gestohlenen, die auf ihre Identität hinweisen. Der Beschwerdeführer verfügte zudem über die erforderlichen Orts- und Fachkenntnisse, und am Tatort wurde wertvolles Material zurückgelassen, mit dem er nie gearbeitet hatte. Weiter erwies sich der vom Beschwerdeführer behauptete Kauf als fingiert und daher als Schutzbehauptung (Urteil des Strafgerichts S. 6 f.; angefochtenes Urteil S. 3 f.). Eine Willkür in der Beweiswürdigung, insbesondere auch bezüglich von act. 230, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Es verbleiben aufgrund dieser Indizien keine erheblichen und nicht zu unterdrückenden Zweifel an der Täterschaft des Beschwerdeführers. 
2.2 Der Beschwerdeführer bestreitet, die Quittung für den behaupteten Kauf des bei ihm gefundenen Kondylators hergestellt zu haben. Da ein schlüssiger Beweis, ob die Urkunde von B.________ bzw. einem Herrn C.________ ausgestellt worden sei, nicht erbracht werden könnte, verletze es die Unschuldsvermutung, von seiner Täterschaft auszugehen (Beschwerde S. 10). 
 
Der Beschwerdeführer hat diese Quittung eingereicht. Aufgrund von Aussagen der Ehegattin und Geschäftspartnerin von B.________ und des Vergleichs mit Originalunterlagen erwiesen sich die Angaben des Beschwerdeführers als unzutreffend bzw. die Quittung als eine Fälschung (Urteil des Strafgerichts S. 9; angefochtenes Urteil S. 3 f.). Eine Willkür in dieser Beweiswürdigung legt der Beschwerdeführer nicht dar. Die Annahme des Appellationsgerichts, der Beschwerdeführer habe die Quittung gefälscht, verletzt den Grundsatz in dubio pro reo nicht. 
2.3 Der Beschwerdeführer hatte der Arbeitslosenkasse falsche Lohnabrechnungen für Juni und Juli 2000 eingereicht. Er bestreitet aber, Urheber der Fälschung zu sein (mit Hinweis auf act. 365). Seine Urheberschaft sei auszuschliessen, weil er über die Modalitäten der Anspruchsprüfung der Arbeitslosenkasse genau Bescheid gewusst habe und daher für ihn ein Erfolg zum Vornherein aussichtslos erschienen sei. Die bestehende Unklarheit bezüglich der Täterschaft zu seinem Nachteil auszulegen, sei unhaltbar (Beschwerde S. 7). 
 
Aus act. 365 ergeben sich lediglich eine Bestreitung des Beschwerdeführers und die Einschätzung eines Sachbearbeiters der Staatsanwaltschaft. Das Appellationsgericht bezeichnet unter Hinweis auf das Urteil des Strafgerichts die in Frage kommende Dritttäterschaft und insbesondere auch einen Racheakt des ehemaligen Arbeitgebers als abwegig (angefochtenes Urteil S. 4 f; Urteil des Strafgerichts S. 8 f.). Dass diese Würdigung willkürlich wäre, legt der Beschwerdeführer nicht dar. Das Strafgericht hatte dargelegt, weshalb es von einer Fälschung des Beschwerdeführers ausgeht, dass dieser dafür auch ein Motiv gehabt habe und dass dieses Vorgehen zudem als persönlichkeitsadäquat erscheine. Eine Vorverurteilung aufgrund persönlichkeitsadäquater Machenschaften, wie der Beschwerdeführer weiter geltend macht (Beschwerde S. 8), ist nicht ersichtlich. 
 
Es bestehen daher entgegen der Beschwerde (S. 9) keine relevanten Zweifel an der Urheberschaft des Beschwerdeführers an der Fälschung der Lohnabrechnungen. Der Beschwerdeführer zeigt auch an dieser Stelle nicht auf, inwiefern die Beweiswürdigung willkürlich sein sollte. Eine Verletzung der Unschuldsvermutung (Beschwerde S. 9) ist zu verneinen. 
3. 
Der Beschwerdeführer wirft der Vorinstanz eine Gehörsverletzung vor, weil sie die Tatbestandsvoraussetzungen des Diebstahls, der Urkundenfälschung und des Betrugsversuchs nicht begründe (Beschwerde S. 6, 9, 10). 
Die Begründung eines Entscheids muss so abgefasst sein, dass der Betroffene ihn gegebenenfalls sachgerecht anfechten kann. Dies ist nur möglich, wenn sowohl er wie auch die Rechtsmittelinstanz sich über die Tragweite des Entscheids ein Bild machen können. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde leiten liess und auf welche sich ihr Entscheid stützt. Dabei kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränken (BGE 126 I 97 E. 2b). 
3.1 Das Appellationsgericht kommt zum Ergebnis, das Verhalten des Beschwerdeführers beseitige mit anderen Faktoren die letzten Zweifel daran, dass er das Gerät bei der D.________AG gestohlen habe (angefochtenes Urteil S. 4). Auch wenn sich die Tatbestandsmerkmale hieraus weitgehend ableiten lassen und diese Verurteilung wegen Diebstahls gemäss Art. 139 StGB nicht weiter problematisch erscheint, enthebt das die rechtsanwendende Behörde nicht von der Pflicht, den Schuldspruch zu begründen. 
3.2 Bezüglich der fraglichen Quittung führt das Appellationsgericht aus, der Beschwerdeführer beantrage die Freisprechung von der Anklage der Urkundenfälschung; wie dargestellt, habe er die Rechnung gefälscht, der Schuldspruch werde damit bestätigt (angefochtenes Urteil S. 4, lit. c). Damit fehlt eine nachvollziehbare Begründung, auch wenn aufgrund des Sachverhalts die Annahme einer Urkundenfälschung gemäss Art. 251 Ziff. 1 StGB nahe liegt (vgl. BGE 129 IV 130 E. 2.1; 116 IV 50 E. 2b; ferner BGE 121 IV 131 zum Fall der Falschbeurkundung). 
3.3 Hinsichtlich der bei der Arbeitslosenkasse vom Beschwerdeführer eingereichten gefälschten Lohnabrechnungen für die Monate Juni und Juli 2000 lässt sich dem angefochtenen Urteil (S. 4 f., lit. d) nicht entnehmen, aus welchen Überlegungen das Appellationsgericht eine Urkundenfälschung annimmt. 
3.4 Im Zusammenhang mit der Einreichung der gefälschten Lohnabrechnungen an die Arbeitslosenkasse spricht das Appellationsgericht den Beschwerdeführer zusätzlich des vollendeten versuchten Betrugs im Sinne von Art. 146 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig. Das angefochtene Urteil (S. 4 f., lit. d) enthält keine bundesrechtliche Begründung. Die Verweisung auf das Urteil des Strafgerichts ändert an dieser Tatsache nichts, da auch dessen Urteil keine Begründung enthält. Näher zu begründen wäre vor allem die Annahme einer Arglist. Diese ist unter anderem gegeben, wenn sich der Täter zur Täuschung besonderer Machenschaften bedient. Diesen Sachverhalt erfüllt insbesondere das Vorlegen gefälschter Urkunden und Belege (BGE 128 IV 18 E. 3a; 122 IV 197 E. 3d). Das Kriterium der Überprüfbarkeit gilt nach der neueren Rechtsprechung auch bei besonderen Machenschaften. Unter dem Gesichtspunkt der Opfermitverantwortung ist indes nicht erforderlich, dass das Opfer die grösstmögliche Sorgfalt walten lässt und alle denkbaren Vorsichtsmassnahmen trifft, um den Irrtum zu vermeiden. Vielmehr scheidet Arglist lediglich aus, wenn das Opfer die grundlegendsten Vorsichtsmassnahmen nicht beachtet hat. Entsprechend entfällt der strafrechtliche Schutz nicht bei jeder Fahrlässigkeit des Opfers, sondern nur bei Leichtfertigkeit (BGE 126 IV 165 E. 2a). Ein strafbarer Versuch des Betrugs ist gegeben, wenn sich der Vorsatz des Täters auf eine arglistige Täuschung richtet, mithin auf ein Verhalten, das objektiv als arglistig erscheint. Es ist aufgrund einer hypothetischen Prüfung zu beurteilen, ob der vom Täter ausgearbeitete Tatplan objektiv arglistig war oder nicht (ausführlich BGE 128 IV 18 E. 3b). Im vorliegenden Zusammenhang kann eine Verurteilung wegen versuchten Betrugs zwar grundsätzlich in Betracht kommen (vgl. nicht veröffentlichter BGE 6S.432/2003 vom 29. März 2004). Ob das aber der Fall ist, muss erst begründet werden. 
3.5 Es fehlt somit jegliche tatbestandsmässige Auseinandersetzung. Der Verurteilte hat jedoch Anspruch darauf, dass ein Schuldspruch in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachvollziehbar begründet wird. Somit wird der Anspruch des Beschwerdeführers auf Begründung des Urteils und damit sein rechtliches Gehör verletzt. In diesem Umfang ist das angefochtene Urteil aufzuheben. 
4. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist teilweise gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist, und im Übrigen abzuweisen. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG) ist gegenstandslos geworden. Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer angemessen zu entschädigen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG). 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
5. 
Mit der Aufhebung des angefochtenen Urteils ist die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde gegenstandslos geworden und am Geschäftsverzeichnis abzuschreiben. In diesem Fall werden praxisgemäss weder Kosten erhoben noch Entschädigungen ausgerichtet. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht im Verfahren nach Art. 36a OG
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, und das Urteil des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 7. Januar 2004 wird aufgehoben; im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird als gegenstandslos geworden am Geschäftsverzeichnis abgeschrieben. 
3. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
4. 
Der Kanton Basel-Stadt hat den Beschwerdeführer für das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 2. Juli 2004 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: