Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6B_1018/2009 
 
Urteil vom 26. Januar 2010 
Strafrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Favre, Präsident, 
Bundesrichter Schneider, Mathys, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Parteien 
X.________, vertreten durch Rechtsanwalt 
Dr. Marcel Bühler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln; rechtliches Gehör, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, vom 22. Oktober 2009 (SST.2009.127/SG/eb). 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Mit Strafbefehl vom 12. Januar 2009 verurteilte das Bezirksamt Lenzburg X.________ zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 220.-- und einer Busse von Fr. 900.--. Es hielt für erwiesen, dass der Angeschuldigte am 8. Oktober 2008, um 18:55 Uhr, am Steuer seines Personenwagens auf der Autobahn A1 zwei sich auf der Überholspur befindliche Fahrzeuge rechts überholt hatte. 
 
B. 
Auf Einsprache von X.________ hin erkannte das Gerichtspräsidium Lenzburg am 8. Juni 2009 auf eine grobe Verletzung der Verkehrsregeln durch Rechtsüberholen auf der Autobahn gemäss Art. 90 Ziff. 2 SVG i.V.m. Art. 35 Abs. 1 SVG und Art. 36 Abs. 5 VRV und verurteilte ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 180.-- sowie zu einer Busse von Fr. 500.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage). 
 
Die dagegen erhobene Berufung von X.________ wies das Obergericht des Kantons Aargau am 22. Oktober 2009 in Bestätigung des erstinstanzlichen Urteils ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 26. November 2009 beantragt X.________, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, und er sei freizusprechen. Eventualiter sei die Sache zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Subeventualiter sei die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens und Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
 
D. 
Vernehmlassungen wurden keine eingeholt. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Soweit sich die Beschwerde (vgl. S. 6) gegen das erstinstanzliche Urteil richtet, ist darauf nicht einzutreten, weil Anfechtungsobjekt einzig das Urteil der Vorinstanz ist (Art. 80 Abs. 1 BGG). 
 
2. 
Der Beschwerdeführer rügt in formeller Hinsicht einen Verstoss gegen das rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) und seine Verteidigungsrechte, weil er im Untersuchungsverfahren nicht persönlich einvernommen worden sei bzw. er sich vor dem Untersuchungsbeamten nicht habe äussern können. 
 
Die Rüge ist unbegründet. Weder die Bundesverfassung noch die EMRK kennen einen grundrechtlichen Anspruch darauf, vom Untersuchungsbeamten persönlich befragt zu werden, und aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör lässt sich nicht zwingend ein Recht auf mündliche Äusserung ableiten (vgl. BGE 125 I 209 E. 9b). Im Übrigen ergibt sich im zu beurteilenden Fall, dass dem Beschwerdeführer vor Erlass des in Aussicht genommenen Strafbefehls Einsicht in die Akten gewährt wurde, er die Möglichkeit zur Stellung von Beweisanträgen erhielt und davon unter schriftlicher Darlegung seines Standpunkts Gebrauch machte, der Untersuchungsbeamte seinen Beweisanträgen aber angesichts der polizeilichen Schilderungen und der Fotodokumentation zum Verkehrsvorgang keine Folge leistete (vgl. kantonale Akten, act. 19 ff.). Nach Einspracheerhebung wurde der Beschwerdeführer vor erster Instanz anlässlich der Hauptverhandlung zur Sache persönlich befragt und konnte er seinen Standpunkt mündlich darlegen (vgl. kantonale Akten, Gerichtsprotokoll vom 8. Juni 2009). Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Verteidigungsrechte kann unter diesen Umständen, wie die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid implizit zum Ausdruck bringt, keine Rede sein. 
 
3. 
Der Beschwerdeführer bemängelt in prozessualer Hinsicht weiter, die Polizisten, welche das ihm zur Last gelegte Verkehrsgeschehen beobachtet hätten, seien nicht wie beantragt als Zeugen einvernommen worden. Er habe daher nie die Gelegenheit gehabt, Ergänzungsfragen an sie zu richten. Dadurch seien seine Verteidigungsrechte verletzt worden, insbesondere die Ansprüche auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV), auf Wahrnehmung der Verteidigungsrechte (Art. 32 Abs. 2 BV) sowie darauf, dem bzw. den Belastungszeugen Fragen zu stellen (Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK). 
 
Auch dieser Rüge ist kein Erfolg beschieden. Wie aus dem angefochtenen Entscheid und den Akten hervorgeht, wurde der den Rapport verfassende Polizist als Zeuge zur Verhandlung vor erster Instanz vorgeladen, erschien jedoch nicht. Die Verhandlung wurde trotzdem, d.h. ohne Zeugenbefragung, durchgeführt und zwar ausdrücklich auf Antrag des Verteidigers hin (vgl. kantonale Akten, Gerichtsprotokoll, S. 1; erstinstanzliches Urteil, S. 3 E. 2.3). Damit hat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer im Wissen darum, dass allenfalls auch eine Verurteilung erfolgen könnte, auf die Einvernahme des Polizisten als Zeugen bzw. auf sein Recht, Fragen zu stellen, definitiv und rechtsgültig verzichtet (vgl. ROBERT HAUSER/ERHARD SCHWERI/KARL HARTMANN, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Aufl., 2005, § 63 N. 3a zur Verzichtbarkeit auf dieses Recht). Aufgrund dieses ausdrücklichen Verzichts kann er im Berufungsverfahren daher nicht geltend machen, der bzw. die Belastungszeugen seien zu Unrecht nicht befragt worden bzw. er habe entgegen dem in der Konvention verankerten Anspruch nie die Möglichkeit gehabt, diesen Zeugen Fragen zu stellen. Sein vor der Vorinstanz dennoch erhobener Vorwurf grenzt an ein widersprüchliches Verhalten ("venire contra factum proprium"). Dies ist derart manifest, dass sich die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid damit nicht mehr explizit befassen musste. 
 
4. 
Der Beschwerdeführer rügt ferner eine Verletzung des Anklagegrundsatzes (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK; BGE 120 IV 348 E. 2b und 3c). Der Strafbefehl lasse bezüglich des Vorwurfs des Rechtsüberholens nicht erkennen, ob ihm eine vorsätzliche oder fahrlässige Tatbegehung vorgeworfen werde. 
 
Die Rüge ist nicht stichhaltig. Die Formulierung im Strafbefehl, wonach der Beschwerdeführer vom Überholstreifen auf den Normalstreifen ausschwenkte, seine Geschwindigkeit erhöhte, rechts an zwei Personenwagen vorbeifuhr und nach dem Überholmanöver, als er auf einen langsamer fahrenden Verkehrsteilnehmer aufschloss, wieder auf den Überholstreifen einbog, lässt hinreichend klar erkennen, dass dem Beschwerdeführer vorsätzliches Handeln zur Last gelegt wird. Davon ging der Beschwerdeführer ursprünglich auch selber aus. So machte er noch vor erster Instanz geltend und zwar, ohne den Anklagegrundsatz als verletzt gerügt zu haben, er habe "kein verbotenes Überholen" begangen, weshalb er vom Vorwurf freizusprechen sei, weil er "eben gerade nicht den Vorsatz" gehabt habe, ein Fahrzeug zu überholen (kantonale Akten, Plädoyernotizen). Der Beschwerdeführer wusste damit nachweislich auch mit Bezug auf die subjektive Begehungsform, was ihm vorgeworfen wurde. Dass und inwiefern ihm eine wirksame Verteidigung nicht möglich gewesen sein sollte, ist unter dem Gesichtspunkt des Anklagegrundsatzes nicht ersichtlich. 
 
5. 
Der Beschwerdeführer, welcher nicht bestreitet, auf der rechten Fahrspur der Autobahn an zwei Fahrzeugen vorbeigefahren und vor diesen seine Fahrt fortgesetzt zu haben, wirft der Vorinstanz eine willkürliche Beweiswürdigung und Sachverhaltsfeststellung im Sinne von Art. 9 BV vor. Was er diesbezüglich vorbringt, lässt den angefochtenen Entscheid nicht als willkürlich erscheinen. Die Vorinstanz setzt sich mit den Einwänden des Beschwerdeführers auseinander. Sie gelangt unter Hinweis auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil in Bezug auf das Verkehrsaufkommen im Tatzeitpunkt zum Schluss, dass auf der Überholspur weniger dicht gefahren wurde als auf der Normalspur. Die Abstände auf der rechten Spur seien mehr als doppelt so gross wie auf der Überholspur gewesen (vgl. angefochtenen Entscheid, S. 7 f.; erstinstanzliches Urteil, S. 6). Diese Würdigung sowie die Folgerung daraus, dass in dieser Situation nicht von sich gleichförmig parallel fortbewegenden Fahrzeugreihen bzw. von Kolonnenverkehr auf beiden Spuren gesprochen werden könne, wie dies die Rechtsprechung für die Zulässigkeit des Rechtsüberholens gemäss Art. 36 Abs. 5 lit. a VRV voraussetzt, erweisen sich in Anbetracht des Polizeirapports, der Fotodokumentation und der Aussagen des Beschwerdeführers, welche er vor der ersten Instanz machte, nicht als willkürlich. 
 
Ebenso wenig lässt sich die Beweiswürdigung zum subjektiven Tatbestand beanstanden. Die Vorinstanz kommt diesbezüglich insbesondere aufgrund der Fahrweise bzw. der Aussagen des Beschwerdeführers, nach dem Einbiegen auf den Normalstreifen die Geschwindigkeit erhöht bzw. den Tempomaten auf eine Geschwindigkeit von 120 km/h eingestellt zu haben, obschon faktisch nur Geschwindigkeiten zwischen 80 bis 110 km/h gefahren werden konnten, zum Schluss, dieser habe verbotenes Rechtsüberholen jedenfalls in Kauf genommen. Die Vorbringen des Beschwerdeführers in subjektiver Hinsicht bezögen sich auf die Situation beim Wiedereinbiegen und seien daher nicht relevant (vgl. angefochtenen Entscheid, S. 2 und 9 unter Verweis auf das erstinstanzliche Urteil, S. 6). Was an dieser Würdigung willkürlich sein sollte, zeigt der Beschwerdeführer in der Beschwerde nicht auf. Er begnügt sich vor Bundesgericht vielmehr damit, seinen bereits im vorinstanzlichen Verfahren vertretenen Standpunkt erneut vorzutragen, weder absichtlich noch bewusst rechts überholt zu haben, was sich aus dem Umstand ergebe, dass er erst 1,5 km nach dem Ausschwenken auf die Normalspur wieder auf die Überholspur gewechselt habe. Mit dieser Argumentation verfällt er in rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid. Darauf ist nicht einzutreten. 
 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 3. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 26. Januar 2010 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Favre Arquint Hill