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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
6B_1462/2017  
 
 
Urteil vom 8. August 2018  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichterin Jametti. 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Landschaft, Erste Staatsanwältin, Grenzacherstrasse 8, 4132 Muttenz, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Entschädigung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, vom 20. Oktober 2017 (490 17 212). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Das Strafgericht Basel-Landschaft verurteilte X.________ am 11. April 2014 wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren, davon neun Monate unbedingt vollziehbar. Es auferlegte ihm Kosten (Verfahrenskosten und Gerichtsgebühr) von Fr. 63'768.40. Ausserdem ordnete es an, folgende beschlagnahmte Gegenstände zurückzugeben: "Apple Computer; Apple Monitor; Laptop MacBook; Pocket Bike; Benzin Trotti; sechs Go-Pads; drei Wheelman GT; drei Wheelman GS; zwei Wheelman G-Wheel; Go-Quad". 
 
Das Kantonsgericht Basel-Landschaft bestätigte das erstinstanzliche Urteil insoweit (Urteil vom 20. Mai 2015). 
 
Nachdem X.________ um Herausgabe der Gegenstände resp. um allfälligen Schadenersatz ersucht hatte, ergaben Nachforschungen des Kantonsgerichts bei der kantonalen Polizei und Staatsanwaltschaft sowie beim Strafgericht und beim kantonalen Fundbüro und Verwertungsdienst, dass die Gegenstände "aus unbekannten Gründen" inzwischen vernichtet worden sind. X.________ stellte Antrag auf Schadenersatz über insgesamt Fr. 90'000.--. Zur Substantiierung dieser Forderung eingeladen, reichte er dem Kantonsgericht eine Aufstellung ein und forderte für die vernichteten Gegenstände eine Entschädigung aufgrund ihres Marktwertes zum Zeitpunkt der Beschlagnahme von Fr. 106'043.-- resp. eines "Herstellerpreises" von Fr. 89'112.--. 
 
B.   
Das Kantonsgericht bezifferte den Schadenersatzanspruch auf Fr. 31'061.50 und verrechnete diesen Betrag mit geschuldeten Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 54'713.99. Es stellte fest, dass X.________ dem Kanton Basel-Landschaft somit noch Fr. 23'652.50 schulde (Entscheid vom 20. Oktober 2017). 
 
C.   
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er rügt, das Kantonsgericht sei von einem übermässigen Wertverlust der vernichteten Gegenstände ausgegangen und macht einen entsprechend höheren Schadenersatz geltend. Ausserdem ersucht er um unentgeltliche Rechtspflege. 
 
Die Staatsanwaltschaft nimmt zur Beschwerde Stellung. Das Kantonsgericht beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. X.________ repliziert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
 
1.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Annahme der Vorinstanz, die Gegenstände hätten vor ihrer versehentlichen Vernichtung einen erheblichen Wertverlust erfahren, sei höchstens bezüglich der Informatikmittel haltbar. Im Übrigen gehe es um handgefertigte Kleinfahrzeuge, die alle neuwertig gewesen seien. Die Geräte würden seit etwa 15 Jahren zu unveränderten Preisen gehandelt, seien heute noch aktuell, alterten nicht und verlören nur durch Gebrauch an Wert. Sie seien mit handgefertigten Motorrädern mit einfacher Technik vergleichbar; solche behielten ihren Wert oder würden gar wertvoller. Die Vorinstanz habe zudem nicht berücksichtigt, dass in einigen der beschlagnahmten Fahrzeuge individuell hochwertige Tuningteile verbaut gewesen seien. Diese Abänderungen seien in der dem Kantonsgericht eingereichten Wertauflistung einzeln erfasst. Eines der Geräte sei eine auf 37 Stück limitierte "weltweite Sonderanfertigung" mit einem Marktwert von neuntausend Franken. Andere Fahrzeuge würden heute gar nicht mehr produziert, teilweise handle es sich um Prototypen, also um unersetzbare Sammlerstücke.  
 
Der Schaden sei bei den Fahrzeugen anhand des Wiederbeschaffungswertes zu bemessen. Die ursprünglich bezahlten Preise seien in den beschlagnahmten Unterlagen zu finden. Selbst die Informatikmittel seien entgegen der Annahme der Vorinstanz nicht wertlos geworden. Gebrauchte Apple-Computer würden immer noch gehandelt. Schliesslich macht der Beschwerdeführer Schadenersatz geltend für verspätet zurückgegebenes Kitesurfmaterial sowie für den Verlust von "privaten Daten und Medien", die sich auf beschlagnahmten Computern befunden hätten. 
 
1.2. Die Vorinstanz hält fest, die dem Beschwerdeführer zustehenden Gegenstände seien aufgrund eines Versehens des Staates vorzeitig vernichtet worden. Der Schaden sei grundsätzlich zu ersetzen und mit den ausstehenden Verfahrenskosten zu verrechnen. Allerdings handle es sich nur bei einem Teil der geltend gemachten Positionen um herauszugebende Gegenstände. Angesichts der schon vor rund zehn Jahren stattgefundenen Beschlagnahme sei von einem "massiven bis vollständigen objektiven Wertverlust der betroffenen Gegenstände" auszugehen. Das zeige sich nicht zuletzt auch darin, dass Fundbüro und Verwertungsdienst diese Gegenstände nicht öffentlich versteigert sondern direkt vernichtet haben. Bei den Informatikmitteln (Computer, Monitor, Laptop) sei von einem vollständigen Wertverlust seit der Beschlagnahme auszugehen. Die übrigen sechzehn Positionen beträfen diverse motorisierte und nicht motorisierte Kleinfahrzeuge, für welche der Gesuchsteller einen Gesamtschaden von Fr. 62'123.-- (Herstellerpreis) geltend mache. Diesbezüglich sei ein erheblicher Wertverlust von 75 Prozent seit der Beschlagnahme anzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass es sich teilweise um Sonderanfertigungen handle, sei dem Gesuchsteller entgegenzukommen und eine Wertminderung von nur 50 Prozent anzunehmen. Daraus resultiere ein Ersatzanspruch von Fr. 31'061.50. Mit Blick auf die rektifizierte Abrechnung des Kantonsgerichts vom 23. Februar 2016 schulde der Gesuchsteller dem Staat "nach Abzug diverser anzurechnender Vermögenswerte" Verfahrenskosten in Höhe von insgesamt Fr. 54'713.99. Die beiden Forderungen seien aufgrund ihrer Gleichartigkeit und der identischen Parteien grundsätzlich verrechenbar (vgl. Art. 442 Abs. 4 StPO). Nach Abzug des Schadenersatzes von Fr. 31'061.50 schulde der Gesuchsteller dem Staat nunmehr Verfahrenskosten in Höhe von Fr. 23'652.50.  
 
1.3.   
 
1.3.1. Rechtsgrundlage für die Rückgabe der beschlagnahmten Gegenstände ist Art. 267 StPO. Danach hebt die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Beschlagnahme auf und händigt die Gegenstände oder Vermögenswerte der berechtigten Person aus, wenn der Grund für die Beschlagnahme weggefallen ist (Abs. 1). Ist die Beschlagnahme eines Gegenstandes oder Vermögenswertes nicht vorher aufgehoben worden, so ist über seine Rückgabe an die berechtigte Person, seine Verwendung zur Kostendeckung oder über seine Einziehung im Endentscheid zu befinden (Abs. 3).  
 
Aus den kantonsgerichtlichen Akten ist weder ein Zweck der Beschlagnahme noch der Grund für die Rückgabe zu ersehen. Denkbar ist, dass ursprünglich eine Einziehung (Art. 70 StGB) etwa wegen des Verdachts infrage stand, die Gegenstände seien aus deliktisch erzielten Mitteln erworben worden (vgl. BGE 139 IV 209 E. 5.3 S. 211; 129 IV 322 S. 327), oder dass Verfahrenskosten gesichert werden sollten (Art. 268 StPO). Die Motive der Beschlagnahme resp. der Rückgabe können im Zusammenhang mit der notwendigen Abklärung der für die Entschädigung relevanten Werte bedeutsam werden (unten E. 1.3.4). 
 
1.3.2. Nach dem Untersuchungsgrundsatz (Amtsermittlungspflicht; Art. 6 und 139 Abs. 1 StPO) muss die Vorinstanz den Sachverhalt im Rahmen des Zumutbaren abklären. Dazu gehört hier namentlich eine annähernd genaue Ermittlung des Wertes der zu Unrecht vernichteten Gegenstände. Den Beschwerdeführer trifft dabei eine Obliegenheit zur Mitwirkung. Was die Kleinfahrzeuge angeht, hat er den geltend gemachten Schadenersatz im Verlauf des Verfahrens im Detail spezifiziert und darauf hingewiesen, in den beschlagnahmten Unterlagen fänden sich Kaufbelege. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz kann nicht gesagt werden, es handle sich um unbelegte und unsubstantiierte Parteibehauptungen. Da die Vorinstanz freilich nicht ausschliesslich auf die Angaben des Beschwerdeführers abstellen konnte, hätte sie dessen Angaben verifizieren oder die Werte selbstständig abklären müssen. Stattdessen ist sie von den Angaben des Beschwerdeführers ausgegangen und hat mit Blick auf das Alter der Gegenstände eine pauschale und abstrakte Wertminderung von 75 resp. (angesichts des Umstandes, dass es sich teilweise um Sonderanfertigungen handle) 50 Prozent abgezogen. Es ist nicht erkennbar, ob die Vorinstanz damit einigermassen realitätsnahe Bewertungsmassstäbe anwendet. Ebensowenig ist das Ausmass der Wertminderung gerichtsnotorisch. Damit lässt sich kein Ermessensspielraum abstecken, innerhalb dessen die vorinstanzliche Wertschätzung zu schützen wäre. Diese ist weder überprüfbar noch (wenigstens) einer Plausibilitätskontrolle zugänglich. Insoweit rügt der Beschwerdeführer erfolgreich, dass der Sachverhalt in Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes und in sich willkürlich festgestellt ist (vgl. Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
1.3.3. Die Sache ist an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie den massgebenden Wert der zerstörten Kleinfahrzeuge beispielsweise bei Herstellern oder Fachhändlern abkläre. Weiterhin besteht eine Mitwirkungsobliegenheit des Beschwerdeführers.  
 
1.3.4. Soweit sich die Parteien nicht auf eine dem Einzelfall angemessene Entschädigung einigen, wird die Höhe des Schadenersatzes zum einen davon abhängen, ob der Zeitwert des gebrauchten oder ungebrauchten Gegenstandes oder aber der Neuwert (Wiederbeschaffungswert) massgebend ist. Zum andern richtet sich die Höhe der Entschädigung nach dem Zeitpunkt der Wertbestimmung.  
 
Die grundsätzliche Verpflichtung zum Ersatz des Schadens folgt aus der bundesrechtlichen Bestimmung über die Rückgabe beschlagnahmter Gegenstände (Art. 267 StPO; oben E. 1.3.1). Bemessungsregeln finden sich indessen weder in der StPO noch im Haftungsgesetz des Kantons Basel-Landschaft (vgl. Art. 123 Abs. 2 BV). Im Allgemeinen ist bei Zerstörung oder Verlust einer Sache der Verkehrswert zu ersetzen, das heisst die Kosten, die für eine Wiederbeschaffung am Markt aufgewendet werden müssen (Urteil 6B_1121/2013 vom 6. Mai 2014 E. 2.3 mit Hinweisen). Ob diese Regel im Einzelfall passt, hängt allerdings von den Umständen ab. Wenn die Beschlagnahme zu Ermittlungszwecken (vgl. Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) oder im Hinblick auf eine Einziehung erfolgt ist, rechtfertigt es sich bei der vom Staat verschuldeten Unmöglichkeit einer angeordneten Rückgabe regelmässig, den Wiederbeschaffungswert einzusetzen. Eine Ausnahme kann angezeigt sein, wenn der zerstörte Gegenstand nicht im persönlichen Besitz bleiben sollte sondern zur Weiterveräusserung bestimmt war; denn in diesem Fall könnte die Anwendung des Wiederbeschaffungswertes zu einer Überentschädigung führen. Wenn der Gegenstand zur Kostendeckung verwendet werden sollte, so ist grundsätzlich der (bei einer Verwertung zu realisierende) Zeitwert massgebend. 
 
Bei einer Beschlagnahme zu Ermittlungszwecken oder im Hinblick auf eine Einziehung, die sich nachträglich als unbegründet erweist, steht (bei steigenden Preisen) grundsätzlich der Wiederbeschaffungswert im Zeitpunkt der Beschlagnahme im Vordergrund; würde ein seitheriger Anstieg des Marktpreises berücksichtigt, wäre die zu entschädigende Person besser gestellt als diejenige, welcher der Gegenstand in natura zurückgegeben wird. Vorbehalten bleibt ein höherer Schadenersatz - etwa zum aktuellen Wiederbeschaffungswert -, falls die Beschlagnahme von Anfang an ungerechtfertigt war. Diente die Beschlagnahme dazu, die Verfahrenskosten sicherzustellen, so dürfte sich der Zeitwert nach demjenigen Zeitpunkt richten, in welchem die berechtigte Person den Gegenstand erstmals herausverlangen konnte (resp. hätte herausverlangen können). 
 
1.4. Im Rahmen des neuen Entscheids wird sich die Vorinstanz ferner zur Schadenersatzforderung betreffend Kitesurfmaterial, das verspätet zurückgegeben worden sei, sowie betreffend den Verlust von "privaten Daten und Medien", die sich auf beschlagnahmten Computern befunden hätten, äussern.  
 
 
1.5. Im Unterschied zu den Fahrzeugen darf sich die Vorinstanz hinsichtlich der beschlagnahmten Computerhardware, ohne in Willkür zu verfallen, auf einen gerichtsnotorischen Erfahrungssatz stützen, wonach der Verkehrswert der 2007 resp. 2008 beschlagnahmten Geräte (vgl. Schreiben des Kantonsgerichts an den Beschwerdeführer vom 13. Juni 2017) bis zur Rechtskraft des (nicht angefochtenen) Herausgabeentscheids im Jahr 2014 vollständig abzuschreiben ist. Insoweit ist die Beschwerde abzuweisen.  
 
2.   
 
2.1. Die Beschwerde ist teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid wird aufgehoben und die Sache zur Abklärung und neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 107 Abs. 2 BGG).  
 
2.2. Für das bundesgerichtliche Verfahren sind daher keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG), da die Beschwerde nur in einem nachrangigen Punkt abgewiesen wird. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist daher gegenstandslos. Der Beschwerdeführer war im bundesgerichtlichen Verfahren nicht anwaltlich vertreten. Er macht keine besonderen Verhältnisse oder Auslagen geltend, die eine Entschädigung rechtfertigen könnten (vgl. BGE 127 V 205 E. 4b S. 207; 125 II 518 E. 5b S. 519; Urteil 6B_498/2017 vom 6. November 2017 E. 6).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Der Entscheid des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 20. Oktober 2017 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigung zugesprochen. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. August 2018 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub