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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_975/2009 
 
Urteil vom 3. März 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiberin Schüpfer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
W.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Christine Zemp Gsponer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA), Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Kausalzusammenhang), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 24. September 2009. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1963 geborene W.________ war als Bezüger von Taggeld der Arbeitslosenversicherung bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Folgen von Unfällen versichert. Am 19. November 2004 erlitt er als Lenker eines Personenwagens einen Auffahrunfall. W.________ verspürte sofort Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule mit Ausstrahlung in beide Ohren und einen Tinnitus. Im erstbehandelnden Spital X.________ wurde die Diagnose einer Halswirbelsäulen-Distorsion gestellt und weiter notiert, der Patient mache einen deutlich depressiven Eindruck, was von seiner Frau indessen als normaler Zustand bezeichnet wurde. Die SUVA richtete Versicherungsleistungen unter anderem in Form eines stationären Aufenthaltes in der Rehaklinik Y.________ und verschiedener fachärztlicher Abklärungen und Behandlungen (vor allem ORL und Psychiatrie) aus. Dr. med. S.________, Spezialarzt FMH für Neurologie, hielt in seinem Bericht vom 7. Februar 2006 fest, das diagnostizierte deutliche myofasziale Zervikalsyndrom allein könne die eingeschränkte Beweglichkeit der Halswirbelsäule nicht erklären. In bildgebenden Verfahren fanden sich weder Hinweise auf eine Behinderung der neuralen Strukturen noch Anhaltspunkte für Bandläsionen am cranio-zervikalen Übergang oder eine Instabilität. Dieser Beurteilung schloss sich auch der behandelnde Hausarzt, Dr. med. A.________, an (Bericht vom 20. März 2006). Schliesslich liess die SUVA den Versicherten von ihren beratenden Ärzten, Dr. med T.________, Facharzt FMH für Chirurgie, Dr. med. R.________, Fachärztin FMH für Psychiatrie und Psychotherapie und Dr. med. M.________, Facharzt FMH für ORL, untersuchen. Es wurden die Diagnosen eines chronifizierten cervicocephalen Schmerzsyndroms, ohne objektivierbare strukturelle Unfallfolgen und einer seit über einem Jahrzehnt stabilen Kausalgie des linken Fusses bei einem Status nach Vorfussfraktur und Sudeck (Unfall im Jahre 1987), einem Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F.60) und einer leichten depressiven Symptomatik im Rahmen der Persönlichkeitsstörung - differenzialdiagnostisch einer leichten depressiven Episode (ICD-10 F.32.0) - sowie eines schweren bis sehr schweren posttraumatischen Tinnitus gestellt. Mit Verfügung vom 9. Juli 2007 stellte die SUVA mit der Begründung, es fehle - ausser beim Tinnitus - an organischen Unfallfolgen und die subjektiven Beschwerden seien nicht adäquat kausal mit diesem, ihre Leistungen auf den 31. Juli 2007 ein. Für den als Unfallfolge anerkannte Tinnitus richtete sie eine Entschädigung für eine Integritätseinbusse von 7,5 % aus. Daran hielt sie auch auf Einsprache hin fest (Entscheid vom 29. November 2007). 
 
B. 
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. September 2009 ab. 
 
C. 
W.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen und beantragen, es sei ihm nach weiterer Abklärung des Sachverhaltes ab 1. August 2007 eine angemessene Invalidenrente auszurichten. Er lässt letztinstanzlich unter anderem ein von der Invalidenversicherung eingeholtes polydisziplinäres Gutachten der MEDAS vom 27. Oktober 2009 auflegen. Im Weiteren ersucht er um die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung und Verbeiständung. 
Die SUVA schliesst auf Beschwerdeabweisung. Das Bundesamt für Gesundheit verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
1.1 Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann eine Beschwerde mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen (vgl. BGE 132 II 257 E. 2.5 S. 262; 130 III 136 E. 1.4 S. 140). Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind. Es ist jedenfalls nicht gehalten, wie eine erstinstanzliche Behörde alle sich stellenden rechtlichen Fragen zu untersuchen, wenn diese vor Bundesgericht nicht mehr vorgetragen werden (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
 
1.2 Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Militär- oder Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat die Grundlagen über den für die Leistungspflicht des obligatorischen Unfallversicherers vorausgesetzten natürlichen Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem eingetretenen Gesundheitsschaden (BGE 134 V 109 E. 2.1 S. 111 f.) sowie die erforderliche Adäquanz des Kausalzusammenhangs im Allgemeinen (BGE 129 V 177 E. 3.2 S. 181), bei psychischen Unfallfolgen (BGE 134 V 109 E. 6.1 S. 116; 115 V 133) sowie Folgen eines Unfalls mit HWS-Schleudertrauma oder äquivalenter Verletzung ohne organisch nachweisbare Funktionsausfälle (BGE 134 V 109 ff.) richtig dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
 
3. 
Gemäss Art. 99 Abs. 1 BGG sind Noven im letztinstanzlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen auch im Rahmen des Verfahrens um Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung (Art. 105 Abs. 3 BGG) nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194 E. 3.4 S. 199 f.), was von der Beschwerde führenden Partei näher darzulegen ist. Die Voraussetzungen, unter denen die vom Beschwerdeführer neu eingereichten Unterlagen - darunter vor allem das Gutachten der MEDAS vom 27. Oktober 2009 - ausnahmsweise zulässig wären, sind vorliegend nicht erfüllt, so dass diese unbeachtet bleiben müssen. Dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass einzig die Leistungspflicht der SUVA für die gesundheitlichen Beschwerden, welche auf den Unfall vom 19. November 2004 zurückzuführen sind, zu beurteilen ist. Diesbezüglich ist der Sachverhalt rechtsgenüglich abgeklärt, wie folgende Erwägungen zeigen. 
 
4. 
4.1 Der Beschwerdeführer leidet gemäss den ausführlichen und überzeugenden Berichten der SUVA-Ärzte - neben der erheblichen Schädigung seines linken Fusses, welche hier aber nicht zur Diskussion steht - an einem schweren bis sehr schweren posttraumatischen Tinnitus, an einem chronifizierten cervikocephalen Schmerzsyndrom; im Weiteren besteht der Verdacht auf eine Persönlichkeitsstörung mit einer leichten depressiven Symptomatik. Organisch nachweisbar ist dabei - soweit das bei dieser Gesundheitsschädigung überhaupt möglich ist (vgl. Bericht der otologischen Untersuchung vom 22. Januar 2006) - nur der Tinnitus. Hingegen ist das cervikocephale Schmerzsyndrom nicht durch eine strukturelle Unfallfolge objektivierbar. Das gilt auch für die psychische Problematik, die weitgehend schon vor dem Unfall vom 19. November 2004 bestanden hatte, und die Schlafstörungen. Entgegen der Darstellung in der Beschwerde sind Letztere nicht organischer Natur. Die untersuchende Psychiaterin attestiert diesen Beschwerden eine natürliche Teilkausalität zum versicherten Unfall. Da der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers umfassend abgeklärt worden ist, die Feststellungen und Schlussfolgerungen der Dres. med. T.________, R.________ und M.________ überzeugend und nachvollziehbar sind, und darüber hinaus auch nicht im Widerspruch zu anderen ärztlichen Zeugnissen und Berichten stehen, erübrigt es sich, den Sachverhalt weiter abzuklären. 
 
4.2 Damit ist auch der adäquate Kausalzusammenhang zwischen den nicht objektivierbaren Beschwerden und dem versicherten Unfall zu prüfen. Ob dabei die Rechtsprechung gemäss BGE 115 V 133 für rein psychische Unfallfolgen (angesichts der schon im erstbehandelnden Spital festgestellten psychischen Auffälligkeit) oder jene bei HWS-Distorsionstraumen oder ähnlichen Verletzungen (BGE 134 V 109) anzuwenden ist, kann letztlich offenbleiben, da die Adäquanz der nicht organisch nachweisbaren Unfallfolgen auf jeden Fall zu verneinen ist. 
4.2.1 Der Auffahrunfall vom 19. November 2004 ist praxisgemäss als mittlerer Unfall im Grenzbereich zu den leichten zu qualifizieren. Daran ändert auch nichts, dass das Auto des Beschwerdeführers noch in den vor ihm stehenden Wagen geschoben wurde. 
4.2.2 Es kann weder von besonders dramatischen Begleitumständen noch von einer besonderen Eindrücklichkeit des Unfalls gesprochen werden und auch die leichte Zahnverletzung - die der Beschwerdeführer ausweislich der Akten trotz wiederholter Mahnung nie sanieren liess - und der durch den Unfall ausgelöste Tinnitus können nicht als besondere Art der erlittenen Verletzung gelten. Im Weiteren ist festzuhalten, dass das Kriterium der fortgesetzt spezifischen belastenden ärztlichen Behandlung nicht schon erfüllt ist, wenn sich ein Versicherter durch verschiedene Spezialärzte behandeln lässt. Der Umstand allein, dass der Tinnitus nicht hatte erfolgreich behandelt werden können, stellt noch keinen schwierigen Heilungsverlauf dar, wäre dieses Kriterium doch sonst bei jeder Beurteilung von persistierenden Beschwerden nach einer HWS-Distorsion erfüllt. Schliesslich kann auch von einer erheblichen Arbeitsunfähigkeit trotz ausgewiesener Anstrengung nicht gesprochen werden, hat es der Beschwerdeführer doch trotz engagierter Hilfestellung des Case-Managers der SUVA immer wieder verpasst, konkrete Anstrengungen zu unternehmen (beispielsweise durch Erstellung eines Businessplanes, der rechtzeitigen Kontaktnahme mit angegebenen Adressaten für Praktika etc.). Damit ist die Adäquanz zwischen dem Auffahrunfall vom 19. November 2004 und den nach dem 31. Juli 2007 weiterhin bestehenden Beschwerden zu verneinen, auch wenn das Kriterium der erheblichen Beschwerden bejaht werden könnte; dieses ist aufgrund der Beeinträchtigung, welche der Versicherte durch die Beschwerden im Lebensalltag erfährt, höchstens in der einfachen Form erfüllt. 
 
5. 
Es verbleibt der Tinnitus als organisch nachweisbare kausale Unfallfolge. Da diese Beschwerden durch weitere Heilbehandlungen nicht wesentlich verbesserbar sind, hat die SUVA ihre diesbezüglichen Leistungen zu Recht auf den 31. Juli 2007 eingestellt. Der Tinnitus allein hat nach überzeugender Darstellung des Dr. med. M.________ keine Arbeits- oder Erwerbsunfähigkeit zur Folge, solange eine Tätigkeit nicht in hörbelastendem Lärm ausgeübt wird. Daher ist diejenige eines Immobilienverwalters, welche vor dem Unfall zum Teil ausgeübt oder zumindest angestrebt wurde, auch weiterhin möglich und zumutbar. Damit besteht auch kein Anspruch auf eine Rente. 
 
6. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten werden dem unterliegenden Beschwerdeführer auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Dem Beschwerdeführer wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
 
4. 
Rechtsanwältin Christine Zemp Gsponer wird als unentgeltliche Anwältin des Beschwerdeführers bestellt, und es wird ihr für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2'800.- ausgerichtet. 
 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 3. März 2010 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
Ursprung Schüpfer