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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
6B_959/2013  
   
   
 
 
 
Urteil vom 28. August 2014  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Mathys, Präsident, 
Bundesrichter Denys, Rüedi, 
Gerichtsschreiber Fessler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Advokat Dr. Michael Kull, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern,  
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz; Ersatzforderung; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, vom 3. Juli 2013. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Urteil vom 13. Dezember 2012 verurteilte das Regionalgericht Oberland X.________ wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, gewerbsmässig begangen in der Zeit vom 1. September 2006 bis 7. Juli 2009 in Brienz, Pratteln und anderswo, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren (aufgeschoben bei einer Probezeit von drei Jahren) sowie zur Bezahlung einer Ersatzforderung von          Fr. 100'000.- (Dispositiv-Ziffer I.1 und I.2). 
 
B.   
Dagegen legte X.________ Berufung ein, welche das Obergericht des Kantons Bern mit Urteil vom 3. Juli 2013 abwies. 
 
C.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt X.________, das Urteil vom 3. Juli 2013 sei aufzuheben und er freizusprechen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
Das Obergericht und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Mit einer weiteren Eingabe hat X.________ die Steuererklärung 2012 eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
In der Begründung einer Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid bei der Anwendung von materiellem Strafrecht oder Strafprozessrecht (BGE 134 IV 36 E. 1.4.3 S. 41; Urteil 6B_432/2011 vom 26. Oktober 2011 E. 1) Recht verletzt (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG). Dies setzt voraus, dass sich der Beschwerdeführer wenigstens kurz mit den Erwägungen der Vorinstanz auseinandersetzt (BGE 134 II 244 E. 2.1 S. 245; Urteil 6B_676/2013 vom 28. April 2014 E. 1). Die Feststellung des Sachverhalts durch die Vorinstanz kann nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Artikel 95 beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; zu den Anforderungen an die Begründung vgl. statt vieler Urteile 6B_703/2012 vom 3. Juni 2013 E. 7.2 und 6B_510/2012 vom 12. Februar 2013 E. 1.4). 
 
2.   
Wie die Vorinstanz richtig und insoweit unbestritten erkannt hat, ist auf das Rechtsmittelverfahren einschliesslich die Anklage die am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Schweizerische Strafprozessordnung (StPO; SR 312.0) anwendbar (Urteil 6B_676/2013 vom 28. April 2014 E. 2). Das dem Beschwerdeführer vorgeworfene Verhalten beurteilt sich gemäss Anklageschrift vom 20. April 2012 und erstinstanzlichem Urteil vom 13. Dezember 2012 nach Art. 19 Ziff. 1 und Ziff. 2 lit. c des Betäubungsmittelgesetzes in der bis 30. Juni 2010 gültig gewesenen Fassung (aBetmG; SR 812.121). Danach wird mit einer Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, verbunden allenfalls mit einer Geldstrafe, wer unbefugt Betäubungsmittel herstellt, auszieht, umwandelt oder verarbeitet, wer sie unbefugt lagert, versendet, befördert, einführt, ausführt oder durchführt, oder wer sie unbefugt anbietet, verteilt, verkauft, vermittelt, verschafft, verordnet, in Verkehr bringt oder abgibt, wenn er die Tat vorsätzlich begeht, in schweren Fällen, insbesondere wenn der Täter durch gewerbsmässigen Handel einen grossen Umsatz oder einen erheblichen Gewinn erzielt. 
 
3.   
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 9 und Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO) in Bezug auf Deliktsort und Tatbegehung. 
 
3.1. Nach dem aus Art. 29 Abs. 2 und Art. 32 Abs. 2 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. a und b EMRK abgeleiteten und in Art. 9 StPO kodifizierten Anklagegrundsatz bestimmt die Anklageschrift den Gegenstand des Gerichtsverfahrens (  Umgrenzungsfunktion ). Die Anklage hat die der beschuldigten Person zur Last gelegten Delikte in ihrem Sachverhalt so präzise zu umschreiben, dass die Vorwürfe in objektiver und subjektiver Hinsicht genügend konkretisiert sind (Urteil 6B_221/2014 vom 5. Juni 2014 E. 1.1). Die Anklageschrift bezeichnet insbesondere möglichst kurz, aber genau: die der beschuldigten Person vorgeworfenen Taten mit Beschreibung von Ort, Datum, Zeit, Art und Folgen der Tatausführung (Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO). Das Anklageprinzip bezweckt zugleich den Schutz der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person und dient dem Anspruch auf rechtliches Gehör (  Informationsfunktion; BGE 138 IV 209; 133 IV 235 E. 6.2 f.). Entscheidend ist, dass der Angeklagte genau weiss, was ihm konkret vorgeworfen wird, damit er seine Verteidigungsrechte angemessen ausüben kann (BGE 126 I 19 E. 2a S. 21). Ungenauigkeiten in den Ort- und Zeitangaben sind solange nicht von entscheidender Bedeutung, als für die beschuldigte Person keine Zweifel darüber bestehen können, welches Verhalten ihr vorgeworfen wird (Urteile 6B_1121/2013 vom 6. Mai 2014 E. 3.2, 6B_210/2013 vom 13. Januar 2014 E. 1.2 und 6B_441/2013 vom 4. November 2013 E. 3.2). Allgemein gilt, je gravierender die Vorwürfe, desto höhere Anforderungen sind an das Akkusationsprinzip zu stellen (Urteile 6B_432/2011 vom 26. Oktober 2011 E. 2.2 und 6B_899/2010 vom 10. Januar 2011 E. 2.4).  
 
3.2. In der Anklageschrift vom 20. April 2012 werden dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO Verbrechen gegen das Betäubungsmittelgesetz, gewerbsmässig begangen in der Zeit vom 1. September 2006 bis 7. Juli 2009 in Brienz, Pratteln und anderswo, zur Last gelegt. Als konkrete Tathandlungen werden erwähnt: "Anbau von mindestens 330 kg zur Herstellung und Gewinnung von illegalen Betäubungsmitteln (THC-Gehalt aller sichergestellten Hanfpflanzen über 1 %); Lagern, Verkauf und Abgabe von mindestens   330 Kilogramm Hanfblüten an unbekannte Abnehmer; wobei er aus dem Verkauf von Hanfpflanzen einen Umsatz von mindestens          Fr. 1'650'000.- erzielt; dies mit der Absicht, Einkünfte zu erzielen, die einen namhaften Beitrag an die Kosten zur Finanzierung seiner Lebensgestaltung darstellen."  
 
3.3. Die Vorinstanz erwägt, der Inhalt der Anklageschrift möge in Anbetracht des schwerwiegenden Vorwurfs als knapp erscheinen. Das Gesamtbild des Tatvorwurfs hätte, insbesondere mit detaillierteren Angaben zur Hanf-Indoor-Anlage, umfassender beschrieben werden können. Nichtsdestotrotz werde das Akkusationsprinzip durch die Anklageschrift nicht verletzt. Dem Beschwerdeführer sei bereits bei der ersten Einvernahme am 7. Juli 2009 klar gewesen, dass ihm u.a. der    allenfalls strafbare Anbau von Hanf in bestimmten ihm bekannten Räumlichkeiten eines Transportunternehmens in Brienz zur Last gelegt wurde. Ebenfalls sei ihm der Verdacht mitgeteilt worden, dass der produzierte Hanf für die Gewinnung von bzw. den Handel mit Betäubungsmitteln vorgesehen oder verwendet worden sei und er sich diesbezüglich (allenfalls) strafrechtlich zu verantworten habe. Er habe somit von Anfang an ohne weiteres erkennen können, welcher Sachverhalt bzw. welche Delikte Gegenstand der Strafverfolgung bildeten, und sich dagegen angemessen verteidigen können. Der Anklagevorwurf habe unter den gegebenen Umständen insgesamt als unverwechselbar und genügend konkret zu gelten.  
 
 
3.4.  
 
3.4.1. Die Anklageschrift vom 20. April 2012 verletzt insoweit offensichtlich das Akkusationsprinzip, als die Tathandlungen (Anbau, Lagerung, Verkauf/Abgabe [Vertrieb] von Hanfblüten mit einem THC-Gehalt von mehr als 1 %) auch "anderswo" als in Brienz und Pratteln begangen worden sein sollen. "Anderswo" ist keine und noch weniger eine hinreichend genaue Ortsbezeichnung, wie dies Art. 325 Abs. 1 lit. f StPO ausdrücklich verlangt. Umgekehrt musste dem Beschwerdeführer ohne weiteres klar sein, wo genau in Brienz und in Pratteln er illegal Hanfpflanzen zumindest angebaut haben soll. Bei der Hausdurchsuchung am 7. Juli 2009 in Brienz waren 207 Stecklinge/Jungpflanzen und 1050 grössere Pflanzen in verschiedenen Blütenstadien sichergestellt worden, nach Feststellung der Vorinstanz mit einem Gesamt-THC-Gehalt zwischen 1,7 und 11 Prozent. Die fehlende Angabe der Adressen in Pratteln und Brienz mit Bezeichnung der Räumlichkeiten, wo illegal ("indoor") Hanf angebaut worden sein soll, verstösst jedenfalls unter den gegebenen Umständen nicht gegen den Anklagegrundsatz.  
 
3.4.2. Wird Hanf mit einem erhöhten Gehalt an THC (Delta-Tetrahydrocannabinol) angebaut, besteht aufgrund der Eignung zur Gewinnung von Betäubungsmitteln (Urteil 2C_147/2007 vom 23. Januar 2008    E. 6.2) die Vermutung der Verwendung für illegale Zwecke, bei über einen längeren Zeitraum produzierten grösseren Mengen auch der Gewerbsmässigkeit. Dabei fällt ein diesbezüglicher Verdacht zunächst auf diejenige Person, die beschuldigt wird, den Hanf angebaut zu haben. Das allein wäre indessen kein genügendes Fundament für eine Anklage wegen vorsätzlichen unbefugten Lagerns und Verkaufs von Betäubungsmitteln nach Art. 19 Ziff. 1 aBetmG. Die gegenteilige Auffassung liefe darauf hinaus, dass der Beschuldigte seine Unschuld zu beweisen hätte, und nicht die Anklagebehörde seine Schuld, was dem Grundsatz "in dubio pro reo" insbesondere als Beweislastregel (BGE 127 I 38 E. 2a; Urteil 6B_1/2013 vom 4. Juli 2013 E. 1.5) widerspräche; tangiert ist zudem sein Recht zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten ("nemo tenetur se ipsum accusare"; Urteil 6B_843/2011 vom 23. August 2012 E. 3.3.2). Das Vorstehende gilt umso mehr, wenn der Vorwurf der gewerbsmässigen Tatbegehung im Raume steht. Gewerbsmässigkeit im Sinne von Art. 19 Ziff. 2 lit. c aBetmG ist gegeben, wenn - unter anderem - sich aus dem Aufwand an Zeit und Mitteln, aus der Häufigkeit der Einzelakte innerhalb eines bestimmten Zeitraums sowie aus den angestrebten und erzielten Einkünften ergibt, dass die beschuldigte Person die deliktische Tätigkeit nach der       Art eines Berufes ausübt (BGE 129 IV 188 E. 3.1.2 S. 190 f., 253      E. 2.1 S. 254; Urteil 6S.89/2005 vom 11. Mai 2006 E. 3.2). Unter dem Gesichtspunkt des Anklagegrundsatzes kommt es zwar nicht so sehr darauf an, welche einzelnen Handlungen der beschuldigten Person vorgeworfen werden, sondern dass die Umstände die Verbrechenseinheit erkennen lassen (Urteil 6B_432/2011 vom 26. Oktober 2011    E. 2.3 mit Hinweisen; vgl. auch Nathan Landshut, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2010, S. 1627 Rz. 19). Die Annahme von Gewerbsmässigkeit darf jedoch nicht dazu führen, dass der Grundsatz "in dubio pro reo" unterlaufen wird.  
 
Im vorliegenden Fall gibt die Anklage abgesehen vom Deliktszeitraum (1. September 2006 bis 7. Juli 2009), dem Tatort (Brienz, Pratteln und anderswo), der angeblichen Menge produzierter und vertriebener Hanfblüten (mindestens 330 kg) und dem damit erzielten Umsatz (mindestens Fr. 1'650'000.--) im Wesentlichen die gesetzlichen Bestimmungen (Art. 19 Ziff. 1 und Ziff. 2 lit. c aBetmG) wieder. Es finden sich in der Anklageschrift keine näheren Angaben zum Lagern und zum Vertrieb der Hanfpflanzen/-blüten. Es wird keine einzige konkrete   Tathandlung umschrieben, insbesondere weder ein Verkaufsvorgang - die Abnehmer sind unbekannt - noch etwa wie, in welcher Form und wofür der Erlös verwendet wurde. Insofern ist die Anklage zu unbestimmt und kann nicht Grundlage für eine Verurteilung sein. 
 
3.5. Genügt nach dem Gesagten die Anklageschrift vom 20. April 2012 mit Ausnahme des Vorwurfs des vorsätzlichen unbefugten Anbaus von Hanf in Brienz und Pratteln den Anforderungen nach dem Anklagegrundsatz nicht, braucht auf die Rüge des Beschwerdeführers nicht eingegangen zu werden, die Vorinstanz habe den Sachverhalt willkürlich festgestellt und damit einhergehend den Grundsatz "in dubio pro reo" verletzt. Seine diesbezüglichen Vorbringen betreffen einzig das Ernten und Lagern sowie den (entgeltlichen) Vertrieb von Hanfblüten, in Bezug auf welche Tathandlungen er, wie dargelegt, jedoch zu Unrecht wegen Verletzung des Anklagegrundsatzes verurteilt worden ist. Aus diesem selben Grund lässt sich die ebenfalls angefochtene Verurteilung zur Zahlung einer Ersatzforderung von Fr. 100'000.-- gestützt auf Art. 71 Abs. 1 StGB (in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 StGB) nicht halten.  
 
4.   
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der Beschwerdeführer obsiegt. Er hat daher keine Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG); zudem hat er Anspruch auf eine Parteienschädigung zu Lasten des Kantons Bern (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern vom 3. Juli 2013 wird aufgehoben, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.   
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Bern hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Strafabteilung, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. August 2014 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Mathys 
 
Der Gerichtsschreiber: Fessler