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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1144/2016  
   
   
 
 
 
Urteil vom 15. Juni 2017  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, Präsident, 
Bundesrichter Oberholzer, 
Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiber Faga. 
 
Verfahrensbeteiligte 
X.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Julian Burkhalter, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Maulbeerstrasse 10, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unentgeltliche Rechtspflege (Anordnung von Sicherheitshaft), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 5. September 2016. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland verurteilte X.________ am 9. Februar 2011 wegen einfacher Körperverletzung mit einem gefährlichen Gegenstand, Tätlichkeit, Sachbeschädigung und Irreführung der Rechtspflege zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten. Der Vollzug der Strafe wurde zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben. Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 24. Juni 2011 im Wesentlichen die erstinstanzlichen Schuldsprüche und erkannte auf eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten, die es zugunsten einer stationären Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB aufschob, sowie zu einer Busse von Fr. 800.--. 
Am 24. Mai 2016 stellte das Amt für Freiheitsentzug und Betreuung des Kantons Bern, Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug (ASMV), dem Regionalgericht Antrag auf Verlängerung der stationären Massnahme um fünf Jahre. 
 
B.  
Das Regionale Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland ordnete am 13. Juni 2016 auf Antrag des Regionalgerichts Sicherheitshaft bis zum 23. September 2016 an, wobei der Vollzug nach Möglichkeit in der Klinik Rheinau zu erfolgen habe. Das Obergericht bestätigte am 8. Juli 2016 die angeordnete Sicherheitshaft. 
Eine dagegen erhobene Beschwerde in Strafsachen wies das Bundesgericht am 16. August 2016 im Wesentlichen ab, soweit es darauf eintrat. Es hiess die Beschwerde insoweit gut, als das Obergericht über das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV nicht entschieden und dadurch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt hatte. Das Bundesgericht hob den obergerichtlichen Entscheid auf und wies die Sache zur neuen Beurteilung des Armenrechtsgesuchs an die Vorinstanz zurück (Verfahren 6B_834/2016). 
 
C.  
Das wieder mit der Sache befasste Obergericht trat am 5. September 2016 auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht ein. 
 
D.  
X.________ führt Beschwerde in Strafsachen und beantragt, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und es sei ihm eine Parteientschädigung von Fr. 750.-- auszurichten. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Zudem ersucht er für das bundesgerichtliche Verfahren um eine angemessene Parteientschädigung sowie um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
E.  
Das Obergericht des Kantons Bern und die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern verzichteten auf Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Verfahrensgegenstand ist die Prüfung der Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege respektive der Kostenbefreiung gestützt auf Art. 29 Abs. 3 1. Satz BV (Urteil 6B_834/2016 vom 16. August 2016 E. 4.2 und 5.2). 
 
1.1. Die Vorinstanz erwägt, ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege mit dem Ziel, von den Verfahrenskosten befreit zu werden, sei für den Beschuldigten gemäss Art. 132 Abs. 1 lit. b StPO nicht vorgesehen. Die unentgeltliche Rechtspflege sei nach Art. 136 StPO nur für die Privatklägerschaft möglich (Entscheid S. 5 ff.).  
 
1.2. Der Beschwerdeführer bringt zusammengefasst vor, ein verfassungsmässiger Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege bestehe grundsätzlich für jedes staatliche Verfahren. Indem die Vorinstanz auf das Armenrechtsgesuch nicht eintrete, verletze sie Art. 29 Abs. 3 1. Satz BV. Zudem verletze sie Art. 421 StPO, indem sie die Verfahrenskosten, nicht aber die Entschädigung festsetze (Beschwerde S. 7 ff.).  
 
1.3. Nach Art. 29 Abs. 3 BV hat jede Person, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Soweit es zur Wahrung ihrer Rechte notwendig ist, hat sie ausserdem Anspruch auf unentgeltlichen Rechtsbeistand.  
Der Anspruch nach Art. 29 Abs. 3 BV gilt für jegliches staatliche Verfahren, in das der Betroffene einbezogen wird (Gerold Steinmann, in: Die schweizerische Bundesverfassung, St. Galler Kommentar, 3. Aufl. 2014, N. 65 zu Art. 29 BV; BERNHARD WALDMANN, in: Basler Kommentar, Bundesverfassung, 2015, N. 66 zu Art. 29 BV). Er garantiert der bedürftigen Person aber keine definitive Übernahme der Kosten durch den Staat. Die zuständige Behörde kann die erteilte Bewilligung zurückziehen, falls die Voraussetzungen, aufgrund derer der Anspruch nach Art. 29 Abs. 3 BV gewährt worden war, während des Verfahrens weggefallen sind. Ferner können ausbezahlte Beträge nach Erledigung des Prozesses zurückverlangt werden, wenn sich die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ausreichend verbessert hat (BGE 135 I 91 E. 2.4.2.2 S. 96 mit Hinweisen; STEINMANN, a.a.O., N. 64 zu Art. 29 BV; WALDMANN, a.a.O., N. 70 zu Art. 29 BV). 
Aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung geht hervor, dass Art. 29 Abs. 3 BV als verfassungsrechtliche Minimalgarantie  neben der StPO Anwendung findet (Urteile 1B_103/2017 vom 27. April 2017 E. 4 mit Hinweisen; vgl. auch 1B_272/2012 vom 31. Mai 2012 E. 6). Der vorinstanzliche Hinweis auf Art. 190 BV geht deshalb an der Sache vorbei. Im Übrigen kann die StPO über die Garantie von Art. 29 Abs. 3 BV hinausgehen, diese aber nicht einschränken (Urteil 1B_441/2015 vom 15. Februar 2016 E. 2.3.1 mit Hinweis). Die Argumentation, die unentgeltliche Rechtspflege sei für die beschuldigte Person in der StPO nicht vorgesehen und könne ihr deshalb nicht gewährt werden, hat das Bundesgericht unter Hinweis auf den verfassungsrechtlichen Anspruch ausdrücklich als unzutreffend verworfen (Urteil 1B_103/2017 vom 27. April 2017 E. 4). Indem die Vorinstanz auf das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nicht eintritt, verletzt sie Bundesrecht (Art. 29 Abs. 3 BV).  
 
1.4. Im Rahmen einer Eventualbegründung hält die Vorinstanz ergänzend fest, das Armenrechtsgesuch sei unbegründet. Erwägungen in der Entscheidbegründung dazu fehlen gänzlich, abgesehen vom Hinweis auf die "Begründungslinie im Urteil des Bundesgerichts". Dies rügt der Beschwerdeführer unter Hinweis auf Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG zu Recht. Nach Art. 112 Abs. 1 lit. b BGG müssen beim Bundesgericht anfechtbare Entscheide die massgebenden Gründe tatsächlicher und rechtlicher Art enthalten. Der vorinstanzliche Entscheid hat eindeutig aufzuzeigen, auf welchem festgestellten Sachverhalt und auf welchen rechtlichen Überlegungen er beruht (BGE 141 IV 244 E. 1.2.1 S. 245 f. mit Hinweisen). Das ist hier nicht der Fall. Es bleibt offen, aus welchen Gründen die Vorinstanz das Armenrechtsgesuch abweist respektive ob und gegebenenfalls weshalb sie das im kantonalen Verfahren gestellte Gesuch um Entlassung aus der Sicherheitshaft als aussichtslos einschätzt (vgl. betreffend die Anforderungen an die Entscheidmotivation BGE 141 III 28 E. 3.2.4 S. 41; 139 IV 179 E. 2.2 S. 183; je mit Hinweisen).  
Die Vorinstanz wird die Voraussetzungen der Kostenbefreiung gestützt auf Art. 29 Abs. 3 1. Satz BV in der Sache prüfen und ihren Entscheid nachvollziehbar begründen müssen. Dazu bleibt Folgendes anzufügen. Ob im Einzelfall genügende Erfolgsaussichten bestehen, beurteilt sich aufgrund einer vorläufigen und summarischen Prüfung der Prozessaussichten, wobei nach den zutreffenden Ausführungen des Beschwerdeführers die Verhältnisse im Zeitpunkt der Einreichung des Gesuchs massgebend sind (BGE 142 III 138 E. 5.1 S. 139 f. mit Hinweisen). Die Vorinstanz wird mithin betreffend die Frage nach den Gewinnaussichten der Rechtsbegehren im früheren Beschwerdeverfahren auf die Verhältnisse per Ende Juni 2016 abstellen müssen. Zudem wird sie zu prüfen und im Einzelnen darzulegen haben, ob der Beschwerdeführer bedürftig im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BV ist. Es erübrigt sich im Übrigen, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers näher einzugehen. 
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Bern hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das im bundesgerichtlichen Verfahren gestellte Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Der Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern vom 5. September 2016wird aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Bern hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Julian Burkhalter, eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 15. Juni 2017 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Faga