Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
[AZA] 
I 117/99 Vr 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiberin Hostettler 
 
Urteil vom 25. Februar 2000  
 
in Sachen 
 
G.________, 1964, Beschwerdeführerin, vertreten durch den 
Verband X.________, 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, Bern, Beschwerdegegne- 
rin, 
und 
 
Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern 
 
    A.- Am 20. Januar 1995 meldete sich die 1964 geborene 
G.________, von Beruf Innendekorationsnäherin, wegen 
Rücken- und Kniebeschwerden bei der Invalidenversicherung 
zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern klärte in der 
Folge die erwerblichen und gesundheitlichen Verhältnisse 
ab, indem sie u.a. Arbeitgeberauskünfte vom 27. Februar 
1995 und ein Gutachten beim Zentrum für Medizinische Begut- 
achtung (ZMB) vom 26. November 1996 einholte. Zudem liess 
sie durch die berufliche Abklärungsstelle (BEFAS) die be- 
ruflichen Eingliederungsmöglichkeiten abklären. Nach dem 
vorzeitigen Abbruch dieser Massnahme wegen der von der 
Explorandin geklagten Schmerzen (Bericht der BEFAS vom 
23. Mai 1997), holte die Verwaltung ein Zusatzgutachten 
beim ZMB ein (vom 4. August 1997). Daraufhin veranlasste 
sie eine psychiatrische Begutachtung durch Dr. med. 
I.________, Spezialarzt FMH für Psychiatrie und Psycho- 
therapie (Expertise vom 24. Februar 1998). Gestützt auf 
diese Unterlagen setzte die IV-Stelle den Invaliditätsgrad 
auf 61 % fest und sprach der Versicherten mit Verfügung vom 
27. August 1998 rückwirkend ab dem 1. November 1995 eine 
halbe Invalidenrente zu. 
 
    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwal- 
tungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 5. Januar 
1998 (recte: 1999) ab. 
 
    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ 
beantragen, es sei ihr unter Aufhebung des kantonalen Ent- 
scheides und der Verwaltungsverfügung rückwirkend ab 
1. November 1995 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. 
    Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung, während sich 
das Bundesamt für Sozialversicherung nicht vernehmen lässt. 
 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Die Vorinstanz hat die massgeblichen Grundlagen 
zum Anspruch auf Invalidenrente und zur Bemessung des Inva- 
liditätsgrades nach der Methode des Einkommensvergleichs 
zutreffend dargestellt. Darauf wird verwiesen. 
 
    2.- Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin 
aufgrund ihrer somatischen und psychischen Leiden ihre frü- 
here Arbeit als Innendekorationsnäherin nicht mehr ausüben 
kann. In Würdigung der umfangreichen medizinischen und be- 
ruflich-erwerblichen Unterlagen, insbesondere der im Admi- 
nistrativverfahren eingeholten Gutachten des ZMB vom 
26. November 1996 und des Dr. med. I.________ vom 24. Feb- 
ruar 1998, zog die Vorinstanz mit überzeugender Begründung 
den Schluss, für eine dem Leiden angepasste Tätigkeit sei 
sie hingegen zu 40 % arbeitsfähig. Was die Beschwerdefüh- 
rerin dagegen vorbringt, ist nicht stichhaltig. 
    Soweit sie geltend macht, die Ärzte des ZMB hätten ihr 
in ihrem Zusatzgutachten eine Arbeitsfähigkeit von 30 % at- 
testiert, wird übersehen, dass bei dieser Beurteilung die 
Gutachter von einer relevanten Veränderung der psychischen 
Situation ausgegangen waren, die es zu jenem Zeitpunkt erst 
noch nachzuweisen galt. Aus diesem Grund schlugen sie auch 
eine weitere psychiatrische Untersuchung vor. Dr. med. 
I.________ konnte in der Folge jedoch nur eine leichte 
psychogene Problematik (Schmerzverarbeitungsstörung) fest- 
stellen, weshalb er die Beurteilung der Gutachter des ZMB 
zu Recht relativierte und die Arbeitsfähigkeit auf 40 % 
festsetzte. 
    Nicht zu hören ist auch der Einwand, wonach für die 
Beschwerdeführerin die Umsetzung der Restarbeitsfähigkeit 
nicht zumutbar sei, weil sie schon wegen der körperlichen 
Beschwerden die berufliche Abklärung in der BEFAS vorzeitig 
hätte abbrechen müssen. Gemäss Dr. med. I.________ spielen 
neben der psychogenen Problematik auch invaliditätsfremde 
Gründe eine Rolle, welche die Betroffene daran hindern, die 
noch vorhandene Restarbeitsfähigkeit umzusetzen. Zudem wur- 
den die Argumente der Beschwerdeführerin bereits vom kanto- 
nalen Gericht entkräftet. Diesen vorinstanzlichen Ausfüh- 
rungen, auf die verwiesen werden kann, hat das Eidgenössi- 
sche Versicherungsgericht nichts beizufügen. 
 
    3.- Zu prüfen bleibt, wie sich die festgestellte Ein- 
schränkung der Arbeitsfähigkeit in erwerblicher Hinsicht 
auswirkt. 
 
    a) Die Verwaltung, durch die Vorinstanz bestätigt, hat 
dem Einkommensvergleich nach Art. 28 Abs. 2 IVG ein jährli- 
ches Valideneinkommen von Fr. 40'000.- zu Grunde gelegt, 
wobei sie das 1994 erzielte Einkommen von Fr. 38'797.- he- 
ranzog und es aufrundete (Fragebogen für den Arbeitgeber 
vom 27. Februar 1995). Die Beschwerdeführerin macht demge- 
genüber geltend, dass im ermittelten Valideneinkommen die 
Entlöhnung für die im Auftrag des damaligen Arbeitgebers 
regelmässig ausgeführte Heimarbeit nicht mit berücksichtigt 
worden sei. Zudem müsse das Einkommen noch entsprechend der 
Nominallohnentwicklung bis 1998 aufgewertet werden. Dabei 
beruft sie sich auf den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) von 1998 
des Schweiz. Verbands der Innendekorateure SVIMSA, Solo- 
thurn, wonach der Monatslohn für eine gelernte Innendekora- 
tionsnäherin im Jahre 1998 rund Fr. 3900.- (Fr. 21.50/Std. 
x 181) betrug (vgl. INFO 2/97 der SVIMSA zum GAV 1998). Was 
die Heimarbeit anbelangt, so ist festzustellen, dass die 
Beschwerdeführerin in den Jahren 1992 bis 1994 ein durch- 
schnittliches Jahreseinkommen von rund Fr. 40'000.- erziel- 
te, inklusive Entlöhnung für die zusätzlichen Aufträge 
(Fragebogen für den Arbeitgeber vom 27. Februar 1995). Das 
ermittelte Valideneinkommen von rund Fr. 40'000.- für das 
Jahr 1994 ist somit nicht zu beanstanden, da es die Heimar- 
beit genügend mit berücksichtigt. Der Einwand betreffend 
die Anpassung an die Nominallohnentwicklung ist an sich 
zutreffend, da für die Schätzung sowohl des Validen- als 
des Invalideneinkommens von zeitgleichen Grössen ausge- 
gangen werden muss. Im Hinblick darauf, dass die Rente mit 
Wirkung ab 1. November 1995 zugesprochen wurde, ist jedoch 
beim Einkommensvergleich auf das Valideneinkommen für das 
Jahr 1995 abzustellen, und nicht auf jenes für 1998. In 
Berücksichtigung der bis 1995 eingetretenen Nominallohn- 
erhöhung von 1,3 % (Die Volkswirtschaft, 1999 Heft 1, 
Anhang S. 28, Tabelle B 10.2) beläuft sich das Validen- 
einkommen somit auf Fr. 40'520.- jährlich. 
 
    b) Für die Ermittlung des Invalideneinkommens stellte 
die Verwaltung, ebenfalls durch die Vorinstanz bestätigt, 
auf einen Verdienst von Fr. 15'532.- ab, den die Beschwer- 
deführerin bei einer Arbeitsfähigkeit von 40 % aus einer 
dem Leiden angepassten Tätigkeit, sitzend, stehend und 
gehend, z.B. als Montagemitarbeiterin in der Band-Genossen- 
schaft Bern, an einem geschützten Arbeitsplatz zu erzielen 
vermöchte (Fr. 2987.- x 13 = Fr. 38'831.-, davon 40 % = 
Fr. 15'532.-). Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass der 
angenommene Lohn in den IV-Akten nicht ausgewiesen und 
somit unzulässig sei. Zudem seien bei der Ermittlung des 
Invalideneinkommens die von der Rechtsprechung eingeführten 
Abzüge, um die Benachteiligung von invaliden Teilzeitbe- 
schäftigten und Hilfsarbeitern auszugleichen, nicht mit 
berücksichtigt worden. Dies ist - entgegen der Auffassung 
der Beschwerdeführerin - auch nicht nötig, da dieses Ein- 
kommen nicht auf der Grundlage der sog. Tabellenlöhne fest- 
gesetzt worden ist, sondern aufgrund von auf gesundheitlich 
Beeinträchtigte zugeschnittenen Lohnangaben, weshalb für 
etwaige Abzüge kein Raum bleibt (RKUV 1998 Nr. U 304 S. 373 
Erw. 3). Indessen vermag die Tatsache, dass sich die Ver- 
waltung auf ein einziges in den IV-Akten nicht ausgewiese- 
nes Beispiel eines Invalideneinkommens bezieht, nicht zu 
befriedigen (nicht veröffentlichtes Urteil B. vom 3. Mai 
1996, Erw. 3b, I 251/95). Aus diesem Grund sind zur Er- 
mittlung dieses Einkommens die in der Schweizerischen Lohn- 
strukturerhebung (LSE) des Bundesamtes für Statistik ausge- 
wiesenen Tabellenlöhne beizuziehen (BGE 124 V 322 Erw. 3b 
mit Hinweisen). 
    Laut Tabelle A 1.1.1 der LSE 1994 (S. 53) belief sich 
der Zentralwert für die mit einfachen und repetitiven Auf- 
gaben (Anforderungsniveau 4) beschäftigten Frauen im priva- 
ten Sektor auf Fr. 3325.-, was auf der Basis der durch- 
schnittlichen betriebsüblichen Arbeitszeit von 41,9 Stunden 
(vgl. LSE S. 42) im Jahre 1994 ein Gehalt von monatlich ca. 
Fr. 3483.- (einschliesslich 13. Monatslohn [LSE S. 43]) und 
Fr. 41'796.- jährlich ergibt. Wird berücksichtigt, dass für 
Arbeiten des niedrigsten Anforderungsniveaus die Lohnein- 
busse zwischen einem Beschäftigungsgrad von mehr als 90 % 
und einem solchen von 25 % bis 50 % etwa 12,25 % ausmacht 
(LSE, Tabelle 13*, S. 30) und die Beschwerdeführerin wegen 
ihres Gesundheitsschadens nicht uneingeschränkt einsatzfä- 
hig und insofern lohnmässig benachteiligt ist (und zwar un- 
geachtet, ob von ganztägiger Arbeit bei verminderter Leis- 
tungsfähigkeit oder von einer Teilzeitstelle mit voller 
Leistung ausgegangen wird), so erscheint unter Berücksich- 
tigung aller Umstände ein Abzug vom Tabellenlohn von 25 % 
als angemessen. Auf der Grundlage einer aus medizinischer 
Sicht auf 40 % verminderter Arbeitsfähigkeit ergibt sich 
ein massgebendes Invalideneinkommen von Fr. 12'539.- 
(Fr. 41'796.- abzüglich 25 % = Fr. 31'347.-, davon 40 %). 
 
    c) Die Gegenüberstellung des Invalideneinkommens von 
Fr. 12'539.- und des Valideneinkommens von Fr. 40'520.- 
führt zu einer invaliditätsbedingten Erwerbseinbusse von 
rund 69 % und damit zum Anspruch auf eine ganze Invaliden- 
rente. 
 
    d) Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das im 
konkreten Fall ermittelte Valideneinkommen um einiges 
niedriger ist als der im GAV 1998 der SVIMSA festgelegte 
übliche Lohn, welcher gemäss INFO 2/97 der SVIMSA gegenüber 
dem GAV von 1995/96 keine Anpassung erfahren hatte. Danach 
erzielte schon im Jahre 1995 eine gelernte Innendekora- 
tionsnäherin im 3. Jahr nach der Lehre einen Stundenlohn 
von Fr. 21.50, was einem Monatslohn von Fr. 3900.- bzw. ei- 
nem Jahreseinkommen von Fr. 50'700.- (Fr. 3900.- x 13) ent- 
sprach. 
 
    4.- Im vorliegenden Verfahren geht es um die Bewilli- 
gung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen, weshalb 
von der Auferlegung von Gerichtskosten abzusehen ist 
(Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend ist der Be- 
schwerdeführerin eine Parteientschädigung zuzusprechen 
(Art. 135 in Verbindung mit Art. 159 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I.In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wer- 
    den der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons 
    Bern vom 5. Januar 1998 (recte: 1999) aufgehoben und 
    die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 27. August 1998 
    insoweit abgeändert, als festgestellt wird, dass die 
    Beschwerdeführerin ab 1. November 1995 Anspruch auf 
    eine ganze Invalidenrente hat. 
 
II.Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
III.Die IV-Stelle Bern hat der Beschwerdeführerin für das 
    Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht 
    eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- zu bezahlen. 
 
IV.Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsge- 
    richt des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche 
    Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und 
    dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt. 
 
 
Luzern, 25. Februar 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Die Gerichtsschreiberin: