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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
                 
 
 
1B_205/2018  
 
 
Urteil vom 14. Mai 2018  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Merkli, Präsident, 
Bundesrichter Eusebio, Kneubühler. 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Marc R. Bercovitz, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, 
Maulbeerstrasse 10, Postfach 6250, 3001 Bern, 
vertreten durch die Regionale Staatsanwaltschaft Berner Jura-Seeland, Ländtestrasse 20, Postfach 1180, 2501 Biel, 
 
Gegenstand 
Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 21. März 2018 (BK 18 85). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.   
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Bern führt gegen A.________ ein Strafverfahren wegen fortgesetzter Erpressung (Art. 156 Ziff. 2 StPO) und weiteren Delikten. Sie wirft ihm unter anderem vor, B.________ mehrfach und teilweise unter Anwendung von Gewalt erpresst zu haben. Das Regionale Zwangsmassnahmengericht Berner Jura-Seeland ordnete am 22. November 2016 die Untersuchungshaft an und verlängerte sie in der Folge mehrere Male, letztmals am 16. Februar 2018 um drei Monate bis am 18. Mai 2018. 
Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Bern mit Beschluss vom 21. März 2018 ab. Es ging von einem dringenden Tatverdacht auf fortgesetzte Erpressung aus und bejahte sowohl Kollusions- als auch Wiederholungsgefahr. 
 
B.   
Mit Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht vom 23. April 2018 beantragt A.________, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und er selbst sei unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei ihm im Sinne einer Ersatzmassnahme zu verbieten, direkten oder indirekten Kontakt zu B.________ und dessen Familienangehörigen aufzunehmen. 
Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat dazu Stellung genommen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.   
Der angefochtene Entscheid betrifft die Verlängerung der Untersuchungshaft. Dagegen ist die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 78 ff. BGG gegeben. Zwar hat die Staatsanwaltschaft in der Zwischenzeit Anklage erhoben und ist der Beschwerdeführer daraufhin vom Zwangsmassnahmengericht mit Entscheid vom 29. März 2018 in Sicherheitshaft versetzt worden (vgl. Art. 220 Abs. 2 StPO). Dies hindert ihn jedoch nicht daran, seine Haftentlassung zu verlangen. Sowohl Untersuchungs- als auch Sicherheitshaft sind nur zulässig, wenn die Haftvoraussetzungen gemäss Art. 221 StPO gegeben sind. Der Beschwerdeführer ist somit, entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft, nach wie vor gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.   
Nach Art. 221 StPO ist Untersuchungshaft unter anderem zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ernsthaft zu befürchten ist, dass sie Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (Abs. 1 lit. b), oder durch schwere Verbrechen oder Vergehen die Sicherheit anderer erheblich gefährdet, nachdem sie bereits früher gleichartige Straftaten verübt hat (Abs. 1 lit. c). 
Der Beschwerdeführer kritisiert zwar die vorinstanzlichen Ausführungen zum dringenden Tatverdacht in verschiedener Hinsicht, räumt aber ein, dieser könne noch knapp bejaht werden. Weiter ist er der Auffassung, es liege weder Kollusions- noch Wiederholungsgefahr vor. Jedenfalls stünde eine hinreichende Ersatzmassnahme zur Verfügung. Zudem bestehe Überhaft. 
 
3.  
 
3.1. Das Obergericht hält fest, es lägen konkrete Indizien für Verdunkelungshandlungen vor. Der Geschädigte habe nur einen Monat nach der parteiöffentlichen Befragung am 20. November 2016 seine Anzeige zurückgezogen. In seinem Schreiben habe er ausgeführt, die Familie des Beschwerdeführers habe ihm garantiert, dass ihn dieser nicht mehr belästigen und bedrohen werde. Aus dem Befragungsprotokoll vom 18. November 2016 ergebe sich weiter, dass der Geschädigte nach einem Anruf des Beschwerdeführers die polizeiliche Einvernahme abgebrochen habe. Gegenüber der Polizistin habe er ausgeführt, der Beschwerdeführer habe ihm erneut gedroht. Die Polizei könne ihm nicht helfen. Er ziehe nun in den Krieg.  
Weitere konkrete Anhaltspunkte für die Bereitschaft des Beschwerdeführers, Personen mit Drohungen und Gewalt zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen, ergäben sich aus den Vorstrafen wegen mehrfacher versuchter Nötigung, versuchter schwerer Körperverletzung, mehrfacher einfacher Körperverletzung und Raufhandel sowie aus dem hängigen Verfahren wegen fortgesetzter Erpressung. Auch die Auswertung der elektronischen Geräte lasse auf eine Kollusionsneigung schliessen. Der Beschwerdeführer habe dem Vater des Geschädigten am 18. November 2016 Folgendes geschrieben (übersetzt auf Deutsch) : "Pass auf, wenn ich dich erwische, ok." Gleichentags habe er dem Geschädigten selbst geschrieben (wiederum übersetzt) : "Du bist eine grosse Scheisse. Pass' auf, wenn ich dich erwische, ok. Entweder ich oder du." Der Beschwerdeführer habe den Sinn dieser SMS nicht erklären können. 
Der gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf wiege schwer. Es gehe um fortgesetzte Erpressung von mindestens Fr. 23'000.--, teilweise unter Anwendung von Gewalt (insbesondere Faustschläge, Würgen, Bedrohen mit einer Pistole, Bewerfen mit einer Blechschere). Im Fall einer Verurteilung müsse der Beschwerdeführer mit einer empfindlichen Strafe sowie mit dem Widerruf der im Jahr 2016 (teil-) bedingt ausgesprochenen Strafe (Geldstrafe: 120 Tagessätze; Freiheitsstrafe: 18 Monate) rechnen. Bei einer Freilassung bestünde für ihn daher ein beträchtlicher Anreiz, den Geschädigten zu einem Widerruf oder einer Abschwächung seiner belastenden Aussagen zu bewegen. 
Schliesslich stütze sich der Vorwurf zu einem grossen Teil auf die Aussagen des Geschädigten. Es stehe insofern Aussage gegen Aussage. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, dass das erstinstanzliche Gericht einen persönlichen Eindruck des Geschädigten gewinnen wolle und ihn anlässlich der Hauptverhandlung befragen werde. Das Interesse an der Verhinderung von Kollusionshandlungen sei daher nach wie vor gegeben, auch wenn das Verfahren bereits in einem fortgeschrittenen Stadium sei. 
 
3.2. Der Beschwerdeführer wendet ein, die Anklageschrift liege nun vor und sämtliche Einvernahmen des Geschädigten seien protokolliert. Die Befürchtungen möglicher Einflussnahmen seien daher nur noch schwach stichhaltig und könnten insbesondere durch die beantragte Kontaktsperre vermieden werden.  
 
3.3. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass die beschuldigte Person die Freiheit dazu missbraucht, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln oder zu gefährden. Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Beschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhalts sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen. Nach Abschluss der Strafuntersuchung bedarf der Haftgrund der Kollusionsgefahr einer besonders sorgfältigen Prüfung (BGE 137 IV 122 E. 4.2 S. 127 f. mit Hinweis).  
 
3.4. Die vage Kritik des Beschwerdeführers ist nicht geeignet, die überzeugenden Erwägungen der Vorinstanz in Frage zu stellen. Insofern kann auf den angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 109 Abs. 3 BGG). Insbesondere ist zutreffend, dass trotz abgeschlossenem Vorverfahren ein Interesse daran besteht, Kollusionshandlungen zu unterbinden, da bei der vom Obergericht beschriebenen Ausgangslage davon auszugehen ist, dass das erstinstanzliche Gericht den Geschädigten in der Hauptverhandlung anhören will (vgl. Art. 343 Abs. 3 StPO). Zudem ist angesichts der Art der Vorstrafen sowie des Umstands, dass es konkrete Hinweise auf Beeinflussungsversuche im laufenden Verfahren gibt, nicht davon auszugehen, dass der Kollusionsgefahr mit Ersatzmassnahmen hinreichend begegnet werden könnte.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer ist weiter der Auffassung, es liege Überhaft vor. In vergleichbaren Fällen seien wesentlich tiefere Freiheitsstrafen ausgesprochen worden (Urteil 6B_507/2016 vom 9. August 2016). Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit werde daher verletzt, wenn eine beschuldigte Person eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft gelassen werde, obwohl es sich um eine klassische "Aussage-gegen-Aussage-Konstellation" handle, deren Ausgang völlig offen scheine. Die weiteren ihm zur Last gelegten Delikte seien zudem nicht geeignet, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe bzw. einem Widerruf der bereits ausgesprochenen bedingten Freiheitsstrafe zu führen. Zu berücksichtigen sei schliesslich auch, dass er während der Haftdauer von seiner Familie entfremdet und dass seine wirtschaftliche Existenz zerstört werde.  
 
4.2. Nach Art. 212 Abs. 3 StPO dürfen Untersuchungs- und Sicherheitshaft nicht länger als die zu erwartende Freiheitsstrafe dauern. Das Verbot der Überhaft ergibt sich aus dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit und dessen Einhaltung ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des Einzelfalls zu prüfen. Die Haftdauer darf nicht in grosse Nähe zur zu erwartenden Freiheitsstrafe rücken, um diese nicht zu präjudizieren (BGE 143 IV 160 E. 4.1 S. 165; 139 IV 270 E. 3.1 S. 275; 133 I 168 E. 4.1 S. 170 f.; 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f.; je mit Hinweisen).  
 
4.3. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Beschwerdeführer fortgesetzte Erpressung und weitere Delikte vor. Fortgesetzte Erpressung wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (Art. 156 Ziff. 2 StGB). Wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat, sind zudem mehrere Vorstrafen und ein möglicher Widerruf einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu berücksichtigen. Ob eine allfällige Freiheitsstrafe bedingt auszusprechen ist, wird der Sachrichter zu beurteilen haben. Bei der Beurteilung der Verhältnismässigkeit der Haft ist dieser Umstand grundsätzlich nicht zu berücksichtigen und vorliegend besteht diesbezüglich auch kein Ausnahmefall (vgl. BGE 143 IV 160 E. 4.2 S. 166; 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f.; 125 I 60 E. 3d S. 64; je mit Hinweisen). Wie bereits das Obergericht festhielt, ist zudem das vom Beschwerdeführer erwähnte Urteil 6B_507/2016 vom 9. August 2016 mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, denn zu beurteilen war damals nicht eine fortgesetzte Erpressung und die eingeforderte Geldsumme belief sich nur auf Fr. 5'000.--. Die bisher erstandene Haft von knapp 18 Monaten erweist sich unter Berücksichtigung dieser Umstände noch nicht als unverhältnismässig lang. Nicht von Bedeutung ist in dieser Hinsicht die Beweislage und die Auswirkungen der Haft auf das Privat- und Berufsleben des Beschwerdeführers.  
 
5.   
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen und es kann offen bleiben, ob neben der Kollusionsgefahr auch noch der besondere Haftgrund der Wiederholungsgefahr (Art. 221 Abs. 1 lit. c StPO) erfüllt wäre, wie die Vorinstanz annimmt. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung. Gemäss Art. 64 Abs. 1 BGG befreit das Bundesgericht eine Partei, die nicht über die erforderlichen Mittel verfügt, auf Antrag von der Bezahlung der Gerichtskosten, sofern ihr Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint. Ob eine Beschwerde aussichtsreich ist, erschliesst sich aus den Begehren und ihrer Begründung durch den Beschwerdeführer (Urteile 5D_164/2015 vom 11. Januar 2016 E. 5; 1D_1/2009 vom 15. Juni 2009 E. 3.2; je mit Hinweisen). Vorliegend bringt der Beschwerdeführer gegen den ausführlich und sorgfältig begründeten Beschluss des Obergerichts kaum etwas Substanzielles vor und erweist sich die Kritik im Übrigen als haltlos. Das Gesuch ist deshalb wegen Aussichtslosigkeit abzuweisen. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers ist durch reduzierte Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2, Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
 Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.   
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.   
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.   
Die Gerichtskosten von Fr. 1'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.   
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. Mai 2018 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Merkli 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold