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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
2C_678/2022  
 
 
Urteil vom 7. Dezember 2022  
 
II. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Aubry Girardin, Präsidentin, 
Bundesrichter Hartmann, 
Bundesrichterin Ryter, 
Gerichtsschreiber Businger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Migrationsamt des Kantons Zürich, 
Berninastrasse 45, 8090 Zürich, 
Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich, 
Neumühlequai 10, 8090 Zürich. 
 
Gegenstand 
Aufenthaltsbewilligung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich, 4. Abteilung, vom 30. Juni 2022 (VB.2022.00149). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. A.________ (geb. 1989) ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste am 30. März 2013 in die Schweiz ein, heiratete eine deutsche Staatsangehörige und erhielt im Rahmen des Ehegattennachzugs eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA. Aus der Ehe sind zwei Söhne (geb. 2014 und 2018) hervorgegangen. Die Ehegatten leben seit 1. Februar 2019 getrennt; die Söhne wurden unter die alleinige Obhut der Mutter gestellt.  
Während seines Aufenthalts bezog A.________ Sozialhilfe in Höhe von Fr. 58'325.50 und trat mehrmals strafrechtlich in Erscheinung: 
 
- Mit Strafbefehlen vom 26. November 2014 und 7. Juli 2015 wurde er wegen Verkehrsdelikten mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen und Bussen von insgesamt Fr. 1'880.-- bestraft. 
- Mit Urteil vom 15. Juni 2017 wurde er wegen Drohung und Tätlichkeiten gegenüber seiner Ehefrau mit einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen und einer Busse von Fr. 500.-- bestraft. 
- Mit Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 15. Juni 2022 wurde er wegen einfacher Körperverletzung sowie versuchter Nötigung gegenüber seiner Ehefrau mit einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten bestraft, wobei unklar ist, ob dieses Urteil in Rechtskraft erwachsen ist. 
 
1.2. Nachdem sich A.________ zwischen Ende Januar 2020 und November 2020 im Ausland aufgehalten hatte, stellte das Migrationsamt des Kantons Zürich mit Verfügung vom 27. September 2021 fest, dass die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA wegen Landesabwesenheit erloschen sei. Es verweigerte A.________ die Wiedererteilung einer Aufenthaltsbewilligung und wies ihn aus der Schweiz weg. Die dagegen erhobenen Rechtsmittel wiesen die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich am 1. Februar 2022 und das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich am 30. Juni 2022 (versandt am 25. Juli 2022) ab.  
 
1.3. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiärer Verfassungsbeschwerde vom 29. August 2022 beantragt A.________ dem Bundesgericht, es sei festzustellen, dass seine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA nicht erloschen sei bzw. die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA sei ihm zu belassen, eventualiter wiederzuerteilen. Subeventualiter sei die Sache zum Neuentscheid zurückzuweisen. Weiter sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.  
Das Verwaltungsgericht und die Sicherheitsdirektion des Kantons Zürich verzichten auf Vernehmlassung. 
Mit Verfügung der Abteilungspräsidentin vom 30. August 2022 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
2.  
Angefochten ist ein letztinstanzlicher kantonaler Endentscheid in einer Angelegenheit des öffentlichen Rechts (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d und Art. 90 BGG). Nachdem der Beschwerdeführer in vertretbarer Weise vorbringt, dass er nach wie vor über eine Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA verfügt, erweist sich die Beschwerde auch vor dem Hintergrund von Art. 83 lit. c Ziff. 2 BGG als zulässig (Urteil 2C_693/2021 vom 25. Oktober 2021 E. 1.1). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten des legitimierten Beschwerdeführers (Art. 42, Art. 89 Abs. 1 und Art. 100 Abs. 1 BGG) ist einzutreten. Für die gleichzeitig erhobene subsidiäre Verfassungsbeschwerde bleibt daneben kein Raum (Art. 113 BGG); darauf ist nicht einzutreten. 
 
3.  
Zu prüfen ist, ob die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA des Beschwerdeführers durch Landesabwesenheit erloschen ist. 
 
3.1. Verlässt die Ausländerin oder der Ausländer die Schweiz, ohne sich abzumelden, so erlischt die Kurzaufenthaltsbewilligung nach drei Monaten, die Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung nach sechs Monaten (Art. 61 Abs. 2 Satz 1 AIG [SR 142.20]). Die Fristen werden durch vorübergehende Besuchs-, Tourismus- oder Geschäftsaufenthalte in der Schweiz nicht unterbrochen (Art. 79 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE; SR 142.201]).  
 
3.2. Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer die Schweiz Ende Januar 2020 ohne Abmeldung verlassen hat und am 18. November 2020 in Bulgarien verhaftet worden ist. Damit hat er sich fast zehn Monate lang im Ausland aufgehalten. Streitig ist, ob er die Sechsmonatsfrist nach Art. 61 Abs. 2 AIG durch Aufenthalte in der Schweiz unterbrochen hat.  
 
3.2.1. Die Vorinstanz erwog, der Beschwerdeführer habe trotz Mitwirkungspflicht nicht belegt, dass er sich zwischen Ende Januar 2020 und November 2020 in der Schweiz aufgehalten habe. Dass er trotz Aufenthalt in der Schweiz über keine entsprechenden Belege verfüge, sei sehr unwahrscheinlich, wobei auch ein vorübergehender Aufenthalt zu Besuch das Erlöschen der Bewilligung nicht abwenden könnte (vgl. E. 2.2 des angefochtenen Urteils).  
Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe nach dem Wegzug in die Türkei seine unselbständige Erwerbstätigkeit in der Schweiz beibehalten und über eine Wohnung in Zürich verfügt. In Anbetracht des Untersuchungsgrundsatzes wäre es an den Behörden gelegen, in Zusammenhang mit den vorgebrachten Aufenthalten in der Schweiz ergänzende Abklärungen vorzunehmen bzw. ihn, da er nicht anwaltlich vertreten gewesen sei, auf die zu beweisenden Tatsachen hinzuweisen. Der Vorinstanz habe kein Beweis vorgelegen, dass der Wegzug in die Türkei von Beginn weg unbefristet gewesen sei und sich sein Lebensmittelpunkt tatsächlich in der Türkei befunden habe. Sein Aufenthalt in Zürich könne ungeachtet einer Verlegung des Wohnsitzes in die Türkei nicht als vorübergehend qualifiziert werden und habe die Frist jeweils unterbrochen. 
 
3.2.2. Mit dem pauschalen Verweis auf die unselbständige Erwerbstätigkeit und Wohnung in der Schweiz lehnt sich der Beschwerdeführer an BGE 145 II 322 an. Dort war allerdings unbestritten, dass der Betroffene an den Wochentagen in der Schweiz gearbeitet und gewohnt hatte. Vor diesem Hintergrund erwog das Bundesgericht, der Aufenthalt in der Schweiz könne ungeachtet einer Verlegung des Wohnsitzes ins Ausland nicht als bloss vorübergehend qualifiziert werden und habe deshalb die Sechsmonatsfrist jeweils zu unterbrechen vermocht (BGE 145 II 322 E. 3.2). Im vorliegenden Fall dagegen steht gerade infrage, ob der Beschwerdeführer von Ende Januar 2020 bis November 2020 in der Schweiz gewesen ist. Erst wenn dies bejaht werden könnte, wäre zu prüfen, ob der Aufenthalt einen Unterbruch der Frist bewirkt hätte.  
 
3.2.3. Nachdem feststeht, dass sich der Beschwerdeführer von Ende Januar 2020 bis November 2020 im Ausland aufgehalten hat, wäre es an ihm gelegen, den Nachweis zu erbringen, dass er während dieser Zeitspanne in die Schweiz zurückgekehrt ist. Dies ergibt sich nicht nur aus der Mitwirkungspflicht nach Art. 90 AIG, sondern auch aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen hat, der aus ihr Rechte ableitet (Art. 8 ZGB; zur Anwendung im öffentlichen Recht vgl. BGE 142 II 433 E. 3.2.6 m.H.). Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, erscheint es sehr unwahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer keinen einzigen Beleg für die behauptete Anwesenheit in der Schweiz vorweisen kann. Und selbst dann könnte vom Beschwerdeführer erwartet werden, dass er die angebliche Anwesenheit in der Schweiz hinreichend substanziiert darlegt, anstatt nur pauschale und damit von vornherein nicht überprüfbare Ausführungen zu machen.  
 
3.2.4. Bei dieser Sachlage kann keine Rede davon sein, die kantonalen Behörden hätten den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Wie erwähnt wäre es am Beschwerdeführer gelegen, den Nachweis seines Aufenthalts in der Schweiz zwischen Ende Januar 2020 und November 2020 zu erbringen. Es ist weder ersichtlich noch wird in der Beschwerde näher substanziiert, welche Untersuchungshandlungen oder "ergänzende Abklärungen" die Behörden in dieser Hinsicht hätten vornehmen können. Auch der Vorwurf des Beschwerdeführers, man hätte ihn auf die zu beweisenden Tatsachen hinweisen müssen, ist haltlos; nachdem bereits das Migrationsamt vom Erlöschen der Bewilligung wegen Landesabwesenheit ausgegangen ist, musste auch dem nicht anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer bewusst sein, dass er den von ihm behaupteten Aufenthalt in der Schweiz zu belegen hatte. Schliesslich spielt es auch keine Rolle, ob der Wegzug in die Türkei von Beginn weg befristet war bzw. sich der Lebensmittelpunkt dort befunden hat; entscheidend ist das formelle Kriterium der Landesabwesenheit von sechs Monaten, nicht die Gründe bzw. Motive des Betroffenen (BGE 145 II 322 E. 2.3; Urteil 2C_528/2021 vom 23. Juni 2022 E. 4.7, zur Publikation vorgesehen).  
 
3.3. Zusammenfassend ist die Vorinstanz zu Recht davon ausgegangen, dass die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA des Beschwerdeführers wegen seiner Landesabwesenheit von fast zehn Monaten nach Art. 61 Abs. 2 Satz 1 AIG erloschen ist.  
 
4.  
Ist die Aufenthaltsbewilligung EU/EFTA erloschen, gehen die Ausführungen des Beschwerdeführers zum Vorliegen eines Widerrufsgrundes und zur Verhältnismässigkeit eines Widerrufs ins Leere. Entscheidend ist nicht, ob er wegen seines Verhaltens hätte weggewiesen werden dürfen, sondern ob er einen Rechtsanspruch auf Wiederzulassung besitzt. 
 
4.1. Der Beschwerdeführer ist nach wie vor mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet. Er lebt allerdings seit Jahren von seiner Ehefrau getrennt und zieht die Eheschliessung mit einer anderen Frau in Betracht (vgl. E. 4 des angefochtenen Urteils). Die Ehe ist folglich definitiv gescheitert; der Beschwerdeführer kann sich für seinen weiteren Aufenthalt nicht mehr auf das Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681) berufen (BGE 144 II 1 E. 3.1; 139 II 393 E. 2.1).  
 
4.2. Soweit sich der Beschwerdeführer auf seinen langen Aufenthalt in der Schweiz beruft, ist anzumerken, dass gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nach einer rechtmässigen Anwesenheit von zehn Jahren die Beendigung des Aufenthalts besonderer Gründe bedarf (vgl. BGE 144 I 266 E. 3.9 in Bezug auf Art. 8 EMRK). Weder hat sich der Beschwerdeführer bis zu seiner Ausreise Ende Januar 2020 zehn Jahre lang in der Schweiz aufgehalten (Einreise im März 2013) noch steht die Beendigung seines Aufenthalts infrage, sondern die Wiederzulassung. Darauf besteht selbst bei über zehnjährigem Aufenthalt in der Schweiz kein Anspruch (vgl. Urteile 2C_528/2021 vom 23. Juni 2022 E. 4.6, zur Publikation vorgesehen; 2C_141/2021 vom 13. April 2021 E. 2.4 m.H.).  
 
4.3. Was sodann die Beziehung zu seinen hier lebenden Kindern betrifft, ist der Beschwerdeführer nicht obhutsberechtigt. Er kann seine Kinder deshalb von vornherein nur im Rahmen seines Besuchsrechts sehen. Das Bundesgericht geht in solchen Konstellationen nur dann von einem Aufenthaltsrecht aus, wenn die Beziehung zu den Kindern besonders eng ist, wegen der Distanz zum Heimatland des Ausländers praktisch nicht aufrecht erhalten werden könnte und das Verhalten des Betroffenen in der Schweiz zu keinerlei Klagen Anlass gegeben hat (BGE 147 I 149 E. 4; 144 I 91 E. 5.2; 142 II 35 E. 6.2). Wie die Vorinstanz festgehalten hat und was der Beschwerdeführer ausdrücklich anerkennt (vgl. S. 6 der Beschwerde), besteht weder eine affektive noch finanzielle Beziehung zu seinen Kindern. Zudem kann angesichts der Straffälligkeit des Beschwerdeführers - und zwar auch ohne die allenfalls noch nicht rechtskräftige Verurteilung vom 15. Juni 2022 - und seines Sozialhilfebezugs offensichtlich keine Rede davon sein, er habe sich während seines Aufenthalts in der Schweiz tadellos verhalten. Schliesslich fällt auch ein freizügigkeitsrechtlicher Anspruch auf umgekehrten Familiennachzug von vornherein ausser Betracht, da der Aufenthalt der Kinder in der Schweiz durch die Wegweisung des Beschwerdeführers nicht tangiert wird (vgl. Urteile 2C_1001/2017 vom 18. Oktober 2018 E. 3.3; 2C_606/2013 vom 4. April 2014 E. 3.4). Ein Rechtsanspruch auf Wiederzulassung besteht folglich nicht.  
 
5.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erweist sich als offensichtlich unbegründet und ist im vereinfachten Verfahren abzuweisen (Art. 109 Abs. 2 lit. a BGG). Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht auszurichten (Art. 68 Abs. 1-3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen. 
 
2.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Verfahrensbeteiligten, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, 4. Abteilung, und dem Staatssekretariat für Migration mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 7. Dezember 2022 
 
Im Namen der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: F. Aubry Girardin 
 
Der Gerichtsschreiber: M. Businger