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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_349/2007 
 
Urteil vom 17. März 2008 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Frésard, 
Gerichtsschreiberin Hofer. 
 
Parteien 
S.________, Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Fürsprecher Alfred Haldimann, Dufourstrasse 18, 3005 Bern, 
 
gegen 
 
IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern 
vom 31. Mai 2007. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Die 1953 geborene, zuletzt im Reinigungsdienst tätig gewesene, S.________ meldete sich im Oktober 2004 unter Hinweis auf Schmerzen am ganzen Körper, insbesondere am linken Arm, rechten Bein sowie Kopf- und Magenbeschwerden und Kraftlosigkeit bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Die IV-Stelle Bern zog die Akten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bei, holte den Bericht des Allgemeinpraktikers Dr. med. G.________ vom 21. Dezember 2004 ein, welchem weitere Arztberichte beilagen, und gab das interdisziplinäre Gutachten der Medizinischen Abklärungsstelle am Spital X.________ (MEDAS) vom 14. September 2006 in Auftrag. Gestützt darauf eröffnete sie der Versicherten mit Vorbescheid vom 5. Oktober 2006, dass das Leistungsbegehren abgewiesen werde, da kein Gesundheitsschaden im Sinne der Invalidenversicherung mit Auswirkung auf die Arbeits- und Erwerbsfähigkeit bestehe. Daran hielt sie mit Verfügung vom 14. November 2006 fest. 
B. 
Die Beschwerde, mit welcher S.________ unter Beilage des Berichts des Dr. med. M.________, Spezialarzt für Innere Medizin, vom 11. Dezember 2006 die Zusprechung einer ganzen Invalidenrente beantragen liess, wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 31. Mai 2007 ab. 
C. 
S.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen Invalidenrente. Zudem lässt sie um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege ersuchen. 
Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der Beschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherungen auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (Art. 82 ff. BGG) kann wegen Rechtsverletzung gemäss Art. 95 f. BGG erhoben werden. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG) und kann deren Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. zur auch unter der Herrschaft des BGG gültigen Abgrenzung von Tat- und Rechtsfragen im Bereich der Invalidenversicherung [Art. 16 ATSG] für die Ermittlung des Invaliditätsgrades nach Art. 28 Abs. 1 IVG BGE 132 V 393). 
2. 
Streitig und zu prüfen ist als Voraussetzung des Rentenanspruchs (Art. 28 IVG) der Invaliditätsgrad und in diesem Rahmen die Frage, ob und in welchem Ausmass die Beschwerdeführerin arbeitsunfähig ist. 
2.1 Das kantonale Gericht hat die für die Beurteilung der Streitsache massgebenden materiell- und beweisrechtlichen Grundlagen, einschliesslich die Rechtsprechung zur nur ausnahmsweise invalidisierenden Wirkung von somatoformen Schmerzstörungen und Fibromyalgien (BGE 132 V 65 E. 4 S. 70 ff., 131 V 49 E. 1.2 S. 50 f., 130 V 352 ff. und 396 ff.) sowie zur Bedeutung ärztlicher Berichte und Gutachten (BGE 125 V 256 E. 4 S. 261, 122 V 157 E. 1 S. 158 f., je mit Hinweisen) und zu deren Beweiswert (BGE 125 V 351 E. 3 S. 352 ff., 122 V 157 E. 1c S. 160 ff., je mit Hinweisen; vgl. auch BGE 132 V 393 E. 4.1 S. 400) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. 
2.2 Die Beweiswürdigung im Allgemeinen wie auch die antizipierte Beweiswürdigung betreffen Tatfragen (Urteil 9C_539/2005 vom 31. Januar 2008), die das Bundesgericht lediglich auf offensichtliche Unrichtigkeit und Rechtsfehlerhaftigkeit hin zu überprüfen befugt ist (Art. 105 Abs. 2 BGG; vgl. E. 1 hievor). Unter diesem Blickwinkel hält ein Verzicht der Vorinstanz auf weitere Beweisvorkehren aufgrund antizipierter Beweiswürdigung etwa dann nicht stand, wenn die Sachverhaltsfeststellung unauflösbare Widersprüche enthält (vgl. etwa BGE 124 II 103 E. 1a S. 105; in BGE 126 III 431 nicht publizierte E. 4c/bb des Urteils 5P.119/2000 vom 24. Juli 2000) oder wenn eine entscheidwesentliche Tatsache auf unvollständiger Beweisgrundlage - beispielsweise ohne Beizug des notwendigen Fachwissens unabhängiger Experten/Expertinnen, obwohl im Einzelfall unabdingbar - beantwortet wird (vgl. etwa BGE 132 III 83 E. 3.5 S. 88; vgl. auch Urteil I 1051/06 vom 4. Mai 2007, E. 3.3 und 3.4 [publ. in: SVR 2007 IV Nr. 39 S. 132]). Demgegenüber ändern blosse Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung an deren Verbindlichkeitswirkung gemäss Art. 105 Abs. 1 BGG nichts (vgl. die - unter der Herrschaft des BGG weiterhin geltende - Rechtsprechung gemäss BGE 132 I 42 E. 3.1 S. 44; in BGE 126 II 514 nicht publizierte E. 2 des Urteils 2A.245/1999 vom 31. Oktober 2000; BGE 100 V 202 E. 1 S. 203 f.; Urteil 2P.308/2006 vom 4. Dezember 2007 [E. 3.2]). 
3. 
Die Vorinstanz hat in einlässlicher Würdigung der medizinischen Unterlagen, insbesondere gestützt auf das unter Mitwirkung von Fachärzten der Psychiatrie, Neurologie und Orthopädie verfasste Gutachten der MEDAS vom 14. September 2006, festgestellt, dass die Beschwerdeführerin zwar an somatischen und psychischen Beschwerden leidet, die im Gutachten als anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F 45.4) und depressive Episode (ICD-10 F 32.1) vor dem Hintergrund einer histrionischen Persönlichkeitsakzentuierung und anhaltender psychosozialer Konfliktsituation, Neuralgie des Ramus cutaneus superfacialis, des Nervus radialis links, Gonarthrose rechts, Hypertonus und Adipositas diagnostiziert wurden, deswegen aber in ihrer Arbeitsfähigkeit nicht eingeschränkt ist, sondern leichte und mittelschwere Arbeiten einfacher geistiger Art mit geringer Verantwortung ausüben kann und somit in der Lage ist, ihre zuletzt ausgeübte mittelschwere Tätigkeit als Reinigungskraft in vollem Umfange auszuüben. Sie hat im Rahmen der freien Beweiswürdigung auch haltbar begründet, weshalb sie dem Gutachten der MEDAS vollen Beweiswert zuerkennt, mithin die Hauptkriterien der Vollständigkeit, Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit als erfüllt erachtet und aus welchen Gründen sie jenen ärztlichen Meinungen, insbesondere den Ausführungen des Dr. med. M.________ und des Dr. med. G.________ kein ausschlaggebendes Gewicht beimisst, die von einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit für sämtliche Tätigkeiten ausgehen. 
4. 
4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, sie leide namentlich wegen einer in den Jahren 2002 bis 2004 erlittenen Serie von Unfällen dauernd an einer Vielzahl von körperlichen Schmerzen (Kopf, Rücken, linker Arm, Brustgegend, Magen- und Nierengegend), was zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit und zu Depressionen geführt habe. Sie sei daher nicht mehr in der Lage, die körperlich anstrengende Tätigkeit im Reinigungsdienst weiterzuführen, weshalb ihr die Arbeitsstelle gekündigt worden sei. Die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch die Ärzte der MEDAS stehe mit Blick auf die gestellten Diagnosen mit Krankheitswert in völligem Widerspruch zur realen Situation, wie sie auch von den Familienangehörigen erlebt werde. Die Schlussfolgerung der MEDAS-Ärzte sei nicht schlüssig und willkürlich und stehe in eklatantem Widerspruch zu den Angaben der behandelnden Ärzte - des Allgemeinpraktikers Dr. med. G.________, des Internisten Dr. med. M.________ und des Psychiaters U.________ - zu dessen Klärung eine Oberexpertise durch einen Psychosomatiker einzuholen sei. 
4.2 Die sich gegen die vorinstanzliche Arbeits(un)fähigkeitsbemessung richtenden und mithin Tatsächliches beschlagenden Vorbringen vermögen an den Feststellungen des kantonalen Gerichts nichts zu ändern. Der (Kurz-)Bericht des Dr. med. G.________ vom 21. Dezember 2004 begründet den höheren Grad der Arbeitsunfähigkeit mit einer Hyperpathie der linken Hand, welche generell nicht gebraucht werde, einer dolenten Bakerzyste am rechten Knie und einer Gonarthrose sowie massiv gesteigerten Fluchtreflexen im Bereich des linken Armes. Die Versicherte sei psychisch in ihren Schmerzen aufgegangen und - selbst wenn die Knieoperation problemlos heilen werde - aufgrund des generalisierten Schmerzsyndroms nicht mehr in den Arbeitsprozess zu integrieren. Damit stützt er sich auf eine Diagnose, die im Lichte der Rechtsprechung hinsichtlich der grundsätzlich fehlenden invalidisierenden Wirkung aetiologisch-pathogenetisch unerklärlicher syndromaler Leidenszustände (BGE 132 V 65, 131 V 49, 130 V 352 und 396) keine Einschränkung der Leistungsfähigkeit rechtfertigt, zumal aufgrund der medizinischen Unterlagen eine Tendenz zur Aggravation im Raume steht. Die von Dr. med. G.________ erwähnte anhaltende posttraumatische Belastungsstörung liess sich in der Folge nicht verifizieren, worauf deren Vorliegen von den Ärzten der MEDAS mit überzeugender Begründung verneint wurde. Der im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren eingereichte Bericht des Dr. med. M.________ geht hinsichtlich der geltend gemachten somatischen Beschwerden ebenfalls von einer somatoformen Schmerzstörung aus. Was die psychische Seite des Leidens betrifft, liege ein depressives Syndrom, gegenwärtig mittelgradiger Depression (ICD-10 F 32.1) vor. Aufgrund der medizinischen Aktenlage kommt dieser Diagnose nicht die Bedeutung eines selbstständigen, vom psychogenen Schmerzsyndrom losgelösten depressiven Leidens im Sinne einer psychischen Komorbidität von erheblicher Schwere, Ausprägung und Dauer zu (vgl. BGE 130 V 352). Körperliche Begleiterkrankungen, welche bezüglich einer körperlich leichten bis mittelschweren Tätigkeit eine Einschränkung des funktionellen Leistungsvermögens zu bewirken vermöchten, oder eine ausgeprägte, die zumutbare Willensanstrengung negativ beeinflussende psychische Belastungssituation verursachen würden, werden in diesen Berichten nicht überzeugend dargetan. Etwas anderes lässt sich auch dem Bericht des Psychiaters U.________ vom 26. Juni 2007 nicht entnehmen, der von einer mittel- bis schwergradigen depressiven Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F 32.11/F 32.2) ausgeht. Zudem handelt es sich dabei um ein unzulässiges Novum (Art. 99 BGG), da nicht erst der angefochtene Entscheid, sondern bereits das MEDAS-Gutachten dazu Anlass gegeben hätte. Aus dem Gutachten der MEDAS ergibt sich überdies, dass die gezeigte Symptomatik als unmittelbare Reaktion auf psychosoziale Faktoren erscheint, der kein Krankheitswert zukommt, wobei nichts darauf hindeutet, dass die psychosozialen Belastungen zur Entstehung eines verselbständigten Gesundheitsschadens geführt hätten (dazu BGE 127 V 294 E. 5a S. 299). Die Vorinstanz hat die medizinischen Akten jedenfalls nicht in dem Sinne unvollständig oder offensichtlich unrichtig erfasst, dass die dort ausgewiesene Einschränkung mit dem Schluss auf vollständige Arbeitsfähigkeit unvereinbar wäre. Eine Arbeitsfähigkeit für schwere körperliche Arbeiten haben entgegen der offenbaren Auffassung der Beschwerdeführerin weder das Gutachten der MEDAS noch gestützt darauf die Vorinstanz postuliert. Da die Sachverhaltsfeststellung keine unauflösbare Widersprüche enthält (vgl. E. 2.2 hievor), verletzt es nicht Bundesrecht, wenn die Vorinstanz von ergänzenden Beweiserhebungen abgesehen hat. Für die beantragte Einholung einer psychosomatischen Oberexpertise besteht keine Veranlassung. 
5. 
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 Abs. 1 und Abs. 4 lit. a BGG). Die Gerichtskosten werden der unterliegenden Beschwerdeführerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Dem Gesuch um unentgeltliche Prozessführung (im Sinne der vorläufigen Befreiung von den Gerichtskosten und der unentgeltlichen Verbeiständung) kann entsprochen werden, da die Bedürftigkeit ausgewiesen ist, die Beschwerde nicht als aussichtslos zu bezeichnen und die Vertretung durch einen Rechtsanwalt geboten war (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 125 V 371 E. 5b S. 372 mit Hinweisen). Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 64 Abs. 4 BGG aufmerksam gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist. 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
2. 
Der Beschwerdeführerin wird die unentgeltliche Rechtspflege gewährt. 
3. 
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt, indes vorläufig auf die Gerichtskasse genommen. 
4. 
Fürsprecher Alfred Haldimann, Bern, wird als unentgeltlicher Anwalt der Beschwerdeführerin bestellt, und es wird ihm für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1800.- ausgerichtet. 
5. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
Luzern, 17. März 2008 
 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: 
 
 
Ursprung Hofer