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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
{T 0/2} 
 
1B_174/2015  
   
   
 
 
 
Urteil vom 1. Juli 2015  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Fonjallaz, Präsident, 
Bundesrichter Karlen, Eusebio, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft, 
Hauptabteilung Liestal, 
Rheinstrasse 27, Postfach, 4410 Liestal, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
A.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Advokat Rainer L. Fringeli. 
 
Gegenstand 
Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss vom 21. April 2015 des Kantonsgerichts Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen gewerbsmässigen Betrugs, Urkundenfälschung, Geldwäscherei und Widerhandlung gegen das UWG (SR 241). Am 24. März 2015 nahm sie A.________ vorläufig fest und am Tag darauf stellte sie dem Zwangsmassnahmengericht des Kantons Basel-Landschaft den Antrag auf Anordnung von Untersuchungshaft. Mit Entscheid vom 27. März 2015 wies das Zwangsmassnahmengericht den Antrag ab und verfügte die sofortige Freilassung von A.________. Diesem auferlegte es gleichzeitig eine Reihe von Ersatzmassnahmen für die vorläufige Dauer von drei Monaten. 
Eine von der Staatsanwaltschaft hiergegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Beschluss vom 21. April 2015 ab. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 12. Mai 2015 beantragt die Staatsanwaltschaft Basel-Landschaft sinngemäss, der Beschluss des Kantonsgerichts sei aufzuheben und es sei die Untersuchungshaft für die Dauer von drei Monaten anzuordnen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Kantonsgericht und der Beschwerdegegner beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit nach Art. 80 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 3 BGG zur Beschwerde befugt und hat ein aktuelles praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde (BGE 137 IV 230 E. 1 S. 232; 87 E. 1 ff. S. 88 ff.; je mit Hinweisen). Die angefochtene Verfügung stellt einen Zwischenentscheid dar, welcher für die Beschwerdeführerin einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 138 IV 92 E. 1.2 S. 94 f. mit Hinweis). Art. 98 BGG, der eine Beschränkung der Beschwerdegründe vorsieht, ist hier nicht anwendbar (BGE 140 IV 57 E. 2.2 S. 60 mit Hinweisen). Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Untersuchungshaft kann unter anderem angeordnet werden, wenn ein dringender Tatverdacht in Bezug auf ein Verbrechen oder Vergehen sowie Wiederholungsgefahr besteht (Art. 221 Abs. 1 StPO). Lässt sich der Zweck der Untersuchungshaft durch eine mildere Massnahme erreichen, ist an Stelle von Haft eine Ersatzmassnahme anzuordnen (Art. 237 Abs. 1 StPO).  
 
2.2. Das Kantonsgericht führte zum dringenden Tatverdacht aus, es gelte als unbestritten, dass der Beschuldigte als Angestellter bzw. Gesellschafter und Geschäftsführer der B.________ GmbH von Anfang 2014 bis Februar 2015 hunderte von Rechnungen geschrieben und an diverse Gemeinwesen und Firmen versendet habe. Ebenso sei aktenkundig, dass sich verschiedentlich die Adressaten dieser Rechnungen beim Staatssekretariat für Wirtschaft SECO mit einer Beschwerde gewehrt bzw. Strafanzeigen eingereicht hätten, dies mit der Begründung, sie hätten keine Ware bestellt und auch keine solche geliefert bekommen. Bisherige Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hätten ergeben, dass an bestimmten Daten eine sehr grosse Anzahl an Rechnungen mit weitgehend identischem oder ähnlichem Inhalt, vielfach auch mit derselben Rechnungsnummer, ausgestellt worden sei, wofür der Beschuldigte bisher keine plausible Erklärung habe geben können. Dieser habe sich dabei teilweise verschiedener Machenschaften bedient (beispielsweise die Nutzung der Verwechslungsgefahr zwischen der B.________ GmbH und anderen, im gleichen Bereich tätigen Unternehmen, zu denen effektiv eine Geschäftsbeziehung mit den Geschädigten bestand, aber auch das Ausnützen von bereits bestehenden Geschäftsbeziehungen oder die vorgängige Erkundigung nach den für die Bestellungen zuständigen Mitarbeitern). Ehemalige Mitarbeiter des Beschuldigten hätten zudem von einer Anweisung berichtet, nach Aussen unter falschem Namen aufzutreten. Damit könne der dringende Tatverdacht des Betrugs bzw. des Versuchs dazu bejaht werden. Ebenfalls bestehe der dringende Verdacht, dass der Beschuldigte dem UWG zuwidergehandelt habe, indem er unter anderem unrichtige Angaben über sich, seine Firma und insbesondere seine Leistungen gemacht bzw. Kunden durch besonders aggressive Verkaufsmethoden in deren Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt habe (Art. 3 Abs. 1 lit. b und h UWG).  
 
2.3. Das Kantonsgericht bejahte auch die Wiederholungsgefahr. Aufgrund der langen Deliktsdauer, der Anzahl der Fälle und der Tatsache, dass der Beschuldigte trotz hängigem Verfahren, mehrfacher Einvernahmen, einer Hausdurchsuchung sowie dem ausdrücklichen Hinweis in der Einvernahme vom 19. November 2014, im Falle weiterer Delinquenz werde beim Zwangsmassnahmengericht Haft beantragt, weiter Rechnungen nach dem bekannten Muster versandt habe, müsse eine ungünstige Prognose gestellt werden. Zudem habe sich der Beschuldigte auch nicht durch Sperrungen seiner Bankkonten von seinem Handeln abhalten lassen. Schliesslich sei eine erhebliche Wiederholungsgefahr auch gegeben, weil der Beschuldigte anlässlich der Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht auf die Frage, was er im Falle einer Haftentlassung in beruflicher Hinsicht unternehmen werde, gemeint habe, er werde seine Geschäfte fortsetzen.  
 
3.  
 
3.1. Das Kantonsgericht ging davon aus, die Wiederholungsgefahr lasse sich mit den durch das Zwangsmassnahmengericht angeordneten Ersatzmassnahmen bannen. Die betreffenden Auflagen lauten wie folgt (Dispositiv-Ziffer 2 des Entscheids des Zwangsmassnahmengerichts) :  
 
"a) Dem Beschuldigten wird jegliche Tätigkeit für die B.________ GmbH untersagt. Ausnahmen sind durch die Staatsanwaltschaft zu genehmigen. 
b) Es wird dem Beschuldigten ferner untersagt, in leitender Stellung (Verwaltungsrat, Mitglied der Geschäftsleitung, Geschäftsführer) für ein Unternehmen tätig zu sein. 
c) Es wird dem Beschuldigten ausserdem verboten, Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen bzw. durch Dritte verkaufen zu lassen sowie hierfür Rechnungen auszustellen. 
d) Der Beschuldigte hat jede Erwerbstätigkeit (selbständig oder unselbständig) vor ihrer Aufnahme der Staatsanwaltschaft zu melden." 
 
Das Kantonsgericht hielt fest, diese Ersatzmassnahmen erschienen als hinreichend wirksam. Sie würden sämtliche vom Beschuldigten zu befürchtenden strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit der B.________ GmbH abdecken. Auch stünden sie mit einer vorläufigen Dauer von drei Monaten in einem vernünftigen zeitlichen Verhältnis zur Schwere der vorgeworfenen Straftaten, zum Stand des Verfahrens und der Höhe der Rückfallgefahr. Nach Art. 237 Abs. 5 StPO könne das zuständige Gericht Ersatzmassnahmen jederzeit widerrufen, andere Ersatzmassnahmen oder die Untersuchungshaft anordnen, wenn neue Umstände dies erfordern oder die beschuldigte Person die ihr gemachten Auflagen nicht erfülle. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft zur Verhältnismässigkeit, welche zudem sehr knapp ausgefallen seien, vermöchten dagegen nicht zu überzeugen. Die Untersuchungshaft sei nicht per se anzuordnen, wenn von einem schwereren Delikt (z.B. Betrug statt blosser Widerhandlung gegen das UWG) auszugehen sei. Weiter sei zu erwähnen, dass die Staatsanwaltschaft den Beschuldigten am 19. November 2014 zwar darauf hinwies, sie erwäge, die Untersuchungshaft zu beantragen, dies dann aber doch nicht getan habe. Würde der Beschuldigte heute inhaftiert, so hätte dies schliesslich zur Folge, dass ihm bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils, mithin mindestens ein Jahr, die Freiheit entzogen wäre. Dies würde den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verletzen. 
 
3.2. Die Staatsanwaltschaft kritisiert zunächst, das Kantonsgericht sei seiner Begründungspflicht (Art. 29 Abs. 2 BV) nicht nachgekommen, weil es nicht aufgezeigt habe, weshalb die angeordneten Ersatzmassnahmen hinreichend wirksam seien. Diese Kritik ist unbegründet. Aus den soeben wiedergegebenen Erwägungen des angefochtenen Entscheids geht ohne Weiteres hervor, weshalb das Kantonsgericht die Ersatzmassnahmen als geeignet erachtete. Ob seine Auffassung inhaltlich zutrifft, worauf sogleich einzugehen ist, ist nicht eine Frage der hinreichenden Begründung.  
 
3.3. Die Staatsanwaltschaft hält den Beschuldigten für unbelehrbar. Er habe zwei Chancen verpasst, sein mutmasslich kriminelles Handeln einzustellen. So sei am 25. September 2014 eine Hausdurchsuchung und eine kurzfristige Anhaltung erfolgt und anlässlich einer Einvernahme vom 19. November 2014 sei er verwarnt worden. Im Übrigen habe er sich selbst gegenüber dem Haftrichter uneinsichtig gezeigt. Erst nach einer fast schon suggestiven Befragung durch diesen habe sich der Beschuldigte zur Aussage durchgerungen, er werde mit den Kunden in Zukunft besser kommunizieren, damit klar sei, ob diese etwas kaufen wollten oder nicht. Angesichts der mehr als hundert versuchten oder vollendeten mutmasslichen Verbrechen, eines Schadens von bis zu Fr. 270'000.-- und der Strafdrohung für gewerbsmässigen Betrug von bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe genüge die Anordnung von Ersatzmassnahmen nicht. Die Verhältnismässigkeit der Haft sei auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass es bis zur Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils noch ein Jahr dauern könne. Schliesslich bezeichnet die Staatsanwaltschaft die Ausführungen des Kantonsgerichts zur am 19. November 2014 erfolgten Androhung, es werde möglicherweise Untersuchungshaft beantragt, in verschiedener Hinsicht als sachfremd. Insbesondere macht sie geltend, es habe sich dabei nicht um einen blossen Hinweis gehandelt, sondern um eine regelrechte Verwarnung.  
 
3.4. Gemäss Art. 237 StPO ordnet das zuständige Gericht anstelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Abs. 1). Untersuchungshaft ist somit "ultima ratio". Kann der damit verfolgte Zweck - die Verhinderung von Flucht-, Kollusions-, Wiederholungs- oder Ausführungsgefahr - mit milderen Massnahmen erreicht werden, sind diese anzuordnen (Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Dies gebietet der Grundsatz der Verhältnismässigkeit (Art. 36 Abs. 3 BV; Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO; zum Ganzen: BGE 140 IV 74 E. 2.2 S. 78 mit Hinweis).  
 
3.5. Der Beschwerdegegner wird insbesondere des mehrfachen Betrugs beschuldigt. Dabei handelt es sich um ein Verbrechen gegen das Vermögen (Art. 146 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 2 StGB). Die Behauptung der Staatsanwaltschaft, das Kantonsgericht gehe von einem dringenden Tatverdacht des gewerbsmässigen Betrugs (Art. 146 Abs. 2 StGB) aus, trifft dagegen nicht zu und die Staatsanwaltschaft begründet ihre Auffassung auch nicht (Art. 42 Abs. 2 BGG).  
Die Staatsanwaltschaft legt grosses Gewicht auf den Umstand, dass der Beschwerdegegner durch eine Hausdurchsuchung und eine kurzfristige Anhaltung die Gelegenheit erhalten habe, sein mutmasslich kriminelles Verhalten zu beenden. Am 19. November 2014 habe sie ihn sodann regelrecht verwarnt. Die Bedeutung dieser Umstände darf jedoch nicht überbewertet werden. Es geht zu weit, einer blossen Untersuchungsmassnahme bzw. einer "Verwarnung" durch die Staatsanwaltschaft die gleiche Bedeutung beizumessen wie der förmlichen Anordnung von Ersatzmassnahmen durch das Zwangsmassnahmengericht. 
Unter den vorliegenden Umständen erscheinen die angeordneten Ersatzmassnahmen zudem als geeignet, der Wiederholungsgefahr zu begegnen. Sie führen zu einer Kontrolle der wirtschaftlichen Tätigkeit des Beschwerdegegners, mithin des Aktivitätsbereichs, in welchem er mutmasslich delinquiert hat. Gemäss dem angefochtenen Entscheid erstatteten verschiedene Adressaten ungerechtfertigter Rechnungen Meldung beim SECO oder Strafanzeige. Sollte es erneut zu derartigen Beanstandungen kommen oder sich auf andere Weise ergeben, dass sich der Beschwerdegegner nicht an die Auflagen hält, könnte das zuständige Gericht gemäss Art. 237 Abs. 5 StPO jederzeit die Untersuchungshaft anordnen. 
Insgesamt ist deshalb festzuhalten, dass die vom Beschwerdegegner ausgehende Gefahr für die Allgemeinheit nicht als derart hoch erscheint, als dass sie nur durch die Anordnung von Haft auf ein erträgliches Mass reduziert werden könnte (vgl. Urteil 1B_173/2013 vom 29. Mai 2013 E. 4.4). 
 
4.   
Die Beschwerde ist demnach abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Hingegen hat der Kanton Basel-Landschaft dem Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Dessen Gesuch um unentgeltliche Prozessführung wird damit gegenstandslos. 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.   
Der Kanton Basel-Landschaft hat dem Vertreter des Beschwerdegegners, Rechtsanwalt Rainer L. Fringeli, eine Parteientschädigung von Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
4.   
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Strafrecht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 1. Juli 2015 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Fonjallaz 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold