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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_215/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 1. September 2017  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Chaix, 
Gerichtsschreiber Störi. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Einzelgericht in Strafsachen, 
Schützenmattstrasse 20, 4003 Basel. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; amtliche Verteidigung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil vom 28. Februar 2017 
des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Mit Strafbefehl vom 27. Oktober 2016 verurteilte die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt A.________ zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à Fr. 80.-- und ordnete den Vollzug der vom Strafgericht Basel-Stadt am 10. Dezember 2015 bedingt ausgefällten Geldstrafe von 80 Tagessätzen à Fr. 360.-- an. A.________ erhob gegen diesen Strafbefehl Einsprache beim Strafgericht des Kantons Basel-Stadt und beantragte, ihm einen amtlichen Verteidiger beizugeben. 
Die Präsidentin des Strafgerichts lehnte das Gesuch um amtliche Verteidigung am 12. Januar 2017 ab mit der Begründung, es liege ein Bagatellfall vor, der keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten biete. Sie teilte A.________ zudem mit, dass sie seine Strafanzeige nicht entgegennehme. 
Das Appellationsgericht wies die Beschwerde von A.________ gegen diese Verfügung der Strafgerichtspräsidentin am 28. Februar 2017 ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________, dieses Urteil des Appellationsgerichts aufzuheben, ihm die amtliche Verteidigung zu bewilligen und seine Strafanzeige entgegenzunehmen und an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. 
 
C.   
Die Appellationsgerichtspräsidentin beantragt, die Beschwerde abzuweisen und verzichtet auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid, mit dem das Appellationsgericht die Abweisung des Gesuchs um Einsetzung eines amtlichen Verteidigers schützte; dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen zulässig (Art. 78 Abs. 1, Art. 80 BGG). Er schliesst das Verfahren indessen nicht ab; es handelt sich mithin um einen Zwischenentscheid, gegen den die Beschwerde nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig ist, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil rechtlicher Natur (BGE 133 IV 139 E. 4) bewirken könnte. Das ist bei der Verweigerung der amtlichen Verteidigung der Fall (BGE 133 IV 335 E. 4 mit Hinweisen; Urteil 1B_436/2011 vom 21. September 2011, E. 1). Der Beschwerdeführer, der im Strafverfahren beschuldigt wird und dessen Gesuch um amtliche Verteidigung abgelehnt wurde, ist zur Beschwerde befugt (Art. 81 Abs. 1 BGG). 
 
2.   
Das Appellationsgericht verneinte im angefochtenen Entscheid einen Anspruch des Beschwerdeführers auf amtliche Verteidigung mit der Begründung, es liege zwar knapp kein Bagatellfall mehr vor, das Verfahren biete indessen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten, denen der Beschwerdeführer ohne Rechtsbeistand nicht gewachsen wäre. Zudem habe er seine Bedürftigkeit nicht nachgewiesen. 
 
2.1. Die Verteidigung ist in den Art. 128 ff. StPO geregelt. In besonders schwer wiegenden Straffällen ist sie unter bestimmten Voraussetzungen - etwa wenn die Untersuchungshaft mehr als 10 Tage gedauert hat oder eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr in Aussicht steht (Art. 130 lit. a und b StPO) - notwendig, d.h. der beschuldigten Person muss auf jeden Fall ein Verteidiger zur Seite gestellt werden. Bestimmt sie keinen Wahlverteidiger, muss ihr diesfalls zwingend ein amtlicher Verteidiger bestellt werden (Art. 132 Abs. 1 lit. a StPO). In Bagatellfällen besteht dagegen grundsätzlich kein Anspruch auf amtliche Verteidigung (Art. 132 Abs. 2 StPO). Steht für den Fall einer Verurteilung eine Freiheitsstrafe von über 4 Monaten, eine Geldstrafe von über 120 Tagessätzen oder gemeinnützige Arbeit von mehr als 480 Stunden in Aussicht, liegt jedenfalls kein Bagatellfall mehr vor (Art. 132 Abs. 3 StPO). In den dazwischen liegenden Fällen relativer Schwere ist eine amtliche Verteidigung anzuordnen, wenn der Beschuldigte nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung seiner Interessen geboten erscheint (Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO). Letzteres ist dann der Fall, wenn der Straffall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht Probleme aufwirft, denen der Beschuldigte allein nicht gewachsen ist (Art. 132 Abs. 2 StPO).  
 
2.2. Das Appellationsgericht hat für die Beurteilung der Frage, ob ein Bagatellfall vorliegt, den Widerruf der bedingt ausgesprochenen Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu Recht mitberücksichtigt (Urteil 1B_344/2015 vom 11. Februar 2016 E. 2.2) und ist zum Schluss gekommen, die Bagatellfallgrenze werde knapp überschritten.  
 
2.3. Der Beschwerdeführer wendet ein, für ihn sei die Angelegenheit alles andere als ein Bagatellfall, insbesondere weil der Tagessatz bei seiner ersten Verurteilung von Fr. 360.-- exorbitant hoch bzw. hypothetisch festgelegt worden sei. Da er die Geldstrafen nicht bezahlen könne, drohe die Umwandlung in eine Freiheitsstrafen von über einem Jahr. Dies sei für ihn eine Horrorvorstellung, er könne nicht mehr schlafen und habe massivere gesundheitliche Probleme als je zuvor. Diese Befürchtungen sind stark übertrieben: bleibt es beim im Strafbefehl festgelegten Strafmass, so droht dem Beschwerdeführer eine Freiheitsstrafe von 130 Tagen, wenn er die Geldstrafe nicht bezahlt (Art. 36 Abs. 1 StGB). Erlauben seine finanziellen Verhältnisse die Begleichung der Strafe nicht, kann er zudem dem Gericht die Erstreckung der Zahlungsfrist, die Senkung der Tagessätze oder die Anordnung von gemeinnütziger Arbeit beantragen (Art. 36 Abs. 2 StGB). Die Beurteilung des Appellationsgerichts, dass es sich nicht mehr um einen Bagatellfall, sondern um einen Fall relativer Schwere im Sinn der in E. 2.1 aufgeführten Rechtsprechung handelt, trifft zu.  
 
2.4. Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer bietet, wie bereits das Appellationsgericht festgestellt hat, keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten. Der Beschwerdeführer verteidigt sich insbesondere mit dem Argument, er sei gar nicht in der Lage gewesen, den ihm auferlegten Unterstützungspflichten nachzukommen. Das Appellationsgericht ist zu Recht zum Schluss gekommen, dass der Beschwerdeführer sowohl in der Lage ist, selbständig sachgerechte Rechtsmitteleingaben zu verfassen als auch seine "komplexen finanziellen Verhältnisse" dem Gericht aufzuzeigen. Die Voraussetzungen für die Beigabe eines amtlichen Verteidigers sind somit nicht erfüllt, die Rüge ist unbegründet.  
 
2.5. Unter diesen Umständen kann offenbleiben, ob der Beschwerdeführer über die nötigen Mittel verfügt, selber einen Anwalt zu finanzieren oder nicht.  
 
3.   
Als Rechtsverweigerung rügt der Beschwerdeführer, dass das Strafgericht seine Strafanzeige gegen ein unbekanntes Mitglied des Sozialamts wegen Nötigung weder behandelte noch an die zuständige Behörde weiterleitete und das Appellationsgericht dieses Vorgehen schützte. Darin sieht er eine strafrechtlich relevante Nötigung. 
 
3.1. Die Rüge ist unbegründet. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer von keiner Seite daran gehindert wurde, eine Strafanzeige einzureichen, das Strafgericht verwies ihn vielmehr an die dafür zuständigen Strafverfolgungsbehörde. Er hätte seine Anzeige somit ohne weiteren Aufwand dorthin schicken können, von einer Rechtsverweigerung kann von vornherein keine Rede sein.  
 
3.2. Das Strafgericht hat es allerdings abgelehnt, die Anzeige selber weiterzuleiten. Nach der Anzeige soll ein Mitarbeiter des Sozialamts möglicherweise seine ehemalige Ehefrau dazu angehalten haben, Strafanzeige gegen ihn wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten zu stellen.  
Eine Nötigung im Sinn von Art. 181 StGB setzt indessen voraus, dass der Täter die Handlungsfreiheit des Opfers durch Gewalt oder Androhung ernstlicher Nachteile oder auf andere Weise einschränkt, um etwas zu tun, zu unterlassen oder zu dulden. Eine derartige Beschränkung der Handlungsfreiheit der ehemaligen Ehefrau durch das Sozialamt wurde indessen in der Anzeige nicht dargetan. Im Übrigen ist der Vorwurf ohnehin kaum nachvollziehbar. Wer ein Gesuch um Inkassohilfe oder Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen stellt, muss den Kanton Basel-Stadt bzw. das Amt für Sozialbeiträge ohnehin ermächtigen, Strafantrag gemäss Art. 217 StGB gegen den säumigen Unterhaltspflichtigen zu stellen (§ 5 Abs. 1 lit. b der Alimentenbevorschussungsverordnung, Systematische Sammlung 212.200). Ergaben sich somit aus der Strafanzeige keine ernsthaften Hinweise auf eine strafbare Handlung, war das Strafgericht auch unter dem Gesichtspunkt von Art. 302 Abs. 1 StGB nicht verpflichtet, sie an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Die Rüge, das Appellationsgericht habe eine Rechtsverweigerung begangen, indem es das Vorgehen des Strafgerichts in diesem Punkt schützte, ist unbegründet. 
 
4.   
Die Beschwerde ist somit abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Einzelgericht in Strafsachen und dem Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Einzelgericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. September 2017 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Störi