Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
Zurück zur Einstiegsseite Drucken
Grössere Schrift
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
9C_6/2017  
   
   
 
 
 
Urteil vom 17. Februar 2017  
 
II. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Pfiffner, Präsidentin, 
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Glanzmann, 
Gerichtsschreiber R. Widmer. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch ihren Vater, 
und dieser vertreten durch Rechtsanwältin Lotti Sigg, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, 
Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich 
vom 11. November 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Die 1999 geborene A.________ besuchte ab der 6. Primarklasse aufgrund von Verhaltensstörungen eine Privatschule und erhielt in der Folge Einzelunterricht. Im August 2014 beendete sie das 9. Schuljahr.  
Ab November 2007 stand A.________ in kinderpsychiatrischer Behandlung. Im Herbst 2011 und vom 30. April bis 19. Dezember 2013 war sie im Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie B.________ hospitalisiert. Nach einem Aufenthalt in der Klinik C.________, Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, vom 3. Juni bis 18. August 2014, wo ein Verdacht auf emotional-instabile Persönlichkeitsstörung: impulsiver Typ, diagnostiziert wurde, folgte eine stationäre Behandlung in der Psychiatrie D.________ (vom 23. August bis 24. Oktober 2014). Die IV-Stelle des Kantons Zürich, bei welcher A.________ am 16. Januar 2012 zum Leistungsbezug angemeldet worden war, übernahm laut Mitteilung vom 14. Mai 2012 ambulante Psychotherapie vom 1. September 2011 bis 31. August 2012. Weitere medizinische Eingliederungsmassnahmen lehnte sie am 15. Juli 2014 verfügungsweise ab, weil die Leidensbehandlung im Vordergrund stehe. Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 10. August 2015 ab. 
 
A.b. Am 3. November 2014 meldete der Vater A.________ erneut bei der Invalidenversicherung für Psychotherapie und berufliche Massnahmen an. Mit Verfügung vom 7. Oktober 2015 lehnte die IV-Stelle die Übernahme der Kosten für den Besuch eines Privatgymnasiums im Iran, der Heimat der Mutter der Versicherten, als erstmalige berufliche Ausbildung ab.  
 
B.   
Die hiegegen eingereichte Beschwerde, mit welcher der Vater von A.________ für seine Tochter Kostengutsprache für die erstmalige berufliche Ausbildung im Ausland, eventuell die Durchführung weiterer medizinischer Abklärungen, hatte beantragen lassen, wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 11. November 2016). 
 
C.   
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten lässt der Vater von A.________ die vorinstanzlich gestellten Rechtsbegehren erneuern. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann u.a. die Verletzung von Bundesrecht und Völkerrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a und b BGG), die Feststellung des Sachverhalts nur, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 lit. a BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG). Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Die Vorinstanz hat die gesetzlichen Bestimmungen über den Anspruch auf Leistungen bei erstmaliger beruflicher Ausbildung, wozu auch der Besuch einer Mittelschule zählt (Art. 8 Abs. 1 und 3 lit. b IVG, Art. 16 IVG; Art. 5 Abs. 1 IVV), sowie die Voraussetzungen für die Übernahme einer im Ausland durchgeführten Eingliederungsmassnahme (Art. 23bis Abs. 1 und 3 IVV) zutreffend dargelegt. Es wird darauf verwiesen.  
 
2.2. Da es in der Schweiz zahlreiche öffentliche und private Mittelschulen gibt, die einen Maturitätsabschluss ermöglichen und laut verbindlichen Feststellungen (E. 1) im angefochtenen Entscheid für die Versicherte mit Rücksicht auf ihre psychischen Probleme in Frage kämen, fällt die Übernahme der Schulkosten im Iran gestützt auf Art. 23bis Abs. 1 IVV von vornherein ausser Betracht. Wie das kantonale Gericht richtig festgehalten hat, ist einzig zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin gestützt auf Art. 23bis Abs. 3 IVV Anspruch auf Kostenersatz für den Schulbesuch im Iran hat, weil die Schulausbildung aus beachtlichen Gründen dort erfolgt, wobei es nach der Rechtsprechung nicht ausreicht, dass die besuchte Schule als ausbildungs- und betreuungsmässig optimal beurteilt werde, ansonsten der tatsächliche Eingliederungserfolg bereits einen beachtlichen Grund darstellen würde (vgl. Urteil 9C_306/2016 vom 4. Juli 2016 E. 3.1 mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Vorinstanz gelangte zum Schluss, dass der Aufenthalt im Iran sich auf die Versicherte aufgrund des reichhaltigen Beziehungsnetzes mit der sehr grossen Verwandtschaft ihrer Mutter positiv auswirke. Beachtliche Gründe im Sinne von Art. 23bis Abs. 3 IVV lägen indessen nicht vor. Dass die Beschwerdeführerin in den schweizerischen Schulen scheiterte und nunmehr offenbar erfolgreich lernen könne, liege weniger am Schulsystem als vielmehr an den familiären Strukturen. Diese Umstände und die positiven Auswirkungen auf die Versicherte seien nachvollziehbar; indessen sei es nicht Aufgabe der Invalidenversicherung, im Rahmen der erstmaligen beruflichen Ausbildung ein soziales Umfeld zu gewährleisten, das sich aus der Besonderheit der familiären Strukturen ergibt. Sodann müsse das Vorliegen beachtlicher Gründe prognostisch und nicht nach dem eingetretenen Erfolg beurteilt werden. Es habe sich erst im Verlaufe der Zeit herausgestellt, dass der Aufenthalt im Iran für die Versicherte förderlich ist, und Dr. med. E.________ habe erstmals im Juli 2016 berichtet, dass die örtliche Trennung der Eltern das Verhalten der Versicherten günstig beeinflusse.  
 
2.4. Die Beschwerdeführerin verweist vorab auf den Bericht des Dr. med. E.________, Ambulatorium für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Klinik C.________, vom 9. März 2016. Dessen Argumente habe die Vorinstanz unvollständig und willkürlich gewürdigt. Ferner hätte das kantonale Gericht bei der Beurteilung der Frage, ob beachtliche Gründe vorliegen, auch die UNO-Kinderrechtskonvention und die EMRK berücksichtigen müssen. Insbesondere den Art. 2, 3 Ziff. 1, 23, 28 und 29 Abs. 1 lit. a der Kinderrechtskovention hätte das kantonale Gericht Rechnung tragen müssen. Schliesslich macht sie geltend, dass in ihrem Fall in der Schweiz keine Möglichkeit zu einer erfolgreichen Eingliederung bestehe. Es fehle an einer Schule oder Institution, die auf die besonderen emotionalen Bedürfnisse und schwankenden, teilweise von Aussen nicht verständlichen Verhaltensspitzen eingehen kann.  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat in Würdigung der massgeblichen Umstände mit einlässlicher und überzeugender Begründung dargelegt, dass beachtliche Gründe im Sinne von Art. 23bis Abs. 3 IVV für die erstmalige berufliche Ausbildung der Versicherten im Iran nicht vorliegen. Entgegen der Behauptung in der Beschwerde ist das kantonale Gericht nicht in Willkür verfallen und hat sich insbesondere keine Aktenwidrigkeit vorwerfen zu lassen. Die Versicherte beschränkt sich in diesem Zusammenhang auf eine Kritik an der Beweiswürdigung des Sozialversicherungsgerichts, insbesondere betreffend den Bericht des Dr. med. E.________ vom 9. März 2016. Die Rügen weisen zur Hauptsache appellatorischen Charakter auf und können aufgrund der dem Bundesgericht zustehenden Überprüfungsbefugnis (E. 1 hievor) nicht in die Beurteilung miteinbezogen werden.  
 
3.2. Zu prüfen bleiben die Rügen, mit welchen die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (abgeschlossen am 20. November 1989, von der Bundesversammlung genehmigt am 13. Dezember 1996, für die Schweiz in Kraft getreten am 26. März 1997; KRK; SR 0.107) geltend macht.  
 
3.2.1. Art. 2 Abs. 1 KRK bestimmt, dass die Vertragsstaaten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte achten und sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds gewährleisten. Zu diesem Zweck haben die Vertragsstaaten alle geeigneten Massnahmen zu treffen (Abs. 2). Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das Diskriminierungsverbot gemäss dieser Abkommensbestimmung, erklärt jedoch nicht, inwiefern dieses verletzt worden sein soll. Der in der Beschwerde ebenfalls angeführte Art. 3 KRK (Vorrang des Kindeswohls) enthält einen Leitgedanken, eine Interpretationsmaxime, die bei Erlass und Auslegung der Gesetze zu beachten ist. Daraus kann jedoch kein Leistungsanspruch abgeleitet werden (BGE 136 I 297 E. 8.2 S. 308).  
Weiter weist die Beschwerdeführerin auf die Bedeutung von Art. 23 KRK hin, der die Rechte behinderter Kinder zum Gegenstand hat. Diese Bestimmung ist jedoch nicht direkt anwendbar. Vielmehr ist sie programmatischer Natur und präzisiert den Inhalt der "sozialen Sicherheit" nicht (SZS 2010 S. 357, Urteil 8C_295/2008 vom 22. November 2008 E. 4.2). Darüber hinaus hat das Bundesgericht in Bezug auf Art. 28 KRK festgestellt, dass die Sozialziele des Übereinkommens in der Schweiz auch durch die moderne Sozialverfassung (Art. 41 und 110 ff. BV) sowie die umfangreiche Sozialgesetzgebung auf dem Niveau des geforderten rechtlichen Schutzstandards garantiert sind (Urteil I 472/02 vom 10. Februar 2003 E. 2.3). Art. 29 Abs. 1 lit. a KRK schliesslich, der feststellt, dass die Bildung des Kindes nach Auffassung der Vertragsstaaten darauf gerichtet sein muss, die Persönlichkeit, die Begabung und die geistigen und körperlichen Fähigkeiten voll zur Entfaltung zu bringen, ist ebenfalls nicht direkt anwendbar (self-executing). Die Norm ist nicht hinreichend bestimmt und klar, um im Einzelfall Grundlage eines Entscheides zu bilden (BGE 136 I 297 E. 8.1 S. 307 f.), sondern umschreibt zusammen mit Art. 29 Abs. 1 lit. b-e KRK den Kerngehalt und die Ziele der Bildung. 
 
3.2.2.  
 
3.2.2.1. Die Beschwerdeführerin bringt schliesslich vor, die Vorinstanz habe Art. 8 Ziff. 1 EMRK verletzt. Danach hat jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz. Es trifft zu, dass gemäss dieser Bestimmung die Eltern das Recht haben, das Familienleben nach eigenem Gutdünken zu leben und zu gestalten. Dies bedeutet indessen nicht, dass zu diesem Zweck ohne weitere Voraussetzungen Leistungen der Invalidenversicherung in Anspruch genommen werden können. Wie das Eidgenössische Versicherungsgericht erkannt hat, stellt die Ablehnung von Versicherungsleistungen keinen Grundrechtseingriff im herkömmlichen Sinn dar; doch kann die Ablehnung der Versicherungsleistungen die grundrechtlich geschützten Tätigkeiten erschweren oder verunmöglichen, wodurch die versicherte Person in der Wahrnehmung ihrer Grundrechte mittelbar beeinträchtigt wird; es kann daraus eine faktische Grundrechtsverletzung resultieren. Dies gilt auch in Bezug auf die Garantie des Anspruchs auf Achtung des Familienlebens nach Art. 8 EMRK, in deren Schutzbereich die Gemeinschaft von Eltern und Kindern fällt (BGE 118 V 206 E. 5b S. 211 mit Hinweisen).  
 
3.2.2.2. Im vorliegenden Fall ist die Berufung auf Art. 8 Ziff. 1 EMRK nicht stichhaltig. Die Ablehnung der Vergütung der Kosten für den Schulbesuch der Versicherten im Iran durch die schweizerische Invalidenversicherung erschwert oder verunmöglicht keine grundrechtlich geschützte Tätigkeit. Die Integration des Kindes einer Familie mit Wohnsitz in der Schweiz in die im Iran lebende Grossfamilie der Mutter, die eine Verbesserung des psychischen Gesundheitszustandes und der schulischen Leistungen der jugendlichen Versicherten bewirkt, fällt nicht in den Schutzbereich von Art. 8 Ziff. 1 EMRK. Die Ablehnung von Leistungen der Invalidenversicherung erschwert in diesem Fall nicht den garantierten Anspruch der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Familienlebens, sondern lediglich - infolge der damit verbundenen Kostentragung durch die Eltern - die ohne beachtliche Gründe gemäss Art. 23bis Abs. 3 IVV im Iran absolvierte gymnasiale Schulausbildung, die jedoch laut den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz von der Versicherten trotz des psychischen Leidens auch in einer schweizerischen Institution durchlaufen und abgeschlossen werden könnte. Erfolgt jedoch eine erstmalige berufliche Ausbildung aus persönlichen Gründen im Ausland, kann sich die versicherte Person bei Ablehnung der Kostenübernahme durch die Invalidenversicherung nicht auf die Achtung ihres Familienlebens im Sinne von Art. 8 Ziff. 1 EMRK berufen.  
 
4.   
Dem Verfahrensausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.   
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 17. Februar 2017 
Im Namen der II. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Pfiffner 
 
Der Gerichtsschreiber: Widmer