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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_341/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 27. September 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Thomas Wyss, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Gemeinde C.________, Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV, 
Beschwerdegegnerin, 
 
B.________. 
 
Gegenstand 
Ergänzungsleistung zur AHV/IV (Rückerstattung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. März 2017 (ZL.2015.00113). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________ war seit 28. März 2003 mit B.________ verheiratet. Die Eheleute wohnten in C.________. B.________ bezog seit Jahren eine ganze Rente der Invalidenversicherung, ab 1. Januar 2003 zusätzlich Ergänzungsleistungen, später zudem Beihilfe nach kantonalem Recht. Auf Ende Juli 2011 zog er von C.________ weg. Am xxx wurde die Ehe geschieden.  
 
A.b. Mit Verfügung vom 2. April 2014 sprach die IV-Stelle des Kantons Zürich A.________ rückwirkend ab 1. Mai 2007 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zu.  
 
A.c. Mit zwei separaten Verfügungen vom 4. Mai 2015 forderte die Gemeinde C.________, Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV, von A.________ und von B.________ unter Hinweis auf ihre Solidarhaftung im Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis 30. Juni 2011 zu viel ausgerichtete Leistungen in der Höhe von Fr. 71'785.- zurück. Diese Summe war von der IV-Stelle durch Verrechnung mit der Nachzahlung der Rente an A.________ bereits an die Gemeinde ausbezahlt worden. Die Einsprache der Versicherten wies die Durchführungsstelle mit Entscheid vom 7. September 2015 ab.  
 
B.   
Dagegen erhob A.________ Beschwerde, welche das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich nach Beiladung von B.________ zum Prozess und nach zweifachem Schriftenwechsel mit Entscheid vom 10. März 2017 abwies. 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten beantragt A.________, der Entscheid vom 10. März 2017 sei aufzuheben und auf die Rückforderung der Ergänzungsleistungen, Zusatzleistungen, Beihilfen sei zu verzichten, unter Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege. 
 
Die Gemeinde C.________, Durchführungsstelle für Zusatzleistungen zur AHV/IV, ersucht um Abweisung der Beschwerde. B.________ verzichtet auf eine Vernehmlassung, desgleichen das Bundesamt für Sozialversicherungen. 
 
A.________ hat sich zu den Ausführungen der Durchführungsstelle geäussert. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz auf Rüge hin oder von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht, und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. auch Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG; zur Rüge- und Begründungspflicht der Parteien vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG sowie BGE 134 I 313 E. 2 S. 315 und 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
2.   
Streitgegenstand bildet die vorinstanzlich bestätigte Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Rückerstattung von zu viel ausgerichteten Ergänzungsleistungen (EL) und Beihilfe nach § 1 Abs. 1 lit. b und c sowie §§ 13 ff. des zürcherischen Gesetzes vom 7. Februar 1971 über die Zusatzleistungen zur eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (Zusatzleistungsgesetz; ZLG [LS 831.3]) in der Höhe von Fr. 71'785.- (= Summe der für die Zeit vom 1. Mai 2007 bis 30. Juni 2011 nachbezahlten Rentenleistungen der Invalidenversicherung). 
 
3.   
Die rechtlichen Voraussetzungen der Rückerstattung unrechtmässig bezogener bundessozialversicherungsrechtlicher Leistungen nach Art. 25 Abs. 1 ATSG (Vorliegen eines Rückkommenstitels [prozessuale Revision oder Wiedererwägung; Art. 53 Abs. 1 und 2 ATSG], Rückforderungsanspruch nicht erloschen [Art. 25 Abs. 2 ATSG]) - durch den Bezüger oder die Bezügerin, allenfalls seine oder ihre Erben   (Art. 2 Abs. 1 lit. a ELV) - und von Beihilfe nach kantonalem Recht    (§ 19 Abs. 1 lit. a und Abs. 4 ZLG; Urteil 9C_305/2012 vom 6. August 2012 E. 3.2) werden in E. 1.5-6 des angefochtenen Entscheids richtig wiedergegeben. Darauf wird verwiesen. 
 
4.  
 
4.1. Bis zum rückwirkenden Beginn der ganzen Rente der Invalidenversicherung der Beschwerdeführerin am 1. Mai 2007 hatte deren damaliger Ehemann ab 1. Januar 2003 allein Anspruch auf Ergänzungsleistungen und allenfalls Beihilfe nach kantonalem Recht       (vgl. §§ 13-17 ZLG). Nach der Heirat am 28. März 2003 wurden für die Bestimmung der Höhe der Leistung die anerkannten Ausgaben und die anrechenbaren Einnahmen der Ehegatten zusammengerechnet (Art. 9 Abs. 1 und 2 ELG). Zu Letzteren gehören u.a. Renten, Pensionen und andere wiederkehrende Leistungen, einschliesslich der Renten der AHV und der IV (Art. 11 Abs. 1 lit. d ELG). Die rückwirkende Zusprechung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung ab 1. Mai 2007 an die Ehefrau stellt somit einen prozessualen Revisionsgrund nach Art. 53 Abs. 1 ATSG dar, der Anlass für die Neuberechnung des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen und allenfalls auf kantonale Beihilfe ab diesem Zeitpunkt (bis 30. Juni 2011) gibt (BGE 122 V 134    E. 2d S. 138). Aus der Neuberechnung des Anspruchs kann sich eine Rückforderung von zu viel ausgerichteten Leistungen oder eine Nachzahlung ergeben (BGE 138 V 298).  
 
4.2. Als Bezügerin einer Rente der IV konnte neu auch die Beschwerdeführerin ab 1. Mai 2007 Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben (Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG und Art. 22 Abs. 1 ELV), sofern die aus ihrer Sicht gewissermassen erstmalige Anspruchsberechnung bzw. die prozessual revisionsweise Neuberechnung des Anspruchs ihres damaligen Ehegatten einen Überschuss der zusammengerechneten Ausgaben gegenüber den Einnahmen ergab. Andernfalls hatte auch sie keinen Anspruch, was gleichbedeutend damit ist, dass zu viel Leistungen ausgerichtet worden waren. Der zweite Tatbestand ist gegeben. Nach den Vorbringen in der Beschwerde ist sogar von höheren anrechenbaren Einnahmen auszugehen als in der (prozessual revisionsweisen Neu-) Berechnung des Anspruchs, welche den zurückgeforderten Betrag von Fr. 71'785.- ergab. Aufgrund des eigenständigen EL-Anspruchs ab 1. Mai 2007 nach Art. 4 Abs. 1 lit. c ELG hat die Vorinstanz gestützt auf Art. 2 Abs. 1 lit. a ATSV die Rückerstattungspflicht der Beschwerdeführerin im Grundsatz bejaht.  
 
5.   
 
5.1. Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, die Erstzusprache von Zusatzleistungen im Jahre 2003 sei fehlerhaft gewesen. Die Vermögensverhältnisse ihres damaligen Ehemannes seien nicht bzw. nur ungenügend abgeklärt worden, wie sie bereits im kantonalen Verfahren im Detail aufgezeigt und belegt habe. Die Beschwerdegegnerin hätte dies spätestens bei Eingang der Steuererklärung 2005 erkennen müssen. Weitere Abklärungen hätten ergeben, dass gar kein EL-Anspruch bestand. Ein allfälliger Rückforderungsanspruch wäre jedenfalls längstens verjährt. Sie habe wiederholt Verstösse gegen die Aktenführungspflicht (namentlich fehlende Unterlagen, welche zusammen mit der Anmeldung des damaligen Beistands ihres Ex-Mannes eingereicht wurden) sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt, wozu sich die Vorinstanz lediglich oberflächlich geäussert habe.  
 
5.2.  
 
5.2.1. Das kantonale Sozialversicherungsgericht ist den nämlichen Einwänden in der Replik mit dem Hinweis darauf begegnet, die Beschwerdegegnerin habe erst mit Eintritt der Rechtskraft der Verfügung vom 2. April 2014, womit der Beschwerdeführerin rückwirkend ab 1. Mai 2007 eine ganze Rente der Invalidenversicherung zugesprochen wurde, zuverlässige Kenntnis davon gehabt, dass nicht nur der Beigeladene, sondern auch seine damalige Ehefrau mit einem selbständigen EL-Anspruch als rückerstattungspflichtige Person in Frage komme. Von weiteren Abklärungen sei in antizipierter Beweiswürdigung abzusehen. Es kann im Rahmen der Rechtsanwendung von Amtes wegen (E. 1 hiervor) offenbleiben, ob diese Begründung Bundesrecht verletzt, wie die Beschwerdeführerin rügt, weil ihr damit "die Einwendungen aufgrund grundsätzlich fehlerhafter Leistungszusprache" nicht zugestanden würden.  
 
5.2.2. Rückerstattungspflichtig nach Art. 2 Abs. 1 lit. a ATSV ist grundsätzlich, wer die unrechtmässig gewährten Leistungen effektiv bezogen hat (Urteil 9C_564/2009 vom 22. Januar 2010 E. 6.5, in: SVR 2010 IV Nr. 45 S. 141). Das konnte einzig der damalige Ehemann der Beschwerdeführerin sein, der in der fraglichen Zeit vom 1. Mai 2007 bis 30. Juni 2011 allein anspruchsberechtigt war (vgl. auch Art. 22a ELV ["Auszahlung bei Ehegatten mit je einem eigenen Rentenanspruch"]). Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Rentenforderung der Beschwerdeführerin bereits damals bestanden hatte, wäre dieser Umstand lediglich für die Berechnung der Rückforderung von Bedeutung, was die Vorinstanz mit ihrem Hinweis auf das Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts P 34/05 vom 4. Dezember 2005 E. 3.2.1 verkennt, zumal der IV-Rentenanspruch nicht ex lege entsteht, sondern erst durch die Verfügung konstituiert wird, welche die Erfüllung der gesetzlichen Anspruchserfordernisse rechtsgestaltend festhält. Die rückwirkende Zusprechung der IV-Rente ab 1. Mai 2007 durch Verfügung vom 2. April 2014 machte die Beschwerdeführerin daher nicht zur Rückerstattungspflichtigen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. a ATSV bezüglich der EL ihres damaligen Ehemannes. Zu keiner anderen Beurteilung der Frage nach der rückerstattungspflichtigen Person führt sodann Art. 9 Abs. 2 ELG, d.h. der Einbezug beider Ehegatten in die Anspruchsberechnung (Urteil 9C_211/2009 vom 26. Februar 2010 E. 4.3, in: SVR 2010 EL Nr. 10 S. 27).  
 
5.3. Nach dem Gesagten besteht keine Rückerstattungspflicht der Beschwerdeführerin für zu viel ausgerichtete Zusatzleistungen im Zeitraum vom 1. Mai 2007 bis 30. Juni 2011 als Folge der rückwirkenden Zusprechung einer ganzen Rente der Invalidenversicherung. Die Verrechnung der Rückforderungssumme von Fr. 71'785.- durch die IV-Stelle mit der Rentennachzahlung erfolgte somit zu Unrecht. Die Beschwerde ist begründet.  
 
6.   
Ausgangsgemäss hat die Beschwerdegegnerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 10. März 2017 und der Einspracheentscheid der Beschwerdegegnerin vom 7. September 2015 werden aufgehoben. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Parteientschädigung des vorangegangenen Verfahrens an das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, B.________, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 27. September 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler