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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_361/2022  
 
 
Urteil vom 6. Februar 2024  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Donzallaz, 
Bundesrichterin Hänni, 
Bundesrichter Hartmann, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Marti. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Matthias Stauffacher, 
 
gegen  
 
Kanton Solothurn, vertreten durch Staatskanzlei, Legistik und Justiz, 
Rathaus, Barfüssergasse 24, 4509 Solothurn, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Staatshaftung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 22. März 2022 (VWKLA.2014.4). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ stammt aus Äthiopien. Im Jahr 2012 reiste er in die Schweiz ein. Ein von ihm gestelltes Asylgesuch wurde am 3. Oktober 2014 rechtskräftig abgewiesen, worauf A.________ vorübergehend untergetaucht war. Am 7. September 2015 wurde ein zweites Asylgesuch von A.________ rechtskräftig abgewiesen. Das Migrationsamt des Kantons Solothurn (nachfolgend: Migrationsamt) lehnte es in der Folge ab, A.________ eine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls zu erteilen.  
 
A.b. Am 6. Februar 2020 ordnete das Migrationsamt für drei Monate die Ausschaffungshaft an. A.________ weigerte sich am 28. Februar 2020, einen Flug in seine Heimat anzutreten. Eine begleitete Ausschaffung konnte am 20. März 2020 wegen der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden. Mit Verfügungen vom 30. April 2020 und 31. Juli 2020 verlängerte das Migrationsamt die Ausschaffungshaft, zuletzt vom 4. August 2020 bis 4. November 2020. Das Haftgericht genehmigte die Verlängerungen jeweils mit Verfügungen vom 4. Mai 2020 und 4. August 2020.  
 
A.c. Den zweiten haftrichterlichen Entscheid vom 4. August 2020 focht A.________ beim Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn an. Dieses wies die Beschwerde am 3. September 2020 ab. Dagegen gelangte A.________ ans Bundesgericht, welches seine Beschwerde mit Urteil vom 21. Oktober 2020 guthiess und anordnete, A.________ sei unverzüglich aus der Ausschaffungshaft zu entlassen (Urteil 2C_768/2020). Das Bundesgericht erwog zusammengefasst, im Zeitpunkt des angefochtenen Urteils habe nur eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit bestanden, dass der Vollzug der Wegweisung von A.________ innert absehbarer Frist durchgeführt werden könne; deshalb verletze das angefochtene Urteil Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK.  
 
B.  
Am 17. November 2020 reichte A.________ beim Regierungsrat des Kantons Solothurn ein Schadenersatzbegehren ein. Er forderte eine Genugtuung von Fr. 32'000.--, weil er ab Mitte Mai bis und mit 21. Oktober 2020 während 160 Tagen widerrechtlich inhaftiert gewesen sei. Mit Schreiben vom 1. Februar 2021 teilte ihm die Staatskanz-Iei des Kantons Solothurn mit, ein Staatshaftungsanspruch bestehe nicht. 
Daraufhin erhob A.________ am 4. Mai 2021 beim Verwaltungsgericht Klage gegen den Kanton Solothurn mit dem Antrag, es sei ihm eine Genugtuung im Betrag von Fr. 32'000.-- zuzüglich Zins von 5 % seit dem 3. August 2020 zuzusprechen. Mit Urteil vom 22. März 2022 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Zusammengefasst erwog es, die Verfügungen und Entscheide, mit denen die Ausschaffungshaft verlängert wurden, könnten nicht als widerrechtlich im Sinne des Staatshaftungsrechts bezeichnet werden. Bereits aus diesem Grund seien die Voraussetzungen für eine Haftung des Staates nicht erfüllt. Hinzu komme, dass der Beschwerdeführer auch keinen schweren immateriellen Schaden nachgewiesen habe. 
 
C.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 9. Mai 2022 gelangt A.________ ans Bundesgericht. Er beantragt, das Urteil des Verwaltungsgerichts Solothurn vom 22. März 2022 sei aufzuheben und ihm sei eine Genugtuung im Betrag von Fr. 32'000.-- zuzüglich Zins von 5 % seit dem 3. August 2020 zuzusprechen. Eventualiter sei die Konventionsverletzung als Genugtuung festzustellen. In prozessualer Hinsicht verlangt der Beschwerdeführer, die Akten des bundesgerichtlichen Verfahrens 2C_768/2020 seien beizuziehen und ihm sei die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. 
Die Staatskanzlei des Kantons Solothurn beantragt, die Beschwerde sei vollumfänglich abzuweisen. Auch das Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Staatssekretariat für Migration verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein verfahrensabschliessender Entscheid einer letzten kantonalen Instanz betreffend Staatshaftung. Dagegen ist - ausser in Bezug auf medizinische Tätigkeiten (vgl. BGE 133 III 462 E. 2.1) - die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten grundsätzlich zulässig (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG); zuständig innerhalb des Bundesgerichts ist die II. öffentlich-rechtliche Abteilung, da es vorliegend um Staatshaftungsansprüche ausserhalb des Strafverfahrens geht (Art. 30 Abs. 1 lit. c Ziff. 1 und 33 BGerR [SR 173.110.131]; Urteil 2C_544/2021 vom 11. Mai 2022 E. 1.1).  
 
1.2. Nach Art. 85 Abs. 1 lit. a BGG ist die Beschwerde in vermögensrechtlichen Angelegenheiten auf dem Gebiet der Staatshaftung unzulässig, wenn der Streitwert weniger als Fr. 30'000.-- beträgt. Vorliegend überschreitet der Streitwert diese Grenze. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind (Art. 42, Art. 89 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 BGG), ist auf die Beschwerde einzutreten.  
 
2.  
 
2.1. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen Rüge- und Begründungspflicht (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; vgl. dazu BGE 140 III 86 E. 2 mit Hinweisen) grundsätzlich nur die geltend gemachten Rechtsverletzungen, sofern rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 142 I 135 E. 1.5). Die Anwendung kantonalen Rechts prüft das Bundesgericht - von hier nicht zutreffenden Ausnahmen (Art. 95 lit. c-e BGG) abgesehen - nur auf Bundesrechtsverletzungen, namentlich auf Willkür hin (BGE 143 I 321 E. 6.1; 141 IV 305 E. 1.2). In Bezug auf die Verletzung von Grundrechten, einschliesslich des Willkürverbots, und von kantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rüge- und Begründungspflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 I 73 E. 2.1; 143 II 283 E. 1.2.2). In der Beschwerde ist klar und detailliert anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids darzulegen, inwiefern verfassungsmässige Individualrechte verletzt worden sein sollen (BGE 148 I 104 E. 1.5; 143 I 1 E. 1.4).  
 
2.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, wie die Vorinstanz ihn festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Von den tatsächlichen Grundlagen ihres Urteils weicht das Bundesgericht nur ab, wenn diese offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen und die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; BGE 147 I 73 E. 2.2 mit Hinweisen). Offensichtlich unrichtig heisst willkürlich (Art. 9 BV; BGE 141 IV 317 E. 5.4 mit Hinweisen). Entsprechende Mängel sind in der Beschwerdeschrift klar und detailliert aufzuzeigen (Art. 106 Abs. 2 BGG; vgl. BGE 147 I 73 E. 2.2; 144 V 50 E. 4.2).  
 
3.  
Streitig ist, ob dem Beschwerdeführer gestützt auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK ein Entschädigungsanspruch zukommt. 
 
3.1. Nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK hat jede Person, die von Festnahme oder Freiheitsentzug betroffen ist, Anspruch auf Schadenersatz, falls dabei materielle oder formelle Vorschriften, wie sie sich aus Ziff. 1-4 von Art. 5 EMRK ergeben, verletzt worden sind. Art. 5 Ziff. 5 EMRK stellt eine eigenständige Haftungsnorm dar und kommt unabhängig vom kantonalen Recht zur Anwendung. Der konventionsrechtliche Entschädigungsbehelf umfasst den Anspruch auf eigentlichen Schadenersatz ebenso wie auf Genugtuung. Ein Verschulden braucht hierfür nicht nachgewiesen zu werden. Die Entschädigungspflicht setzt aber immerhin den Nachweis eines tatsächlich relevanten materiellen bzw. hinreichend schweren immateriellen Schadens voraus (BGE 129 I 139 E. 2; 125 I 394 E. 5a; Urteile 2C_994/2021 vom 14. November 2023 E. 3; 2D_22/2022 vom 9. Mai 2023 E. 4.1; 2C_523/2021 vom 25. April 2023 E. 4.2 und 5; 2C_544/2021 vom 11. Mai 2021 E. 4.1).  
Mit dem Hinweis, dass der Freiheitsentzug auf die "gesetzlich vorgeschriebene Weise" erfolgen muss, nimmt Art. 5 Ziff. 1 EMRK betreffend die Rechtmässigkeit der Haft formell wie materiell auf das innerstaatliche Recht Bezug. Wurden die Bestimmungen des nationalen (Haft-) Rechts missachtet, kann hierin eine Verletzung von Art. 5 EMRK liegen, selbst wenn die entsprechenden Normen inhaltlich über die konventionsmässigen Garantien hinausgehen (BGE 129 I 139 E. 2; 125 I 394 E. 5b; Urteile 2C_994/2021 vom 14. November 2023 E. 3.1; 2C_523/2021 vom 25. April 2023 E. 5.4; Urteil des EGMR Papillo gegen Schweiz vom 27. Januar 2015 [Nr. 43368/08] § 41).  
 
3.2. Gemäss Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK darf die Freiheit im Rahmen einer rechtmässigen Festnahme oder des rechtmässigen Freiheitsentzugs zur Verhinderung der unerlaubten Einreise sowie bei Personen, gegen die ein Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren im Gange ist, entzogen werden. Nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG kann die zuständige Behörde einen Ausländer, gegen den eine Wegweisung ausgesprochen wurde, zur Sicherstellung des Vollzugs unter anderem in Ausschaffungshaft nehmen bzw. in dieser belassen, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, oder sein bisheriges Verhalten darauf schliessen lässt, dass er sich behördlichen Anordnungen widersetzt. Der Haftgrund muss prioritär dem zulässigen Haftzweck, nämlich der Sicherstellung des Vollzugs der Wegweisung dienen ("Zweckgebundenheit"; Urteile 2C_768/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 4.1; 2C_510/2020 vom 7. Juli 2020 E. 2.1).  
 
3.3. Ist der Vollzug der Wegweisung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen undurchführbar (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG), lässt sich die Ausschaffungshaft nicht mehr mit einem hängigen Wegweisungsverfahren rechtfertigen; sie verstösst zugleich gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK. Wie es sich mit der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Einzelnen verhält, bildet Gegenstand einer nach pflichtgemässem Ermessen vorzunehmenden Prognose. Massgebend ist, ob der Wegweisungsvollzug mit hinreichender Wahrscheinlichkeit innert absehbarer Zeit möglich erscheint oder nicht. Die Haft verstösst gegen Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG und ist zugleich unverhältnismässig, wenn triftige Gründe dafür sprechen, dass die Wegweisung innert vernünftiger Frist nicht vollzogen werden kann. Unter dem Blickwinkel von Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG ist die Haft indes nur aufzuheben, wenn keine oder bloss eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit besteht, dass die Wegweisung vollzogen werden kann, nicht indessen bei einer ernsthaften, wenn auch allenfalls (noch) geringen Aussicht hierauf. Unter Vorbehalt einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die betroffene Person ist die Frage nach der Durchführbarkeit des Wegweisungsvollzugs im Sinne von Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG nicht notwendigerweise im Hinblick auf die maximale Haftdauer, sondern vielmehr auf einen den gesamten Umständen des konkreten Falls angemessenen Zeitraum zu beurteilen (Urteile 2C_468/2022 vom 7. Juli 2022 E. 4.1; 2C_312/2020 vom 25. Mai 2020 E. 2.1, je mit Hinweisen auf BGE 130 II 56 E. 4.1.1 und 4.1.3).  
 
4.  
Streitig ist zunächst, ob hier - wie es ein Haftungsanspruch nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK voraussetzt (vorstehende E. 3.1) - eine der materiellen oder formellen Vorschriften, wie sie sich aus Ziff. 1-4 von Art. 5 EMRK ergeben, verletzt worden ist. Der Beschwerdeführer bringt vor, angesichts des Haftentlassungsurteils des Bundesgerichts vom 21. Oktober 2021 sei eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK ausgewiesen. Die Vorinstanz erwog demgegenüber, eine Inhaftierung sei nicht bereits deshalb konventionswidrig, weil sie von einer Rechtsmittelinstanz aufgehoben worden sei. Entscheidend sei vielmehr, dass die Ausschaffungshaft vorliegend von den kantonalen Instanzen in vertretbarer Weise habe bejaht werden können. Eine Wiederrechtlichkeit im staatshaftungsrechtlichen Sinne sei demnach nicht gegeben (angefochtenes Urteil E. 5.3). 
 
4.1. Die eigenständige Haftungsnorm von Art. 5 Ziff. 5 EMRK setzt weder ein Verschulden voraus, noch sind - bei Verletzung einer der formellen oder materiellen Bestimmungen von Art. 5 Ziff. 1-4 EMRK - zusätzliche Anforderungen an die Widerrechtlichkeit zu stellen (vorstehende E. 3.1). Für die Anwendung von Art. 5 Ziff. 5 EMRK genügt es damit grundsätzlich, dass die Konventionswidrigkeit der Inhaftierung durch die innerstaatlichen Gerichte (oder durch den EGMR) festgestellt worden ist (Urteil des EGMR Stanev gegen Bulgarien vom 17. Januar 2012 [Nr. 36760/06] § 182 mit weiteren Hinweisen; Urteil 2P.291/1995 vom 31. Januar 1996 E. 2c).  
 
4.2. Eine solche Feststellung liegt hier mit dem Urteil des Bundesgerichts vom 21. Oktober 2020 vor. Darin erkannte das Bundesgericht letztinstanzlich eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK: Es erwog, dass im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 3. September 2020 nur eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit bestanden habe, dass der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers innert absehbarer Frist durchgeführt werden könne. Dem Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers hätte gestützt auf Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG stattgegeben und dieser unverzüglich aus der Ausschaffungshaft entlassen werden müssen. Das gegenteilige Urteil des Verwaltungsgerichts habe Bundesrecht und Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK verletzt (Urteil 2C_768/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 5, insbesondere E. 5.5). Entgegen der Annahme der Vorinstanz ist nicht mehr zu prüfen, ob die dem Urteil 2C_768/2020 zugrunde liegende Feststellung einer Konventionsverletzung zutreffend war oder nicht (vgl. Urteil 2P.291/1995 vom 31. Januar 1996 E. 2c).  
 
4.3. Es mag zutreffen, dass das Bundesgericht in BGE 129 I 139 festgehalten hat, dass sich eine Verletzung von Art. 5 Ziff. 1-4 EMRK nicht bereits daraus ergebe, dass der Entscheid, auf dem ein Freiheitsentzug beruht, wegen einer anderen Würdigung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von einer Rechtsmittelinstanz aufgehoben werde (BGE 129 I 139 E. 4.1.2). Diese Aussage ist allerdings vor dem Hintergrund der vorangehenden Ausführungen des Bundesgerichts zu verstehen, wonach der Haftrichter neben der Rechtmässigkeit auch die Angemessenheit der Haft zu prüfen hat, und deshalb in der Verweigerung der Haftgenehmigung nicht notwendigerweise die Feststellung einer Rechtsverletzung bzw. einer entschädigungsauslösenden Widerrechtlichkeit liegen müsse (BGE 129 I 139 E. 4.1.1). Im vorliegenden Fall hielt das Bundesgericht mit seinem Urteil vom 21. Oktober 2020 indessen eindeutig fest, dass Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK verletzt worden sei (vorstehende E. 4.2).  
 
4.4. Zusammengefasst ist gestützt auf das bundesgerichtliche Urteil 2C_768/2020 erstellt, dass die Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK verstossen hat. Damit steht der Entschädigungsbehelf nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK entgegen der Ansicht der Vorinstanz grundsätzlich offen.  
 
5.  
Weiter stellt sich die Frage, ab wann die Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers als unrechtmässig zu gelten hatte. Zu dieser Frage hat sich das Bundesgericht im Urteil 2C_768/2020 zumindest nicht explizit geäussert. Der Beschwerdeführer bringt in dieser Hinsicht vor, dass er vom 5. Mai bis 21. Oktober 2020 und damit 160 Tage widerrechtlich in Haft gewesen sei. Der Beschwerdegegner wendet demgegenüber ein, eine Haftung wäre (wenn überhaupt) auf den Zeitraum vom 3. September bis 28. September 2020 begrenzt. 
 
5.1. Gestützt auf die bundesgerichtlichen Erwägungen verstiess die Ausschaffungshaft spätestens im Zeitpunkt des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 3. September 2020 gegen Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK, da dann nur noch eine höchst unwahrscheinliche, rein theoretische Möglichkeit bestand, dass der Vollzug der Wegweisung des Beschwerdeführers innert absehbarer Frist hätte durchgeführt werden können.  
Das Bundesgericht hat zwar auch festgehalten, dass sich die äthiopische Botschaft bereits Mitte Mai 2020 weigerte, das erforderliche Ersatzreisepapier bzw. ein neues Laissez-passer für den Beschwerdeführer auszustellen (Urteil 2C_768/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 3.4). Daraus kann indes nicht geschlossen werden, dass die Ausschaffungshaft bereits ab diesem Zeitpunkt unverhältnismässig und damit konventionswidrig gewesen wäre. Ausschlaggebend war vielmehr, dass auch die in der Folge getroffenen weiteren Bemühungen (bis anfangs September 2020) des Staatssekretariats für Migration vereitelt worden sind. Erst vor diesem Hintergrund kam das Bundesgericht zum Schluss, dass trotz des völkerrechtlichen Grundsatzes von Treu und Glauben nicht (mehr) vermutet werden konnte, dass die äthiopische Botschaft in absehbarer Zeit einlenken würde (Urteil 2C_768/2020 vom 21. Oktober 2020 E. 5.4.3). 
 
5.2. Vor diesem Hintergrund ist nicht ersichtlich, inwiefern bereits vor dem Urteil des Verwaltungsgerichts vom 3. September 2020 nur noch von einer höchst unwahrscheinlichen, rein theoretischen Möglichkeit des Vollzugs auszugehen gewesen wäre. Jedenfalls hätte es am Beschwerdeführer gelegen, diesen Einwand vor Bundesgericht näher auszuführen. Der Hinweis darauf, dass eine begleitete Ausschaffung des Beschwerdeführers bereits am 20. März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie scheiterte (vgl. vorstehende lit. A.b.), reicht hierfür noch nicht aus. Im Ergebnis ist damit davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer ab dem 3. September 2020 widerrechtlich in Ausschaffungshaft befand.  
 
5.3. Infolge des Urteils des Bundesgerichts vom 21. Oktober 2020 ist die Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers offensichtlich noch am selben Tag aufgehoben worden. Entsprechend dauerte die widerrechtliche Ausschaffungshaft vom 3. September bis 21. Oktober 2020. Dem sinngemässen Einwand des Beschwerdegegners, der Beschwerdeführer sei höchstens bis zum 28. September 2020 widerrechtlich inhaftiert gewesen, da zu diesem Zeitpunkt ein neues Laissez-passer für ihn vorgelegen habe, kann nicht gefolgt werden. Ob der Beschwerdeführer Ende September 2020 allenfalls erneut in Ausschaffungshaft hätte genommen werden dürfen oder nicht, gilt es hier nicht zu beurteilen, zumal es diesbezüglich bereits an einer entsprechenden Haftanordnung fehlt.  
 
6.  
Streitig ist schliesslich, ob der Beschwerdeführer durch die unrechtmässige Ausschaffungshaft einen für eine Genugtuung relevanten immateriellen Schaden erlitten hat. Die Vorinstanz erwog diesbezüglich, der Beschwerdeführer habe - unabhängig des Vorliegens eines widerrechtlichen Freiheitsentzugs - die Schwere des von ihm geltend gemachten immateriellen Schadens nicht nachgewiesen. Der Beschwerdeführer bringt dagegen vor, aufgrund der offensichtlichen Verletzung der persönlichen Freiheit sowie der Haftdauer liege ein schwerer immaterieller Schaden vor. 
 
6.1. Wie bereits ausgeführt (vorstehende E. 3.1), setzt die konventionsrechtliche Entschädigungspflicht nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK den Nachweis eines tatsächlich relevanten materiellen bzw. hinreichend schweren immateriellen Schadens voraus (BGE 129 I 139 E. 2; Urteil 2C_994/2021 vom 14. November 2023 E. 3). In seiner bisherigen Praxis ging das Bundesgericht beispielsweise davon aus, dass eine widerrechtliche Ausschaffungshaft von 18 Tagen die Schadenersatzpflicht des Gemeinwesens auslöst (Urteil 2C_99/2012 vom 14. August 2012 E. 3.2 und 4.1; vgl. ferner die Urteile 2C_994/2021 vom 14. November 2023 E. 8; 2P.291/1995 vom 31. Januar 1996 E. 2). Im Gegensatz dazu erwog das Bundesgericht, dass eine geldwerte Genugtuungsleistung mangels einer hinreichenden Schwere der mit einer (sehr) kurzen Administrativhaft verbundenen Beschränkungen der Freiheit ausser Betracht fallen kann (BGE 129 I 139 E. 4.4). Falls es an den Voraussetzungen für Schadenersatz und Genugtuung mangels eines eigentlichen Schadens oder einer besonderen Schwere der Persönlichkeitsverletzung fehlt, kann im Entschädigungsprozess auch eine blosse Feststellung von Konventionsverletzungen verlangt werden (BGE 125 I 394 E. 5c).  
 
6.2. Die bundesgerichtliche Praxis, wonach die Entschädigungspflicht nach Art. 5 Ziff. 5 EMRK den Nachweis eines hinreichend schweren immateriellen Schadens voraussetzt, geht auf die Rechtsprechung der ehemaligen Europäischen Kommission für Menschenrechte zurück (vgl. BGE 129 I 139 E. 2 in fine unter Verweis auf den Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Kommission für Menschenrechte i.S. B. gegen Schweiz vom 20. Mai 1998, publ. in: VPB 62/1998 Nr. 93 S. 914). Seither hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte präzisiert, dass an den Nachweis des immateriellen Schadens keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind. Andernfalls wäre eine geldwerte Entschädigung in einem Grossteil der Fälle ausgeschlossen, in denen eine konventionswidrige Inhaftierung nur von kurzer Dauer ist und nicht mit einer objektiv feststellbaren Verschlechterung des physischen oder psychischen Zustands des Inhaftierten einhergeht (Urteil des EGMR Danev gegen Bulgarien vom 2. September 2010 [Nr. 9411/05] § 34; ferner Björn Elberling, in: Karpenstein/Mayer [Hrsg.], EMRK, Kommentar, 3. Aufl. 2022, N. 132 zu Art. 5 EMRK). Bei einem Freiheitsentzug, der unter Verletzung der Bestimmungen von Art. 5 Ziff. 1 EMRK erfolgt, ist demnach in der Regel zu vermuten, dass der Inhaftierte psychisches Leid erfährt, obschon diese Vermutung im Einzelfall widerlegt werden kann (Urteil des EGMR Dzhabarov und andere gegen Bulgarien vom 31. März 2016 [Nr. 6095/11 etc.] § 84).  
 
6.3. Vorliegend befand sich der Beschwerdeführer im Zeitraum vom 3. September bis 21. Oktober 2020 widerrechtlich in Ausschaffungshaft (vorstehende E. 5.3). Bei einem konventionswidrigen Freiheitsentzug nach Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK von knapp 50 Tagen ist gestützt auf die Praxis des Bundesgerichts sowie gestützt auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vorstehende E. 6.1 f.) ohne Weiteres von einem immateriellen Schaden auszugehen, der geldwerte Genugtuungsansprüche begründet. Die Auffassung der Vorinstanz, die notwendige Schwere des vom Beschwerdeführer geltend gemachten immateriellen Schadens sei nicht nachgewiesen, erweist sich folglich als unzutreffend.  
 
7.  
Zusammengefasst ergibt sich damit, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der ab dem 3. September 2020 in Verletzung von Art. 5 Ziff. 1 lit. f EMRK aufrechterhaltenen Ausschaffungshaft und des in diesem Zusammenhang erlittenen immateriellen Schadens ein geldwerter Anspruch auf Genugtuung gestützt auf Art. 5 Ziff. 5 EMRK zukommt. 
Die Beschwerde ist damit teilweise gutzuheissen und das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22. März 2022 insoweit aufzuheben, als darin betreffend die Zeitperiode ab dem 3. September 2020 ein Entschädigungsanspruch verneint wird. Diesbezüglich ist die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz, die über die Höhe des Anspruchs zu entscheiden haben wird, zurückzuweisen. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 
 
8.  
Bei diesem Verfahrensausgang sind dem Kanton Solothurn, der in vermögensrechtlichen Interessen betroffen ist, reduzierte Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG); dem anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer, dessen Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung gutgeheissen werden kann, insoweit es nicht gegenstandslos geworden ist, sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sein Rechtsvertreter hat zudem Anspruch auf eine reduzierte Parteientschädigung (Art. 68 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird teilweise gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Solothurn vom 22. März 2022 wird aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren wird insoweit gutgeheissen, als es nicht gegenstandslos geworden ist. Dem Beschwerdeführer wird Rechtsanwalt Matthias Stauffacher als unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben. 
 
3.  
Dem Kanton Solothurn werden reduzierte Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- auferlegt. 
 
4.  
Der Kanton Solothurn hat Rechtsanwalt Matthias Stauffacher für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 1'000.-- zu entschädigen. 
 
5.  
Rechtsanwalt Matthias Stauffacher wird für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse eine reduzierte Entschädigung von Fr. 1'500.-- ausgerichtet. 
 
6.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 6. Februar 2024 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: C. Marti