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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_250/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 28. September 2017  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiber Krähenbühl. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG, Dufourstrasse 40, 9001 St. Gallen, vertreten durch Helvetia Versicherungen Rechtsdienst Personenversicherung, Wuhrmattstrasse 19-23, 4103 Bottmingen, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Olivier Zigerli, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung 
(Parallelisierung der Vergleichseinkommen), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 28. Februar 2017 (200 16 1177 UV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
A.________ (Jg. 1990) zog sich am 14. Dezember 2011 beim Duschen - wie vermutet wurde, wegen eines epileptischen Anfalles - schwere Verbrühungen zweiten und dritten Grades zu, was längere Spitalaufenthalte und mehrere operative Eingriffe zur Folge hatte. Die Schweizerische National-Versicherungsgesellschaft anerkannte als Unfallversicherer ihre Leistungspflicht für die Folgen dieses Ereignisses, richtete dafür Taggelder aus und kam für die Heilbehandlung auf. Als deren Rechtsnachfolgerin sprach die Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG (Helvetia) mit Verfügung vom 25. Mai 2016 eine Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 50 % zu. Gleichzeitig verneinte sie einen Rentenanspruch mangels leistungsrelevanter Verminderung der Erwerbsfähigkeit. Zusätzlich hielt sie fest, ungeachtet der Tatsache, dass sie bis 30. November 2016 entgegenkommenderweise die Kosten der Physiotherapien und der Hautsalbe "Caroskin" übernehme, bestehe grundsätzlich kein Anspruch mehr auf Heilbehandlung. An dieser Verfügung hielt sie mit Einspracheentscheid vom 8. November 2016 fest. 
 
B.   
Das Verwaltungsgericht des Kantons Bern hiess die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 28. Februar 2017 teilweise gut, hob den angefochtenen Einspracheentscheid vom 8. November 2016 auf und sprach A.________ für die Zeit ab 1. Juli 2014 eine Invalidenrente aufgrund einer 13%igen Erwerbsunfähigkeit sowie Heilbehandlung im Sinne seiner Erwägungen zu. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab. 
 
C.   
Die Helvetia beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten die Aufhebung des kantonalen Entscheides und die Bestätigung ihres Einspracheentscheides vom 8. November 2016. Eventuell sei der Anspruch auf physiotherapeutische Behandlung zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit auf die Dauer eines Jahres - mithin bis Ende 2016 - zu beschränken. 
A.________ lässt auf Abweisung der Beschwerde schliessen, soweit darauf einzutreten ist. Das kantonale Gericht sieht von einer materiellen Stellungnahme zur Sache ab. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf eine Vernehmlassung. 
Erwägungen: 
 
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzungen gemäss den Art. 95 f. BGG erhoben werden. Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder der Unfallversicherung ist das Bundesgericht - anders als in den übrigen Sozialversicherungsbereichen (Art. 97 Abs. 1, Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG) - nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhaltes gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG).  
Soweit sich eine Beschwerde jedoch nicht gegen die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung richtet - was hier bei der auch thematisierten Heilbehandlung, wo es um eine Sachleistung geht, zutrifft - gelangt die Ausnahmeregelung in Art. 105 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 97 Abs. 2 BGG nicht zur Anwendung. Bezüglich Sachverhaltsfeststellungen gilt hier die eingeschränkte Kognition (BGE 135 V 412; in BGE 143 V 148 nicht publizierte E. 1.1; Urteile 8C_126/2017 vom 5. September 2017 E.1.1, 8C_776/2016 vom 23. Mai 2017 E. 2.1 und 8C_191/11 vom 16. September 2011 E. 2, je mit weiteren Hinweisen). Das Bundesgericht kann demnach eine - für den Ausgang des Verfahrens entscheidende (vgl. Art. 97 Abs. 1 BGG) - Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn diese offensichtlich unrichtig ist oder aber auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Ansonsten legt es seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). 
 
1.2. Des Weiteren wendet das Bundesgericht das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG) und ist weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden. Es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Unter Beachtung der Begründungspflicht in Beschwerdeverfahren (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG) prüft es indessen nur geltend gemachte Rügen, sofern allfällige weitere rechtliche Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden Fragen, also auch solche, die im letztinstanzlichen Verfahren nicht (mehr) aufgeworfen werden, zu klären (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254).  
 
2.  
 
2.1. Gerügt wird in der Beschwerdeschrift der von der Vorinstanz zur Ermittlung des Invaliditätsgrades vorgenommene Einkommensvergleich im Sinne von Art. 16 ATSG. Beanstandet wird dabei unter anderem die vom kantonalen Gericht - anders als von der Beschwerde führenden Versicherungseinrichtung - im Rahmen der Invaliditätsbemessung mittels Einkommensvergleichs vorgenommene Parallelisierung der Vergleichseinkommen (vgl. die dazu publizierten Urteile in BGE 141 V 1, 140 V 41, 139 V 592, 135 V 297, 134 V 322). Des Weiteren wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die unbefristete Zusprache eines Heilbehandlungsanspruches.  
 
2.2. In dieser Hinsicht hat das kantonale Gericht die für die Beurteilung der umstrittenen Leistungsansprüche massgebenden gesetzlichen Bestimmungen (Art. 19 Abs. 1, 21 Abs. 1 lit. c UVG) und die von der Rechtsprechung dazu weiter konkretisierten Grundsätze im angefochtenen Entscheid zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen.  
 
3.  
 
3.1. Die Beschwerdeführerin stellt sich auf den Standpunkt, der Versicherte habe nach seiner Verkäuferlehre aus freien Stücken auf den 15. November 2010 eine Stelle in der B.________ AG angetreten, an welcher er nur ein im Vergleich mit den sonst im Detailhandel üblichen Löhnen geringeres Einkommen erreicht. Wegen der Freiwilligkeit dieser Stellenwahl rechtfertige sich trotz unterdurchschnittlicher Einkünfte, die ohne gesundheitliche Schädigung mutmasslich erzielt worden wären (Valideneinkommen), beim Einkommensvergleich eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen nicht.  
 
3.2. Eine Parallelisierung erachtete das kantonale Gericht demgegenüber - gleich wie im Übrigen auch die IV-Stelle des Kantons Bern im invalidenversicherungsrechtlichen Verfahren - als angezeigt. Seiner Ansicht nach lag das Valideneinkommen rund 20 % unter den im Detailhandel üblicherweise bezahlten Löhnen. In diesem Umfang nahm es - soweit die Abweichung 5 % übersteigt - eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen vor. Mit Blick auf den Umstand, dass der Beschwerdegegner noch nicht lange im Erwerbsleben stand, als sich der Unfall vom 14. Dezember 2011 ereignete, befand es, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass er sich aus freien Stücken mit einem tiefen Einkommen begnügen wollte.  
 
4.  
 
4.1. Nach seinem erfolgreichen Lehrabschluss als Verkäufer im Bereich Herrenkonfektion in der C.________ AG hat der Beschwerdegegner eine Stelle als Buchhändler in der B.________ AG angetreten. Dies, weil ihm der Buchhandel offenbar mehr zusagte als sonst eine Tätigkeit in einer anderen Branche im Detailhandel. Damit rückten bei der Stellensuche nach der abgeschlossenen Lehre persönliche Neigungen und Vorlieben in den Vordergrund. Mit der gewählten beruflichen Ausrichtung als Buchhändler musste sich der Beschwerdegegner auch mit bescheideneren Einkünften zufrieden geben, als er sie in anderen Sparten im Detailhandel allenfalls hätte realisieren können. Dies nahm er, als er noch gesund war, in Kauf.  
 
4.2. Die Stelle in der B.________ AG wurde dem Beschwerdegegner, nachdem er seine dortige Tätigkeit nach seinem Unfall vom 14. Dezember 2011 vorerst wieder aufgenommen hatte, mit Schreiben vom 27. Juni 2013 auf den 30. September 2013 hin gekündigt. Im Zeitpunkt des Fallabschlusses per 1. Juli 2014 und des damit unbestrittenermassen verbundenen Beginns eines allfälligen Rentenanspruches war er somit nicht mehr in der B.________ AG angestellt. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er ohne seinen Unfall vom 14. Dezember 2011 und die unfallbedingte Gesundheitsschädigung mutmasslich weiterhin als Verkäufer im Buchhandel in der B.________ AG tätig wäre. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die Einkünfte, die er dort im Gesundheitsfall erzielen würde, als Valideneinkommen betrachtete. Gemäss Arbeitgeberauskunft hätten diese auch im Jahr 2014 noch - unverändert - Fr. 48'341.- jährlich betragen.  
 
5.  
 
5.1. Näher zu prüfen ist der Einwand der Beschwerdeführerin, wonach die Stelle in der B.________ AG aus freien Stücken angetreten worden sei, sodass eine Unterdurchschnittlichkeit des dortigen Lohnes im Rahmen des Einkommensvergleichs nach Art. 16 ATSG keinen Grund für eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen darstelle.  
 
5.1.1. Hat eine versicherte Person aus invaliditätsfremden Gründen - wie geringe Schulbildung, fehlende berufliche Ausbildung oder Erfahrung, mangelnde Deutschkenntnisse, beschränkte Anstellungsmöglichkeiten bei Saisonnierstatut - ein deutlich unterdurchschnittliches Einkommen bezogen, wird diesem Umstand nach der Rechtsprechung bei der Invaliditätsbemessung nur Rechnung getragen, wenn keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie sich aus freien Stücken mit einem geringeren Verdienstniveau begnügt hat. Der Verzicht auf eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen rechtfertigt sich hingegen dann etwa, wenn eine versicherte Person ihre Arbeitsleistung von sich aus freiwillig nur mit einem reduzierten Pensum zu erbringen bereit ist, beispielsweise um über mehr Freizeit zu verfügen, um einer Aus- oder Weiterbildung nachzugehen, um sich vermehrt einem Hobby zu widmen oder um sonst ein nicht auf Erwerbszwecke ausgerichtetes ideelles Ziel zu verfolgen. In solchen Fällen ist eine allfällige Erwerbseinbusse nicht mit Versicherungsleistungen auszugleichen. Von einer Parallelisierung, die sich für die betroffene Person regelmässig vorteilhaft auswirkt, ist unter solchen Umständen abzusehen (vgl. BGE 134 V 322 E. 4.1 S. 325 f. mit Hinweisen).  
 
5.1.2. Wie schon das kantonale Gericht führt auch der Beschwerdegegner die festgestellte Unterdurchschnittlichkeit seines Valideneinkommens in seiner Vernehmlassung vom 22. Mai 2017 auf die fehlende Ausbildung als Buchhändler, die mangelnde Berufserfahrung und das direkt nach dem Lehrabschluss noch junge Alter zurück. Diese Umstände mögen zwar tatsächlich dazu mitbeigetragen haben, dass er nur einen relativ geringen Lohn erhielt. Sie waren aber für sich allein nicht ausschlaggebend für die geringe Entlöhnung und deren Unterdurchschnittlichkeit. Wie der Beschwerdegegner richtig geltend macht, hätten sie auch bei anderen Anstellungen im Detailhandel zu eher tiefen Löhnen geführt. Als entscheidender Grund für die deutliche Unterdurchschnittlichkeit ist der berufliche Wechsel in den Buchhandel zu betrachten, nachdem er schon eine Lehre im Bereich der Herrenkonfektion abgeschlossen hatte. Diesen Richtungswechsel hat er selbst gewählt, ohne dass ihn dazu äussere Umstände, die von ihm nicht beeinflussbar gewesen wären, getrieben hätten. Deshalb stellt sich die Beschwerdeführerin zu Recht auf den Standpunkt, das unterdurchschnittliche Einkommen sei aus freien Stücken akzeptiert worden. Nach der Rechtsprechung besteht damit kein Grund für eine Parallelisierung der Vergleichseinkommen.  
 
5.2. Wird das Einkommen von Fr. 48'341.- jährlich als Valideneinkommen dem von der Vorinstanz bei einer 80%igen Arbeitsfähigkeit aus der LSE 2014 abgeleiteten Invalideneinkommen von Fr. 48'474.- gegenübergestellt, resultiert keine (rentenrelevante) Invalidität. Nach geltender Rechtsprechung (vgl. BGE 143 V 148 E. 3.1.1 S. 151; 140 V 130 E. 2.7 S. 135; 134 V 109 E. 4.1 S. 113; SVR 2012 UV Nr. 6 S. 21, 8C_191/2011 E. 5) besteht demnach auch kein Anspruch auf Heilbehandlung (Art. 19 Abs. 1, Art. 21 UVG).  
 
6.   
Das Verfahren wäre grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 62 BGG), doch wird umständehalber davon abgesehen, dem Beschwerdegegner als unterliegender Partei Gerichtskosten zu überbinden (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 28. Februar 2017 wird aufgehoben und der Einspracheentscheid der Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG vom 8. November 2016 bestätigt. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 28. September 2017 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Der Gerichtsschreiber: Krähenbühl