Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.46/2007 
6S.103/2007 /hum 
 
Sitzung vom 5. Juli 2007 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Zünd, Mathys, 
Gerichtsschreiberin Binz. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprech Friedrich Affolter, 
 
gegen 
 
Generalprokurator des Kantons Bern, Postfach 7475, 3001 Bern, 
Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, Postfach 7475, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
6P.46/2007 
Willkürliche Beweiswürdigung (Art. 9 und 32 BV), Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 29 BV), 
 
6S.103/2007 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV), 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.46/2007) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.103/2007) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 14. Dezember 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ fuhr am Samstagmittag, den 18. Juni 2005, um 13.05 Uhr, mit seinem Personenwagen Audi A3 auf der Autobahn A1-Ost Schönbühl-Kirchberg in Richtung Kirchberg. Dabei folgte er über eine Strecke von 400 bis 500 Metern auf dem Überholstreifen mit geringem Abstand einem vorausfahrenden Personenwagen. Die darauf aufmerksam gewordenen Polizeibeamten zeichneten in der Folge die weitere Fahrweise X.________s mit dem Video-Distanzmeter-Aufnahmeeinheit-Messsystem (ViDistA-Messsystem) auf, indem sie dem Fahrzeug auf dem Überholstreifen folgten. Es herrschte starkes Verkehrsaufkommen bei guten Strassen- und Sichtverhältnissen. 
B. 
Die Gerichtspräsidentin 5 des Gerichtskreises V Burgdorf-Fraubrunnen verurteilte X.________ am 31. Mai 2006 wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln durch ungenügenden Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug (Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 34 Abs. 4 SVG und Art. 12 Abs. 1 VRV) zu einer Busse von Fr. 3'000.--. Auf Appellation von X.________ bestätigte das Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, am 14. Dezember 2006 den erstinstanzlichen Entscheid. 
C. 
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben. Das Obergericht des Kantons Bern verzichtet auf Gegenbemerkungen. Der Generalprokurator des Kantons Bern beantragt unter Hinweis auf das angefochtene Urteil die Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das angefochtene Urteil ist vor dem Inkrafttreten des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110) am 1. Januar 2007 ergangen. Auf die dagegen erhobenen Rechtsmittel ist daher noch das bisherige Verfahrensrecht anwendbar (Art. 132 Abs. 1 BGG e contrario), hier somit dasjenige der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nach Art. 268 ff. BStP und der staatsrechtlichen Beschwerde gemäss Art. 84 ff. OG
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
2. 
2.1 Die staatsrechtliche Beschwerde richtet sich gegen die Beweiswürdigung in Bezug auf den subjektiven Tatbestand. Der Beschwerdeführer bringt vor, im angefochtenen Entscheid werde ihm erstmals vorgeworfen, dass er nach dem Bremsen gleich wieder aufs Gas gegangen und mit unverminderter Geschwindigkeit in gleichem Abstand weitergefahren sei. Die Einzelrichterin habe die grobe Fahrlässigkeit anders begründet. Da er keine Gelegenheit zur Stellungnahme zu den neuen Vorwürfen gehabt habe, sei sein Anspruch auf das rechtliche Gehör verletzt worden. 
2.2 Das Obergericht hält im Rahmen der Beweiswürdigung fest, der Beschwerdeführer hätte durch leichtes Zurücknehmen des Gases ohne weiteres sofort wieder einen grösseren Abstand herstellen können. Stattdessen sei er mit gleichem Tempo und ganz nahe am vorderen Fahrzeug weitergefahren, dazu noch leicht versetzt (angefochtenes Urteil S. 15). In seinen rechtlichen Erwägungen wirft das Obergericht dem Beschwerdeführer vor, nach dem Bremsen gleich wieder "aufs Gas gegangen" zu sein (angefochtenes Urteil S. 21). Dass der Beschwerdeführer gemäss den Ausführungen des Obergerichts "mit gleichem Tempo" weitergefahren sei, ist in dem Sinne zu verstehen, dass er den Abstand zum Vorderfahrzeug nicht verringert hat. Die Formulierung "aufs Gas gegangen" im angefochtenen Entscheid ist als Betätigen des Gaspedals, also nicht als Beschleunigung der Geschwindigkeit zu verstehen. Im Ergebnis entsprechen die Ausführungen des Obergerichts denjenigen der Einzelrichterin, wonach der Beschwerdeführer sich nach dem Auffahrmanöver lediglich hätte zurückfallen lassen müssen, damit der erforderliche Abstand entstanden wäre (erstinstanzliches Urteil S. 26). Da es sich folglich nicht um einen neuen Vorwurf handelt, ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf das rechtliche Gehör nicht verletzt worden. Die Beschwerde ist in diesem Punkt abzuweisen. 
3. 
3.1 Weiter macht der Beschwerdeführer geltend, die Feststellungen des Obergerichts betreffend seine unverminderte bzw. beschleunigte Geschwindigkeit seien offensichtlich aktenwidrig und somit willkürlich. Er sei erst nach der qualifizierenden Nachfahrstrecke rechts versetzt gefahren. Dieses spätere Fehlverhalten beim subjektiven Tatbestand zu würdigen verletze die Maxime "in dubio pro reo". 
3.2 Die ViDistA-Messung der Geschwindigkeit beruht auf einer Weg-Zeit-Berechnung einer variablen Messstrecke durch Nachfahren. Das Obergericht hat dem Abstand der Messphase s2 bis s5 Beweiskraft zugemessen. Der Beschwerdeführer bringt zur Videodistanzauswertung vor, seine Geschwindigkeit könne als Differenz zur Geschwindigkeit des Polizeifahrzeuges errechnet werden. Daraus resultiere, dass seine Geschwindigkeit ab der Messphase s2 abgenommen habe. Da in jedem Messzeitpunkt der Abstand des voranfahrenden Fahrzeuges zum Polizeifahrzeug bekannt sei, könne auch die Geschwindigkeit des vorderen Fahrzeuges berechnet werden. Das Resultat zeige, dass auch dessen Geschwindigkeit zwischen den Messphasen s2 bis s5 abgenommen habe. Deshalb könne ihm nicht vorgeworfen werden, sein Nachfahrabstand hätte bereits innert 2 bis 3 Sekunden merklich zugenommen, falls er nicht "Gas gegeben" hätte. 
3.3 Art. 9 BV gewährleistet den Anspruch darauf, von den staatlichen Organen ohne Willkür behandelt zu werden. Auf dem Gebiet der Beweiswürdigung ist die Kognition des Bundesgerichts im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde auf Willkür beschränkt. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung des Entscheids rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 127 I 38 E. 2a S. 41). Das Bundesgericht greift nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obschon bei objektiver Würdigung des gesamten Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche und schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 124 IV 86 E. 2a S. 88, mit Hinweis). 
3.4 Die Einwände des Beschwerdeführers betreffen nur die Videodistanzauswertung. Das Obergericht hat sich jedoch auch auf die Video-Aufnahme und auf das Gutachten des Bundesamtes für Metrologie gestützt. In Würdigung all dieser Beweismittel hat es in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer nach dem Bremsmanöver sofort einen grösseren Abstand hätte herstellen können. Die Feststellungen des Obergerichts sind weder offensichtlich aktenwidrig, noch bestehen ernsthafte Zweifel an der Schuld des Beschwerdeführers. Es liegt keine willkürliche Beweiswürdigung vor. 
-:- 
 
3.5 Betreffend die versetzte Fahrweise hat der Beschwerdeführer anlässlich seiner Einvernahme selber ausgesagt, versetzt gefahren zu sein, um die Verkehrsverhältnisse besser beobachten zu können (kantonale Akten pag. 48). Die rechtliche Würdigung dieser Fahrweise ist eine Rechtsfrage und im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde zu prüfen. Auf die Rüge der Verletzung der Maxime "in dubio pro reo" ist nicht einzutreten. 
4. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist somit abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
5. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde richtet sich gegen die Qualifikation der Tat als grobe Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG. Der Beschwerdeführer bestreitet zwar nicht, dass ein zeitlicher Nachfahrabstand von weniger als 0.5 Sekunden qualifizierend nach Art. 90 Ziff. 2 SVG sein kann. Er macht jedoch geltend, dass er den Nachfahrabstand von 0.3 bis 0.43 Sekunden lediglich über eine Strecke von 213 Metern unterschritten habe, was nicht als grobe Verkehrsregelverletzung zu werten sei. Zudem habe er weder rücksichtslos noch grobfahrlässig gehandelt. 
5.1 Das Bundesgericht hat sich in BGE 131 IV 133 ausführlich mit der Frage der groben Verkehrsregelverletzung durch zu geringen Nachfahrabstand befasst. Auf die Erwägungen in jenem Entscheid kann hier verwiesen werden. 
5.2 
5.2.1 Der qualifizierte Tatbestand der groben Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG ist objektiv erfüllt, wenn der Täter eine wichtige Verkehrsvorschrift in objektiv schwerer Weise missachtet und die Verkehrssicherheit ernstlich gefährdet. 
5.2.2 Der Beschwerdeführer folgte dem voranfahrenden Fahrzeug über eine Strecke von 213 Metern mit einem zeitlichen Nachfahrabstand von 0.3 bis 0.43 Sekunden. Zur Tatzeit herrschte auf der Autobahn relativ dichter Verkehr. Bei diesen Verhältnissen und einem solch geringen Nachfahrabstand wäre es dem Beschwerdeführer bei überraschendem Bremsen des Vordermanns nicht möglich gewesen, rechtzeitig hinter diesem anzuhalten. Aufgrund des geringen Nachfahrabstands lag der Eintritt einer konkreten Gefährdung oder einer Verletzung nahe, womit die erhöhte abstrakte Gefährdung zu bejahen ist. Der Beschwerdeführer hat demnach eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer geschaffen. Somit ist der objektive Tatbestand der groben Verkehrsregelverletzung im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG erfüllt. 
5.3 
5.3.1 Subjektiv erfordert der Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG nach der Rechtsprechung ein rücksichtsloses oder sonst schwerwiegend verkehrswidriges Verhalten, d.h. ein schweres Verschulden, bei fahrlässigem Handeln mindestens grobe Fahrlässigkeit. Diese ist zu bejahen, wenn das Nichtbedenken der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auf Rücksichtslosigkeit beruht. Rücksichtslos ist unter anderem ein bedenkenloses Verhalten gegenüber fremden Rechtsgütern (BGE 131 IV 133 E. 3.2 S. 136, mit Hinweisen). 
5.3.2 Der Beschwerdeführer hielt nach dem verkehrsbedingten Bremsmanöver des Vordermannes während 6.6 Sekunden den viel zu geringen Abstand im relativ dichten Verkehr auf dem Überholstreifen der Autobahn aufrecht. Gemäss den Ausführungen des Obergerichts war er allerdings nicht verantwortlich für die Entstehung des gefährlich geringen Abstands zum vorderen Fahrzeug. Das Obergericht begründet die grobe Fahrlässigkeit jedoch damit, dass es der Beschwerdeführer unterlassen habe, unverzüglich wieder "Abstand zu nehmen". Im Strassenverkehr seien an die Fahrzeugführer hohe Anforderungen zu stellen. Entsprechend müsse es jedem Fahrzeugführer möglich und zumutbar sein, innerhalb von Sekunden auf die jeweilige Verkehrslage zu reagieren. Der Beschwerdeführer sei nach dem Bremsmanöver dem Vordermann über mindestens 213 Meter und für eine Dauer von 6.6 Sekunden im gleichen Tempo und mehr oder minder gleichem Abstand von deutlich unter 0.5 Sekunden gefolgt. Wäre er nach dem Bremsen nicht gleich wieder "aufs Gas gegangen" und mit gleich bleibender Geschwindigkeit dem Vordermann gefolgt, so wäre er bereits innert 2 oder 3 Sekunden sehr deutlich zurückgefallen und hätte auf diese Weise wieder einen ausreichenden Abstand schaffen können. Der Beschwerdeführer habe sich nicht regelkonform verhalten, weil er ganz offensichtlich nicht den Anschluss habe verlieren und habe vorwärts kommen wollen. Dass er sich der Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst gewesen sei, zeige die leicht nach links und später nach rechts versetzte Positionierung seines Fahrzeuges. In diesem Fahrverhalten liege eine egoistische Komponente, welche an Rücksichtslosigkeit grenze und jedenfalls als grobfahrlässig qualifiziert werden müsse (angefochtenes Urteil S. 15, 20 f., 22 f.). 
5.3.3 Der Beschwerdeführer war zwar nicht verantwortlich für die Entstehung des zu geringen Abstandes zum Vordermann. Der Abstand wurde deshalb gering, weil der Vordermann seine Geschwindigkeit verkehrsbedingt verlangsamte. Der Beschwerdeführer verlangsamte seinerseits seine Geschwindigkeit, doch hielt er in der Folge einen deutlich zu geringen Abstand zum Vordermann ein. Er unterliess es, durch weitere Verzögerung der Geschwindigkeit möglichst rasch wieder einen grösseren Abstand herzustellen. Im Anschluss an den Streckenabschnitt von 213 Metern folgte er über eine weitere Strecke von rund zwei Kilometern dem vorausfahrendem Fahrzeug in einem deutlich zu geringen Abstand (s. angefochtenes Urteil S. 15). Er fuhr dabei zuerst teilweise nach rechts versetzt, benutzte danach beide Fahrstreifen, bis er schliesslich unter Verzicht auf ein mögliches Überholmanöver auf den rechten Fahrstreifen wechselte. Es ging ihm offenkundig darum, den Vordermann zur Beschleunigung der Fahrt oder aber zum Wechsel auf den rechten Fahrstreifen zu drängen. Indem die Vorinstanz dieses Verhalten als rücksichtslos würdigte und auch subjektiv den Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG bejahte, hat sie kein Bundesrecht verletzt. 
5.4 Demgemäss ist die Nichtigkeitsbeschwerde abzuweisen. 
 
 
III. Kosten 
6. 
Bei diesem Ausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG und Art. 278 Abs. 1 BStP). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen. 
3. 
Die Gerichtsgebühr von insgesamt Fr. 4'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Generalprokurator des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 5. Juli 2007 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: