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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
6P.84/2006 
6S.172/2006 /hum 
 
Urteil vom 10. Juli 2006 
Kassationshof 
 
Besetzung 
Bundesrichter Schneider, Präsident, 
Bundesrichter Wiprächtiger, Zünd, 
Gerichtsschreiber Weissenberger. 
 
Parteien 
X._________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Eva Nill, 
 
gegen 
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, 
Postfach, 8090 Zürich, 
Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, Postfach, 8023 Zürich. 
 
Gegenstand 
6P.84/2006 
Art. 9, 29 und 32 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; Willkür, Grundsatz "in dubio pro reo", Unschuldsvermutung), 
 
6S.172/2006 
Grobe Verletzung von Verkehrsregeln, 
 
Staatsrechtliche Beschwerde (6P.84/2006) und Nichtigkeitsbeschwerde (6S.172/2006) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 23. Januar 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
X.________ wird vorgeworfen, am 23. August um 17.43 Uhr mit seinem Motorrad die allgemeine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 38 km/h (nach Abzug der Toleranz von 4 km/h) überschritten zu haben. 
B. 
Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirks Winterthur sprach X.________ am 30. Juni 2005 vom Vorwurf der groben Verletzung der Verkehrsregeln frei. Dagegen erhob die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland Berufung an das Obergericht des Kantons Zürich. 
 
Mit Urteil vom 23. Januar 2006 sprach das Obergericht des Kantons Zürich X.________ der groben Verletzung der Verkehrsregeln schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von 1'000 Franken. 
C. 
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventuell sei er von Schuld und Strafe freizusprechen. X.________ erhebt überdies Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das erwähnte Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
D. 
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Stellungnahmen zu beiden Beschwerden verzichtet. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
 
I. Staatsrechtliche Beschwerde 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist - von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen - rein kassatorischer Natur. Sie kann also im Fall ihrer Gutheissung in der Regel nur zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen (statt vieler BGE 129 I 173 E. 1.5 S. 176). Soweit der Beschwerdeführer mehr beantragt, als das Urteil des Obergerichts aufzuheben, ist auf die Beschwerde somit nicht einzutreten. 
2. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, der Experte Walter Fasel habe seinen schriftlichen Bericht erst anlässlich seiner mündlichen Einvernahme direkt dem Obergericht eingereicht und sich dazu eingehend mündlich geäussert. Das Obergericht habe den Antrag des Beschwerdeführers auf Ansetzung einer Frist zur Stellungnahme zum Gutachten abgelehnt. Das verletze den Anspruch auf rechtliches Gehör, auf ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung gemäss Art. 6 Ziff. 3 lit. b EMRK sowie auf ein faires Verfahren nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Der Beschwerdeführer habe das schriftliche "Gutachten" erstmals mit Akteneinsicht für das vorliegende Beschwerdeverfahren gesehen (Beschwerde, S. 3-5). 
 
Diese Rüge ist offensichtlich unbegründet. Beim "Gutachten" handelt es sich um ein halbes A4-Blatt mit Fakten zur fraglichen Messung. Daran angehängt sind Ausdrucke der gefilmten Messung (kt. act. 73). Die Video-Aufzeichnung der Geschwindigkeitsmessung wurde an der Hauptverhandlung im Beisein des Beschwerdeführers und seiner Anwältin vollständig abgespielt (kt. act. 74 S. 11 ff.). Die Anwältin konnte den Experten ausgiebig befragen. Die vom Experten schriftlich eingereichte Darlegung von Fakten geht nicht über seine mündlichen Erläuterungen hinaus. Zudem kann dem Protokoll der Hauptverhandlung nicht entnommen werden, dass der Verteidigerin des Beschwerdeführers die schriftlichen Erläuterungen des Experten nicht vorgelegt worden wären bzw. sie davon nicht Kenntnis genommen hätte. Selbst wenn es sich aber so verhalten sollte, wie der Beschwerdeführer geltend macht, hat seine Verteidigerin an der Hauptverhandlung nicht verlangt, dass das Gericht ihr die schriftliche Notiz des Experten aushändigt oder anderweitig zur Kenntnis bringt. Das durfte das Obergericht als stillschweigende Verzichtserklärung werten, zumal die Verteidigerin des Beschwerdeführers den Experten sehr eingehend befragen und die Verteidigungsrechte somit ungehindert wahrnehmen konnte. Unter diesen Umständen liegt keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verteidigungsrechte vor. 
3. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass dem Sachverständigen Walter Fasel seine Aussagen nicht mündlich vorgelesen worden seien und er die Richtigkeit seiner Aussagen nicht mündlich bestätigt habe, wie dies § 151 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich (OS 47, 211.1; nachfolgend GVG/ZH) verlange. Seine Aussagen seien daher nicht verwertbar. Indem das Obergericht in seinem Urteil gleichwohl darauf abstelle (angefochtenes Urteil, S. 45), sei es in Willkür verfallen. 
 
Die Bestimmungen über die Protokollierung sind grundsätzlich zwingenden Charakters. Ihre Beachtung ist Voraussetzung der Gültigkeit des Protokolls und seiner Verwendung im Prozess. So ist etwa ein vom Zeugen nicht gelesenes Protokoll ungültig (Robert Hauser/Erhard Schweri/Karl Hartmann, Schweizerisches Strafprozessrecht, 6. Auflage, Basel usw. 2005, § 44 N 24 mit Hinweisen). 
 
Es kann hier offen gelassen werden, ob das Obergericht die Formvorschriften von § 151 GVG/ZH beachtet hat. Im angefochtenen Urteil wurde nur in einem Punkt auf die Aussagen des Sachverständigen an der Hauptverhandlung abgestellt (angefochtenes Urteil, S. 45). Im Übrigen betont das Obergericht, dass die Befragung des Sachverständigen nichts erbracht habe, was nicht bereits den Akten zu entnehmen wäre (angefochtenes Urteil, S. 11). Entscheidend ist somit, ob die Beweiswürdigung des Obergerichts ohne die dabei verwertete eine Aussage des Sachverständigen im Ergebnis einer Willkürprüfung standhält. Das ist nachfolgend bei der entsprechenden Rüge des Beschwerdeführers zu prüfen (E. 7). 
4. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe sein Ablehnungs- bzw. Ausstandsbegehren gegen den Experten Walter Fasel willkürlich abgewiesen und damit gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör verstossen (Beschwerde, S. 7-9). 
 
Das Obergericht hat das Begehren des Beschwerdeführers mit eingehender, nachvollziehbarer Begründung abgewiesen (angefochtenes Urteil, S. 22 ff.). Eine Verfassungs- oder Konventionsverletzung ist nicht ersichtlich. Soweit die Willkürrüge den Begründungsanforderungen von Art. 90 Abs. 1 lit. a OG überhaupt genügt und auf sie einzutreten ist, kann auf die Erwägungen im angefochtenen Urteil verwiesen werden. 
5. 
Der Beschwerdeführer rügt, seine Verteidigerin habe das schriftliche Plädoyer der Staatsanwaltschaft nur einen Tag vor der Hauptverhandlung erhalten. Das habe eine sorgfältige Vorbereitung und Besprechung verhindert und verletze inbesondere das rechtliche Gehör sowie den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäss Art. 29 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK (Beschwerde, S. 9 ff.). 
 
Davon kann keine Rede sein. Wie die Vorinstanz zutreffend ausführt, ist der Beschwerdeführer dadurch jedenfalls nicht schlechter gestellt worden, als wenn die Staatsanwaltschaft an der Hauptverhandlung ein mündliches Plädoyer gehalten hätte (angefochtenes Urteil, S. 11). Die Rüge ist offensichtlich unbegründet. 
6. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Verwertung der Amtsberichte sei unzulässig, da das Institut des Amtsberichts das in Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK verbriefte Recht des Angeklagten verunmögliche, dem Belastungszeugen Fragen zu stellen (Beschwerde, S. 11 f.). 
 
Das Institut des Amtsberichts ist in § 138 StPO/ZH geregelt. Der Beschwerdeführer hat im Berufungsverfahren nie den Antrag gestellt, es seien die Verfasser der Amtsberichte als Sachverständige durch das Obergericht einzuvernehmen, obschon er dies jederzeit hätte tun können (vgl. nur das Protokoll der Hauptverhandlung, kt. act. 74). Damit hat er den von ihm geltend gemachten Anspruch verwirkt. 
7. 
Der Beschwerdeführer rügt, die Beweiswürdigung des Obergerichts sei willkürlich (Beschwerde, S. 12 - 21). 
 
Es kann hier offen gelassen werden, ob die Beschwerde insoweit den Begründungsanforderungen genügt. Die Erwägungen im angefochtenen Urteil sind nachvollziehbar. Das Obergericht ist auf die Einwände des Beschwerdeführers eingegangen und hat sie überzeugend verworfen. Selbst ohne die Aussage des Sachverständigen Walter Fasel, wonach mit dem fraglichen Lasermesssystem die Geschwindigkeit von Motorrädern auch von vorne korrekt gemessen werden könne (angefochtenes Urteil, S. 45; oben E. 3), konnte das Obergericht aufgrund der übrigen Beweise willkürfrei zum selben Ergebnis gelangen. Die Beweiswürdigung ist auch insgesamt verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es kann auch dazu auf das angefochtene Urteil verwiesen werden. 
8. 
Die staatsrechtliche Beschwerde ist nach dem Gesagten abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer dessen Kosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Das Gesuch um aufschiebende Wirkung ist mit dem bundesgerichtlichen Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
II. Nichtigkeitsbeschwerde 
9. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe die Offizialmaxime nicht befolgt und damit Bundesrecht verletzt. 
 
Gemäss Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP muss die Beschwerdeschrift die Begründung der Anträge enthalten. Sie soll darlegen, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt sind. Ausführungen, die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheides richten, neue Tatsachen, Einreden, Bestreitungen und Beweismittel, sowie Erörterungen über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig. Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass das angefochtene Urteil eidgenössisches Recht verletze; die Rüge der Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ausgeschlossen (Art. 269 BStP). 
 
Der Beschwerdeführer legt nicht dar, welche bundesrechtliche Bestimmung die Vorinstanz verletzt haben soll. Die Beschwerde genügt damit den dargelegten Begründungsanforderungen nicht. 
10. 
Auf die Nichtigkeitsbeschwerde ist nach dem Gesagten nicht einzutreten. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer dessen Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP). Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung gegenstandslos. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
2. 
Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
3. 
Die Gerichtsgebühren von insgesamt Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 10. Juli 2006 
Im Namen des Kassationshofes 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: