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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 7} 
I 684/06 
 
Urteil vom 12. Februar 2007 
II. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Meyer, Präsident, 
Bundesrichter Lustenberger, Seiler, 
Gerichtsschreiber Schmutz. 
 
Parteien 
G.________, 1964, 
Beschwerdeführer, vertreten durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, Froburgstrasse 4, 4600 Olten, 
 
gegen 
 
IV-Stelle des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen, Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen 
vom 2. Juni 2006. 
 
Sachverhalt: 
A. 
A.a Der 1964 geborene G.________ ist nach Unfällen am 16. August 1985 und 31. Januar 1998 auf Grund einer zerebralen Bewegungsstörung, einer Hemiplegie und eines Schädel-Hirn-Traumas reduziert gehfähig und leidet an Funktionseinbussen des rechten Arms und der rechten Schulter. Er bezog zunächst eine Viertels-, ab dem 1. Januar 1995 eine halbe und seit dem 1. August 2000 bei einem Invaliditätsgrad von 70 % eine ganze Invalidenrente. 
A.b Mit Verfügung vom 16. Februar 2004 sprach ihm die IV-Stelle des Kantons St. Gallen einen Kostenbeitrag von Fr. 13'200.- an ein Elektromobil zu. Am 4. April 2004 ersuchte der Versicherte um Überprüfung dieser Verfügung. Er machte geltend, das ihm zugesprochene Elektromobil entspreche nicht seinen Bedürfnissen. Er beantragte die Ausrichtung einer höheren Leistung, da er ein kleines Auto vom Typ AIXAM 500 SL Van 45 km/h zu einem Preis von Fr. 23'440.- anschaffen wolle. Mit Verfügung vom 4. Juni 2004 trat die IV-Stelle auf das neue Leistungsgesuch nicht ein, weil der Versicherte nicht habe darlegen können, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse nach dem 16. Februar 2004 in einer für den Anspruch erheblichen Weise geändert hätten. 
A.c Am 9. Dezember 2004 reichte G.________ eine Offerte für ein gebrauchtes Kleinmotorfahrzeug AIXAM 500 Automat 45 km/h zum Preis von Fr. 6000.- ein. Dazu kamen Umbaukosten von Fr. 4626.80. Er ersuchte um die Übernahme sämtlicher Kosten, da er mit diesem Kleinauto das ganze Jahr fahren könne, keine Reichweitenbeschränkung habe und auch seine Kollektion (als Aussendienstmitarbeiter bei der Selbsthilfe-Genossenschaft X.________) mitführen könne. Die IV-Stelle wies das Gesuch mit Verfügung vom 7. Januar 2005 ab. Sie begründete es damit, dass Motorfahrzeuge nur mit Amortisationsbeiträgen finanziert werden könnten. Falls die versicherte Person auch ohne Invalidität auf ein Motorfahrzeug angewiesen sei, könnten die Kosten nicht übernommen werden. Dies sei hier auf Grund der Tätigkeit als Aussendienstmitarbeiter der Fall. 
A.d Am 21. Januar 2005 verfügte die IV-Stelle eine Kostengutsprache über den Betrag von Fr. 4626.80 für den Umbau des vom Versicherten auf eigene Rechnung angeschafften Gebraucht-Motorfahrzeugs AIXAM 500 Automat. 
A.e Die von G.________ gegen die Verfügung vom 7. Januar 2005 erhobene Einsprache wies die IV-Stelle mit Entscheid vom 30. Juni 2005 ab. 
B. 
Die dagegen eingereichte Beschwerde, mit der G.________ die Zusprache von Amortisationsbeiträgen an den Unterhalt des AIXAM 500 Automat, eventualiter die Übernahme der Anschaffungskosten "in Austauschbefugnis zum zugesprochenen Elektromobil Classic" beantragte, wies das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 2. Juni 2006 ab. 
C. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt G.________ das vorinstanzlich gestellte Rechtsbegehren erneuern. 
 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
Das Bundesgesetz über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) ist am 1. Januar 2007 in Kraft getreten (AS 2006 1205, 1243). Da der angefochtene Entscheid vorher ergangen ist, richtet sich das Verfahren noch nach OG (Art. 132 Abs. 1 BGG; BGE 132 V 393 E. 1.2 S. 395). 
2. 
Der angefochtene Entscheid betrifft Leistungen der Invalidenversicherung. Das Bundesgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde (Art. 132 Abs. 2 OG [in der Fassung gemäss Ziff. III des Bundesgesetzes vom 16. Dezember 2005 über die Änderung des IVG, in Kraft seit 1. Juli 2006] in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
3. 
Der Bundesrat hat in Art. 14 IVV die ihm durch Art. 21 Abs. 2 und 4 IVG übertragene Befugnis, einschliesslich derjenigen zum Erlass näherer Bestimmungen über Beiträge an die Kosten invaliditätsbedingter Anpassungen von Geräten und Immobilien, an das Eidgenössische Departement des Innern subdelegiert, welches die Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) erlassen hat. Gemäss deren Art. 2 besteht im Rahmen der im Anhang aufgeführten Liste Anspruch auf Hilfsmittel, soweit diese für die Fortbewegung, die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge notwendig sind (Abs. 1). Anspruch auf die mit (*) bezeichneten Hilfsmittel besteht nur, soweit diese für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit oder die Tätigkeit im Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung, die funktionelle Angewöhnung oder für die in der zutreffenden Ziffer des Anhangs ausdrücklich genannte Tätigkeit notwendig sind (Abs. 2). Begnügt sich ein Versicherter, der Anspruch auf ein in der Liste des Anhangs aufgeführtes Hilfsmittel hat, mit einem andern, kostengünstigeren Hilfsmittel, das dem gleichen Zwecke wie das ihm zustehende dient, so ist ihm dieses selbst dann abzugeben, wenn es in der Liste nicht aufgeführt ist (Abs. 5). 
4. 
Der Beschwerdeführer hat gemäss rechtskräftiger Verfügung vom 16. Februar 2004 Anspruch auf einen Kostenbeitrag von Fr. 13'200.- an die Anschaffung eines Elektromobils. Er hat diesen Beitrag bisher nicht beansprucht und stattdessen einen Beitrag von insgesamt Fr. 10'626.80 für Anschaffung und Umbau des Gebrauchtkleinwagens AIXAM 500 Automat beantragt. Die Invalidenversicherung hat die Umbaukosten im Umfang von Fr. 4626.80 gemäss Anhang Ziff. 10.05 der Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung (HVI) zugesprochen, die Übernahme der Anschaffungskosten von Fr. 6000.- aber verweigert. Im Einspracheentscheid hat sie dies damit begründet, der Beschwerdeführer wäre für seine Erwerbstätigkeit auch ohne Invalidität auf ein Fahrzeug angewiesen. Eine Übernahme im Austausch zum zugesprochenen Elektromobil komme nicht in Frage, weil keine funktionelle Gleichwertigkeit bestehe. Das kantonale Gericht hat wie die Invalidenversicherung angenommen, der Beschwerdeführer wäre auch ohne Invalidität auf ein Motorfahrzeug angewiesen, weshalb kein invaliditätsbedingter Anspruch auf ein Motorfahrzeug bestehe. Bezüglich der Austauschbefugnis hat es im Unterschied zur Beschwerdegegnerin die funktionelle Gleichwertigkeit zwar bejaht, aber das Vorliegen eines substitutionsfähigen aktuellen gesetzlichen Anspruchs verneint, weil kein Anspruch auf ein Motorfahrzeug bestehe. 
5. 
Der Beschwerdeführer beanstandet die vorinstanzliche Auffassung, er wäre auch ohne Invalidität auf ein Motorfahrzeug angewiesen. Bei dieser Beurteilung handelt es sich um eine auf eine Würdigung der konkreten Umstände gestützte hypothetische Feststellung, welche als Tatfrage zu betrachten und daher vom Bundesgericht nur in dem oben in Erwägung 2 dargelegten Rahmen zu überprüfen ist. Ob diese Annahme offensichtlich unrichtig oder unvollständig ist, kann offen bleiben, da sich die Beschwerde aus einem anderen Grund als begründet erweist. 
6. 
6.1 Begnügt sich ein Versicherter, der Anspruch auf ein in der Liste des Anhangs zur HVI aufgeführtes Hilfsmittel hat, mit einem andern, kostengünstigeren Hilfsmittel, das dem gleichen Zwecke wie das ihm zustehende dient, so ist ihm dieses gemäss Art. 2 Abs. 5 HVI selbst dann abzugeben, wenn es in der Liste nicht aufgeführt ist. Vorausgesetzt ist u.a., dass ein Anspruch auf ein bestimmtes Hilfsmittel besteht, und dass ein anderes Hilfsmittel angeschafft wird, welches auch die Funktion des bewilligten übernimmt (BGE 131 V 107 E. 3.2.1 S. 110). 
6.2 Vorliegend besteht Anspruch auf einen Elektrorollstuhl. Die Beschwerdegegnerin hat die funktionelle Gleichwertigkeit mit dem vom Beschwerdeführer zur Berufsausübung angeschafften Motorfahrzeug AIXAM 500 Automat deswegen verneint, weil das Elektromobil gestützt auf Ziff. 9.02 HVI-Anhang und nicht zu Erwerbszwecken bewilligt worden sei. Dem kann nicht gefolgt werden: Die gemäss Ziff. 9.02 bewilligten Elektrorollstühle dienen der Fortbewegung (Art. 2 Abs. 1 HVI). Es ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch der Systematik noch dem Sinn dieser Vorschrift, dass die gestützt darauf bewilligten Rollstühle ausschliesslich der Fortbewegung zu privaten Zwecken dienen. Genügen sie für die Erwerbstätigkeit nicht, so besteht unter gewissen Voraussetzungen ein Anspruch auf ein Motorfahrzeug (Art. 2 Abs. 2 HVI sowie Ziff. 10 HVI-Anhang). Der Unterschied zwischen den Ziff. 9 und 10 HVI-Anhang besteht somit darin, dass die Anforderungen an die Zusprechung von Fahrzeugen gemäss Ziff. 10 strenger sind. Er bedeutet aber nicht, dass private und erwerbliche Fortbewegung strikt getrennte Funktionen wären. Sind die nach Ziff. 9 bewilligten Rollstühle für die Erwerbsausübung dienlich, so dürfen sie selbstverständlich ausser für den privaten Gebrauch auch dazu benutzt werden. Umgekehrt dürfen die Fahrzeuge gemäss Ziff. 10 ausser für den erwerblichen Zweck auch für private Fahrten gebraucht werden. Das vom Beschwerdeführer angeschaffte Fahrzeug erfüllt damit auch die Funktionen, die das ihm zugesprochene Elektromobil erfüllt hätte. Damit sind - wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat - die Anforderungen an die funktionelle Gleichwertigkeit (vgl. oben E. 6.1) erfüllt. 
6.3 Nicht gefolgt werden kann der Vorinstanz, wenn sie das Bestehen eines gesetzlichen Anspruchs verneint. Der gesetzliche Anspruch gemäss Art. 2 Abs. 5 HVI muss nicht auf dasjenige Hilfsmittel bestehen, das der Versicherte angeschafft hat (in casu das Motorfahrzeug), sondern auf dasjenige, an dessen Stelle er dieses angeschafft hat (in casu das Elektromobil). Darauf besteht gemäss rechtskräftiger Verfügung vom 16. Februar 2004 ein Anspruch. 
7. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 zweiter Satz OG). Dem Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der IV-Stelle aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Zudem hat die Verwaltung dem durch den Procap, Schweizerischer Invaliden-Verband, vertretenen Beschwerdeführer eine nach dem Vertretungsaufwand zu bemessende Parteientschädigung zu entrichten (Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 und 160; BGE 122 V 278). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 2. Juni 2006 und der Einspracheentscheid der IV-Stelle des Kantons St. Gallen vom 30. Juni 2005 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass der Beschwerdeführer Anspruch auf einen Beitrag von Fr. 6000.- an die Kosten der Anschaffung des gebrauchten Kleinmotorfahrzeugs AIXAM 500 Automat hat. 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
3. 
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird dem Beschwerdeführer zurückerstattet. 
4. 
Die Beschwerdegegnerin hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Bundesgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen. 
5. 
Das Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen wird über eine Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben. 
6. 
Dieses Urteil wird den Parteien, der Ausgleichskasse EXFOUR, Basel, dem Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherungen zugestellt. 
Luzern, 12. Februar 2007 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: