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Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
2A.497/2005 /vje 
 
Urteil vom 23. Februar 2006 
II. Öffentlichrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Hungerbühler, Müller, 
Gerichtsschreiberin Dubs. 
 
Parteien 
X.________, 
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprech 
Jürg Walker, 
 
gegen 
 
Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Bundeshaus West, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person, 
 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 22. Juni 2005. 
 
Sachverhalt: 
A. 
Der irakische Staatsangehörige X.________ (geb. 1975) reiste am 9. Oktober 1998 in die Schweiz ein und stellte umgehend ein Asylgesuch. Das damalige Bundesamt für Flüchtlinge (heute: Bundesamt für Migration) wies das Asylgesuch mit Verfügung vom 28. November 2001 ab. Die dagegen von X.________ erhobene Beschwerde ist zurzeit noch bei der Schweizerischen Asylrekurskommission hängig. 
 
Am 4. April 2003 heiratete X.________ eine Schweizer Bürgerin, worauf ihm eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wurde. 
B. 
Am 15. Januar 2004 ersuchte X.________ um Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person. Dieses Gesuch wurde mit unangefochten in Rechtskraft erwachsener Verfügung vom 25. Februar 2004 abgelehnt. 
C. 
Ein am 6. Juli 2004 eingegangenes erneutes Gesuch um Ausstellung eines Passes für eine ausländische Person wies das damalige Bundesamt für Flüchtlinge mit Verfügung vom 13. Juli 2004 wiederum ab. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, X.________ müsse aufgrund seines hängigen Asylgesuchs als schriftenlos betrachtet werden; indessen sei zu berücksichtigen, dass er mit seinem Asylgesuch den Schutz vor Verfolgung oder Bedrohung beanspruche, was sich mit einer gleichzeitigen Reisetätigkeit schlecht vertrage, zumal er sich grundsätzlich den Schweizer Behörden zur Verfügung zu halten habe. Im Übrigen habe der Gesuchsteller keine dringenden Familienangelegenheiten oder berufliche Notwendigkeit geltend gemacht. 
 
Gegen die Verfügung des Bundesamtes vom 13. Juli 2004 beschwerte sich X.________ beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement. Er machte dabei im Wesentlichen geltend, als mit einer Schweizer Bürgerin verheirateter Ausländer verfüge er über ein mindestens ebenso gefestigtes Anwesenheitsrecht wie ein Ausländer mit Niederlassungsbewilligung, weshalb er einen Anspruch auf Erteilung eines Passes für eine ausländische Person habe und die Abgabe eines Ersatzreisepapiers nicht nach den Voraussetzungen für Asylbewerber zu prüfen sei. 
D. 
Mit Entscheid vom 22. Juni 2005 wies das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Beschwerde ab. Es kam zum Schluss, X.________ könnte das gewünschte Ersatzreisepapier nur unter den für Asylbewerber geltenden restriktiven Voraussetzungen ausgestellt werden und diese seien vorliegend nicht erfüllt. 
E. 
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 23. August 2005 beantragt X.________, den Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 22. Juni 2005 aufzuheben, das Bundesamt für Migration anzuweisen, ihm einen Pass für eine ausländische Person auszustellen, und ihm die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. 
 
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement schliesst auf Abweisung der Beschwerde. 
 
Das Bundesgericht zieht in Erwägung: 
1. 
1.1 Gemäss Art. 100 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 OG ist die Verwaltungsgerichtsbeschwerde auf dem Gebiete der Fremdenpolizei unzulässig gegen die Erteilung oder Verweigerung von Bewilligungen, auf die das Bundesrecht keinen Anspruch einräumt. 
 
Die Verweigerung eines Reisedokumentes für schriftenlose Ausländer fällt nicht unter diesen Ausschlussgrund, da ein solches Reisedokument dem Gesuchsteller keinen bestimmten Anwesenheitsstatus in der Schweiz verschafft und damit keine fremdenpolizeiliche Bewilligung darstellt (Urteile 2A.483/2005 vom 18. August 2005 E. 2.1 und 2A.12/ 2005 vom 25. April 2005 E. 1.2 mit Hinweisen). Ein anderer Ausschlussgrund fällt nicht in Betracht, weshalb sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde als zulässig erweist. 
1.2 Der Beschwerdeführer, dem die Erteilung eines Reisedokumentes verweigert wurde, hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit zur Erhebung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde legitimiert (vgl. Art. 103 lit. a OG). Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist folglich einzutreten. 
1.3 Mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann vorliegend die Verletzung von Bundesrecht, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, sowie die unrichtige und unvollständige Feststellung des Sachverhalts (Art. 104 lit. a und b OG) gerügt werden. 
1.4 Am 1. Dezember 2004 trat die Verordnung vom 27. Oktober 2004 über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen (RDV; SR 143.5) in Kraft. Sie ersetzt die frühere Verordnung vom 11. August 1998 über die Abgabe von Reisepapieren an ausländische Personen (RPAV; AS 1999 2368 ff.) und gilt für alle im Zeitpunkt des Inkrafttretens hängigen Verfahren. Der angefochtene Entscheid erging daher zu Recht in Anwendung der neuen Verordnungsbestimmungen, die auch für das vorliegende Verfahren massgeblich sind. 
2. 
2.1 Nach Art. 4 Abs. 1 lit. b RDV hat namentlich eine schriftenlose ausländische Person mit Niederlassungsbewilligung Anspruch auf einen Pass für eine ausländische Person. Einer schriftenlosen ausländischen Person mit Jahresaufenthaltsbewilligung "kann" ein solcher Pass abgegeben werden (Art. 4 Abs. 2 RDV). Dagegen wird einer schutzbedürftigen, vorläufig aufgenommenen oder asylsuchenden Person ein Identitätsausweis mit Rückreisevisum nach Art. 5 Abs. 2 RDV nur ausgestellt bei schwerer Krankheit oder Tod von Familienangehörigen (lit. a), zur Erledigung von wichtigen und unaufschiebbaren höchstpersönlichen Angelegenheiten (lit. b) oder zum Zweck von grenzüberschreitenden Schulausflügen (lit. c). 
2.2 Der Beschwerdeführer, dessen Asylgesuch immer noch hängig ist, ist unbestrittenermassen schriftenlos im Sinne von Art. 7 RDV. Er hält sich jedoch nicht allein aufgrund seines Asylgesuchs in der Schweiz auf, sondern verfügt zudem über eine Aufenthaltsbewilligung zum Verbleib bei seiner schweizerischen Ehefrau. Fraglich ist daher, ob sich die Abgabe eines Reisedokumentes nach den für asylsuchende Personen geltenden restriktiven Voraussetzungen richtet oder ob die Bestimmungen über die Abgabe eines Passes für eine ausländische Person mit Jahresaufenthaltsbewilligung zur Anwendung kommen. 
2.3 Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, als ein mit einer Schweizer Bürgerin verheirateter Ausländer verfüge er über ein ebenso gefestigtes Anwesenheitsrecht in der Schweiz wie ein Ausländer mit Niederlassungsbewilligung, weshalb er wie dieser (in analoger Anwendung von Art. 4 Abs. 1 lit. b RDV) einen Anspruch auf einen Pass für eine ausländische Person habe. Er verkennt dabei, dass er im Gegensatz zum in der Schweiz niedergelassenen Ausländer, der ein selbständiges Anwesenheitsrecht besitzt, nur einen Anspruch auf Aufenthaltsbewilligung hat, solange die Ehe mit der schweizerischen Ehefrau besteht (vgl. Art. 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer [ANAG; SR 142.20]). Es rechtfertigt sich daher auch in diesem Fall, den Ausländer mit Niederlassungsbewilligung bei der Erteilung eines schweizerischen Reisedokuments anders zu behandeln als den Ausländer mit Jahresaufenthaltsbewilligung. 
2.4 Der Beschwerdeführer verfügt über eine Jahresaufenthaltsbewilligung und hat nach Art. 7 Abs. 1 ANAG Anspruch auf deren Verlängerung, solange die Ehe nicht geschieden ist. Nach dem klaren Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 RDV "kann" ihm daher ein Pass für eine ausländische Person ausgestellt werden. Ein hinreichender Grund, vom Wortlaut dieser Bestimmung abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Der Beschwerdeführer ist zwar gleichzeitig Asylbewerber, und asylsuchenden Personen wird ein Identitätsausweis nur unter den besonderen Voraussetzungen von Art. 5 RDV ausgestellt. Dies ändert indessen nichts daran, dass der Beschwerdeführer unter die Kategorie der Personen fällt, denen grundsätzlich ein Pass ausgestellt werden kann. Es ist nicht einzusehen, weshalb er wegen des gleichzeitigen Asylgesuchs weniger Rechte haben sollte als ein "gewöhnlicher" Jahresaufenthalter. Dass die Ausstellung eines Passes für einen Asylbewerber mit Jahresaufenthaltsbewilligung deswegen nicht in Frage kommen soll, weil dieser sich während der Dauer des Asylverfahrens den Behörden zur Verfügung halten muss (Art.8 Abs. 3 des Asylgesetzes vom 26. Juni 1998 [AsylG; SR 142.31]), vermag jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden nicht zu überzeugen, nachdem das Asylverfahren bereits seit mehr als sieben Jahren (wovon vier Jahre auf das Verfahren vor der Asylrekurskommission entfallen) hängig ist, anscheinend seit langem keine Instruktionshandlungen mehr vorgenommen worden sind und auch keine unmittelbar bevorstehen und der Beschwerdeführer die lange Dauer des Verfahrens offenbar nicht zu vertreten hat (vgl. Urteil 2A.205/1996 vom 28. Oktober 1996 E. 3a). Inwiefern der Umstand, dass der Beschwerdeführer als Asylbewerber den Schutz des Aufenthaltsstaates vor Verfolgung oder Bedrohung beansprucht, mit einer Reisetätigkeit ausserhalb dieses Staates nicht vereinbar sein soll, ist ebenfalls nicht erkennbar, solange es nicht um eine Rückkehr in den verfolgenden Staat geht. Bezeichnenderweise erhält denn auch ein anerkannter Flüchtling einen Reiseausweis, der ihm Reisen ins Ausland gestattet (vgl. Art. 3 RDV), obwohl die Anerkennung als Flüchtling an der Bedrohungssituation nichts ändert. Dass Asylbewerber gegenüber Jahresaufenthaltern insofern privilegiert sind, als sie ohne weiteres als schriftenlos gelten (vgl. Art. 7 Abs. 2 RDV), während Jahresaufenthalter ohne hängiges Asylgesuch sich bei den zuständigen Behörden ihres Heimat- oder Herkunftsstaates um die Ausstellung oder Verlängerung heimatlicher Reisepapiere bemühen müssen (Art. 7 Abs. 1 RDV), trifft zwar zu, hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob einem Jahresaufenthalter mit hängigem Asylgesuch ein Pass ausgestellt werden kann. Erst recht irrelevant ist in diesem Zusammenhang, dass der Asylbewerber den Abschluss des Asylverfahrens in der Schweiz abwarten kann, während der Jahresaufenthalter die Nichtverlängerung seiner Bewilligung riskiert, falls die Ehe aufgelöst wird, bevor er nach einer Ehedauer von fünf Jahren einen Anspruch auf Niederlassungsbewilligung erworben hat (Art. 7 Abs. 1 ANAG). 
2.5 Die Vorinstanz hätte das Gesuch des Beschwerdeführers somit unter dem Gesichtspunkt von Art. 4 Abs. 2 RDV prüfen müssen, weshalb der angefochtene Entscheid gegen Bundesrecht verstösst. Das Bundesgericht kann diese Prüfung nicht selbst vornehmen, da die Ausstellung des anbegehrten Passes aufgrund der "Kann-Vorschrift" von Art. 4 Abs. 2 RDV im Ermessen der Verwaltung liegt und dem Bundesgericht in diesem Bereich keine Ermessenskontrolle zusteht (Art. 104 lit. c OG). Die Sache ist daher zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG). Diese wird dabei unter anderem zu berücksichtigen haben, dass Auslandreisen zum Besuch von Familienangehörigen, namentlich der angeblich erkrankten Mutter, aber auch von entfernteren Verwandten, einem legitimen Interesse eines Jahresaufenthalters entsprechen können. Es ist auch durchaus verständlich, dass ein mit einer Schweizerin verheirateter Jahresaufenthalter mit dieser zusammen Ferienreisen oder Ausflüge ins nahe Ausland unternehmen will. In diesem Zusammenhang wäre allerdings zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben "seit einiger Zeit" getrennt lebt. 
3. 
3.1 Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist somit gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Sache ist zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird in ihrem neuen Entscheid auch über die Kosten- und Entschädigungsfolgen ihres Verfahrens zu befinden haben, weshalb die übrigens in keiner Weise substantiierte Rüge, das Armenrechtshonorar sei zu Unrecht gekürzt worden, nicht geprüft werden braucht. 
3.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 156 Abs. 2 OG). Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement ist zu verpflichten, dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung auszurichten (Art. 159 Abs. 1 OG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
1. 
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements vom 22. Juni 2005 aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement zurückgewiesen. 
2. 
Es werden keine Kosten erhoben. 
3. 
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
4. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement schriftlich mitgeteilt. 
Lausanne, 23. Februar 2006 
Im Namen der II. öffentlichrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Die Gerichtsschreiberin: