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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_374/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 12. November 2013  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kernen, Präsident, 
Bundesrichter Meyer, Borella, 
Gerichtsschreiber Traub. 
 
Verfahrensbeteiligte 
S.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Pierre Heusser, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich,  
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 11. April 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die 1972 geborene S.________ leidet an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, einer rezidivierenden depressiven Störung sowie an einem multiplen Symptombild mit auffälligem Essverhalten, leichten Zwängen und vereinzelten Panikattacken (psychiatrisches Gutachten des Dr. G.________, vom 30. Juni 2011). Sie bezieht mit Wirkung seit Januar 1996 eine halbe Invalidenrente. Die IV-Stelle des Kantons Zürich bestätigte diese mehrfach (vgl. Mitteilungen vom 28. Oktober 2004, 20. April 2006 und 30. August 2007). Im Rahmen eines weiteren Revisionsverfahrens hob die Verwaltung die Invalidenrente per Ende September 2011 auf mit der Begründung, nach der Geburt ihres Kindes im September 2008 sei sie nicht mehr als Vollerwerbstätige, sondern nur noch als Teilerwerbstätige (mit einem Erwerbsanteil von 70 Prozent und einem Haushaltanteil von 30 Prozent) zu qualifizieren. Dies führe zu einem nicht rentenbegründenden Gesamtinvaliditätsgrad von 27 Prozent (Verfügung vom 30. August 2011). 
 
B.   
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen gerichtete Beschwerde ab (Entscheid vom 11. April 2013). 
 
C.   
S.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Rechtsbegehren, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie auch ab Oktober 2011 Anspruch auf eine halbe Invalidenrente habe. Eventuell sei die Sache an die IV-Stelle zurückzuweisen, damit diese weitere Abklärungen betreffend die Gewichtung von Erwerbs- und Haushaltbereich treffe resp. die Einschränkung im Haushaltbereich durch einen Psychiater vor Ort abklären lasse. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann unter anderem wegen Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 lit. a BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
Dem vorinstanzlichen Sachgericht steht im Bereich der Beweiswürdigung ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht greift auf Beschwerde hin nur ein, wenn die Vorinstanz diesen missbraucht, insbesondere offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder willkürlich ausser Acht lässt (BGE 132 III 209 E. 2.1 S. 211; zum Begriff der Willkür BGE 137 I 1 E. 2.4 S. 5; Urteil 9C_1019/2012 vom 23. August 2013 E. 1.2.3). 
 
2.   
Ändert sich der Invaliditätsgrad einer Rentenbezügerin oder eines Rentenbezügers erheblich, so wird die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben (Art. 17 Abs. 1 ATSG; vgl. auch Art. 88a und Art. 88bis IVV). Anlass zur Revision von Invalidenrenten gibt jede Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die geeignet ist, den Invaliditätsgrad und damit den Rentenanspruch zu beeinflussen. Die Invalidenrente ist daher nicht nur bei einer wesentlichen Veränderung des Gesundheitszustandes, sondern auch dann etwa revidierbar, wenn sich die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich gebliebenen Gesundheitszustandes erheblich verändert haben oder eine andere Art der Bemessung der Invalidität zur Anwendung gelangt (BGE 130 V 343 E. 3.5 S. 349). Ist eine anspruchserhebliche Änderung des Sachverhalts nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, bleibt es nach dem Grundsatz der materiellen Beweislast beim bisherigen Rechtszustand (vgl. Urteil 9C_961/2008 vom 30. November 2009 E. 6.3 = SVR 2010 IV Nr. 30 S. 94). 
 
3.   
Strittig ist, ob die Vorinstanz den seit Januar 1996 laufenden Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine halbe Invalidenrente mit Wirkung ab Oktober 2011 infolge einer Veränderung des Erwerbsstatus verneinen durfte. 
 
3.1. Verwaltung und Vorinstanz gehen davon aus, dass sich der diesbezügliche Sachverhalt, wie er der ursprünglichen Rentenzusprache zugrunde gelegen hatte, durch die Geburt im September 2008 erheblich verändert hat, indem die Beschwerdeführerin im hypothetischen Gesundheitsfall nicht mehr voll, sondern noch in einem Pensum von 70 Prozent erwerbstätig und (neu) zu 30 Prozent im Haushalt tätig wäre. Tritt ein weiterer Aufgabenbereich neben den Erwerb, so kommt anstelle der Einkommensvergleichsmethode (Art. 28a Abs. 1 IVG) die gemischte Methode der Invaliditätsbemessung zum Zug (Art. 28a Abs. 3 IVG in Verbindung mit Abs. 2 und mit Art. 16 ATSG; BGE 137 V 334; 133 V 504; 130 V 393).  
 
3.2. Die Frage, in welchem Ausmass die versicherte Person ohne gesundheitliche Beeinträchtigung erwerbstätig wäre, ist mit Rücksicht auf die gesamten Umstände, so die persönlichen, familiären, sozialen und erwerblichen Verhältnisse, zu beantworten (BGE 125 V 146 E. 2c S. 150 mit Hinweisen). Dabei handelt es sich zwangsläufig um eine hypothetische Beurteilung, die auch hypothetische Willensentscheidungen der versicherten Person berücksichtigen muss. Solche inneren Tatsachen sind einer direkten Beweisführung nicht zugänglich; sie müssen in aller Regel aus äusseren Indizien erschlossen werden. Die Beurteilung hypothetischer Geschehensabläufe folgt einer Tatfrage, soweit sie auf Beweiswürdigung beruht. Die hier interessierende Festlegung stellt somit keine Wertung dar, die sie zu einer Rechtsfrage machen würde. Um eine solche handelt es sich erst, wenn die Folgerung ausschliesslich - losgelöst vom konkreten Sachverhalt - auf die allgemeine Lebenserfahrung gestützt wird (Urteil I 708/06 vom 23. November 2006 E. 3.1).  
 
3.3.   
 
3.3.1. Die Beschwerdeführerin wirft zunächst die Frage auf, ob im Rahmen eines Revisionsverfahrens nach Art. 17 Abs. 1 ATSG ein Statuswechsel vorgenommen werden darf, wenn offen ist, ob die Änderung in der Lebenssituation, mit welcher die Revision begründet werden soll (hier: Geburt des Sohnes), auch im hypothetischen Gesundheitsfall eingetreten wäre, oder ob sie nicht doch der "konkreten Invalidensituation" zuzuschreiben ist. Dazu macht die Beschwerdeführerin geltend, es liege eine lediglich theoretische Veränderung des hypothetischen Lebenslaufs vor, was nicht genüge, um im Rentenrevisionsverfahren die Statusfrage neu zu regeln (vgl. dazu auch die in den vorinstanzlichen Akten dokumentierte abweichende Meinung der Gerichtsminderheit).  
 
3.3.2. Um eine reale Veränderung in der Biographie einer rentenbeziehenden Person bei der Qualifikation ihres Erwerbsstatus berücksichtigen zu können, ist nicht erforderlich, dass sich jene bereits bei Eintritt der Invalidität abgezeichnet hat. Eine Rentenrevision scheidet nur dann aus, wenn die veränderten Lebensumstände als spezifischer Teil der Invalidenbiographie erscheinen. Diese verläuft im Falle der Geburt eines Kindes beispielsweise dann nicht parallel zur Validenbiographie, wenn sich die Familienplanung wegen des invaliditätsbedingten Wegfalls beruflicher Optionen verändert hat. Für eine derartige Situation bestehen hier indes keine Anhaltspunkte, zumal ein seit langem bestehender Kinderwunsch der Beschwerdeführerin dokumentiert ist.  
 
3.3.3. Im Zusammenhang mit einer Statusänderung dürfen aus dem Grundsatz, wonach nur Veränderungen in den rechtserheblichen Tatsachen, nicht aber die Neubewertung solcher Tatsachen revisionsbegründend sein können (vgl. Urteil 9C_418/2010 vom 29. August 2011 E. 4.1 = SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81), keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit einer Rentenrevision gezogen werden: Geht es darum, ein hypothetisches Geschehen nachzuzeichnen, handelt es sich dabei wie erwähnt nicht um eine wertende Beurteilung, die von tatsächlichen Veränderungen abgegrenzt werden müsste.  
 
3.4. Der Umstand, dass das kantonale Gericht bei der Quantifizierung der Tätigkeitsbereiche Erwerb und Haushalt mit einer statistisch unterlegten Erwägung auch Gesichtspunkte der allgemeinen Lebenserfahrung in die Entscheidung hat einfliessen lassen, bedeutet nicht, dass es sich deswegen um eine bundesgerichtlich frei überprüfbare Rechtsfrage handelt. Die Festlegung des Status ist vielmehr als Tatfrage zu behandeln, da die Vorinstanz  auch (und vor allem) anhand konkreter Umstände entschieden hat (vgl. oben E. 3.2). Das kantonale Gericht stellte hinsichtlich des im Gesundheitsfall hypothetisch ausgeübten Erwerbspensums nicht allein auf die schwierig zu interpretierenden Aussagen der Versicherten selber (50 Prozent) und ihres (früheren) Ehemanns (80 Prozent) ab. Ausgehend von der anlässlich der Haushaltabklärung abgegebenen Erklärung der Beschwerdeführerin, die Kinderbetreuung stehe für sie im Vordergrund, erscheint die vorinstanzliche Schlussfolgerung, im Gesundheitsfall sei sie zu 70 Prozent (und nicht, wie beschwerdeweise geltend gemacht, zu 80 Prozent) erwerbstätig, im Rahmen der eingeschränkten Überprüfungsbefugnis des Bundesgerichts (oben E. 1) jedenfalls nicht als willkürlich.  
 
Damit ist nicht mehr entscheidend, ob die Aussagen der Beschwerdeführerin über den hypothetischen prozentualen Umfang der ausserhäuslichen Tätigkeit im Abklärungsbericht der IV-Stelle vom 7. Juni 2010 zuverlässig wiedergegeben worden sind, und ob der Umstand, dass die Krankheit seit jeher besteht, die Aussagen der Beschwerdeführerin relativiert, weil die Fragestellung für sie zu abstrakt gewesen wäre. Das Bundesgericht bleibt auch angesichts der inzwischen erfolgten Trennung vom Ehemann an den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt gebunden; das kantonale Gericht hat zu Recht erwogen, dass die Betreuung von Kleinkindern die Aufnahme einer Erwerbsarbeit unzumutbar macht (vgl. BGE 138 III 97 E. 3.2 S. 102). 
 
4.   
Für den Fall, dass eine Revision grundsätzlich als zulässig erachtet wird, beantragt die Beschwerdeführerin, die Einschränkungen im Haushalt seien vor Ort durch einen Psychiater abzuklären. In diesem Zusammenhang bringt sie zudem vor, der Doppelbelastung aus den beiden Tätigkeitsbereichen sei zu Unrecht nicht Rechnung getragen worden. 
 
4.1.   
 
4.1.1. Laut dem Abklärungsbericht der IV-Stelle vom 7. Juni 2010 beträgt die Einschränkung im Haushalt zwei Prozent. Dagegen veranschlagt der behandelnde Psychiater Dr. F.________, die Arbeitsunfähigkeit im Haushalt auf 35 Prozent (Bericht vom 15. November 2010) resp. 50 Prozent (Bericht vom 14. Februar 2011), die Y.________ GmbH auf rund 22 Prozent (Abklärungsbericht vom 3./20. Dezember 2010). Der psychiatrische Gutachter Dr. G.________ pflichtet letzterer Einschätzung bei und setzt die Einschränkung im Haushalt auf 20-30 Prozent an (Expertise vom 30. Juni 2011). Die IV-Stelle hat der strittigen Verfügung den von der Y.________ GmbH ermittelten Wert zugrunde gelegt.  
 
4.1.2. Geeignete Vorkehr zur Bestimmung der Behinderung im Haushalt ist im Allgemeinen die von einer qualifizierten Person durchgeführte Abklärung vor Ort (vgl. Art. 69 Abs. 2 zweiter Satz IVV). Zwar ist der Abklärungsbericht in erster Linie auf die Ermittlung des Ausmasses physisch bedingter Beeinträchtigungen zugeschnitten, weshalb seine grundsätzliche Massgeblichkeit unter Umständen eingeschränkt sein kann, wenn die versicherte Person an psychischen Beschwerden leidet. Prinzipiell jedoch ist er auch dann beweistauglich, wenn die Beurteilung psychischer Erkrankungen im Vordergrund steht. Widersprechen sich die Ergebnisse der Abklärung vor Ort und die fachmedizinischen Feststellungen zur Fähigkeit der versicherten Person, ihre gewohnten Aufgaben zu erfüllen, ist aber in der Regel den ärztlichen Stellungnahmen mehr Gewicht einzuräumen als dem Bericht über die Haushaltabklärung, weil es der Abklärungsperson regelmässig nur beschränkt möglich ist, das Ausmass des psychischen Leidens und der damit verbundenen Einschränkungen zu erkennen (Urteil 9C_201/2011 vom 5. September 2011 E. 2 mit Hinweisen = SVR 2012 IV Nr. 19 S. 86).  
 
4.1.3. Die Vorinstanz ist davon ausgegangen, eine erneute Haushaltabklärung sei verzichtbar. Darin liegt im Lichte des zitierten Urteils 9C_201/2011 keine Verletzung des Untersuchungsgrundsatzes (Art. 61 lit. c ATSG), da mit der detaillierten "Psychosozialen lebenspraktischen Abklärung" der Y.________ GmbH zwar nicht eine fachärztliche, für die hier interessierenden Belange aber eine gleichermassen qualifizierte, den Besonderheiten des Gesundheitsschadens Rechnung tragende spezifische Beurteilung vorhanden ist. Diese darf gegenüber der allgemein gehaltenen Einschätzung des Dr. F.________, auch im Haushalt sei eine Entlastung im Umfang von 50 Prozent notwendig (Bericht vom 14. Februar 2011), den Vorrang beanspruchen. Im Übrigen hat sich der Administrativgutachter Dr. G.________ im fraglichen Punkt ausdrücklich der Einschätzung der Y.________ GmbH angeschlossen (Gutachten vom 30. Juni 2011, S. 13).  
 
4.2. Offen gelassen werden kann die Frage, ob die Voraussetzungen zur Annahme erfüllt sind, infolge der im Rahmen der Invaliditätsbemessung zugemuteten Beanspruchung im erwerblichen Bereich vermindere sich die Leistungsfähigkeit im Aufgabenbereich Haushalt zusätzlich ("Wechselwirkung"; vgl. BGE 134 V 9). Weil die weiteren Bemessungsparameter unverändert bleiben, führte auch eine Einschränkung im Haushalt um 50 Prozent nicht zu einem rentenbegründenden Invaliditätsgrad (vgl. angefochtener Entscheid, E. 3.3).  
 
5.   
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der revisionsweise neu bestimmte, nicht mehr rentenbegründende Invaliditätsgrad hinsichtlich keines der umstrittenen Punkte in Verletzung von Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) festgelegt worden ist. 
 
6.   
Entsprechend dem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 12. November 2013 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kernen 
 
Der Gerichtsschreiber: Traub