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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_137/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 8. November 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Parrino, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Daniela Mathys, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle Bern, 
Scheibenstrasse 70, 3014 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 13. Januar 2017 (200 16 689 IV). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Der 1958 geborene A.________ erlitt im Februar 1987 bei einem Skiunfall eine mediale Schenkelhalsfraktur links. In der Folge entwickelte sich eine schwere Coxarthrose, worauf am 6. Juli 2004 eine operative Versorgung mit einer Hüftgelenksprothese erfolgte. Es entwickelten sich eine sekundäre Fehlstatik der Wirbelsäule mit Beckenverwringung, s-förmiger Torsionsskoliose und Lumbovertebralsyndrom sowie eine mässige Periarthrosis humeroscapularis rechts nach Hüftentlastung bei beidseitigem Stockeinsatz über 20 Jahre. Ab Oktober 1998 war der Versicherte im eigenen Atelier als Goldschmied tätig. In der Abschlussuntersuchung vom 6. Juli 2007 des Kreisarztes der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (Suva), welche für die Folgen des Unfalls die gesetzlichen Leistungen erbracht hatte, wurde festgehalten, in dieser Tätigkeit bestehe eine Arbeitsfähigkeit von höchstens 50 %. Die Suva, die dem Versicherten seit 1992 eine Invalidenrente auf der Grundlage einer Invalidität von 15 % ausgerichtet hatte, legte der Rente ab Oktober 2008 einen Invaliditätsgrad von    66 % zugrunde. Überdies sprach sie A.________ eine Integritätsentschädigung von 60 % zu. 
Am 28. Oktober 2005 meldete sich A.________ bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug an. Nach Beizug der Akten der Suva sowie Abklärungen in medizinischer und erwerblicher Hinsicht sprach die IV-Stelle Bern dem Versicherten mit Verfügung vom 4. Februar 2009 rückwirkend ab 1. Juli 2005 aufgrund eines Invaliditätsgrades von 64 % eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zu. Diese Rentenzusprechung bestätigte die IV-Stelle revisionsweise mit Verfügung vom 18. Februar 2011. Im Rahmen eines im Oktober 2012 von Amtes wegen eingeleiteten neuerlichen Revisionsverfahrens machte der Versicherte geltend, sein Gesundheitszustand habe sich wegen beidseitiger Schulterschmerzen verschlechtert. Die IV-Stelle ordnete eine bidisziplinäre Begutachtung durch die Dres. med. B.________, Facharzt für Orthopädische Chirurgie und Traumatologie des Bewegungsapparates FMH und C.________, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom Medizinischen Gutachtenzentrum, an. Die Expertise wurde am 26. Juni 2015 erstattet. Nach Beizug eines weiteren Abklärungsberichts für Selbstständigerwerbende hob die IV-Stelle die Dreiviertelsinvalidenrente mit Verfügung vom 29. Juni 2016 auf den 31. August 2016 auf, weil sich aus einem Einkommensvergleich ein Invaliditätsgrad von nur noch 34 % ergebe. 
 
B.   
Die von A.________ hiegegen eingereichte Beschwerde, mit der er zur Hauptsache die Zusprechung einer Dreiviertelsinvalidenrente über den 31. August 2016 hinaus hatte beantragen lassen, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern ab (Entscheid vom 13. Januar 2017). 
 
C.   
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit den Rechtsbegehren, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheids sei die IV-Stelle zu verpflichten, ihm über den 31. August 2016 hinaus eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung zu gewähren; eventuell habe sie unter Wahrung seiner Mitwirkungsrechte eine neue bidisziplinäre oder interdisziplinäre Begutachtung in Auftrag zu geben und gestützt darauf neu zu entscheiden. 
Während die IV-Stelle auf Abweisung der Beschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.   
 
2.1. Für ihre Auffassung, der Invaliditätsgrad des Beschwerdeführers habe sich im massgeblichen Vergleichszeitraum zwischen dem 18. Februar 2011 (revisionsweise Bestätigung der Dreiviertelsrente) und dem 29. Juni 2016 (Rentenaufhebung im Revisionsverfahren) im Sinne von Art. 17 Abs. 1 ATSG in anspruchsrelevanter Weise geändert, indem anstelle eines Invaliditätsgrades von 64 % nur noch ein solcher von 34 % ausgewiesen sei, beruft sich die Vorinstanz in medizinischer Hinsicht im wesentlichen auf das bidisziplinäre orthopädisch-psychiatrische Gutachten der Dres. med. B.________ und C.________ vom 26. Juni 2015. Diese waren zum Schluss gelangt, in der angestammten Tätigkeit als Goldschmied sei der Versicherte zu 40 % eingeschränkt, während ihm leidensangepasste Arbeiten im Ausmass von 75 % zumutbar seien. Zwar habe sich ein im Rahmen eines Revisionsverfahrens eingeholtes Gutachten zur Änderung des rechtserheblichen Sachverhalts zu äussern. Davon könne jedoch abgesehen werden, wenn die gesundheitlichen Veränderungen evident sind. Dies treffe im vorliegenden Fall zu.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer rügt, dass das von der IV-Stelle eingeholte verwaltungsexterne Gutachten sich nicht mit der medizinischen Situation auseinandergesetzt habe, wie sie zum Zeitpunkt des kreisärztlichen Berichts bestanden hat. Auch sei die im Revisionsverfahren mit Verfügung der IV-Stelle vom 30. April 2013 festgehaltene Zusatzfrage des Versicherten, ob und allenfalls inwiefern sich sein Gesundheitszustand seit der Rentenzusprechung vom 4. Februar 2009 erheblich verändert habe, von den Gutachtern nicht beantwortet worden. Diese hätten vielmehr aktenwidrig ausgeführt, es seien keine Zusatzfragen gestellt worden. Die nach der Rechtsprechung (Urteil 9C_710/2014 vom 26. März 2015) erforderlichen Voraussetzungen, unter denen sich ein im Revisionsverfahren eingeholtes Gutachten nicht zur Änderung der gesundheitlichen Situation äussern müsse, seien entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht erfüllt. Denn solche Änderungen im Gesundheitszustand seien nicht evident. Sie liessen sich auch nicht der bidisziplinären Expertise entnehmen. Hinsichtlich der Umschreibung des Zumutbarkeitsprofils stimmten die Einschätzungen des Suva-Kreisarztes Dr. med. D.________ vom 6. Juli 2007 und des Dr. med. B.________ praktisch überein. Aus den unterschiedlichen ärztlichen Stellungnahmen zum Grad der Arbeitsunfähigkeit (Dr. med. D.________: 50 %; Dr. med. B.________: 10 %) könne nicht auf eine revisionserhebliche Änderung geschlossen werden. Auch weitere Aussagen im angefochtenen Entscheid liessen nicht auf die nach der Rechtsprechung vorausgesetzte Evidenz der Änderung im Gesundheitszustand schliessen. Soweit die Vorinstanz in Verschlechterungen des Gesundheitszustandes wie degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule eine evidente Veränderung der gesundheitlichen Situation erkannte, sei nicht verständlich, wie daraus eine Herabsetzung des Invaliditätsgrades abgeleitet werden kann. Des Weiteren sei das orthopädische Teilgutachten auch aus anderen Gründen nicht beweistauglich, enthalte es doch Ungereimtheiten, die sich aus der fehlenden Auseinandersetzung des Dr. med. B.________ mit dem kreisärztlichen Abschlussbericht des Dr. med. D.________ vom 6. Juli 2007 ergäben.  
 
3.   
 
3.1. Ändert sich der Invaliditätsgrad eines Rentenbezügers erheblich, so wird gemäss Art. 17 ATSG die Rente von Amtes wegen oder auf Gesuch hin für die Zukunft entsprechend erhöht, herabgesetzt oder aufgehoben. Dies gilt auch für andere formell rechtskräftig zugesprochene Dauerleistungen, deren Sachverhaltsgrundlage sich nachträglich erheblich verändert hat. Die Frage der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen beurteilt sich durch Vergleich des Sachverhalts, wie er im Zeitpunkt der ursprünglichen Rentenverfügung bestanden hat, mit demjenigen zur Zeit der streitigen Revisionsverfügung. Eine rechtskräftige Revisionsverfügung gilt - im Hinblick auf eine weitere Revision - ihrerseits als (neue) Vergleichsbasis, wenn sie auf einer materiellen Prüfung des Rentenanspruchs mit rechtskonformer Sachverhaltsabklärung, Beweiswürdigung und Durchführung eines Einkommensvergleichs (bei Anhaltspunkten für eine Änderung in den erwerblichen Auswirkungen des Gesundheitszustands) beruht (BGE 133 V 108).  
Der Beweiswert eines zwecks Rentenrevision erstellten Gutachtens hängt wesentlich davon ab, ob es sich ausreichend auf das Beweisthema - erhebliche Änderung (en) des Sachverhalts - bezieht. Einer für sich allein betrachtet vollständigen, nachvollziehbaren und schlüssigen medizinischen Beurteilung, die im Hinblick auf eine erstmalige Beurteilung der Rentenberechtigung beweisend wäre, mangelt es daher in der Regel am rechtlich erforderlichen Beweiswert, wenn sich die (von einer früheren abweichende) ärztliche Einschätzung nicht hinreichend darüber ausspricht, inwiefern eine effektive Veränderung des Gesundheitszustandes stattgefunden hat. Vorbehalten bleiben Sachlagen, in denen es evident ist, dass die gesundheitlichen Verhältnisse sich verändert haben (Urteile 9C_418/2010 vom 29. August 2011 E. 4.2, in: SVR 2012 IV Nr. 18 S. 81 und 9C_710/2014 vom   26. März 2015). 
 
3.2. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist dem bidisziplinären Gutachten der Dres. med. B.________ und C.________ der Beweiswert für die Belange der Rentenrevision abzusprechen. Auch wenn auf die Beurteilung der beiden Fachärzte abgestellt werden könnte, wenn die erstmalige Prüfung eines Invalidenrentenanspruchs in Frage stünde, lässt sich dies im Hinblick auf eine Rentenrevision nicht in gleicher Weise sagen: Die Experten haben ihre medizinische Beurteilung des Gesundheitsschadens und ihre Stellungnahme zur Einschränkung der Arbeitsfähigkeit in der angestammten wie auch in einer leidensangepassten Erwerbstätigkeit ohne Bezugnahme auf die tatsächlichen, namentlich gesundheitlichen Verhältnisse im Vergleichszeitpunkt (Revisionsverfügung vom 18. Februar 2011) abgegeben, wie in der Beschwerde zu Recht eingewendet wird. Da sich die Vorinstanz allein auf das bidisziplinäre Gutachten stützt, verletzt ihr Entscheid die Revisionsbestimmung des Artikels 17 Abs. 1 ATSG und die hiezu ergangene Rechtsprechung. Das Argument des kantonalen Gerichts, wonach die Änderung des Gesundheitsschadens des Beschwerdeführers evident gewesen sei, weshalb trotz diesbezüglich fehlender Darlegungen der Ärzte auf die bidisziplinäre Expertise abgestellt werden könne, ist nicht stichhaltig. Dass die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigende Beschwerden an der HWS und ein psychisches Leiden hinzugekommen sind, die im Februar 2011 noch nicht vorgelegen hatten, ist keineswegs offensichtlich, zumal entsprechende evidente neue Gesundheitsschäden in der Regel eher zu einer Erhöhung des Invaliditätsgrades und nicht zu dessen Herabsetzung auf unter 40 % und damit zur Aufhebung des Invalidenrentenanspruchs führen. Eine revisionsweise Rentenaufhebung aufgrund einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes vermag hingegen nicht einzuleuchten, wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht.  
 
3.3. Aus den vorstehenden Erwägungen erhellt, dass kein Revisionsgrund vorliegt, der die Aufhebung der seit 1. Juli 2005 ausgerichteten Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung ab 1. September 2016 rechtfertigen würde. Der angefochtene Entscheid verletzt Bundesrecht.  
 
4.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Diese hat dem Beschwerdeführer überdies eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 13. Januar 2017 und die Verfügung der IV-Stelle Bern vom 29. Juni 2016 werden aufgehoben. Der Beschwerdeführer hat über den 31. August 2016 hinaus Anspruch auf eine Dreiviertelsrente der Invalidenversicherung. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.   
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'800.- zu entschädigen. 
 
4.   
Die Sache wird zur Neuverlegung der Kosten und der Parteientschädigung für das vorangegangene Verfahren an das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zurückgewiesen. 
 
5.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 8. November 2017 
 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer