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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1439/2022  
 
 
Urteil vom 22. März 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Monica Mitrea, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Banden- und gewerbsmässiger Diebstahl, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch usw; Strafzumessung; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2. Strafkammer, vom 1. September 2022 (SK 21 458). 
 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:  
 
1.  
Das Obergericht des Kantons Bern stellte mit Urteil vom 1. September 2022 fest, dass die Schuldsprüche des Regionalgerichts Bern Mittel-land vom 20. Mai 2021 wegen Führens eines Fahrzeugs ohne Berechtigung, mehrfach begangen, und wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtskräftig geworden seien. Zudem sprach es den Beschwerdeführer schuldig des banden- und gewerbsmässigen Diebstahls, des Hausfriedensbruchs, mehrfach begangen, der Entwendung eines Motorfahrzeugs zum Gebrauch, mehrfach begangen, und des Führens eines Motorfahrzeugs ohne Berechtigung, mehrfach begangen. Das Obergericht bestrafte den Beschwerdeführer mit einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 2 Monaten (unter Anrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie unter Hinweis auf den vorzeitigen Antritt der Strafe per 9. September 2021) und verwies ihn für 12 Jahre des Landes. Es regelte sodann den Zivilpunkt sowie die Kosten- und Entschädigungsfolgen. 
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer erhob Beschwerde an das Bundesgericht. 
 
2.  
Die Beschwerde in Strafsachen ist innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht einzureichen (Art. 100 Abs. 1 BGG). Die 30-tägige Frist ist nur gewahrt, wenn die Beschwerde spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer schweizerischen diplomatischen oder konsularischen Vertretung übergeben wird (Art. 48 Abs. 1 BGG). 
Die rechtsuchende Person trägt die Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung, die mit Gewissheit feststehen und nicht bloss überwiegend wahrscheinlich sein muss (BGE 142 V 389 E. 2.2 mit Hinweisen). 
Der Nachweis, dass die Eingabe am letzten Tag der laufenden Frist bis 24 Uhr der Post übergeben wurde, obliegt dem Absender. Es wird vermutet, dass das Datum des Poststempels mit demjenigen der Übergabe an die Post übereinstimmt. Wer behauptet, er habe einen Brief schon am Vortag seiner Abstempelung in einen Postbriefkasten eingeworfen, hat das Recht, die sich aus dem Poststempel ergebende Vermutung verspäteter Postaufgabe mit allen tauglichen Beweismitteln zu widerlegen (BGE 147 IV 526 E. 3.1; 142 V 389 E. 2.2; 124 V 372 E. 3b; Urteile 6B_157/2020 vom 7. Februar 2020 E. 2.3, publ. in: SJ 2020 I 232; 8C_696/2018 vom 7. November 2018 E. 3.3; je mit Hinweisen). Eine Rechtsanwältin bzw. ein Rechtsanwalt muss um das Risiko wissen, dass ihre/seine Sendung nicht am gleichen Tag abgestempelt wird, wenn sie/er diese nicht am Schalter aufgibt, sondern (z.B. nach Schalterschluss) in einen Briefkasten einwirft. Wenn sie/er eine derartige verfahrensmässige Unsicherheit über die Fristwahrung schafft, muss sie/er für die Behauptung der Rechtzeitigkeit unaufgefordert und vor Ablauf der Rechtsmittelfrist die diesbezüglichen Beweismittel anbieten (Urteile 6B_157/2020 vom 7. Februar 2020 E. 2.3, publ. in: SJ 2020 I 232; 5A_503/2019 vom 20. Dezember 2019 E. 4.1; 6B_397/2012 vom 20. September 2012 E. 1.2; je mit Hinweisen). 
 
3.  
 
3.1. Das eingeschrieben versandte vorinstanzliche Urteil wurde der Anwältin des Beschwerdeführers und damit dem Beschwerdeführer am 1. November 2022 zugestellt. Die Beschwerdefrist begann folglich am 2. November 2022 zu laufen (Art. 44 Abs. 2 BGG) und endete am 1. Dezember 2022. Indessen wurde die gegen das vorinstanzliche Urteil erhobene Beschwerde "Einschreiben R Inland" von der Sendungsverfolgung "Track & Trace" der Post erstmals am 2. Dezember 2022 elektronisch erfasst ("Ankunft an der Verarbeitungs-/Abholstelle um 08:02 Uhr"). Auf den Postaufgabestempel bzw. in casu auf die erstmalige Erfassung/Verarbeitung der Sendung durch die Post ist als Datumsausweis abzustellen. Es gilt deshalb die widerlegbare Vermutung (vorstehend E. 2), dass die Beschwerde nicht am letzten Tag der Frist, sondern erst am 2. Dezember 2022 und damit einen Tag zu spät eingereicht wurde.  
 
3.2. Das Bundesgericht hat den Beschwerdeführer am 8. Dezember 2022 aus diesem Grund darauf hingewiesen, dass die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeerhebung geprüft werde, und forderte ihn bzw. seine Rechtsanwältin auf, die Postaufgabe der versandten Beschwerde zu belegen. Mit Antwort vom 19. Dezember 2022 teilte er bzw. sie mit, die Beschwerde "Einschreiben R Inland" am 1. Dezember 2022 fristwahrend in einen Briefkasten der Schweizerischen Post eingeworfen zu haben. Aus dem Umstand der postalischen Erfassung der Sendung am Morgen des 2. Dezember 2022 um 08:02 Uhr ergebe sich die rechtzeitige Postaufgabe der Beschwerde am 1. Dezember 2022. Zudem wird als "Beleg" eine handschriftliche Erklärung der Poststelle St-François/Lausanne vom 13. Dezember 2022 eingereicht, der zu entnehmen ist, dass die Sendung am 1. Dezember 2022 in einen Briefkasten eingeworfen worden sein soll, jedoch unglücklicherweise in einen ohne elektronische Erfassung/Verarbeitung des Einwurfs ("Le client a bien mis le courrier dans la boîte aux lettres le jeudi 1er décembre 2022. Malheureusement étant déposé dans une boîte aux lettres il n'y a pas de scannage de dépôt".)  
 
3.3. Damit vermag der Beschwerdeführer die Vermutung der verspäteten Einreichung der Beschwerde am 2. Dezember 2022 jedoch nicht zu widerlegen; denn es obliegt den Parteien, auch die Beweismittel der Fristwahrung rechtzeitig, d.h. vor Ablauf der Rechtsmittelfrist, zu erbringen oder zumindest in den Rechtsschriften zu bezeichnen (vorstehend E. 2). In der konkreten Beschwerdeeingabe, den Beschwerdebeilagen oder auf dem an das Bundesgericht adressierten Briefumschlag der Eingabe fehlt es indessen an jeglichem Nachweis der Übergabe der Sendung an die Schweizerische Post am 1. Dezember 2022. Die vom 13. Dezember 2022 datierende Erklärung der Poststelle St-François/Lausanne wurde zudem erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist erstellt; schon aus diesem Grund kommt sie als Beweis für eine rechtzeitige Postaufgabe der Beschwerde nicht in Betracht. Das Postdokument ist als solches aber auch deshalb als Beweis untauglich, weil es über eine blosse Behauptung, die Sendung sei rechtzeitig aufgegeben worden, nicht hinausgeht. Auch der Umstand, dass die Beschwerde "Einschreiben R Inland" am Morgen des 2. Dezember 2022 um 08:02 Uhr von der Verarbeitungs-/Abholstelle der Post elektronisch erfasst und verarbeitet wurde, vermag schliesslich eine rechtzeitige Postaufgabe am 1. Dezember 2022 nicht zu beweisen. Das Gericht darf nicht auf blosse Wahrscheinlichkeit hin urteilen oder auf nur glaubhaft gemachte und somit nicht bewiesene Sachbehauptungen abstellen (BGE 119 V 7 E. 3c/aa). Der direkte Beweis der Postübergabe innert Frist ist damit nicht erbracht.  
 
4.  
Zusammengefasst lässt sich eine Postaufgabe der Beschwerde am 1. Dezember 2022 nicht durch einen Poststempel verifizieren. Beweismässig erstellt ist einzig, dass die Beschwerdeeingabe am Morgen des 2. Dezember 2022 in der Verarbeitungs-/Abholstelle postalisch erstmals erfasst wurde. Taugliche Beweismittel für eine Fristwahrung am 1. Dezember 2022 wurden nicht vorgelegt. 
Auf die Beschwerde ist folglich wegen Verspätung nicht einzutreten. Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung des grundsätzlich kostenpflichtigen Beschwerdeführers ist wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen (vgl. Art. 64 BGG). Aufgrund der Umstände rechtfertigt es sich jedoch, ausnahmsweise von der Erhebung von Kosten für das bundesgerichtliche Verfahren abzusehen (vgl. Art. 66 Abs. 1 zweiter Satz BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 22. März 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill